Manchmal braucht es etwas, bis die Dinge in Bewegung kommen. Sechs Alben hat die amerikanische Multiinstrumentalistin Haley Fohr alias Circuit Des Yeux schon in ihrer Diskografie stehen (plus zwei weitere, unter ihrem Alter Ego Jackie Lynn veröffentlichte) – doch erst jetzt, nach rund eineinhalb Jahrzehnten im amerikanischen Underground, beamt sie ihr Projekt auf ein neues Level: Circuit Des Yeux „Halo On The Inside“ ist unser Tipp der Woche.
Unterwegs war die 34-jährige aus Indiana, seit 2012 in Chicago lebende Künstlerin seither im Spannungsfeld zwischen irisierender Kammermusik, orchestraler Avantgarde und unergründlichem Elektro-Folk – und ihrer Zeit damit wohl einfach zu weit voraus. Nun aber scheint die Gegenwart ihr Oeuvre eingeholt zu haben und die nochmals massiv ins Elektronische gewandelte Musik von „Halo On The Inside“ wirkt wie ein Soundtrack zum Zustand der Welt anno 2025, wo sich Schönheit und Zerstörung, digitaler, sich rasend beschleunigender Irrsinn und analoge Restvernunft ein unaufhörliches tête-a-tête liefern.
Halb nimmt Haley Fohrs in ihren neun neuen Tracks der momentanen gesellschaftlichen Disruption den Puls ab – ebenso beherzt aber schickt sie ihre Kompositionen auch Richtung Dancefloor, Romantik und Positivismus. Wichtigstes Medium dafür: jede Menge synthetischer Klänge, die an Depeche Modes ab „Exciter“ beginnende Krisenjahre um die Jahrtausendwende erinnern: Industrial ähnliche Soundscapes, knochentrockener Elektro-Blues, digitale Störgeräusche sowie mal zerklüftete, mal wuchtig vorwärtsschiebende Rhythmuslandschaften – immer wieder aber auch lupenreiner Schönklang.

Und dann wäre da noch ihre dunkle Altstimme, die aber locker und geradezu operntaugliche – auch dreieinhalb –Oktaven die Tonleiter hinaufklettern kann: Grace Jones trifft bei diesem Timbre sozusagen auf Kate Bush – und beide zusammen vereinen sich zu einer Kunstfigur im Grenzbereich zwischen Avantgarde und Pop-Art: Circuit Des Yeux, das ist nicht mehr bloß die Sängerin und Musikerin Haley Fohr, sondern eine Schamanin moderner synthetischer Sounds, eine Hohepriesterin der Beats und Bytes, die ihre Predigten mit deklamatorischem Duktusverkündet.
Die Musik von Circuit Des Yeux „Halo On The Inside“
Inspiriert wurde „Halo On The Inside“ laut Haley Fohr durch eine Exkursion nach Griechenland, wo sie in den Bannkreise der griechischen Mythologie und insbesondere des Flöte spielenden Halbgottes Pan geriet – daher auch das Albumcover, für das sie zu jenen ikonischen Faunhörner griff, mit denen Pan in geschichtlichen Darstellungen meist abgebildet wurde. In Form gegossen wurde das Programm schließlich in Minneapolis gemeinsam mit Produzent Andrew Broder (Bon Iver, Moor Mother, Lambchop).
Die Spannweite dieses „inneren Heiligenscheins“ (so die Übersetzung des Albumtitels ins Deutsche) umfasst dabei atmosphärisch-mysteriöse Klanglandschaften ebenso wie griffige, beinahe popnahe Kompositionen – man höre nur „Canope Of Eden“, das mit seinem unwiderstehlichen Puls bis auf Weiteres einen Stammplatz auf den Playlists richtig cooler Großstadtclubs sicher haben sollte. „Skeleton Key“ beginnt in purer Schönheit, ehe Haley Fohr diesen Sechsminüter mit brachialen Lärm und verzerrter Saitensounds förmlich seziert. „Organ Bed“ lässt betörend freizügig die Synthies irrlichtern und ein Saxofon tröten; in „Cathexis“ umgarnen sich minimalistische Saitensounds und flächige Synths in tiefster Harmonie, auf dass die Konzentration auf psychische Energie tatsächlich reale physische Kräfte freisetzt (so die Idee dieses aus der Psychoanalyse stammenden Konzepts), ehe in „It Takes My Pain Away“ mit meditativen, ambientartigen Sounds der Vorhang fällt – und Haley Fohr nach einer achtteiligen musikalischen Katharsis ihren inneren Frieden gefunden hat.

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