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Skeleton in Innsbuck
Der mehrfache Weltcup-Sieger Christian Auer beim Rennstart. Diese knifflige Prozedur brachte ihm bereits einige Sekunden Vorsprung auf unseren Autor Stefan Schickedanz. Die restlichen Sekunden fuhr er auf der Bahn mit über 100 km/h Topspeed heraus. Schickedanz erreichte auf der Herrenabfahrt von Innsbruck-Igls "nur" knapp über 96 Sachen (Foto: S. Schickedanz)

Skeleton WM: Mit 100 Sachen im Eiskanal

Vom 8. bis 21. Februar findet in Innsbruck die BMW IBSF Bob + Skeleton Weltmeisterschaft 2016 statt. Die Tiroler Veranstalter sprechen gar von der „Formel 1 des Winters“. Das erinnert mich an den Ritt meines Lebens auf der Olympiabahn in Innsbruck-Igls. Bevor mich ein Freund aus der Schweiz sozusagen aufs Glatteis führte, dachte ich, von Geschwindigkeit nie genug kriegen zu können und schon alles zu kennen, was stark und schnell ist. Schließlich habe ich nach einigen eigenen Boliden der Über-300-Klasse zu Testzwecken den Bugatti Veyron 16.4 Grand Sport mit 1001 PS gefahren und ihm dabei richtig die Sporen gegeben. Und früher fuhr ich Motorrad. Damit war ich erst recht nicht zimperlich.

Stefan Schickedanz vor seiner ersten Skeleton Fahrt im Olympia-Eiskanal von Innsbruck
Stefan Schickedanz vor seiner ersten Skeleton Fahrt im Olympia-Eiskanal von Innsbruck. Der Mann an der Kamera hatte mehr Erfahrung, denn er gilt in seiner schweizerischen Heimat als Sport-Legende (Foto: Felix Poletti)

Doch alle „Stunts“ (man könnte auch von Unvernunftsaktionen sprechen) sind kalter Kaffee gegen den Ritt meines Lebens – auch wenn ich dabei ausnahmsweise unter der 100er-Marke blieb. Bei diesem Tempo befindet sich der Kreislauf eines Speed-Junkies gewöhnlich noch im Ruhezustand, ich weiß. Doch glauben Sie mir, bei der Fahrt meines Lebens glaubte ich phasenweise, gleich einen Herzstecker zu kriegen. Ich lag dabei nämlich nur eine Hand breit über dem gefrorenen Boden der olympischen Bobbahn von Innsbruck Igls und jagte Kopf voran die 1,2 Kilometer lange Herrenabfahrt hinunter. Der Wahnsinn hat einen Namen: Skeleton.

Skeleton in Innsbruck: Adrenalin pur im Olympia-Eiskanal

Dabei handelt es sich um einen bis zu 40 Kilogramm schweren stählernen Schlitten, der in den Kurven drei bis vier g erreicht und so schnell ins Ziel jagt – sofern es keinen Crash gibt –, dass die meisten sich nach ihrem Ritt an nichts mehr erinnern können. Auch ich hatte danach zumindest Schwierigkeiten, die Ereignisse, die über mich hereinbrachen, in die richtige Reihenfolge zu bringen. Stellenweise fühlte ich mich wie ein Patient auf dem OP-Tisch, bei dem die Betäubung nicht wirken will. Ich fühlte mich ausgeliefert an Kräfte, die sich der Kontrolle entziehen.

Das ganze Lenken geschieht an der Grenze zum Unterbewusstsein. Die gesamte rund eine Minute lange Fahrt fühlt sich an wie ein Skiunfall in Slow Motion. Wer gute Reflexe hat, rollt sich dabei auch ab und versucht, den Sturz zu beeinflussen, aber es bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Möglich werden temporäre Höchstleistungen durch die Ausschüttung von Adrenalin. Und für einen Junkie wie mich war das in dieser Hinsicht so etwas wie eine Oktoberfestration beziehungsweise eine Art Woodstock Festival, um im Bild zu bleiben.

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Stefan Schickedanz auf Skeleton Schlitten am Start (Foto: Felix Poletti)
Die Fahrt auf dem Skeleton Schlitten war für mich das Speed-Erlebnis schlechthin (Foto: F. Poletti)
Die zweite Skeleton Fahrt bei Dunkelheit
Die zweite Skeleton Fahrt bei Dunkelheit: Der Eiskanal von Innsbruck wirkte auf mich wie der aufgerissene Höllenschlund (Foto: F. Poltetti)
Skeleton Fahrt ohne Protektoren
Im Jahr darauf wurde der Anzug noch dünner und der Speed mit fast 97 km/h noch höher. Die Protektoren hatte ich leichtsinnigerweise weggelassen, nachdem mich Worldcup Sieger Christian Auer anstachelte: “Das brauchen nur Anfänger …” (Foto: F. Poltetti)
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Was soll ich sagen? Danach war nichts mehr wie vorher. Ich hatte endlich mein persönliches Limit gefunden, war hart an der Grenze der Erträglichkeit entlang geschrammt. Der eigentliche Genuss stellte sich im Gegensatz zum 320-km/h-Ritt im BMW M5 V10 erst nach der Fahrt ein, wenn man wie unter Drogen auf Wolke 17 weilt. Das Adrenalin wirkt in solchen Momenten nicht stoßweise, sondern hebt einen auf ein Plateau, von dem man so schnell nicht mehr herunter kommt. Bei mir hielt die Wírkung meiner Skeleton Fahrt bis in den nächsten Tag hinein an, wo ich noch auf der Rückfahrt Gänsehaut bekam und Freudentränen vergoss. Mein neuer Kumpel Felix Poltetti entpuppte sich nämlich im Laufe des Schnupper-Events als Sportlegende, der sogar vom “Cool-Runnings-Team” des olympischen Nachwuchses von Virgin Islands salutiert wurde. Felix, so erfuhr ich gerade, startet übrigens beim Legenden Rennen am 18.2.2016 um 18 Uhr im Rahmen der Weltmeisterschaft in Innsbruck.

