Stradivari trifft Stradivari: Ein Super-Event mit ultimativem Anspruch an Saiten, Finger, Elektronik und Lautsprecher. Teuer, teuer – aber mit der Chance auf eine Wiederholung. Der Erfahrungsbericht einer Sonus faber in Bestform
Wer hat schon einen Da Vinci an der Wand? Oder eine Stradivari in Griffnähe? Zumindest einen der Wünsche konnte man sich in Baden-Baden bei SG-Akustik erfüllen – und gleich doppelt hören: Eine echte Stradivari-Geige spielte auf, passgenau dazu die neue Generation der Stradivari-Lautsprecher von Sonus faber. Heißer Stoff – auch für Diskussionen.
Doch der Reihe nach. Zwischen der Instrumentenbauer-Stadt Cremona und der Sonus faber Produktion in Vicenza liegen rund 160 Kilometer. Entweder mit dem Auto an Mantua oder Verona vorbei. Also nicht wirklich Nachbarstädte. Aber Sonus faber liebt das Eigenbild von der norditalienischen Künstlerehe. Stimmt auch weitestgehend, wenn man sich unter dem Markenkern der Po-Ebene trifft.
Die Grenzen der modernen Forschung
Wann Antonio Stradivari genau geboren wurde, wissen die Forscher nicht so recht. Die Aufzeichnungen der Stadtarchivare sind vieldeutig. Die aktuelle Wissenschaft hat sich auf 1648 geeinigt. Für die Zeit wurde Stradivari erstaunlich alt – 89 Jahre. Es wird am stetigen Arbeitsrhythmus gelegen haben, zudem hat er faktisch die Kleinstadt selten bis nie verlassen. Wie der große Kant sein Königsberg. Aber: Kant hat jeden Gedanken niedergeschrieben, Stradivari sein Wissen nur mündlich an die Söhne weitergeben. Was ihn und seine Instrumente heute so rätselhaft erscheinen lässt: Wie war diese Kraft, diese Resonanz möglich, steckt ein Zauberwirkstoff in dem tiefroten Lack seiner Glanzperiode?
US-Forscher haben vor zehn Jahren eine Geige des Meisters nachgebaut, bis auf den kleinsten Kratzer. Alles im Computertomografen gescannt und in allen dreidimensionalen Schnitten rekonstruiert. Die Brillanz war da, aber nicht das Timbre. Aber eine Erkenntnis gewannen die Forscher: Eine Stradivari verstärkt stimmähnliche Frequenzen und schmeichelt damit dem bewussten wie unbewussten Hören.
Schätzen Sie einmal, wie viele Stradivari-Instrumente heute noch existieren? Immerhin tobten in Europa Brände und zwei Weltkriege. Es sind erstaunlich viele: 550 Violinen gelten als erhalten, dazu weitere Streichinstrumente, einige Bratschen, 60 Celli, sogar Mandolinen und Gitarren.
Wer jetzt auf sein Bankkonto schaut: Bei einer Auktion in London wurde eine Geige aus der „Goldenen Periode“ für 2,7 Millionen Euro versteigert. Der berühmte und fiktive Sherlock Holmes hatte auch eine Stradivari – bei einem Pfandleiher in der Tottenham Court Road für 55 Schilling ersteigert. Natürlich nur eine Fantasie.
Keine Fantasie hingegen: Ende November brachte Linus Roth seine Geige mit. Eine Stradivari von 1703, unter Profis „Dancla“ genannt. Kann man nicht kaufen, das Instrument ist eine freundliche Leihgabe der Musikstiftung der L-Bank Baden-Württemberg. Roth selbst ist Professor in Augsburg und mehrfach mit dem ECHO-Klassik ausgezeichnet. Ein noch junger Mann, der sich auch auf Experimente einlässt. In der Klangvilla von SG-Akustik in Baden-Baden ließ er sein Spiel live aufzeichnen – und anschließend über die Stradivari-Lautsprecher von Sonus faber wiedergeben.
