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Tatsuo Nishimura im Tonstudio
Starb im Alter von 76 Jahren: Tatsuo Nishimura, früherer Geschäftsführer von Denon in Ratingen. (Foto: S. Schickedanz)

HiFi-Pionier Tatsuo Nishimura gestorben

Er war nicht nur einer der großen alten Männer der HiFi-Branche, er war auch ein Freund: Kürzlich verstarb Tatsuo Nishimura im Alter von 76 Jahren. Der in den 60er-Jahren aus der Kobe-Region in Japan eingewanderte Ingenieur prägte in den 80er und 90er Jahren nicht nur die Firma Denon in Deutschland. Er engagierte sich im Deutschen High Fidelity Institut (DHFI) und gründete nach seiner Pensionierung ein eigenes Plattenlabel.

Sein neues Leben als Plattenproduzent war nicht der erste Neustart des stillen Herrn Nishimura. Und auch dieser Schritt war geprägt von Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die ihn antrieb, überhaupt in der HiFi-Branche aktiv zu werden. Als er als einer der ersten Japaner nach Deutschland kam, um hier zu arbeiten, stand er zunächst in Diensten eines Bauteile-Lieferanten. Doch seine Begeisterung für Audio-Belange führte ihn 1967 zum Bandspezialisten Akai, wo Nishimura den Posten eines technischen Leiters übernahm. Über Kenwood kam der Musik-Liebhaber schließlich zu Denon, wo er als Produktmanager eine Hochphase des japanischen Audio-Spezialisten miterleben und mitgestalten durfte. Die Tochter von Nippon Columbia nutzte ihre Erfahrungen aus der professionellen Aufnahmetechnik, wo bereits 1972 Denon den ersten einsatzfähigen PCM-Recorder für Tonstudios baute, um die in den Kinderschuhen steckende CD-Technologie zu verfeinern.

Ein kritischer Punkt war das nichtlineare Wandler-Verhalten bei leisen Pegeln, wo Fertigungstoleranzen der damals eingesetzten Multi-Bit-DACs zu Nulldurchgangsverzerrungen führten. Diese Bit-Fehler waren zwar auch in lauten Passagen präsent, wurden aber durch den Signalpegel verdeckt. Dagegen nahm der prozentuale Anteil an Verzerrungen zu, wenn das Signal leiser wurde. Während bis dato einzig Philips mit DME (Dynamic Element Matching) durch eine raffinierte Matrix die Bit-Fehler recht effektiv kompensieren konnte, versuchte der bei japanischen CD-Playern tonangebende Halbleiter-Produzent Burr Brown durch Laser-Trimmung von Widerständen der spezifischen Probleme der Multi-Bit-Technik Herr zu werden.

Auf den Punkt gebracht

Doch es war erst ein Einfall der Denon-Ingenieure, der den Durchbruch für die Japaner brachte. Mit einem Potentiometer neben dem DAC wurde jeder einzelne Super-Linear-Konverter (SLC) auf Grund einer Messung während der Produktion von Hand justiert. Während die 18- und 20-Bit-Technik lediglich ein Rechenexempel für die Stammtische waren, sorgte diese aufwändige Konstruktions- und Produktionsweise für eine messbare und in Pianissimo-Passagen auch hörbare Dynamiksteigerung.

Das war zwar keine Idee von Tatsuo Nishimura, aber es war an ihm, diese Sache als Produktmanager zu kommunizieren. Dabei half ihm seine Leidenschaft zur Musik und das unerschöpfliche Repertoire von Nippon Columbia, einem der weltweit führenden Produzenten von Klassik-CDs. In leisen Klavierpassagen führten Nichtlinearitäten des Wandlers zu unangenehmen Nebengeräuschen und mitunter sogar zu einer unangenehmen Modulation des Grundrauschens. Daran erinnere ich mich noch, denn ich war neu in der Branche und hatte darüber einen Bericht von Stanley Lipschitz, dem anerkannten Digital-Spezialisten der Universität Toronto gelesen und mir daraufhin eine unter den CD-Player-Produzenten gefürchtete Brahms-Einspielung von Philips besorgt, die anfangs mit wenigen Ausnahmen nur auf Playern mit Philips-Chipsatz und eben jenen Denon-SLCs fehlerfrei abgespielt werden konnte.