Und ich war in seinem legendenträchtigen hauchdünnen Latex-Rennanzug mit über 90 Sachen die Piste herunter gefegt. Im nächsten Jahr wurde der Anzug noch dünner und das Tempo noch höher. Ich sah vermutlich aus wie ein Ballett-Tänzer, als ich unterwegs mit über 96 Sachen geblitzt wurde. So richtig freuen konnte ich mich nicht: Der mehrfache World Cup Champion Christian Auer trainierte nämlich parallel zu unserem Event, das man übrigens im Gegensatz zu Bobfahren bei keinem Abenteuer-Anbieter buchen kann.

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Es handelte sich um eine Supporter-Veranstaltung der schweizerischen Olympia-Schmieden Skeletonclub Limmattal und Zürcher Bob-Club. Jedenfalls wurde der Auer Christian (siehe Video, das ich damals für die Home Electronics mit ihm produzierte) mit über 100 Sachen gestoppt und war insgesamt fast 10 Sekunden schneller als ich. Aber man muss es mal so sehen: Versuch doch mal, Sebastian Vettel derart nah dran zu bleiben, selbst wenn die Wahl der Waffen nicht auf einen Formel-1-Boliden, sondern nur auf einen normalen Ferrari fällt …

Skeleton ist Pink Floyd live in Venedig

Jedenfalls veränderten diese beiden Erlebnisse mein gesamtes Empfinden für Rasanz. Und zwar in einem Maße, wie es innerhalb einer Gattung gar nicht möglich ist. Weil wir auf einer HiFi-affinen Seite sind, will ich es mal so sagen: Der Skeleton ist nicht die JBL Everest oder eine Referenzbox wie die Bowers & Wilkins 800 Diamond. Er ist Pink Floyd live in Venedig. Er ist der Tornado im Vorgarten, der alles durcheinander wirbelt und nicht nur etwas gepflegten Thrill erzeugt wie ein Katastrophenfilm auf der sündteuren Overkill-Surround-Anlage. Er ist das wahre Leben, die Grenze der Physik, eine Macht. Gefolgt von einem leichten Erdbeben (eines schüttelte mich des Nächstens in meiner Wohnung, eines verschlief ich in Verona, um in den Nachrichten davon zu erfahren) ist Skeleton für mich das Urgewalt-Erlebnis schlechthin und selbstredend die Überreferenz für Speed.

Jetzt dürfte sich der aufmerksame Leser fragen, welche Autos ich denn anhand der Skeleton-Referenz ganz oben einstufen würde im Hinblick auf Dynamik und Thrill. Schwere Frage. Der BMW M5, mit dem ich meinen persönlichen Geschwindigkeitsrekord aufstellte, fällt eindeutig raus, was durchaus ein Kompliment an die Konstrukteure ist: Viel zu unspektakulär und zu souverän. Unter 280 km/h spürst Du praktisch nichts von deinen Umtrieben, darüber wenig. Als bei 300 in der Kurve ein paar schwere Bodenwellen kamen, war ich froh, das Auto endlich mal zu spüren.

BMW M5 und Bugatti Veyron sind zu harmlos

Mit dem Veyron sieht es ähnlich aus: Man freut sich, wenn die Straße holprig wird, dass die Regelung des Allradantriebs bei voller Beschleunigung etwas Arbeit bekommt und die Räder springen, während das Auto etwas versetzt. Der Wagen ist volldigital, tolles Machwerk, aber vergleichsweise wenig Thrill. Der Mini Cooper S, mit dem ich nach der Testfahrt im Elsass zurückfuhr, war deutlich wilder und ließ einen das Tempo deutlich mehr spüren. Trotzdem: Es fehlt ihm schlicht die Power, um mit dem Skeleton zu konkurrieren.

