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Vintage Automatikchronograph Sinn 157 st
Der analoge Vorgänger der Apple Watch: Sinn 157 st mit Pulsometer, Tachymeter, umfangreicher Zeitmessung, 24-Stunden-Anzeige und autarker Energieversorgung. Und man kann mit ihr sogar navigieren. Doch das Beste: Wer mit ihr seine Geschwindigkeit oder seinen Puls misst, kann sicher sein, die Hoheit über die Daten zu behalten. Dieses Exemplar ging übrigens bereits 25 Jahre mit dem Träger durch Dick oder Dünn – ohne ein einziges Update. (Foto: S. Schickedanz)

Die U(h)rgroßmutter der Apple Watch: Sinn 157

Analog versus Apple Watch: Das mechanische Pendant zur vielbeachteten Apple Watch – dem überflüssigsten Device, das der Kult-Konzern je hergestellt hat – ist in meinen Augen die Sinn 157 st: ein Fliegerchronograph aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Mit ihm kannst Du die Pulsfrequenz messen, navigieren und er zeigt Deine Geschwindigkeit an – sofern Du nicht mit unter 60 oder über 190 km/h unterwegs bist. Das Zauberwort heißt übrigens Tachymeter und ist eine Skala am äußersten Rand des Zifferblatts. Du stoppst, wie lange Du für einen Kilometer Strecke brauchst und kannst direkt das Tempo ablesen. Dazu verfügt der silberne Chronograph über eine 24-Stunden-Anzeige, zeigt Wochentag und Datum an, misst Sekunden. Und das alles analog, mit einem mechanischen Uhrwerk.

Das hat Vorteile, auch wenn es nicht gerade mit der Präzision einer Atomuhr zur Sache geht (wer’s braucht …). Die Sinn 157 kann durch ihren kugelgelagerten Rotor im Grunde ewig laufen, sie verwandelt mit dem Schwungmassenaufzug kinetische Energie in Laufzeitverlängerung und stachelt damit, wie die Apple Watch, ihren Träger zur Aktivität an. Allerdings auf eine subtilere Art, als ihm alberne Statistiken unter die Nase zu halten, die dann von Apple und am Ende womöglich von der Krankenversicherung mitgelesen werden können. Selbst auf dem Nachttisch könnte sie mit ihrer Gangreserve theoretisch zwei Tage weiterlaufen. Und was macht das viel gepriesene Wunder der Technik aus Cupertino? Richtig: Am Ende des Tages muss die Apple Watch auf ihre Ladestation. Na dann viel Spaß, wenn Du im Urwald notlanden musst und Dich in die Zivilisation durchschlagen willst. Ohne Strom keine Apple Watch und ohne Apple Watch auch keine Navigation. Achtung mitschreiben, jetzt kommt nämlich ein simpler, aber genialer Trick, den nur wenige kennen: Halte Deine Analoguhr waagerecht und peile mit dem Stundenzeiger die Sonne an, dann findest Du Süden genau auf der halben Distanz zwischen dem kleinen Zeiger und der 12, sofern Du Dich auf der Nordhalbkugel befindest. Auf der Südhalbkugel lässt sich mit der Methode Norden bestimmen.

Sie hat gedient

Beim typischen Einsatzzweck der 157 war dieser Ernstfall gar nicht so weit hergeholt. Sie war nämlich nicht als Protzwecker für neureiche Schnösel konzipiert, sondern als Instrument für die Piloten der Bundeswehr. Deshalb musste sie auch das Zulassungsverfahren der Bundeswehrprüfstelle Greding in Bayern durchlaufen. Extreme Hitze oder Kälte aushalten, starken Magnetfeldern trotzen, resistent gegen Vibrationen sein und, soweit ich mich erinnere, 7 g  aushalten – ohne bleibende Gangbeeinträchtigungen, versteht sich. Ach ja, wasserdicht bis 200 Meter Tiefe respektive 20 bar ist sie auch noch. Kann man mit einer Apple Watch überhaupt ins Wasser?

