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Das Pittsburg Symphony Orchestra
Das Pittsburg Symphony Orchestra hat Beethovens 5. und 7. Symphonie neu und wunderbar energisch eingespielt (Foto: Pittsburgh SO)

Csampais Klassik-Tipps April 2016

Wieder einmal hat Attila Csampai, der HiRes-liebende Klassik-Spezialist unseres Schweizer Medienpartners Home Electronics, die Neuveröffentlichungen des Frühlings 2016 durchforstet und vier prächtige Aufnahmen gefunden. Seine Klassik-Tipps im April 2016 sind dabei gar nicht rein klassisch, hat sich doch ein – das musste einfach sein – begeisterndes Funk-Album aus Schweden darunter gemischt. Aber auch das ist wunderbar komplex. Und alle diese Aufnahmen, das ist bei Csampai einfach zwingender Bestandteil seines Suchens, klingen prächtig:

Klassik-Tipps April 2016 Beethoven: Symphonien Nr. 5 und 7 Pittsburgh Symphony Orchestra
Beethoven: Symphonien Nr. 5 und 7 Pittsburgh Symphony Orchestra, Manfred Honeck Reference Recordings FR-718/ sieveking-sound   (SACD)

Da wäre zunächst einmal Beethoven. Kaum haben Martin Haselböck und sein „Orchester Wiener Akademie“ drei Beethoven-Symphonien fulminant wiederbelebt, da fährt sein Landsmann Manfred Honeck im fernen Pittsburgh noch schwerere Beethoven-Geschütze auf: Der vormalige Bratscher der Wiener Philharmoniker übernahm das US-Traditionsorchester 2008 als elfter Musikdirektor und formte es in kurzer Zeit zu einem Weltklasse-Klangkörper mit eigenem Klangprofil.

Beethovens Fünfte: Ta-ta-ta-taaa!

Die jetzt in einem exzellenten Mehrkanal-Mitschnitt veröffentlichte Live-Aufführung der Fünften Beethovens setzt diesen neuen, geballten, ungemein lebendigen Ansatz Honecks sehr engagiert und punktgenau um, so dass sie hier eine Art hochdramatischer Wiedergeburt erlebt. Schon die symbolisch drohende und in Zeitlupe herausgeknallte Vorstellung des berühmten Klopfmotivs zu Beginn der Symphonie unterstreicht Honecks theatralisch-trotzige Lesart: Als wolle er das überhitzte Pathos früherer Generationen mit dem rhythmischen Verve und der schroffen Kontur der „Historisten“ zu einem neuen, spannungsreichen und energiegeladenen Beethoven-Stil verschmelzen, der den revolutionären Charakter dieses Werks wieder in den Mittelpunkt rückt. In der vom Rhythmus dominierten, tänzerisch-ausgelassenen Siebten ist dieser drohende Gestus zwar deutlich abgemildert, aber auch hier entfacht Honeck einen unaufhaltsamen, sogartig auf das Finale zusteuernden Drive, der die ganze Symphonie als eine Art Siegesfeier über Napoleon und eben als kollektives Ereignis von politischen Ausmaßen deutet: Diese Musik hat auch 200 Jahre nach ihrer Niederschrift nichts von ihrer brennenden Aktualität eingebüßt. Die kathedralenartige Akustik des neuen Pittsburgher Konzertsaals unterstützt diesen grandiosen Ansatz. Die Aufnahme ist in HiRes, beziehungsweise auf SACD.

Klassik-Tipps April 2016: Tschaikowsky: Violinkonzert D-Dur. Strawinsky: Les Noces. Patricia Kopatchinskaja
Tschaikowsky: Violinkonzert D-Dur.
Strawinsky: Les Noces. P. Kopatchinskaja, Music-Aeterna, Teodor Currentzis Sony

