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Röhren-Vollverstärker Shindo Cantabile
Shindo Laboratory Cantabile (Foto: R. Kraft)

Frühwerk des japanischen Röhren-Gurus Ken Shindo

Seine Komponenten waren so einzigartig wie der Mensch Ken Shindo selbst: 2014 verstarb der Firmengründer, Entwickler und Klangvisionär, der in 35 Jahren eine Vielzahl süchtig machender und Maßstab-setzender Klangmaschinen erschuf. Dabei baute Ken Shindo mit seinen Mitarbeitern im Shindo Laboratory nicht nur eine enorme Menge an Röhrenverstärkern (sowie Lautsprecher und Plattenspieler), sondern auch eine Vielzahl von Designs mit ganz unterschiedlichen Röhrenbestückungen.

Der japanische Röhren- und Vinyl-Spezialist machte aber nie aus einer bestimmten Betriebsart (z.B. Push-Pull oder Single-Ended) eine Religion, ebenso wenig tat er das mit bestimmten Röhrentypen. Allerdings ist uns kein OTL-Verstärker (Output Transformerless) von Ken bekannt.

Shindo-Kenner wissen, dass Übertrager jeder Art, auch viele historische Varianten (er verwendete gern auch alte Übertrager von Triad oder Western Electric), quasi sein Markenzeichen darstellten. Der Japaner fertigte schon vor Jahrzehnten beispielsweise Vorverstärker mit Ausgangs- und Eingangsübertragern, was ja hierzulande in puncto HiFi – ganz anders als in der älteren deutschen Studiotechnik – lange als Unding galt.

Ken Shindos frühe Produkte waren noch stark von intensiver Beschäftigung mit der amerikanischen Tontechnik und jener hochwertigen US-Unterhaltungselektronik geprägt, die bis etwa Anfang der 70er Jahre in den USA gebaut wurde. Diesbezüglich spricht man in den USA ja gerne und zu Recht von der „goldenen“ Epoche, in der besonders aufwändige Geräte entstanden; etwa die legendären Audio-Komponenten von Marantz, McIntosh oder Scott.

Während der 70er und 80er Jahre war außerhalb Japans nicht bekannt, mit welchem Elan sich japanische HiFi-Fans, Röhrenfans und Sammler alter Studiotechnik auf einst hochkarätige US-Markenprodukte gestürzt hatten. Und mit welcher Akribie gar nicht so wenige japanische Freaks große Sammlungen antiker US-Kino- und Beschallungstechnik (Stichwort: Western Electric) zusammengescharrt hatten, bemerkten die konsternierten Amis erst dann, als der Markt fast leergefegt war. Heutzutage wird dieser ehemalige „Schrott“ in der Preisregion von Luxuskarossen gehandelt.

Ein Ken Shindo Frühwerk, noch nicht grün lackiert

Aber zurück zu Ken Shindo und zu seiner Cantabile, die im Gegensatz zu den später ausschließlich grün lackierten Shindo-Verstärkern noch in einer Hammerschlag-ähnlichen Silberfarbe daher kam. Bei der Cantabile handelt es sich um ein Push-Pull-Endstufen-Design mit der EL34, das irgendwann zwischen 1982 und 1985 auf den Markt kam.

Wie lange die Cantabile angeboten wurde, läßt sich nicht mehr feststellen. Genaueres ist selbst über Ken Shindos Sohn Takashi Shindo nicht ermittelbar, da der Meister damals mit sehr wenigen Mitarbeitern, die lediglich einzelne Baugruppen fertigten, zusammen arbeitete und kaum Aufzeichnungen hinterließ.

Auch der damalige Preis innerhalb Japans ist nicht mehr rekonstruierbar; über den Daumen gepeilt sollte man für ein gutes gebrauchtes Exemplar der Cantabile heutzutage mit einem hohen vierstelligen Eurobetrag rechnen.

Ken Shindo Cantabile Vollbild
Die Cantabile in ganzer Pracht. Unter den beiden kleineren Abdeckungen sitzen die Übertrager (Foto: R. Kraft)

In der Cantabile kommt als Eingangs- und Spannungsverstärker eine ECC81 zum Einsatz, während eine ECC82 als Treiberstufe dient. Die insgesamt vier Doppeltrioden wurden hier konsequent kanalgetrennt geschaltet, zudem sitzen Eingangs-Pegelsteller hinter den beiden Cinchbuchsen.