Immer neue Varianten des SLC hielten die Flaggschiffe aus dem Denon-Programm für lange Zeit ganz oben in den Bestenlisten der Zeitschriften. Denon verdankte dieser Technik ein glänzendes Image und Tatsuo Nishimura konnte viel Zeit mit den Toningenieuren der deutschen Denon-Depeche in Ratingen in internationalen Konzertsälen verbringen. Doch einer wie er schaute nicht nur zu. Ausgestattet mit sehr gutem Gehör (nicht nur die Denon-Player sammelten goldene Ohren) und dem Wissen eines Ingenieurs suchte der HiFi-Pionier nach Möglichkeiten, den Zuhörer noch näher ans Geschehen zu bringen, ihm ein Gefühl wie am Regiepult oder besser noch dem Pult des Dirigenten zu vermitteln. Eindrücke, wie das von der Pole-Postion im Orchesterklang, steuerte Dirigent Eliahu Inbal bei, zu dem Nishimura ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Ein weiterer Freund war der verstorbene Lautsprecher-Star-Entwickler Wolfgang Seikrit, der Produkten von Canton und Heco seinen Stempel aufdrückte. Diese audiophile Männerrunde pushte sich zu neuen Ufern. In den Orchesterproben des von Inbal dirigierten RSO Frankfurt experimentierte Nishimura am Mischpult mit dem Abschalten von Stützmikrofonen. Denn anders als in zeitgenössischen Testberichten, die meist vor Begriffen wie „Tiefenstaffelung“ strotzten, gibt es beim direkten Abgriff der Klänge am Instrument keine natürliche Räumlichkeit, denn jedes Mikrofon hat seine eigene Perspektive – ein Zugeständnis, das vor allem für die Kompatibilität mit Küchenradios sorgt, die allgemein von Plattenproduzenten angestrebt wird.

One Point Recording: Weniger ist mehr

Denon verwendete aber zwei Hauptmikrofone vor dem Orchester zur Erzeugung eines Stereo-Panoramas und zwei im hinteren Bereich des Konzertsaals von der Decke hängende Mikrofone zum Einfangen der Raumakustik. Und nur die blieben am Ende übrig. Die so eingespielten One Point Aufnahmen machten zunächst als eine Art von halboffiziellem Bootleg hinter den Kulissen die Runde. Nishimura testete nicht ohne Schöpferstolz die Reaktionen der Experten von Industrie, Presse und Kultur. In meiner Schatzkammer schlummert noch eine DAT-Cassette aus jenen Tagen mit einer One Point Probeaufnahme des RSO Frankfurt.

Nishimura Bootleg
Rares Bootleg aus dem Archiv des Autors: Demo-DAT-Cassette mit den ersten One-Point-Probeaufnahmen – eine Blaupause für die legendären One Point Recordings von Denon (Foto: S. Schickedanz)

Die begeisterten Reaktionen ermutigten Denon, eine inzwischen legendäre Serie von One-Point-CDs auszulegen, die einer Stereo-Anlage mit ihrer Komplexität und ihrem Dynamikumfang alles abverlangen. Dieser mutige Schritt sollte einen letzten Höhepunkt von Denon als klassisches Audio-Unternehmen markieren. Als Nishimura in Deutschland die Geschäftsführung anvertraut bekam, stand er vor einer schmerzhaften Herkulesaufgabe: Nippon Columbia befand sich in einem Totalumbau. Die Musiksparte wurde verkauft, der Produktionsstandort Nettetal geschlossen und das Personal drastisch reduziert. Wer Feingeist und Querdenker Nishimura kannte, konnte sehen, wie sehr ihn dieser Prozess belastete.

Am Ende der Metamorphose zog Denon mit der Geschäftsleitung nach Nettetal an der holländischen Grenze, wo früher CD-Player und Receiver gefertigt wurden. Der Weg war frei zur Verwandlung von einem angesehenem HiFi- in einen höchst erfolgreichen AV-Konzern. Das Aufkommen der DVD Ende der 90er Jahre, das geprägt war von einem Gezerre um die Tonnormen, nutzte Nishimura 1998 für einen Coup: Er packte erweiterte One Point Aufnahmen mit Center sowie diskreten hinteren Tonspuren für die Raum-Mikrofone hinter den Rängen auf eine DVD Video. Auf diesen sogenannten Ambience-DVDs verwendete er dazu einfach Dolby AC3, das Tonformat, das sich später als Standard durchsetzte.