Das war genau meine Uhr. Als ich meine erste Festanstellung hatte, führte mich der Weg nach Frankfurt am Main zum alten Herrn Sinn, über den ich in der FAZ oder FNP Jahre zuvor einen Bericht gelesen hatte. Helmut – heute sind wir befreundet – war der Teufel der Nachkriegsjahre. Der ehemalige Blindfluglehrer und Weltkriegsveteran setzte wie der Berliner Lautsprecherhersteller konsequent auf Direktvertrieb und lieferte Instrumentenuhren für die ersten Hubschrauber und Jets der Bundeswehr. Der Wegfall der immensen Handelsspanne machte viel aus. Eine 157 kostete Ende der 1980er Jahre um die 800 DM, dafür gab es weit und breit nichts Vergleichbares. Das lag allerdings auch an der Bescheidenheit des damaligen Herstellers, der für Werbung und PR-Aktionen „kein Geld verschwendete“ und keine Expansionsgelüste hegte, bevor er die Firma Sinn Spezialuhren 1994 an den ehemaligen IWC-Ingenieur Lothar Schmidt verkaufte. Sinn selbst hielt es im Ruhestand aber nicht lange aus und kaufte den schweizerischen Uhrenhersteller Guinand.

Zurück zur 157, die nicht mehr gebaut wird und heute in sehr gutem Zustand bis zu 2.000 Euro bringt: Ihr Lemania-5100-Automatikwerk mit 17 Steinen wurde von einer Uhrenzeitschrift einmal als der VW unter den Chronographenwerken bezeichnet. Meines läuft mit einer einzigen Revision seit rund 25 Jahren ohne jegliche Beanstandung. Die Uhr begleitete mich bei meinen besten Stunts. Immer, wenn es auf instrumentenhafte Zeitmessung ankam oder brenzlig wurde, vertraute ich auf meine 157: im Eiskanal von Innsbruck auf einem Skeletonschlitten bei 3 oder 4 g in den Steilkurven. Bei meinen Kartrennen, als ich in Hockenheim die internationale Rennlizenz erwarb und bei allen Aktivitäten im Schnee oder Wasser. Ein Breitling Chronomat kann ganz hübsch sein, aber er ist im Cockpit im Grenzbereich nicht abzulesen, wenn Du damit die Zeit messen willst.

Trotzdem hat mich die 157 in der Bose Kart Challenge einst den Einzug ins Deutschlandfinale der 150 schnellsten Motorjournalisten aus Print und TV gekostet. Ich hatte mich fest auf Rang 4 etabliert und reichlich Luft nach hinten. Doch weil ich zwar schnell bin, aber nicht das Herz eines Rennfahrers habe, ging mir das ständige im-Kreis-Herumfahren nach dem Abklingen der Positionskämpfe mächtig auf den Zeiger. Die 20 Minuten mussten doch schon längst rum sein, das Rennen müsste endlich abgewunken werden. In dieser Phase machte ich mir mehr an meiner Uhr zu schaffen, als mich aufs Fahren zu konzentrieren. Da passierte mir der einzige Patzer des ganzen Tages: In der Anbremszone einer harmlosen Spitzkehre kam ich hinten auf den Abweiser, das Rad blockierte und ich drehte mich. Zwei schlüpften durch  – einer zuviel, um mich fürs Finale auf Schumis Kartbahn in Kerpen zu qualifizieren.

Sinn statt Apple Watch: Immer dabei, wenn es hart herging

Autsch! Das hab ich mir nie verziehen, zumal die Szene 1:1 dem Vorjahr glich, nur dass ich damals, nach einem harten, fairen Zweikampf um Platz 4 mit einem Kollegen, zwei Runden vorm Abwinken mit der karierten Flagge meinte, aus Langeweile mal eine andere Bremstechnik ausprobieren zu müssen. Ich bremste später und härter. Das war’s: Same procedure as next year. Dreher, zwei schlüpften durch, ich fuhr nicht nach Kerpen. Als es dann 2007 im dritten Anlauf mit der Qualifikation für Kerpen klappte, war die 157 zwar auch dabei, aber eher als Talisman, denn ich schaute mir nur die Ränge und Abstände auf der Anzeigetafel an und fuhr ein taktisches Rennen.

