de
Alessandro Quarta Live 1
Alessandro Quarta im Münchner Schlachthof 2017. Die neue Pure Audio Aufnahme kommt dem Live-Erlebnis verdammt nah (Foto: MSM)

Alessandro Quarta plays Astor Piazzolla in 3D-Sound

Zu Besuch in den MSM Studios in der Münchner Theresienstraße. Im größten Studio der Mastering-Spezialisten hat sich eine kleine Schar interessierter Menschen versammelt, um ein bislang einzigartiges Werk zu hören: den knapp 20-minütigen Trailer einer Quasi-Live-Aufnahme des italienischen Geigers und begeisterten Piazzolla Interpreten Alessandro Quarta im Dolby Atmos Tonformat. „Astor Piazzolla erstmals in 3D“, stellte der MSM-Frontmann Stefan Bock das Werk vor und begrüßte auch den Geigen-Virtuosen, der sich diese Vorstellung nicht entgehen lassen wollte und ziemlich zufrieden wirkte.

Alessandro Quarta Live 3
Der Geiger und Bandleader in Aktion: Alessandro Quarta (Foto: MSM)

Zu Recht. Was das Team von IAN productions hier aufnahmetechnisch auf die Beine gestellt haben, setzt Maßstäbe. Mir jedenfalls blieb nach dem Start der Trailerstücke die Spucke weg. Nicht nur, dass der Ton der Instrumente sehr genau getroffen war: schloss ich die Augen, hatte ich die Musiker, die Instrumente und den Aufnahmeraum in einer atemberaubenden Plastizität vor Augen. Das kann Stereo einfach nicht. Nun ist die akustische Ausstattung bei MSM sicherlich vom Feinsten. Doch ich habe in Ermangelung eines größeren Systems beim Abhören der Pure Audio Bluray ein kleines Focal Sib & Co System (Set-Preis: 1.200 Euro) verwendet und auch damit war die Faszination der Aufnahme, die Abbildung der Musiker greifbar.

Unter dem Label IAN-productions haben sich mit Tobias Wendl, Stefan Zaradic und Stefan Bock drei Spezialisten mit unterschiedlichem Background zusammen gefunden, um dem Thema Immersive Audio (also allen 3D-Soundformaten) eine angemessene Plattform zu geben.

Aber wie kommt ein Italiener, der argentinische Musik spielt, nach Deutschland, um hier sein neuestes Album unter anderem im (US-amerikanischen) Dolby-Atmos-Tonformat aufnehmen zu lassen? Die Geschichte ist lang, endet aber glücklich. Alessandro Quarta wollte mit seinem ersten Piazzolla-Album unbedingt etwas Herausragendes schaffen, wusste aber nicht, wie. Doch Quarta hatte schon länger Kontakt zum Münchner Komponisten und 3D-Produzenten Stefan Zaradic. Und Zaradic wiederum ist eng verbandelt mit den Münchner MSM Studios, die nicht nur einen hervorragenden Ruf in Bezug auf bestes Mastering haben: sie sind auch Vorreiter für den immersiven (3D) Sound bei Musik.

Es kam, wie es kommen musste. Alessandro Quarta fuhr nach München und hörte sich in den MSM Studios an, wie lebensnah und natürlich Musik heute in 3D klingen kann. Er war elektrisiert. Dieser Satz von ihm ist überliefert: „Das ist die Zukunft. So will ich meine Musik hören!“

Es gab also schon einmal die Idee, wie das neue Album aufgenommen wird. Aber wo? München kam für Alessandro Quarta nicht in Frage; er hatte im italienischen Lecce ein Studio gemietet, das den Geist von Piazzolla angeblich perfekt transportiert. Die Profis vom IAN-Team, standen vor einem Dilemma: Die Künstler nach München nötigen, wo sie sich nicht wohlfühlen? Oder das Album an einem Ort aufnehmen, den sie nicht kennen und wo sie nicht wissen, was sie erwartet?

