ende
Cayin Jazz 100 Totale
Der Cayin Jazz 100 ist ein weiterer Single-Ended Class-A-Vollverstärker der chinesischen Röhren-Profis. Sein Vorteil: Er kostet nur 4.000 Euro (Foto: Cayin)

Test Cayin Jazz 100: 40 Watt in Single-ended Class A

Röhrenfans wissen, wovon ich schreibe: Es gibt diese einzigartige Offenheit und Schönheit in den Mitten, die Röhren-Elektronik – und hier vor allem Verstärker in Single-Ended Class-A Schaltungen – auszeichnet. Die Schattenseiten sind allerdings nicht ohne: Die meist wunderschöne Wiedergabe wird in der Regel mit großen Defiziten bei Leistung und Stabilität erkauft. Das bedeutet: Entweder hast du Leistungsausbeuten um 10 Watt oder es wird unbezahlbar. Der Röhrenspezialist Cayin könnte jetzt eine Art Game-Changer am Markt haben: Der Single-Ended-Verstärker Cayin Jazz 100 bringt fast 40 Watt pro Kanal und ist mit knapp 4.000 Euro doch noch im irgendwie erreichbaren Bereich.

Cayin Jazz100 mit Käfig
Der Cayin Jazz 100, hier mit dem (natürlich beiliegenden) Schutzkäfig um die Leistungsröhren (Foto: Cayin)

Bevor wir uns dem Jazz 100 widmen, werfen wir noch einmal einen Blick zurück – um knapp zwei Jahre. Damals stellte Cayin ebenfalls einen Single-Ended-Amp mit 805-Röhrenbestückung vor: den CS-805A. Dieser Verstärker verzückte die Redaktion über viele Wochen (solange er bei LowBeats bleiben durfte), obwohl er mit 6.500 Euro schon zwei Preisklassen höher lag. Der besondere Sex des CS-805A liegt darin, dass er die legendäre 300B als Treiber-Röhre nutzt. Aber es geht wohl auch ohne – wie uns der Jazz 100 zeigt.

Cayin Jazz 100: Blaupause CS-805A

Auf der Suche nach einer bezahlbaren Lösung mussten die Cayin-Ingenieure also nicht bei Null anfangen. Mit dem CS-805A hatten sie schon einmal eine Basis, die notwendigen Bauteile und die nötige Erfahrung. Und dass sie nicht wie wild mit dem Rotstift rumfuchtelten, zeigt allein der Blick auf die Waage: Der CS-805A wiegt 38, der Jazz 100 etwas über 35 Kilo. Das heißt: Die beiden speziell gefertigten Übertrager, welche die Leistung der hochohmigen Röhren an die mit 4, 8 oder 16 Ohm vergleichsweise niederohmigen Lautsprecher  „übertragen“ sowie der Netzumspanner sind in ähnlich solider Ausführung vorhanden.

Es sind nicht die einzigen Ähnlichkeiten zum CS-805A. So hat auch der Jazz 100 die bei Cayin üblichen Anpassungen im Klang – etwa die Beeinflussung der Stärke der Gegenkopplungs-Schleife. Das empfinde ich immer als sehr angenehm: Soll doch der Hörer selbst entscheiden, ob er die höhere Kontrolle der Lautsprecher oder die höchstmögliche Musikalität bevorzugt. An dieser Stelle bleibt zu sagen, dass fast alle Musikfreunde mit Cayin-Verstärkern, die ich kenne, die Gegenkopplung so weit wie möglich herunterfahren. Denn wer auf knackige Kontrolle steht, kauft gleich einen AVM- oder T+A-Verstärker…

Ebenfalls als Potis finden sich auf dem Oberdeck des Jazz 100 zwei Trimmer mit der irritierenden Beschriftung „Hum Bal“, übersetzt: „Brumm-Balance“. Diese Regler sind dem Umstand geschuldet, dass Röhren-Verstärker gern mit extrem Wirkungsgrad-starken Lautsprechern wie Hörnern kombiniert werden. Und so werden auch schon kleinste Asymmetrien in der Heizspannung als Brumm wahrnehmbar. Nicht schlimm, aber eben doch hörbar. Mit einer leichten Korrektur am Hum Regler findet man schnell die beste Balance.

