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Kate Bush
Poesie und Musik in Perfektion: 2014 zauberte Kate Bush an 22 Abenden ein hinreißendes Konzerterlebnis auf die Bühne des Londoner Hammersmith Apollo. Nun gibt’s den Livemitschnitt „Before The Dawn“ auf CD und Vinyl (Foto: Warner Music)

Kate Bush Before The Dawn – CD der Woche 48

Die LowBeats CD der Woche 48 kommt von einer Musikerin, die sich sehr rar gemacht hat in den letzten Jahren – so sehr, dass Kate Bush mittlerweile fast an eine Art Marlene Dietrich der Popmusik erinnert. 2014 meldete sich die Queen des englischen Art-Pop dann mit einer Serie von 22 Livekonzerten zurück, mit denen sie ihre Heimstadt London verzückte. Nun gibt’s den Mitschnitt dieser Show aus dem Hammersmith Apollo auf CD und Vinyl. Kate Bush Before The Dawn ist ein bezauberndes Bush-Werk, das auch ohne Bilder prächtig funktioniert, findet LowBeats-Musikautor Christof Hammer.

Rätselhafte Kate Bush. Mit einem fulminanten Karrierestart betörte die 1958 geborene Lady aus London schon Ende der 70er-Jahre die Popwelt, setzte als frühreife Ausnahmebegabung mit dem 1985er-Werk Hounds Of Love einen fulminanten Höhepunkt – um sich danach peu à peu in eine Art moderne Marlene Dietrich, ein Phantom der Popmusik zu verwandeln: höchst sparsam in ihrer künstlerischen Arbeit, selten nur in der Öffentlichkeit zu sehen – und auf der Bühne quasi gar nicht mehr.

Und wer sich zu rar macht, gerät irgendwann in Vergessenheit, heißt es bekanntlich. Wie weit allerdings die Diva des englischen Art Pop davon entfernt ist, zeigte sich im März 2014: 35 Jahre nach ihren bis dato letzten Livekonzerten im Jahr 1979 ließ sie das Pop-Volk wissen, dass sie im Oktober 2014 tatsächlich wieder einmal (beziehungsweise 22 Mal) in ihrer Heimatstadt aufzutreten gedenke. Vergriffen waren die Tickets für diese Shows dann binnen 15 Minuten – andere Quellen sprechen von nur sieben Minuten.

Was im Oktober und November 2014 dann im Londoner Hammersmith Apollo zu sehen und zu hören war, war wohl das Bühnenereignis im nicht gerade ereignisarmen London: Tänzer, Puppen und Zauberer bevölkerten die Bühne, Schatten- und Maskenspiele, 3D-Animationen und eigens produzierte Videoclips sorgten für ungewöhnliche visuelle Eindrücke (für eine Sequenz stieg die Hauptdarstellerin gar in einen „floating tank“, befüllt mit Salzwasser auf Körpertemperatur): eine multimediale Show zwischen Performance, Konzert und Musiktheater.

Kate Bush
Mal eben baden gegangen: Um ihre Songthemen in eine aufregende Bildsprache zu übersetzen, ging Kate Bush auch ungewöhnliche Wege – und stieg beispielsweise in eine salzwassergefüllte Isolationskapsel („Floating Tank“) (Foto: Warner Music)

Kate Bush Before the Dawn – erst mal die Audio-Version

Nun gibt es den Mitschnitt dieses Spektakels auf CD – nur auf CD, mag man denken, denn dieses Event schreit ja geradezu nach einer Veröffentlichung auf DVD bzw. Blu-ray. Dass diese Bildmedien noch folgen werden, davon kann man ausgehen, und gerne hätte man schon jetzt die Wahlfreiheit zwischen diesen Formaten.

Dennoch macht auch die CD-Fassung Sinn – gerade weil der Hörer sich ohne das optische Feuerwerk drum herum leichter auf die akustische Ebene konzentrieren kann. Und schon nach wenigen Sekunden bemerkt das Ohr im Auftaktsong „Lily“ jede Menge Erfreuliches: Die Klangqualität dieser Liveaufzeichnungen ist besser als die von Studioaufnahmen vieler anderer Künstler – und die Musik ist es erst recht. Und zwar auch, was Kate Bush selbst betrifft. Was in ihren Studioproduktionen gerne etwas ätherisch, manchmal auch esoterisch wirkt, wird hier von einer exzellenten Band bestechend druckvoll und facettenreich umgesetzt.