Alessandro Quarta Recording Room
Der Aufnahmeraum musste ein wenig umgestaltet werden. Dann war er perfekt (Foto: IAN)

Das IAN-Trio ließ sich auf das Abenteuer ein und machte sich auf den Weg ins süditalienische Lecce – 40 Mikros im Gepäck. Man weiß ja nie, was einen erwartet… Vor Ort wurden die drei freudig überrascht. Das Studio war eigentlich gut geeignet: Die Luftfeuchtigkeit war zwar extrem hoch, der Aufnahmeraum unaufgeräumt, aber mit seiner 7 Meter hohen Decke und den variablen Deckensegeln ließ sich vieles einrichten.

Alessandro Quarta Recording 3
Der Raum war sehr hoch und mit Akustik-Deckensegeln flexibel einstellbar (Foto: IAN)

Es gab also viel Arbeit. Zuerst galt es, alles auszuräumen und die Luftfeuchtigkeit runterzubekommen. Das Studio wurde umgebaut, bis es passte; die Raumakustik wurde nach und nach gezielt verändert. „Macht man es geschickt“, sagt Bock, „kann die Raumakustik die Musiker unterstützen. Alessandro Quarta beispielsweise stand unter einem Deckensegel, das leicht abgesenkt wurde, damit der Meister mehr Präsenz hat.“

Ziel war es, das Ergebnis so unverfälscht einzufangen, wie es nun einmal sein kann; es sollte nichts nachpoliert werden. Also entwarfen Stefan Zaradic und Stefan Bock im Vorfeld Skizzen, wo genau die Musiker stehen würden und wie die Mikrofonierung auszusehen hätte, damit ein energetisch ausbalanciertes Klangbild entsteht. Der Ehrgeiz der Tonmeister war es, auch die Bewegungen der Musiker beim Spielen aufzunehmen um den physischen Aspekt ihrer individuellen Spielweisen ebenfalls einzufangen.

Alessandro Quarta Recording Stefan Bock
Die Mikrofonierung war mit der wichtigste Teil der Arbeit. Hier Stefan Bock beim Einrichten (Foto: IAN)

Und weil Zaradic, Bock und Wendl eine Klang-Idee im Kopf hatten, verwendeten sie möglichst viele gleiche Mikrofone: Alle kamen vom Karlsruher Mikrofon-Experten Schoeps, aber es handelte sich – je nach Einsatzgebiet – um verschiedene Kapseln. Zuerst wurde das Hauptmikrofon aufgestellt, die Musiker aufgestellt und dann so lange gehört und die Positionen der Musiker so lange verändert, bis alles ausgewogen klang. Anschließend wurden die zusätzlichen Stütz- und Raummikrophone aufgestellt. Die Vorbereitungen waren lang und schüchterten die Musiker eher ein, als dass sie Vertrauen schufen: millimetergenaue Laser-Messungen, wofür? Und kann ich mich dann noch ausreichend bewegen?

Alessandro Quarta Recording Mikros
Mit 40 Mikros im Gepäck ging es nach Italien (Foto: IAN)

Doch die Vorbehalte gegen den hohen Aufwand zerstreuten sich nach dem ersten Take. Alle fünf mussten sich die erste Aufnahme anhören und waren danach begeistert. Stefan Bock: „So etwas hatten die Musiker noch nie gehört: Sie fühlten sich geachtet und spürten, dass sie mit dieser Mikrofonierung sehr gut in Szene gesetzt werden. Ab da spielten sie eine ganze Klasse besser.“

Alessandro Quarta Recording 1
Die Band nach dem ersten Take im Regieraum. Alle waren absolut begeistert (Foto: MSM)

Damit war das Eis gebrochen. Schon die ersten Aufnahmen waren so atemberaubend, dass auch die Band den Eindruck bekam, dass hier etwas Besonderes entsteht. Oder wie sagte der Pianist Guiseppe Magagnino? „Auf einmal hatten wir den Eindruck, Geschichte zu schreiben.“

