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Electric Guest Plural
Asa Taccone (links) und Matthew „Cornbread“ Comptons musizieren als Electric Guest voll auf der Höhe der Zeit – aber in ihrem ganz eigenen Rhythmus: „Plural“ ist erst das zweite Album des Duos aus Los Angeles seit 2012. Es beweist, man muss seine Beats nicht zerschreddern, um apart zu grooven und es klingt unaufdringlich-entspannt, ohne als reine Klangtapete zu enden.

Electric Guest Plural – LowBeats CD der KW 9

Eben noch topmodern, wenig später schon wieder Schnee von gestern: Im Image- und Style-verliebten Popbusiness geht das mitunter fast von heute auf morgen.Wie man das Beste aus der Schnelllebigkeit der Szene macht, zeigt das Duo Electric Guest. Auf Electric Guest Plural, der LowBeats CD der KW 9, entwirft das 2012 gegründete amerikanische Duo einen sorgsam ausgearbeiteten Hybrid aus modernen „Indietronics“, zeitlosem Dreampop und aktuellem R&B, der sich nicht an Äußerlichkeiten verschwendet, sondern mit musikalischen Werten überzeugt, findet LowBeats Musikautor Christof Hammer.

Ein ganz schön raffiniertes Stück Musik haben Asa Taccone und Matthew „Cornbread“ Comptons da zusammengeschnippelt: Das (erst) zweite Album der beiden elektronischen Gäste aus Los Angeles dreht so smart und unaufdringlich seine Kreise, dass man seine Ausgewogenheit, seinen  raffinierten „flow“ fast ein wenig übersieht.

Auf der einen Seite klingt Electric Guest Plural nämlich so zeitgemäß, als würde man ein Dreiviertelstündchen am Stück die „New Arrivals“ auf Deluxe Music oder einem der unzähligen Streaming-Anbieter durchhören. Sehr modern und stylish also ist diese Musik, und sie vereinigt mit Sounds von Indietronics über Dreampop bis R&B das meiste von dem in sich, was an zeitgemäßen Genres derzeit den Ton angibt.

Umgekehrt gilt allerdings auch, dass diese Platte auf gar keinen Fall der „dernier cri“, der letzte Schrei des Popjahres 2017 sein wird. Dafür sind die elf Songs dieses Albums zu konventionell durchkomponiert, zu adrett arrangiert und ausformuliert, zu entschleunigt und „unhektisch“ inszeniert.

Stylish, aber zugleich auch klassisch-zeitlos und (gemessen an überbewerteten Aufgeregtheiten wie dem neuen Album der österreichischen Pop-Poser Bilderbuch oder dem aktuellen, selbstbetitelten R&B-Patchwork der Dirty Projectors) fast sogar ein wenig oldfashioned klingt also das zweite Album von Electronic Guest. Und etwas aus der Mode zu geraten, ist heutzutage ja auch verdammt schnell geschehen, nicht wahr?

Alle paar Monate ein Update für das Computerprogramm, neue Handymodelle, neue Whatsapp- oder Facebook-Funktionen: Die Halbwertszeiten in der digitalen Welt sind atemberaubend kurz, alles altert in blitzartigem Tempo, alles geschieht im Zeitraffer. In der Popmusik ist es der Track, der die schnelle Taktung des Geschehens antreibt und die Herstellung eines ganzen Albums zum Problemfall macht. Wie schnell ist ein einzelner Titel zusammengebruzzelt: ein paar Stunden, bestenfalls ein paar Tage im Studio – und ab damit auf Youtube oder zu Spotify & Co.

Electric Guest Plural: Entspannt und formvollendet

Ein „richtiges“ Album hingegen braucht seine Zeit – gut Ding will eben schon ein wenig Weile haben. Wenn es dann erscheint, liegt der Herstellungsprozess mindestens ein paar Monate zurück, manche Produktionen entstehen über zwölf, 14, 16 Monate. Diesen „time gap“, dieses Hinterherhinken hinter dem Zeitgeist, hört man Electric Guest Plural zu jeder Sekunde an – und zwar aufs Angenehmste.

Electric Guest haben sich Zeit genommen für ihre Produktion, haben eine Wohlfühlzone geschaffen, in der die kleinen Details und die großen Basics stimmen. Melodiebögen, Arrangement, Sounddesign: Hier wurde nicht hektisch zusammengepfuscht, sondern penibel ausgearbeitet (eine der großen Schwächen der zwar mitunter höchst agilen, aber auch aktionistischen @-Generation übrigens, die dazu neigt, vieles anzufangen, aber weniges zu Ende zu bringen).

Sehr formvollendet bringt Electric Guest Plural seinen Ansatz zu Ende – und den modernen R&B (den Sound der Stunde, dem vom schwarzen Ghettokid bis zum weißen Alternative-Rocker derzeit jeder hinterherläuft) mit elektronischem Indiepop zusammen, der ein wenig an Acts wie MGMT & Co. erinnert. In „Glorious Warrior“ etwa klingen die Los-Angeles-Boys ähnlich luftig-melodisch wie ihre australischen Kollegen Gypsy & The Cat (remember „Jona Varc“?).

Die bevorzugte Tonlage ist natürlich das Falsett, der Gesangsstil, an dem derzeit kein Weg vorbeiführt im Popbusiness, und unter den vielen Michael-Jackson-Epigonen macht Asa Taccone eine sehr passable Figur – etwa in „Dear To Me“, das mit leichtem Swing und fettem Bass an gute Jacko-Songs erinnert. „Oh Devil“ bringt zu schön „kickendem“ Beat dann einen Schuss Raggamuffin ins Spiel, „Sarah“ hingegen mutet an wie ein Fleetwood-Mac-Song aus der „Tusk“-Ära.

Dazu Songs wie „Back For Me“, die auf der Basis von Indiegitarren und melancholischen Vocals stehen. Alles zusammen: entspannter, digitaler „After-hour-Pop“ mit zeitgenössischem Chic – egal, was die Uhr gerade sagt und was vor dem Hören dieser Disc so alles passiert ist.

Das Cover von Electric Guest: Plural
Das Cover von Electric Guest Plural (Cover: Amazon)

Electric Guest Plural erscheint bei Because Music im Vertrieb von Warner und ist als Audio-CD, Vinyl LP und MP3-Download erhältlich.

Electric Guest Plural
2017/02
Test-Ergebnis: 4,0
SEHR GUT
Bewertung
Musik
Klang
Repertoirerwert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.