In Japan sind (auch heute noch) Endstufen ohne Eingangs-Pegelsteller nicht üblich; bei uns fiel dieses praktische Feature ja meist falsch verstandenem Purismus zum Opfer. Ob es sich bei der Cantabile damit um einen Vollverstärker mit einem Eingang – das funktioniert bei nicht allzu hochohmigen Quellen prächtig – oder um eine Endstufe handelt, ist also Interpretationssache :-)

Auch den praktischen, stabilen und insbesondere kontaktsicheren Lautsprecher-Schraubanschlüssen der Cantabile – sie sitzen unmittelbar an den beiden Ausgangsübertragern – könnte man durchaus nachtrauern. Und selbstredend besitzt die Endstufe außer Vier- und Acht-Ohm-Anschlüssen auch 16-Ohm-Anzapfungen an den Ausgangsübertragern, eine Hommage an Vintage-Sammler, die historische Lautsprecher benutzen.

Alle Trafos des Verstärkers residieren unter Blechhauben, dazwischen ordnete Shindo die insgesamt vier Endröhren etwas unorthodox an, sie stehen nämlich versetzt auf gedachten 45-Grad-Linien. Der Grund dafür ist einleuchtend: die EL34 sollen sich möglichst nicht auch noch gegenseitig aufheizen.

Was sonst noch auf dem 43 mal 28 Zentimeter großen Cantabile-Chassis auffällt, sind zwei dicke Kondensatoren, die für die Brummsiebung im Netzteil zuständig sind. Ganz anders als heute üblich, handelt es sich um so genannte Mehrfach-Elkos, das sind mehrere Kapazitäten mit einem gemeinsamen Minus-Anschluss. Warum diese an sich sehr sinnvolle alte Elko-Bauart heutzutage verpönt ist, weiß eigentlich auch niemand so recht …

Mehrfach-Elkos im Netzteil
Klassische Mehrfach-Elkos alter Bauart (Foto: R. Kraft)
Cantabile: LS-Kontakte
Lautsprecheranschluss: Schraubklemmen (Foto: R. Kraft)

Shindo: Bauteile aus den USA

Der Blick unter das Chassis des 100-Volt-Geräts offenbart, dass fast alle der verwendeten elektronischen Bauteile aus den USA stammen, genauer formuliert aus genau jenen Quellen, aus denen sich auch die schon erwähnten, amerikanischen Blütezeit-Komponenten „nährten“.

Ganz abgesehen davon, dass man über die Lebensdauer des eingesetzten Materials zu Recht erstaunt sein darf, ist die Cantabile offenkundig schaltungstechnisch ein recht aufwändiges Stück Verstärker mit einer kräftig ausgelegten Stromversorgung. Die besitzt bereits, wie bei dem Japaner üblich, eine Siebspule, die unter der Trafohaube mit verschraubt ist.

Zusätzlich wurde später einmal ein Transistor (!) ergänzt, eine so genannte Gyrator-Schaltung, die auf elektronischem Weg eine Siebspule nachbildet; eine Technik, die man später in diversen Shindo-Geräten auch wieder antreffen konnte. Ken Shindo scheint viele seiner älteren Kreationen (wenn er sie denn wieder auf den Werktisch bekam) nicht nur restauriert, sondern auch nachgerüstet zu haben.

Eine ordentliche, aber großzügig verlegte Innenverdrahtung zählt ebenso zu Shindos Markenzeichen wie die Verwendung langlebiger Mallory- und Sprague-Kondensatoren. Nicht minder auffallend sind die dicken Kohlemasse-Widerstände von Allen-Bradley sowie filigrane Lötkunst mit Hilfe von Lötösen.

Allerdings ist die Verwendung von Platinen, so wie in diesem Fall, eher eine Ausnahme im Shindo Laboratory. Und dass etwa der Einsatz von Kathoden-Bypass-Elkos bestimmt nicht als Klangbremse gelten muss, wurde in vielen, außergewöhnlich guten Shindo-Amps ja bereits bewiesen – selbst wenn Bauteile-Puristen nun entsetzt aufstöhnen …

Cantabile Innenaufnahme
Shindo Cantabile: Verdrahtung (Foto: R. Kraft)

Der klangliche Eindruck dieses Röhrenverstärkers kann angesichts des Alters des Gerätes nur erstaunen. Die herausragende, aber, wie wir gleich sehen werden, oberflächliche Diagnose lautet, dass die Cantabile auch heutzutage nicht nur locker mithalten, sondern sogar nachhaltig begeistern kann. Dabei ist die EL34-Endstufe weder ein Leistungsriese noch ein Bass-Monster.

