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Grizzly Bear Painted Ruins
Etwas verwunschen, etwas szenig, etwas abgespaced und sehr, sehr individuell: Fast 20 Jahre schon spinnt sich das New Yorker Quartett Grizzly Bear seinen ganz eigenen Musikkosmos zurecht. Nur fünf Alben entstanden seither – sie gehören zu den schönsten kleinen Merkwürdigkeiten der Popszene der 2000er-Jahre (Foto: T. Hines)

Grizzly Bear Painted Ruins – die CD der KW 33

Doch, einer der Musiker dieser amerikanischen Band heißt tatsächlich so – also: Bear. Chris Bear sorgt bei Grizzly Bear für den Rhythmus, und der ist noch das normalste am ungewöhnlichen Sound dieses New Yorker Quartetts. Seine drei Bandkollegen hingegen spinnen auf Painted Ruins ein Netz aus Rock und Folk, das eine sehr eigenwillig szenige Gangart mit einer fast „Catweezle“-haften Verwunschenheit kombiniert – Grizzly Bear Painted Ruins ist die CD der KW 33.

Eigentlich ist der Sound von Grizzly Bear Painted Ruins eine einzige Merkwürdigkeit. Was die Zutaten betrifft – Gitarren, Elektronik, mitunter verblüffend präsentes Schlagwerk – könnte man hinter dieser Musik ein musikalisches Diorama vermuten, das Indierock-Flair zu atmen scheint.

Hört man genauer hin, klingt die Musik dieses Quartetts aus New York aber ganz anders als erwartet. Indierock-Töne überlagern sich in den Arrangements mit Strukturen aus Jazz und Folk und sogar eine easy-listening-hafte Aura schiebt sich gelegentlich in die Songs – gerade so hauchzart wie die Kälteschlieren in einem nicht kühlgefilterten Single Malt Whisky.

Dazu noch die Vocals von Bandleader Ed Droste Grizzy Bear, die fast nach Laurel Canyon klingen (dem kalifornischen Aussteiger-Hot-Spot der späten 60er Jahre) oder ein wenig an britische Folk-Revivalisten der ersten Generation wie Pentangle erinnern – und es entsteht ein Sound, der eher versponnen bis psychedelisch tönt als szenig cool.

Dass so unterschiedliche Kollegen wie Radiohead oder Paul Simon sich zu Fans der Grizzlybären aus dem „Big Apple“ erklärten, untermauert nur die Komplexität der GB-Musik.

Dennoch (oder prompt?) erreichte die Musik von Grizzly Bear höchste Szeneweihen: Cafés und Bars von Brooklyn bis zum Prenzlauer Berg erklärten das 2009er-Werk Veckatimest zu ihrer heimlichen Hausmusik, bei dem die Hipsterkundschaft zu lactosefrei angerührter Latte Macchiato und glutenfreien Cranberry Muffins über das Elend dieser Welt plaudern konnte. Shields setzte den Veckatimest-Hype dann 2012 in leicht abgeschwächter, aber musikalisch gleichrangiger Weise fort.

Grizzly Bear Painted Ruins
Grizzly Bear heute klingt sehr viel farbiger als gedacht: mit vielen Anleihen aus dem Jazz und dem Easy Listening (Foto: T. Hines)

Acht bzw. fünf Jahre sind seither vergangen, und die Welt hat sich massiv verändert in dieser Zeit. Was die Band davon hält, das ist ihren Statements auf Facebook oder auf der Bandwebsite www.grizzly-bear.net in deutlicher Klarheit zu entnehmen.

Und fast wirkt es so, als wäre auch ihre Musik politischer, reflexiver geworden – wenn auch auf eine etwas andere Art, als man erwarten könnte. Grizzly Bear Painted Ruins setzt nicht auf Wut oder Wumms, sondern arbeitet die Schönheit und Versponnenheit der GB-Sounds mit einer Akkuratesse heraus, die man als kleine Kriegserklärung an den Hass, der billigen Werte und die niederen Instinkte der Welt da draußen interpretieren kann.

Entsprechend vielschichtig ist diese Musik. Ein kleiner Hit kann dabei als Türöffner nicht schaden – und Grizzly Bear Painted Ruins liefern ihn mit „Mourning Sound“, einem melancholischen, dabei fast wavig groovenden Indietronic-Track, bei dem die Synthies glitzern wie Sterne am Nachthimmel.

Auch „Losing All Sense“ stellt ein griffiges Indierock-Instrumentarium in den Vordergrund. Doch dazwischen nehmen jene Tracks einen breiten Raum ein, die für die ganz spezielle Grizzly Bear Painted Ruins Atmosphäre stehen, in der Beach-Boys- und Van-Dyke-Parks-Referenzen auf eine fast „Catweezle“-artige, angelsächsische Verwunschenheit trifft.

Da klingen die Gitarren im vertrackt rhythmisierten „Three Rings“ oder in „Four Cypresses“ (das bizarrer Weise mit einem angedeuteten Reggae Groove startet), als wären sie rückwärts aufgenommen (bzw. abgespielt), da kommen Satzgesänge ins Spiel, bis sich alles zu einem in schönsten Farben blühenden Musikkosmos jenseits konventioneller Indie- oder Folkpop-Klänge verdichtet und in spacigen „head up in the clouds“-Songs wie „Neighbors“ oder dem wunderschönen Finale „Sky Took Hold“ gipfelt.

Nach knapp 50 Minuten reift dann die Erkenntnis heran: Genauso merkwürdig wie auf Painted Ruins muss und kann die Musik von Grizzly Bear nur klingen.

Cover Art Grizzly Bear Painted Ruins
Auferstanden aus bemalten Ruinen: Der Sound von Grizzly Bear (Cover: Amazon)

Grizzly Bear Painted Ruins erscheint bei RCA im Vertrieb von Sony Music und ist erhältlich als Audio-CD, Doppel-Vinyl-LP und MP3-Download.

Grizzly Bear Painted Ruins
2017/08
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.