Cayin Jazz 100 Einstellung
Eine zusätzliche Regelung, der sogenannte „Hum Balancer“, minimiert im individuellen Setup die Brumm-Neigung auf ein Minimum (Foto: Cayin)

Und dann ist da ja noch der eigentliche Vorteil des Jazz 100: Er leistet knapp 40 Watt pro Kanal (an 4 wie an 8 Ohm) und ist deshalb auf die extrem Wirkungsgrad-starken Lautsprecher gar nicht angewiesen

Und damit sind wir beim Kraftwerk selbst: der 805A. Wie auch die ebenfalls sehr beliebten Röhren-Typen 845 und 211 gehört die 805A zu den direkt geheizten Sendetrioden. Ihr Vorteil ist – neben der guten Verfügbarkeit –  ihre hohe Leistung. Die Sache hat – na klar – einen Pferdefuß. Die 805A geizt nicht mit Leistungsaufnahme (410 Watt) und entsprechender Abwärme.

Cayin Jazz 100 Tubes
Die 805A Triode ist ein Schauspiel und sorgt für erstaunlich hohe Leistung (Foto: Cayin)

LowBeats Autor Bernhard Rietschel schrieb seinerzeit in seinem Test zum teureren, aber sehr ähnlichen Cayin CS-805A: „So eine 805 ist ein eindrucksvolles, fast schon furchterregendes Bauteil, das nach dem Einschalten nicht einfach dezent vor sich hin glimmt, sondern seine nähere Umgebung augenblicklich mit Licht und Hitze flutet. Das sollten vor allem Plattenhörer beachten, die von einem anderen Verstärker zum 805A wechseln: Die Sicherheitsabstände etwa zu seitlich daneben abgestellten Vinylscheiben müssen hier größer sein. Viel größer…“

Das gilt genauso für den neuen Jazz 100. Der ja aber – ganz im Sinne der hippen Jazz-Serie – deutlich günstiger ist und zudem mit einem hochwertigen Bluetooth-Eingang aufwartet. Ganz gestrenge Klangwächter werden hier eine böse HF-Beeinflussung der schönen analogen Röhren-Verstärkung des Signals unterstellen – und womöglich Recht haben. Nur: Gehört habe ich diese Beeinflussungen nicht und Bluetooth ist nun einmal verdammt praktisch zum eben mal Musikhören über Smartphone & Co.

Cayin Jazz 100 hinten
Die Rückseite zeigt die Bluetooth-Antenne, drei Line-Eingänge plus zwei Ausgänge, die man als Subwoofer-Out nutzen kann (Foto: Cayin)

Praxis

Anders als einige Mitbewerber am Markt (Beispiel: Octave) stellen sich die Ruhestöme für die Röhren nicht automatisch ein; das muss der geneigte Besitzer selbst machen. Ist aber überhaupt kein Problem und gehört irgendwie zum “anfassbaren” Klang des Jazz 100. Außerdem ist es schnell gemacht und nur selten erforderlich: In den vier Wochen, in denen der Jazz 100 bei uns war, musste ich nur zwei Mal bei einer Röhre nachjustieren.

Cayin Jazz 100 Bias
Die Vorspannung (Bias) für jede Röhre lässt sich mit einem Trimmer optimieren, das linke Zeigerinstrument dient als einfache Anzeige für eine optimale Einstellung (Foto: Cayin)

Zum Look & Feel des Jazz 100 passt auch die beigelegte Fernbedienung. Sie kann nicht wirklich viel, ist aber solide gemacht und man ist froh, zumindest Pegel und Eingänge vom Sofa aus steuern zu können.