Denon-Werbeposter aus den 90ern
Auch aus dem Archiv ausgegraben: Als andere noch diskutierten, schuf Tatsuo Nishimura Fakten. Denon brachte auf sein Betreiben die erste DVD-Video-Musik-Software der Welt mit Dolby AC3 heraus. Das vom Film Armageddon inspirierte Werbeplakat stammte vom Autor, der damals eine „Werbepause“ vom Journalismus eingelegt hatte und sich mit Photoshop, Cinema 4D und lockeren Sprüchen austobte (Foto: S. Schickedanz)

Dann kam es zu einer Begebenheit, die ich ihm nie vergessen werde. Nach vier Jahren bei der HiFi-Vision hatte ich den Redaktionsalltag hingeworfen, um Konzeptionstexter in einer Werbeagentur zu werden – mein Traumberuf. Doch bereits nach einem Jahr trennten sich die Wege wieder; zurück blieb ein desillusionierter Aussteiger, der nichts so recht mit sich anzufangen wusste.

In solchen Momenten zeigt sich klar, auf wen du dich verlassen kannst. Kurz danach klingelte das Telefon. Am Apparat Tatsuo Nishimura. „Ich habe gehört, dass Sie nicht mehr in der Agentur sind. Machen Sie sich selbständig. Wenn Sie sich ein Fax kaufen, können Sie unsere Kataloge übersetzen.“ Das war der Beginn einer Freundschaft und zugleich auch einer meiner kreativsten Phasen.

Impulse erzeugt

Tatsuo Nishimura hat damit einen wichtigen Impuls gegeben und sich als Freund erwiesen. Dabei lernte ich ihn nur durch einen Zufall kennen.  Ein HiFi-Visions-Kollege hatte ihn versetzt und Nishimura, damals noch mit langen Haaren und dem Auftritt eines Musikers in Nadelstreifen, stand ziemlich enttäuscht und ratlos im Gang der Hannoveraner Redaktion. Da hab ich ihm einen Kaffee und einen Stuhl in meinem Büro angeboten.

Seine Worte über meinen mit reichlich Papier bedeckten Schreibtisch, für den ich von meinen Kollegen und Vorgesetzten immer mitleidig belächelt wurde, klingen mir noch heute wie damals in den Ohren: „Ah, mein Schreibtisch sieht genauso aus. Daran sieht man, dass Sie wirklich arbeiten.“ So kamen wir zum ersten Mal ins Gespräch. Ein Dialog, der auch nach seiner Pensionierung – bei japanischen Unternehmen mit 60 Jahren – nicht abriss und jetzt erst nach fast drei Jahrzehnten durch seinen Tod ein jähes Ende findet.

Vor ein paar Jahren besuchte ich Nishi, wie wir ihn alle nannten, in Ratingen. Da die Tochter und der Sohn aus dem Haus sind, konnte er sich unterm Dach ein Tonstudio einrichten: die Keimzelle seines neu gegründeten Labels Nishimura Music. Dazu musste sich der Mann, der sich im Job immer Computern verschloß, im fortgeschrittenen Alter mit Windows-PC, Tonprogrammen und professioneller Mastering-Software auseinandersetzen. Hut ab, wie ihm das offensichtlich gelungen ist.

Wenn andere Leute voller Euphorie ein Unternehmen gründen, sind sie jung und wollen vor allem reich werden. Nishimura wollte vor allem seine Hingabe zur Musik leben. Wohlhabend war er schon vorher, sonst hätte er sich diesen teuren Traum gar nicht leisten können, für den er seine gesamte Alterssicherung riskierte. Im Herzen war er wie einer, der alle HiFi-Magazine liest und sein ganzes Geld für HiFi ausgibt – nur im größeren Stil. Die Geräte waren bei ihm nie Selbstzweck. Sie mussten nur eine gewisse Qualität haben. Nishimura konzentrierte sich fern von jedem Kabelkult auf die Musik selbst. Hier leistete er wirklich Großes. Dabei musste er zahlreiche Widerstände im Musikbusiness mit Überzeugung, Beharrlichkeit und Sachverstand überwinden.