Die Luftfeuchtigkeit im Studio blieb extrem hoch. Alle Stunde musste gelüftet werden und das Klavier verstimmte sich schneller, als allen lieb sein konnte. Nach einem Tag war klar: der Klavierstimmer muss alle paar Stunden turnusmäßig kommen. Stefan Bock: “ Das ist halt Süditalien.“

Und doch spielte sich nach einer gewissen Zeit alles ein: Irgendwann entstand eine Energie im Raum und die Musiker spielten beseelt durch. Die Aufnahme wurde zum Live-Konzert in dem eigenwilligen Studio Lecce – und das war auch von Beginn an die musikalische Idee von Alessandro Quarta und Stefan Zaradic gewesen.

Anders als bei den meisten modernen Aufnahmen sollten die Stücke zu Quartas neuer Piazzolla Aufnahme eben nicht modular aufgebaut werden. Tobias Wendl: „Ich glaube, das ganze Album hat nur drei Schnitte. Wenn ich mehrere Stücke zu einem Lied zusammenfüge, ist das etwas ganz anderes, als wenn die Musik durchgespielt wird. Mit den Schnitten wirkt die Musik bei weitem nicht mehr so natürlich.“

Zwei Tage später war das komplette Album eingespielt und für das IAN Team ging es zurück. Bock: „Nach der Rückkehr nach München trauten wir uns nicht, die Aufnahme anzuhören. Sie blieb ein paar Tage liegen. Nach der Euphorie in Lecce hatten wir totale Angst – die Stunde der Wahrheit.“

Doch beim Sichten der Aufnahmen waren alle erleichtert – und überwältigt. Bock: „Nachdem wir alles durchgehört hatten, waren wir uns einig, dass wir aufpassen müssen, diese besondere Authentizität nicht zu ruinieren.“ Und so setzte sich Tonmeister Tobias Wendl hin und blieb beim Mischen extrem diskret.

Schwieriger wurde es nur bei der Stereo-Mischung. Hier musste einiges mehr gemacht werden, um ein annährend vergleichbar authentisches Ergebnis zu erzielen. Alessandro Quarta kam natürlich vorbei, um sich die finale Mischung anzuhören. Danach, so Bock, musste sich der Geiger erst einmal setzen und rührte sich nicht mehr. Minutenlang. Dann, unter Tränen, zum IAN Team: „You are God. Ihr habt nicht meine Musik aufgenommen, sondern meine Seele.“ Und auch der mitgereiste Pianist meinte: „Ich habe mich noch nie so gehört.“

Recording in den MSM Studios
Alessandro Quarta beim Einspielen (Foto: IAN)

Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla  – die Rezension

Was zu überprüfen war. Das fertige Werk namens Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla liegt nun vor und rotiert in meinem Oppo Universalplayer. Das Album umfasst eine Pure Audio Blu-ray (also ohne Bild) mit HiRes und Immersive (Mehrkanal-) Aufnahmen und eine klassische Stereo-CD für alle Player, die keine Blu-rays abspielen können. Man bekommt mit dem Kauf das Albums insgesamt folgende Formate: Stereo, High Res 96 kHz, Auro-3D und Dolby Atmos. Außerdem gibt es auf der Blu-ray noch ein Interview mit dem Künstler und den Prozenten zu sehen. Und über „mShuttle“ stehen zusätzlich Audiofiles in FLAC, MQA und binaural Headphone 3D zur Verfügung.