Ein Auto, das hohe Leistung mit dem Gezappel eines Mini kombiniert, ist der Porsche Cayman S, der besonders mit harter Einstellung des adaptiven Fahrwerks auf der Autobahn zu Luftsprüngen neigt und einen gehörig schüttelt und berührt. Doch es reicht nicht ganz für die Top 3 bei dieser Olympiade. Den 3. Platz schnappt ihm ein Japaner weg: Der Nissan GT-R geht wie die sprichwörtliche Sau und reagiert trotz seines hohen Gewichts von rund 1.700 Kilogramm sehr direkt und gefühlsecht auf Lenkbefehle. Die Traktion des Allradantriebs ist gigantisch, die Beschleunigung auch, ganz gleich ob es nass oder trocken ist. Die Traktion beim Bremsen steht dem in nichts nach, die XXL-Brembos sind genial zu dosieren und standfest. Banzai!

Platz 2 geht an den geschmeidiger als der Cayman abgestimmten Bruder Boxster S, der sich öffnen und seine Passagiere damit noch unmittelbarer am Erlebnis der Geschwindigkeit teilhaben lässt. Immerhin bis du trotz allerlei Protektoren auf dem Skelton den Elementen unmittelbar ausgesetzt: Durch das offene Visier rauscht der Fahrtwind und wenn der Helm wie bei mir nicht richtig sitzt, radierst Du mit dem Kinn vereinzelt mit mehr als 90 Sachen übers Eis und siehst aus wie nach einer schlechten Rasur. In den Steilkurven schlägt der Helm seitlich gegen das Eis und es scheint, als hätte Dein letztes Stündlein geschlagen. Ganz so wild ist der Boxster trotz knapp geschnittenem Cockpit und Querdynamik-förderndem Mittelmotor zwar nicht, aber er hat sein feminines Image inzwischen abgeschüttelt und sorgt für eine gehörige Ausschüttung an Glückshormonen.

Ein von MTM getunter Audi kommt dem Schlitten am nächsten – mit 800 PS

Platz 1 geht dennoch an eine geschlossene Limousine. Meine lieben BMW-Freunde, bitte scrollt schnell weiter: Es ist der Audi MTM RS6 Clubsport, ein Auto, dessen biedere Basis in meinen Augen das Langweiligste ist, was Ingolstadt derzeit zu bieten hat. Doch wenn sich erst die hauseigene Quattro GmbH in Neckarsulm den braven Geschäftswagen A6 vornimmt und anschließend noch Star-Tuner MTM aus Wettstetten nachlegt, dann geht’s ab. Rund 800 PS hatte der Testwagen, den mir Roland Mayer für eine Spritztour nach einem statischen Audi-Event auf dem kleinen Dienstweg anvertraute. Dazu kamen Mörder-Bremsen und perfekte Sitzschalen sowie eine optimale Fahrwerksabstimmung.

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Nissan GT-R
Platz 3 der Auto-Olympiade: Der Nissan GT-R kommt vom Fahrgefühl einem Skeleton für Autoverhältnisse recht nahe. Mit 550 PS, Allradantrieb und Brembo-Bremsen bringt der Japaner das Adrenalin zum Kochen (Foto: S. Schickedanz)
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Porsche Boxster S
Platz 2: Der knapp geschnittene Porsche Boxster S bietet Fahrspaß pur im Angesicht der Elemente. Allerdings greifen dem Porschefan dabei reichlich elektronische Helfer unter die Arme, inklusive automatischem Zwischengas beim Handschalter. Egal, dieses Exemplar besaß eh eine Automatik (Foto: Bose)

 

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MTM RS6 Clubsport
Platz 1: Der Audi MTM RS6 Clubsport ist eine Rakete auf Rädern. Mit rund 800 PS, Quattro-Antrieb und Keramikbremsen bietet er reichlich digitale Fahreigenschaften. Suchtfaktor unendlich. Hier bekommt zumindest der Beifahrer Kicks wie im Skeleton. Wer ihn selbst ausreizt, staunt über die Reserven von Fahrwerk, Motor und Bremsen (Foto: MTM)
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Kaum zu glauben, wie agil und direkt sich die schwere Limousine mit ihrem langen Radstand dirigieren lässt. Sprinten und Stoppen gelingt ihr noch eine Nummer digitaler als dem grundsätzlich ähnlich veranlagten Nissan GT-R. Wenn Du das Auto gefahren bist, gibt es keine Fragen mehr, warum Rallye-Legende Walter Röhrl oder Tourenwagen-Crack Mattias Eckström zu den Freunden des Hauses gehören. Auch wenn die Ingolstädter Raketen damit noch nicht ganz an einen Skeleton herankommen, was auch gerade für die Emissionen gilt, die Nähe zum Motorsport steht damit auf alle Fälle außer Frage. Und das ist doch auch schon immerhin so gut wie eine Referenzbox, oder?

Mehr Rasantes von Stefan Schickedanz:

Mit Smudo beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring

Im Beitrag erwähnt:

Fahrtest Mini Cooper S mit Harman/Kardon HiFi-System

Autor: Stefan Schickedanz

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Schneller testet keiner. Deutschlands einziger HiFi-Redakteur mit Rennfahrer-Genen betreut bei LowBeats den Bereich HiFi im Auto sowie die Themengebiete Mobile- und Smart-Audio.