Cayin Jazz 100 Fernbedienung
Die Fernbedienung ist angemessen wertig, hat aber nur wenige Funktionen (Foto: Cayin)

Das Thema hohe Leistungsaufnahme und Abwärme hatte ich schon angedeutet. Sie macht sich in einer ordentlichen Abwärme deutlich. In kleineren Räumen ist das durchaus spürbar. Erfreulich dagegen ist die Anspruchslosigkeit des Jazz 100 an die angeschlossenen Lautsprecher: Wir haben ja immer eine Menge im Fundus und an keiner knickte er erkennbar ein – aber man sollte es auch nicht übertreiben. Impedanzen deutlich unter 3 Ohm sollte man ihm allerdings nicht zumuten.

Cayin-Jazz-100-Hoerraum2
Malte Ruhnke, ehemaliger stereoplay-Chefredakteur und heute bei der PR-Agentur RTFM unter anderem auch für Cayin zuständig, veränderte die verschiedenen Parameter des Jazz 100, während das Auditorium auf dem Sofa die Unterschiede einzuordnen versuchte. Rechts im Bild: die Gauder RC 7, eines der Impedanz-linearsten Gauder-Modelle und deshalb Teil des Hör-Zirkels (Foto: H. Biermann)

Die meisten Musikfreunde werden überwiegend in Zimmerlautstärker oder etwas lauter hören. Dafür braucht es selbst bei „leisen“ Lautsprechern (also mit geringem Wirkungsgrad) maximal 3 bis 4 Watt. Deshalb schlagen sich auch bereits leistungsschwächere Röhrenverstärker wie ein Simply Italy von Unison oder ein Mira Ceti von Fezz Audio mit ihren Leistungsausbeuten um 10 Watt gar nicht übel. Aber im Vergleich zu den beiden war die vierfach höhere Leistung des Jazz 100 hör- und fühlbar. Denn schon ab gehobener Lautstärke entwickelte der Cayin einfach mehr Druck. 40 Röhrenwatt sind am Ende doch eine Menge.

Der Hörtest…

…lief dann überwiegend an unserer Kompaktboxen-Referenz Dynaudio Heritage Special, der (erfreulich Wirkungsgrad-starken) Stenheim Alumine Two.Five sowie der Gauder RC-7 statt. Vor allem die Stenheim passt charakterlich bestens zur Cayin-Röhre, weil die Schweizer Alu-Standbox herrlich kernig und direkt agiert, während der Jazz 100 tatsächlich fast alle Röhren-Vorurteile bestätigt und warmer, harmonisch-feiner Note aufspielt.

Das liegt nur bedingt am Jazz 100, sondern größtenteils an der Röhre selbst, die nun einmal zu den sanften ihrer Art zählt. Mit der Dynaudio und der Gauder wurde es deshalb schon fast zu kuschelig: Es klang wunderschön, aber dynamisch passierte zu wenig.

Anders mit der Stenheim. Der norwegische Pianist Bugge Wesseltoft hat mit der ebenfalls norwegischen Sängerin Sidsel Endresen viele, fantastische Stücke aufgenommen. Doch fraglos schönste ist „Try“, bei dem Endresen ihren Text betörend sanft ins Mikro haucht und Bugge das Ganze mit einem dezenten Piano-Groove unterlegt – zum Niederknien, dieses Lied. Und das am besten angehört über die Kombination aus Jazz 100 und Stenheim Two.Five. Alles war hörbar, alles lebte, Klangfarben satt: Die beiden Musiker füllten den Raum und es klang schlicht magisch. Ich glaube, die beiden hatten sich das haargenau so vorgestellt.