Im Finale spielte die 157 dann beim Teamrennen, bei dem ich – zusätzlich zum Einzelfinale – mit der Redaktion sport auto antrat, eine tragende Rolle. Denn jeder Fahrer durfte nur 20 Minuten am Stück fahren, was bei zwei Karts pro Team, aber nur drei von fünf möglichen Fahrern, innerhalb des engen Regelwerks eine genaue Zeitnahme erforderte. Das Rennen dauerte nur zwei Stunden, aber das hätte viele Chronos schon überfordert, weil sie maximal 30 Minuten stoppen können. Die 157 kann 12 Stunden und ihr größter Trumpf ist die Anzeige von Sekunden und Minuten durch zwei rote Zeiger auf der Mittelachse. In Verbindung mit dem großen, übersichtlich beschrifteten Zifferblatt garantiert das instrumentenhafte Ablesbarkeit – eine Stärke, für die Sinn Spezialuhren sich bei Piloten, GSG9 und anderen Profis einen exzellenten Ruf erworben hatten. So flog der deutsche Spacelab-Astronaut Reinhard Furer 1985 mit einer mattschwarzen Sinn 142 St S in den Weltraum und machte den Frankfurter Chronografen zur ersten Automatikuhr in der Schwerelosigkeit. Die 142er vertraute übrigens auch auf ein Lemania-5100-Werk.

iPhone mit Apple Watch
Ohne den Big Brother iPhone ist die Apple Watch ziemlich nutzlos. Kaum auf dem Markt, steht schon ein neues Betriebssystem an. Nachts muss sie ein Nickerchen auf dem Ladedock machen und tauchen kann man damit auch nicht richtig … Vor allem ist sie kaum als Erbstück geeignet und eine Wertsteigerung dürfte selbst bei guter Pflege ausgeschlossen sein. Für uns bleibt also der mechanische Chronograph weiter State-of-the-art. (Foto: S. Schickedanz)

In Extremsituationen willst Du manchmal auch die Herzfrequenz messen. Einfach den Puls fühlen und 15 Schläge abwarten, während Du stoppst, dann kannst Du auf der Pulsometerskala direkt die Frequenz ablesen. Damit die Uhr selbst fit bleibt, bekam sie ein entspiegeltes Saphirglas und eine verschraubte Krone, die als kleines Extra noch den Anfangsbuchstaben meines Namens trägt, auch wenn das bei der Konstruktion nicht beabsichtigt war.

So jetzt reicht’s, wenn dieses Plädoyer für Analogtechnik auch noch so leidenschaftlich war: Ich glaube, ich sollte Skype anschalten und Helmut Sinn, den 1916 geborenen Flieger-Haudegen aus dem Elsass, mal wieder anrufen. Schließlich war er es, der als erster von uns beiden ein MacBook Pro kaufte und mich für rückständig erklärte, weil ich nicht über Webcam mit ihm konversieren konnte. Das Bild hat sich eingeprägt: Da sitzt er wie im Dokufilm vor seinem an der Wand aufgehängten geborstenen Holzpropeller und sinniert darüber, ob er sich noch mal einen Porsche kaufen soll, weil ihm sein Passat zu bieder erscheint – mit fast 100 Jahren! Inzwischen hat er das Ableben seines Audi 200 Turbo verwunden und rechnet mir nicht jedes Mal vor, wie wenig Betriebsstunden ein Auto mit 200.000, 300.000 Kilometern im Vergleich zu einer Uhr absolviert hat. Ja, es scheint, nicht nur Apple muss sich strecken, um an die Machwerke aus Frankfurt heranzukommen, auch die Autoindustrie muss sich definitiv etwas einfallen lassen, um da mitzuhalten …

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Weitere Informationen bei Sinn Spezialuhren zu Frankfurt am Main

 

Autor: Stefan Schickedanz

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Schneller testet keiner. Deutschlands einziger HiFi-Redakteur mit Rennfahrer-Genen betreut bei LowBeats den Bereich HiFi im Auto sowie die Themengebiete Mobile- und Smart-Audio.