Vorwärts Zurück
Das Cover von Alessandro Quarta Plays Piazolla
Das Cover von Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla
Die Rückseite von Alessandro Quarta Plays Piazolla
Die Track-Liste von Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla und alle Aufnahmeformate
Vorwärts Zurück

Bock und Zaradic haben eine feine Auswahl der Stücke getroffen und sie klug zusammengefügt. Alessandro Quarta Plays Piazzolla wird nie langweilig – was bei reinen Piazzolla-Alben öfter schon einmal passiert. Hier geschieht das Gegenteil: Die Musik ist mitreißend. Zum Beispiel das erste Stück „Milonga del Angel“: Alessandros Geige haucht die Töne ins Mikro. Da ist keine Anstrengung: Viel Leichtigkeit, aber auch viel Schwermut.

Track 2: „Fracanapa“ ist hochdynamisch, Alessandros Geige immer gut herauszuhören. „Fracanapa“ macht auch deutlich: Die Band spielt richtig gut zusammen. Am Anfang von Track 5, „Jeanne y Paul“, quält Alessandro sein Instrument regelrecht. Bock & Co fingen dieses Klang-Experiment sehr dicht und authentisch ein. Stück 6, „Rio Sena“, versprüht Heiterkeit. Es könnte auch als Filmmusik zu den Ferien des Monsieur Hulot durchgehen.

Nummer 7, „Cité Tango Part A“ ist sehr dynamisch. Das treibende Schlagzeug klingt ausgesprochen lebensecht, mit einem fein nachschwingenden Fell. Da fehlt nichts. Und dann Piazzollas mitreißendes, bewegendes „Libertango“ (Stück 10): Spätestens hier ist der Zuhörer gefangen. Alessandros Geige weint, juchzt, mal macht sie auf jugendlichen Trotzkopf, mal auf große Dame. Das wird mit dem Hören klar: der Maestro beherrscht sein Instrument.

Das klangliche Ergebnis ist ein Hammer. Vor allem in beiden 3D-Formaten klingt die Aufnahme, wie ich es in den MSM Studios während der Demonstration gehört habe: dreidimensional, leichtfüßig und ausgesprochen natürlich. Ich hatte das Glück, dem Konzert Alessandro Quartas im Münchner Schlachthof beizuwohnen; er spielte in etwa das gleiche Programm. Die Aufnahme kam meiner Erinnerung an dieses Live-Erlebnis sehr nah.

Musikalisch habe ich Piazzolla schon öfter ähnlich mitreißend erlebt. Aber es gibt da diesen Herrn Pagani in Mailand, seines Zeichens 17 Jahre lang Produzent von Astor Piazzolla. Für ihn ist Alessandro Quarta der designierte Nachfolger des Meisters. Aldo Pagani kam sogar nach Lecce, um sich das Ergebnis anzuhören. Eine seltene Würdigung.

Recording mit Aldo Pagani
Alessandro Quarta (rechts) mit Piazzollas langjährigem Produzenten Aldo Pagani (Foto: MSM)

Kleines Bonmot am Ende. Beim finalen Mastering-Abhören der CD-Spur stoppte Bock das Abspielen, weil er sich ganz sicher war, dass etwas fundamental falsch klang. Er prüfte und prüfte, fand aber keinen Fehler. Die Erklärung lag im Medium selbst. „Das ist die CD“, sagt Bock. „Wenn man eine solche Aufnahme die ganze Zeit in HiRes hört, dann ist die CD schwer zu nehmen…“

Die Aufnahme ist rarer Stoff. Erstehen kann man Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla exklusiv nur im Webshop des Künstlers.

Fazit Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla

Das Album ist ein schönes Beispiel dafür, was die Blu-ray klanglich möglich macht. Die HiRes-Mischung ist schon exzellent, aber vor allem die beiden 3D immersive Abmischungen sind fantastisch. Piazzolla Fans kommen hier voll auf ihre Kosten; 3D-Fans aber fast noch mehr.

Ähnliches Thema:
Exklusiv-Interview mit Tonmeister Tom Ammermann: Making of Kraftwerk 3D Der Katalog

Alessandro Quarta Plays Astor Piazzolla
2017/12
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt


Autor: Holger Biermann

Avatar-Foto
Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.