Es begann mit Bootlegs

Schon zu Zeiten seiner Inbal-Bootlegs experimentierte Tatsuo Nishimura auch mit Mehrkanal-Sound-Aufnahmen. Auf einer High-End-Messe in Neu-Isenburg überraschte er schon lange vor dem Durchbruch der DVD die Besucher mit packend echtem diskreten Surround-Sound von einem professionellen digitalen Mehrspur-Aufnahmegerät. Dazu hatte der Tüftler seine Mikrofone über der Eisfläche bei einem Eishockey-Spiel der von Denon gesponserten Ratinger Löwen angebracht und das Spiel aufgezeichnet. Mit solchen Demonstrationen kämpfte der Mann, der sich früher im DHFI für Stereo stark machte, an vorderster Front für Mehrkanal.

Mit One Point und seinem eigenen Musik-Label verknüpfte Nishimura allerdings eine richtige Mission. In Japan geht die Musiktradition auf das Hören in Häusern aus Holz und Papier zurück. Deshalb sind selbst japanische Konzertsäle vergleichsweise trocken abgestimmt. In Europa gibt es Echo satt, gerade in Schlössern oder Kirchen. Dort fing er mit den Produktionen von Nishimura Music wie ein Schmetterlingssammler die akustischen Fingerabdrücke ein, die jeder seiner Produktionen ihren individuellen Stempel aufdrücken. Etwa mit Aufnahmen in Dresden oder Prag in historischen Gebäuden.

Die meisten Japaner kommen nach Europa, sammeln ein paar Auslandserfahrungen und gehen dann wieder zurück. Tatsuo Nishimura war anders. Hier lebte er seinen Hang zur europäischen Kultur, zu deutschen Limousinen und zu italienischem Essen aus. Und mit seinen Pretiosen wollte er seiner Heimat etwas von dieser neuen Welt zurückgeben: Ein Vermächtnis, das er mit seinem technischen Geschick und Gespür für Atmosphäre über Jahrzehnte eingefangen hatte.

Und tatsächlich erzielte der sympathische Eigenbrötler in Japan seine größten Erfolge. Zwar findet sich sein Repertoire auf CDs der High End Society oder der Zeitschrift stereoplay, doch in Japan gab es seine Werke schon vor Jahren im Onkyo Online Shop zum Download in 24 Bit /196 kHz. Auch mit dem einstigen Mitbewerber Pioneer machte der Denon-Veteran DVDs, um nach dem Aufkommen der ersten DVD-A-Spieler den chronischen Mangel an guter Software im Land der aufgehenden Sonne zu lindern.

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Tatsuo Nishimura im Tonstudio
Tatsuo Nishimura vor seiner Studio-Ausrüstung in seinem Haus. Zur Überprüfung der Mehrkanal-Abmischungen dient – wenig überraschend – ein Denon-AV-Receiver (Foto: S. Schickedanz)

 

Tonstudio
Die Technik im Tonstudio von Nishimura Music in Großaufnahme (Foto: S. Schickedanz)
Tonstudio
Wenn Tatsuo Nishimura keine Partitur lesen musste, diente der Notenständer als Schmuckstück. Daneben einer der Abhörmonitore, ein seinerzeit sehr erfolgreicher Denon-Lautsprecher, den sein Freund Wolfgang Seikrit entwickelte (Foto: S. Schickedanz)
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Keine Ahnung, was seine Familie mit dem Vermächtnis vorhat. Doch Nishimuras Werke sind einzigartig, vermögen einen auf einer sehr guten Anlage wirklich ein ganzes Stück weit an den Ort des Geschehens zu versetzen und sollten nicht in irgendwelchen Archiven verstauben – genauso wenig wie die Erinnerungen an einen HiFi-Pionier, der für mich auch einer der wenigen Freunde war, die man in der Branche findet. Als ich ihn das letzte Mal vor einigen Jahren persönlich traf, saßen wir mit Brunello und selbstgekochter italienischer Pasta in seiner Diele, um über die Welt, die Gesellschaft, das Reisen und technische Themen wie HiFi und Autos zu plaudern, als wären wir zusammen in die Schule gegangen. So werde ich Tatsuo Nishimura auch in Erinnerung behalten: Ein aufgeschlossener Kosmopolit und Vordenker in einer Welt, die von Tag zu Tag nationalistischer und rückwärts gewandter wird.

Autor: Stefan Schickedanz

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Schneller testet keiner. Deutschlands einziger HiFi-Redakteur mit Rennfahrer-Genen betreut bei LowBeats den Bereich HiFi im Auto sowie die Themengebiete Mobile- und Smart-Audio.