In der Tendenz eher schlank und schnell denn voluminös reproduzierend, spannt Shindos Design eine riesig große, enorm tiefe und breite Klangbühne auf, die tatsächlich den Eindruck von „Luft“ und einem dreidimensionalen Gefüge vermittelt.

Diese, ja, „Simulation“ eines schier zum Greifen nahen Raumes, der die Wände des Hör-Zimmers wie von Geisterhand verschwinden lässt, ist sehr, sehr beeindruckend, aber nicht einmal das Entscheidende am Klang dieses Verstärkers, der – leider – auch beweist, dass zumindest in puncto Röhre neuzeitliche Designs keine über Bandbreite und Kontrolle hinausgehende, echte Fortschritte gebracht haben.

Ein Exkurs: die Schnittstelle zum Zuhörer

Wie immer bei den Kreationen von Ken Shindo gilt auch in diesem Fall, dass weder eher platte HiFi-Begrifflichkeiten (Räumlichkeit, Definition, Transparenz, Dynamik) noch objektive Feststellungen (etwa Klirr oder Störspannungsfreiheit) wirklich entscheidend zum klanglichen Empfinden beitragen, sondern etwas ganz anderes.

Nämlich die Befindlichkeit des Zuhörers, respektive die Art und Weise, wie reproduzierte Musik beim Zuhörer eigentlich wirkt. Für diesen Effekt gibt es ja keinen objektivierbaren Maßstab und auch die üblichen HiFi-Kriterien – an sich nur holpriger Ersatz für die Art und Weise, das Befinden des Zuhörers zu beschreiben – greifen kaum.

Die Schnittstelle zwischen der Installation und dem Zuhörer ist üblicherweise auch stark von Subjektivität und Erwartungshaltung geprägt.

Wobei diese Erwartungshaltung auch von Voreingenommenheit beeinflusst sein kann, und zwar jener Art von Voreingenommenheit, die aus dem bisweilen zwanghaften Versuch entsteht, als allgemein gültig betrachtete technische Grundsätze in ein klangliches Ergebnis zu überführen oder mit dem Klang zu korrelieren.

Was die reinen Techniker, die jene andere Seite im Regelfall komplett ignorieren, eigentlich aufhorchen lassen müsste. Doch deren Reaktion dürfte sich im Regelfall auch nur wieder darauf beschränken, etwa Gehörkurven zu erforschen, Klirr zu messen und besagte Befindlichkeit in Tabellen, Formeln oder reproduzierbare Grundsätze zu gießen.

So funktioniert eben Wissenschaft, so muss sie auch funktionieren, um uns weiter zu bringen und nach solchen Regeln arbeitet letztlich auch jeder (Röhren-) Verstärker, damit er überhaupt funktioniert.

Wäre es anders, könnte man auch Kügelchen oder Schüsslersalze mit Wasser in einen Topf gießen, Anschlüsse anbringen und das Konstrukt mit Lautsprechern verbinden …

Doch der klassische Verstärkerbau versagt oft an der Schnittstelle zum Zuhörer, genauer gesagt, an einer exakten, reproduzierbaren Beschreibung der Befindlichkeit des Zuhörers.

Eine Aussage, die viele HiFi-Fans so natürlich nicht unterschreiben würden. Weil ein nach allen geltenden Regeln der Technik gebautes Gerät, das auch messtechnisch übliche Anforderungen erfüllt oder gar übertrifft, als „unangreifbar“ gilt, insbesondere bei rein elektronischer Herangehensweise nach dem heutigen Stand der Technik. So ein Amp ist niemals „schlecht“, weil er das einfach nicht sein kann und darf.

Dann sollen wie üblich die Umstände differenziert betrachtet werden, andere Ausflüchte – um nichts anderes handelt es sich dabei – sind womöglich Kabel, „unpassende“ Lautsprecher, die Akustik, „schlechter“ Strom oder das falsche Rack.