Cayin-Jazz-100-Hoerraum2
Der Cayin Jazz 100 (links) im Vergleich zum Line Magnetic LM-805IA (rechts); (Foto: H. Biermann)

In solchen Momenten ist man geneigt, einfach die Arbeit einzustellen: Nee, passt – weiterlaufenlassen. Schöner wird es nicht. Aber als Tester ist man dem Ergebnis verpflichtet und sollte es absichern. Ich wuchtete deshalb den Jazz 100 in den benachbarten HiFi Laden Zur „3. Dimension“, der als echter Röhren-Spezialist noch etliche Modelle mehr zur Auswahl hat als das LowBeats Vergleichs-Arsenal. Der Line Magnetic LM-805AI war am Ende der Röhren-Verstärker, der dem Jazz am ähnlichsten war (ebenfalls die 805A als Leistungsröhre) und auch am ähnlichsten klang. Und auch hier schlug der Charakter der 805A voll durch: die volle Palette an Klangfarben, eine feinnervige Auflösung und eine packende Plastizität. Und doch gab es einen kleinen, aber feinen Unterschied: Der Jazz 100 agierte ein Stückweit lebendiger und griffiger. Im Tennis würde es heißen: Advantage Cayin.

Fazit Cayin Jazz 100

40 Single-Ended Röhrenwatt pro Kanal sind eine Ansage. Wir hatten den deutlich teureren CS-805A im Test und waren seinerzeit begeistert – und sind es nun vom Jazz 100 noch ein bisschen mehr. Bei einer sehr ähnlichen Bestückung, einer sehr ähnlichen Performance, einer fast identisch gleich guten Verarbeitung sowie einem Bluetooth-Zugang als Dreingabe und das alles zu einem Kurs von unter 4.000 Euro – da hat sich Cayin eine beinharte Konkurrenz zum CS-805A geschaffen. Aber auch alle anderen Marken-Anbieter von Single-Ended-Röhren-Amps dieser Leistungsklasse dürften schlucken: Cayins Jazz 100 ist derzeit wohl einzigartig günstig.

Cayin CS-805A
2025/02
Test-Ergebnis: 4,6
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Wunderbar dynamischer, dabei eleganter und ausgewogener Klang
Für Trioden-Verhältnisse ungewöhnlich Boxen-unkritisch
Gegenkopplung einstellbar, eingebauter Bluetooth-Empfänger
Hoher Stromverbrauch, spürbare Abwärme

Vertrieb:
Cayin Audio Distribution GmbH
An der Kreuzheck 8
61479 Glashütten-Schlossborn
Telefon: 06174-9554412
www.cayin.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Cayin Jazz 100: 4.000 Euro

Cayin Jazz 100
Bauart:Röhren-Vollverstärker, Single-Ended Class-A
Röhren-Bestückung:2 x 6JC6, 1 x 6SN7, 2 x 6L6, 2 x 805A
Leistung:2 x 40 Watt (4 + 8 Ohm)
Eingänge:LINE1, LINE2, LINE3, Bluetooth (5.0)
Leistungsaufnahme:410 Watt
Besonderheit:Regelung zur Brumm-Reduzierung
Maße (BxHxT):42,0 x 24,8 x 38,9 cm
Gewicht:35,2kg
Farbe:Korpus: Hammerschlag-Schwarz, Front: Mattschwarz oder Silber
Alle technischen Daten
Mehr von Cayin:

Test Kopfhörerverstärker Cayin C9ii: noble Verstärkung für Kopfhörer-Fans mit Spieltrieb
Test Vollverstärker Cayin Jazz 80: Ein Fest für den Röhren-Spieltrieb
Test Röhren-Phonostufe Cayin CS-6PH: kompromisslos gut
Test Vollverstärker Cayin Jazz 80: Ein Fest für den Röhren-Spieltrieb
Test Röhren-Phonostufe Cayin CS-6PH: kompromisslos gut
Test Kopfhörer-Amp Cayin HA-3A – Röhrenglück mit Transistor-Komfort
Test Röhrenvollverstärker Cayin CS-805A: der Gentleman

Autor: Holger Biermann

Avatar-Foto
Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.