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Joe Goddard Electric Lines
Joe Goddard, Gründungsmitglied der Indietronic-Formation Hot Chip, hat mit „Electric Lines“ sein zweites Soloalbum aufgenommen: die LowBeats CD der KW 19 (Foto: M. Sethi)

Joe Goddard Electric Lines – CD der KW 19

Die Welt ist voll von Strippenziehern, und die meisten davon tun ihr nicht gerade gut. Ein Strippenzieher positiver Art hingegen ist Joe Goddard. Als Gründungsmitglied der englischen Band Hot Chip beliefert er die Szene seit 2000 mit innovativen Indietronics – nutzt die „Electric Lines“ unserer digitalen Welt aber auch dazu, moderne Popmusik als identitätstiftende und milieuvereinende Kraft zu entwickeln. In seiner zweiten Soloarbeit, Joe Goddard Electric Lines, begegnen sich beide Aspekte ziemlich formvollendet und so wurde sie zur LowBeats CD der KW 19.

Elektrische Linien durchziehen unsere Welt, halten als unsichtbare Lebensadern der Moderne den ganzen Laden zusammen. Joe Goddard macht sie auf seinem zweiten Soloalbum sicht- und hörbar. Das Cover von Joe Goddard Electric Lines erinnert an die farbigen Kabel, mit denen seine Eurorack-Synthesizer verbunden sind – die Musik dazu beschwört die Verbindungslinien, die zwischen den verschiedenen Genres der aktuellen Clubmusik bestehen. Als Gründungsmitglied der englischen Indielectro-Institution Hot Chip, als Songwriter, DJ, Grammy-nominierter Remixer und Mitbegründer des Avantgardepop-Labels Greco-Roman arbeitet Goddard schon seit rund 20 Jahren im Zentrum des „elektronischen Orkans“. Der Mittdreißiger erweist sich dabei als beharrlicher, stilsicherer, progressiver Digitalist – und zudem als hellwacher Kopf, der die Stellschrauben der modernen Produktionstechnik auch dazu nützt, um Musik als kulturell relevantes Medium up to date zu halten und sie an gesellschaftlichen Brennpunkten zu verankern – und der Dancefloor ist einer dieser Brennpunkte.

Doch statt oberflächlich-hedonistischen Tanzstoff für die Party-People dieser Welt zu produzieren, sucht Goddard lieber nach den Codes, die den Underground durchdringen und zusammenhalten. Auch Electric Lines ist mehr als nur als ein smartes, elegantes Elektropop-Album – es ist Statement für die sinnstiftende Kraft der Musik. Und eine weitere Station eines stringenten, langen Weges.

„Ich habe das Gefühl, dass dies ein gutes Resümee von allem ist, auf das ich hingearbeitet habe“, sagt Goddard über sein zweites Soloalbum. „Entstanden ist Electric Lines aus dem Blickwinkel eines Londoners, der mit der Clubkultur aufgewachsen ist und in dieser Stadt ein sehr bewegtes musikalisches Leben geführt hat.“

Tendenziell angelsächsische Stile à la UK-Garage und Electropop umfasst dieser „Sound Of London“ dabei ebenso wie eher amerikanische Klänge wie House, Techno und R&B. Nach vier Jahrzehnten moderner Tanzkultur sind derlei Töne natürlich längst im Mainstream angekommen, doch die glatte Gefälligkeit gängiger Chartmusik interessiert Goddard nicht. „Top Of The Pops habe ich immer dann geliebt, wenn eine interessante Band dich umgehauen hat. Die Momente, wenn Fremdartigkeit es an die Spitze der Charts schaffte. Popmusik aus den Randzonen ist immer mit die beste.“

Unterstützung bei Electric Lines kam übrigens auch von den Hot-Chip-Kollegen Alexis Taylor und Kieran Hebden. Um ein Fortbestehen dieser wegweisenden Elektroformation muss man sich also keine Sorgen machen – die Bandchemie ist stimmig wie eh und je.

Die Session beginnt mit „Ordinary Madness“ und der Londoner Sängerin und Songwriterin Jess Mills am Mikrophon noch fast etwas zu popnah. Danach aber macht Goddard fast alles richtig und entwirft ein 10-Track-Set, das als Soundtrack durch eine Londoner Nacht funktioniert und Zeiten und Stile zu einem geschmackvollen Dance-Music-Panoptikum vermischt.

„Home“ mit dem jungen US-Sänger Daniel Wilson am Mikrophon verbindet das Deep-House-Flair der 80er-Jahre mit einem Bläserthema aus der „Studio 54“-Ära, „Lasers“ verweist mit „Trans Europa Express“-ähnlicher Rhythmik auf Kraftwerk und die späten 70er. Dynamisch groovenden Electro-Soul gibt es in „Lose Your Love“, „Truth Is Light“ jongliert raffiniert mit der Rhythmik des UK-Garage, „Children“ führt mit straighten Technobeats und irritierendem psychedelischem Flair mitten hinein ins Auge des Sturms.

„Music Is The Answer“ schließlich, wieder mit Jess Mills am Mikrophon, entlässt den Hörer mit sanftem Pluckern, straightem Beat und sphärischen Keyboards dann hinaus in den Morgen. Alles zusammen: ein Album, das den Hörer stilvoll in und durch die Nacht (ent-)führt und dem urbanen Lifestyle unserer Zeit aufs Angenehmste den Puls abnimmt.

Cover Art oe Goddard Electric Lines
Überall Linien: Joe Goddard Electric Lines (Cover: Amazon)

Joe Goddard Electric Lines erscheint bei Domino Records und ist erhältlich als Audio-CD, Vinyl LP und MP3-Download.

Joe Goddard Electric Lines
2017/05
Test-Ergebnis: 4,2
 sehr gut
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.