Aufgebaut als eine Art Musical in drei Akten, bündelt Kate Bush Before The Dawn insgesamt 29 Songs zu einem Konzeptalbum-artigen Kompendium. Im Zentrum: die beiden Liedzyklen The Ninth Wave (aus Hounds Of Love) auf CD 2 und A Sky Of Honey vom 2005er-Album Aerial auf CD 3. Los geht’s aber auf CD 1 mit einer kleinen „Best-of“-Revue, die von „Never Be Mine“ über „Top Of The City“ bis zu „Running Up That Hill“ reicht. „King Of The Mountain“ überführt dann hinüber zu CD 2 und The Ninth Wave. Hier erblüht die Bush’sche Songsprache zwischen Zivilisationskritik, Fantasymotiven und archaischem Symbolismus dann in ihrer ganzen Bedeutungsschwere und Faszination: Kate Bush irrlichtert als Schiffbrüchige umher, nachdem ihr Schiff namens „Celtic Deep“ gesunken ist: eine unter Wasser geratene Seele im Kampf mit Träumen, Illusionen und Halluzinationen.

Auch der dritte Akt der Show, Sky Of Honey, breitet in zwölf Songs ein ungewöhnliches Szenario vor dem Hörer aus: das Porträt einer vogelähnlichen Frau im 19. Jahrhundert, die einen Maler bei der Arbeit beobachtet. Klingt ein wenig spinnert, aber – siehe oben – Kate Bush war noch nie eine normale Popmusikerin, sondern eine enigmatische, manchmal gar schamanisch anmutende Geschichtenerzählerin, die auch prima eine Rolle in sämtlichen „Harry Potter“-Verfilmungen hätte übernehmen können. Sich diesem Mummenschanz hinzugeben, fällt allerdings vergleichsweise leicht, denn die Dramaturgie dieses Sets ist stimmig aufs Gleis gesetzt und funktioniert ohne Brüche. Kate Bush Before The Dawn ist also keineswegs ein Album, für das man eine Gebrauchsanweisung benötigt – auch dank der exquisiten Musik. Wie Bush und eine vorzügliche Band zwischen Art-Rock und Art-Pop hin- und herwechseln, hier ins Proggige abdriften („King Of The Mountain“), da ins Technoide („Waking The Witch“), dort ins Folkloristische („Jig Of Live“) oder gar in die Klassik (wie in „Under Ice“ mit „Carmina Burana-Anklängen“): Das ist große Kunst, organisch lebhaft bis überbordend pittoresk arrangiert und mit von den Sitzen reißender Verve gespielt – etwa in „Sunset“, das mit einer spanischer Gitarre der Premiumklasse begeistert. Deutlich wie nie ist in diesen rund 157 (!), in keiner Sekunde langweiligen Minuten zudem zu hören, dass Kate Bush einmal die Muse von Peter Gabriel war und David Gilmour die junge Kate schon im Teenageralter unter seine Fittiche nahm – der Psychedelic Rock von Pink Floyd gibt hier über weite Strecken Ton und Takt an. Kate Bush Before The Dawn verbindet ihn mit ihrem eigenen, feminin geprägten, wavig bis weltmusikalisch kolorierten Pianopop zu einem eindrucksvollen Bush-Werk, zu einer zauberhaften musikalischen Märchenwelt – eintreten, bitte!

Kate Bush Before The Dawn
Kate Bush Before The Dawn (Foto: Warner Music)

Before The Dawn erscheint bei Fish People /Rhino im Vertrieb von Warner Music und ist als 3 Audio-CD Set, 4 Vinyl LP-Box und MP3-Download erhältlich.

Kate Bush Before The Dawn
2016/11
Test-Ergebnis: 4,5
SEHR GUT
Bewertungen:
Musik
Klang
Repertoirerwert

Gesamt

Autor: Raphael Vogt

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Technischer Direktor bei LowBeats und einer der bekanntesten Heimkino-Experten der Republik. Sein besonderes Steckenpferd ist die perfekte Kalibrierung von Beamern.