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Post Punk 2017 Love A Nichts ist neu
Sehen vielleicht aus wie Hipster, klingen aber ganz anders: Die Trier-Köln-Wuppertaler Band Love A bringt mit „Nichts ist neu“ ein Klasse-Album zwischen Post-Punk, Indie-Rock und Neo-New-Wave. Versprochen: Diese Band wird Sie nie um 7:46 im ARD-/ZDF-Morgenmagazin mit lauwarmem Befindlichkeitspop überfallen (Foto: Love A)

Love A Nichts ist neu – die CD der KW 20

Jede Woche in den Charts und Jahr für Jahr beim ESC gibt es das gesamte Mittelmaß und Elend deutscher Schlagerpopmusik zu bestaunen. Planscht also wirklich ganz Deutschland in lauwarmer Konsensbrühe von Helene Fischer, Tim Bendzko und Max Giesinger? Aber nein: Hinter (oder neben) Altvorderen wie Tocotronic oder Turbostaat sorgt mit Karies oder Die Nerven längst schon die Next Generation einheimischer Indierock-Bands für Musik mit Biss, Haltung und Charisma. Nächster Kandidat: die rheinisch-westfälische Post-Punk-Band Love A, die mit Love A Nichts ist neu die CD der KW 20 liefert.

Der ESC ist durchlitten, Deutschland leckt wie üblich seine Wunden und fragt sich, was man diesmal wieder falsch gemacht hat. Same procedure as every year. Politische Gründe lassen wir hier mal außen vor – wobei: Wundert sich ernsthaft jemand darüber, dass die deutschen Wirtschaftskraftmeiereien und Leitkulturneurosen in Europa nicht übermäßig beliebt sind? Nein, mal ein wenig über die Musik nachzudenken würde für den Anfang völlig genügen.

Alles Zeug, mit dem Deutschland in den vergangenen fünf, sechs Jahren beim ESC antrat, hätte sich jedenfalls unauffällig auf jedem Helene-Fischer-Album verstecken können. Und man weiß nicht genau, was einen bei alldem stärker anwidert: die Chuzpe, mit der dieser Müll beansprucht, Pop zu sein, die klebrige Penetranz, mit der sich der Schlager an die Popmusik heranwanzt – oder die Bereitwilligkeit, mit der sich weite Teile der deutschen Musikszene davon umarmen lassen.

Umso erfreulicher, was sich jenseits des Mainstream so alles tut. Die Fraktion deutscher Indierocker jedenfalls hat mit Acts wie der Hamburger Band Trümmer, Messer aus Münster oder den Stuttgarter Post-Punks Karies und Die Nerven erfreulich zugelegt. Auch das Trier-Köln-Wuppertaler Quartett Love A, gestartet als Love Academy, veröffentlicht seit 2011 im zwei-Jahres-Rhythmus ein hörenswertes Album nach dem anderen.

Der Stil: an bestem englischem Post-Punk geschulter Gitarrenrock voller Wut, Dringlichkeit, Lust und Haltung – Eigenschaften, an die sich das Gros deutscher Betroffenheitsbarden meist schon fünf Sekunden nach der Unterschrift unter ihren Plattenvertrag kaum mehr erinnern kann.

Nun gibt’s Album Nummer 4, und wer wissen will, wie sich das Leben in den weniger kuscheligen Winkeln dieser Gesellschaft anfühlt, sollte bei Love A Nichts ist neu genau hinhören. Was ausgesprochen leichtfällt, da Love A ihre musikalischen Mittel zu Songjuwelen im drei bis vier Minuten-Format verdichten, die leuchten und schillern, als wären sie mit einem Diamantenschneider konfiguriert.

Love A Nichts ist neu  – No fillers, just killers

Der Sound von Love A Nichts ist neu jedenfalls ist großartig. Der Bass von Dominik Mercier bollert jedenfalls wie Bolle („Kanten“), Schlagzeuger Karl Brausch trommelt wie im Rausch („Monaco“), und Steffen Weyers Gitarren umfassen kompromissloses Fräsen („Nichts ist leicht“) ebenso wie melodienprächtiges Klingeln in bester Johnny-Marr-Manier („Die Anderen“).

Sänger Jörkk Mechenbier schließlich ist ein Ereignis. Mit derart deklamatorischem, gleichwohl gekonnt domestiziertem Furor hat seit Fehlfarben-Frontmann Peter Hein jedenfalls kein deutscher Shouter mehr seine Texte ins Mikro gebellt. Und was für Texte: keine verhuschten Befindlichkeitsbekundungen oder gestelzte Beziehungslyrik, sondern präzis abgefasste Telegramme darüber, was so alles passiert und schiefläuft da draußen.

Bei allem Furor verzichten diese Songs (Campino & Co, bitte mal aufpassen) auf jede volksnahe, durch mitgröhltaugliche „woo-hoo-hooo“-Chöre erzeugte Hymnenhaftigkeit und legen den Weg zur Hymne stattdessen mit frappierend heißkalter Empathie zurück. Mag eine solche Musizierhaltung auch das Privileg der Jugend sein: Nicht jeder nutzt das Zeitfenster zwischen verwelkender Adoleszenz und drohendem Erwachsenwerden zu solch intensiver Schnittstellenmusik.

Dass mancher dieses Album fast schon als zu poppig-geschliffen missbilligen wird: Das ist der Preis, den Love A bezahlen müssen. Und sie bezahlen ihn gerne und aus gutem Grund: Songs, die nicht gehört werden, erreichen nichts und niemanden und keines ihrer Ziele. In diesem Sinne verfassten Love A hier ein Dutzend Songs, von denen jeder einzelne aufhorchen lässt: no fillers, just killers. Lange nicht mehr gehört, sowas.

Cover Art Love A Nichts ist neu
Love A Nichts ist neu (Cover: Amazon)

Nichts ist neu erscheint bei Rookie Records im Vertrieb von Cargo und ist erhältlich als Audio-CD, Vinyl-LP und MP3-Download.

Love A Nichts ist neu
2017/05
Test-Ergebnis: 4,3
 sehr gut
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.