Drei Komponisten standen auf der musikalischen Seite im Fokus: Paganini, Bach und Ysyaë. Also der Virtuose, der Großmeister der Klarheit und der Vertreter der Moderne. Der Ausgang war klar: Nichts konnte mit den magischen Fingern, dem magischen Baumeister und dem aberwitzigen Geldwert gleichhalten. Aber der Chef des Hauses, Stefan Gellrich, versuchte es ambitioniert.
Die Sonus faber steuerte er mit dem schwersten Gedeck von McIntosh an – die beiden Firmen formieren unter einem gemeinsamen Dach und sind ganz frisch in der Hand von Bose. In finanziellen Zahlen: ein Gesamtpaket von 200.000 Euro. In technischen Zahlen: 3,5 Wege bei einem Frequenzgang von 25 bis 35.000 Hertz. 2000 Watt aus der dreiteiligen McIntosh MC2KW AC sind natürlich eine Mondrakete verglichen mit dem Dynamik-Output einer einsamen Geige, aber man schaukelte einander in ultimative Höhen.
Sonus faber in Bestform: digital oder analog?
Seit Jahren unterhält Stefan Gellrich eine professionelle Freundschaft zum Tonmeister Marc Seiffge aus Karlsruhe. Der brachte sein Aufnahme-Equipment mit, eher der kleine, aber höchst feine Aufbau. Seiffge variierte mit analoger und digitaler Technik, dazu unterschiedlichen Mikrofonen. Zuerst der analoge Lauf über eine Nagra IV-S Bandmaschine. Damit haben schon Legenden von Klassik, Pop und Jazz aufgenommen – die Nagra ist selbst ein Kultobjekt, noch heute, wenn es um transportable, maximale Analogpräzision geht.
Ergebnis: Das war nah dran. Kann ein moderner digitaler Aufbau mithalten? Der Tonmeister schwenkte um auf eine Tascam in PCM bei 24 Bit und 96 Kilohertz. Ein klarer Zugewinn an dynamischer Informationsdichte.
Aber noch nicht perfekt. Marc Seiffge montierte die Schoeps MK4 Mikrofone mit Nieren-Charakteristik vom Mikrofonbaum – der war nach den alten Idealen der Tontechniker des Office de Radiodiffusion Télévision Française (ORTF) ausgerichtet. Weniger geht nicht und ist doch am Ende mehr. Bereits 1960 angewendet, kreuzen sich zwei Mikros im Abstand von 17 Zentimetern und im Winkel von 110 Grad.
Olle Kamellen für einen Profi, aber noch immer ein Fetisch für Pegelgenauigkeit, Laufzeit, als Äquivalenz-Stereofonie in die Geschichte der Tontechnik eingegangen. Sehr praktisch auch und gerade beim Wechsel, nun wollte Seiffge die Vorzüge seiner Schoeps MK211 mit breiter Niere ausspielen. Spiel, Satz, Sieg – das Publikum votierte recht eindeutig für diesen Aufbau.
Apropos: Wie viele Musik- und High-End-Fans waren gekommen? Volles Haus, 100 Besucher, alle fasziniert. Jetzt steht der Hausherr unter Druck. Er hat versprochen, einen Event dieser Art zu wiederholen. Wir werden ihn daran erinnern, das Publikum wird ihn daran erinnern.
Und noch ein Tipp für den Terminkalender: Am Samstag, den 14. Dezember gastiert die Redaktion von LowBeats in der Klangvilla Baden-Baden. Die Stars stammen von Marantz, die neue Serie 10, SACD-Player, Streamer und Vollverstärker. Moderiert wird der Event vom LowBeats-Chef persönlich, Holger Biermann. Alte Streitgefährten an seiner Seite – Lothar Brandt und Andreas Günther.
Die Rahmendaten zu „Marantz Plays Nautilus“
Wann? Samstag, 14. Dezember 2024 – 10 bis 16 Uhr
Wo? Villa Schellbach Fremersbergstrasse 67A, 76530 Baden-Baden
Vorführung jeweils um 10 Uhr, 12 Uhr und 14 Uhr – siehe auch den Veranstaltungshinweis im LowBeats Event-Kalender
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