Tschaikowskys russische Seele

Da haben sich zwei gefunden: Nachdem der griechische Opernrebell Teodor Currentzis zuletzt in der fernen Ural-Metropole Perm Mozarts Figaro und Così fan tutte gründlich entstaubt hatte, nahm er sich jetzt Tschaikowskys populäres Violinkonzert vor, um es gemeinsam mit der gleichgesinnten russischen Geigerin Patricia Kopatchinskaja von allem westlichen Parfüm und aller spätromantischer Opulenz zu reinigen und es gewissermaßen heimzuholen in die vertraute russische Provinz. Diese in Putins Reich derzeit angesagte Repatriierung unterstreicht der schlaksige Exzentriker auch durch das zweite Werk seines neuen   Albums, Strawinskys Les Noces, einer gesungenen russische Bauernhochzeit, die Currentzis als archaisches Folklore-Spektakel mit knochentrockenem rhythmischem Drive wiederaufleben lässt. Im einleitenden Tschaikowsky-Konzert dagegen entpuppt sich Kopatchinskaja als hexenhafte Raubkatze, die mit scharfem, vibratolosem Ton, abrupten Temposchwankungen und einer geradezu hysterischen Kontrast-Dramaturgie jegliche Erinnerung an die grossen Referenzen (Heifetz, Oistrach etc.) auslöschen will und es stattdessen trotzig als wirre Jungmädchenträume Tatjanas (aus Eugen Onegin)   deutet.   Ihr   zwischen scheuer Fragilität und wilden Ausbrüchen schwankender Psychotrip kann indes nur in der mit schlichter Anmut gespielten Canzonetta überzeugen, während sie in den Ecksätzen manches bis zur Parodie zuspitzt. Doch ein solches Monument hält das locker aus. Am besten gefällt mir die Bilderstrecke im Booklet, in der die beiden Jungstars „Hochzeit spielen“. Auch das wirkt etwas bizarr: Als würde Marilyn Manson eine scheue Dorfschönheit heiraten.

Klassik-Tipps April 2016: Rachmaninov: Études-Tableaux op. 33 und 39 Zlata Chochieva
Rachmaninov: Études-Tableaux op. 33 und 39 Zlata Chochieva, Klavier Piano Classics

Zlata Chochieva: Düstere Vorahnungen

Vor circa anderthalb Jahren veröffentlichte die russische Pianistin Zlata Chochieva eine hochmusikalische, wunderbar fließende, dramatische Interpretation der beiden Etüdenzyklen Chopins, wurde von der Fachkritik aber kaum beachtet. Jetzt hat sich die 30-jährige Moskauerin Rachmaninows späte „Fortsetzung“ dieser bahnbrechenden Charakterstücke vorgenommen, nämlich seine Études-Tableaux op. 33 und op. 39, und wieder überrascht sie durch ihre enorme technische Souveränität. Sie durchmisst die hochvirtuose Materie mit einer Mühelosigkeit und einer lyrischen Stringenz, die dem überquellenden Figurenwerk Rachmaninows klare und sprechende Kontur verleihen: So findet sie eine ungemein suggestive, geradezu verführerische Balance zwischen atmosphärischen Farbenspielen und scharf heraustretenden Profilen und trifft so genau den manischen, zwischen Traumverlorenheit und Dämonie pendelnden Charakter dieser zumeist abgründigen Miniaturen: Das ist tiefschwarze Romantik und doch durchflutet von Sehnsucht und Herzenswärme.

Nils Landgren: Der Funkturm funkt

Lange dachte man, funky music oder auch der feine Ableger Jazz-Funk seien Domänen der Amerikaner. Bis der schwedische Posaunist Nils

Klassik-Tipps April 2016: Mo’ Blow – Live in Berlin
Mo’ Blow – Live in Berlin with special guests

Landgren kam und bewies, dass auch kühle Skandinavier einen Saal zum Kochen bringen können, und das mit Niveau. Jetzt hat eine deutsche Band, das Berliner Quartett Mo’Blow, nach zwei erfolgreichen Studioalben im ACT-Programm ihr erstes Live-Album im Berliner Szene-Club A-Trane eingespielt, da ihre in zehn Jahren und über 300 Konzerten weltweit erworbene Souveränität, Coolness und Präzision mit ansteckender Spielfreude vorgeführt und dabei ihr zehnteiliges Programm locker und punktgenau dem aufgekratzten Auditorium serviert. Matti Klein am Rhodes-Piano, Bassist Tobias Fleischer, Drummer André Seidel und Felix Falk am röhrenden Baritonsax sind ein eingefleischtes Team, ja eine Mini-Bigband, die sich qualitativ an den besten US-Bands messen kann und trotzdem ganz unglamourös, geradlinig und very dry ihre knackigen Grooves serviert: Statt klebriger Curry-Sauce gibt es hier Animal Crackers und diese unzähligen kleinen Stromstöße verbreiten nur gute Laune und wecken Tote auf: Der East River fließt durch Berlin und der Funkturm bebt. Kein Wunder, dass da auch einige Guest Stars wie Pat Appleton von DePhazz oder der Geiger Adam Baldych oder auch Nils Landgren selber munter mitmischen.

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Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.