Ginge es rein nach der Theorie, war die Technologie doch vor längerer Zeit schon so ausgereift, dass sich die Weiterentwicklung letztlich auf die Verrückten aus der Highend-Ecke beschränkt, die einfach nicht einsehen wollen, dass ein moderner Verstärker-Chip, an dem es außer den Nullen hinter dem Komma nichts mehr zu messen gibt, nicht das letzte Wort sein kann.

Alle Klangbeschreibungen von HiFi-Komponenten stellen ja nur einen mehr oder weniger an Krücken gehenden Versuch dar, zu beschreiben, was die Übertragung von Musik beim Zuhörer emotional auslöst.

Die häufig bemühten sprachlichen Methoden sind allerdings holprig, manchmal übertrieben, gehen an der eigentlichen Sache vorbei oder zählen eben zum notwendigen Repertoire von Autoren, die sich größte Mühe geben, ihre Mitteilung irgendwie zu transportieren und so letztlich auszudrücken, ob ein Verstärker es geschafft hat, dass die Nachricht beim Zuhörer auch „ankommt“.

Können wir ein Symphonieorchester mithilfe einer (Stereo-) Anlage wirklich in unserem Wohnzimmer unterbringen? Können wir die Atmosphäre und die Dynamik eines Rockkonzerts wieder erstehen lassen? Einen Konzertflügel hinter den Lautsprechern erklingen lassen? Eine Oper „livehaftig“ miterleben?

Die Antwort auf diese Fragen muss leider immer noch ein von Bescheidenheit und Realismus geprägtes Nein sein, selbst wenn häufig das Gegenteil behauptet wird und selbst wenn eine so genannte „Top-Installation“ in einem Riesenraum steht und über Lautsprecher verfügt, die zu „großer“ Abbildung in der Lage sind.

Der Ausdruck „Live“, in irgendeinem Zusammenhang mit den aktuellen Hilfsmitteln der Musikreproduktion verwendet, ist wohl eine der unpassendsten Krücken im Wortspeicher bemüht veredelnder und manchmal notgedrungen Erbsen zählender (HiFi-) Autoren, die bisweilen über ihrem noch dampfenden Buchstaben-Scheiterhaufen erkennen müssen, dass sie eine Komponente nur zur Hälfte beschreiben konnten, weil es über die zweite, mindestens ebenso wichtige Hälfte schlicht nichts zu „fühlen“ gab.

Übrigens trifft diese Form an sich kapitalen Versagens ironischerweise gerne superteure Monstergeräte oder so genannte „Ultra-Highend“-Anlagen…

Der Ken Shindo Effekt

Dieser – sorry – etwas langatmige Einschub in die Cantabile-Geschichte sollte nur dazu dienen, den „Ken Shindo Effekt“ zu erläutern. Genau er ist der tiefere Grund dafür, dass die Gerätschaften des verstorbenen Altmeisters solchen Kultstatus genießen.

Die Unmöglichkeit, das echte Ereignis und das eigene Erleben trotz höchsten Aufwands zu reproduzieren, muss doch zu der Schlussfolgerung führen, dass (HiFi-) Wiedergabe womöglich nur eine eigene Kunstform, also eigentlich nur eine weitere Interpretation ist.

Bei der man nicht unmöglich zu erreichenden Idealen nachjagen, sondern sich darauf konzentrieren sollte, inmitten einer stilvoll verfassten Nachricht zwischen den Zeilen eine doch viel wichtigere Information zu transportieren. Und das ist genau das, was Ken Shindo mit seinen Geräten vermochte.

Er verstand diese Schnittstelle zum Zuhörer meisterhaft zu modulieren, indem seine Verstärker sogar grob verschiedene klangliche Charaktere – oder Bedürfnisse von Zuhörern? – repräsentieren und dennoch tiefste Zufriedenheit auslösen können.

Die gute, alte Cantabile kann das ebenfalls. Sie nimmt ihren Zuhörer gefangen, bindet ihn ein und vermittelt Musik (egal, welche) ihrem Wesen nach. Der Zauber, den diese Endstufe so ausübt, ist schwer zu beschreiben oder zu fassen. Aber er wirkt.

Cantabile Model E 3400
Zu vermuten ist, dass die Cantabile zwischen 1982 und 1985 entstanden ist (Foto: R. Kraft)

Lohnt es sich also, auf dem Gebrauchtmarkt nach Ken Shindos Cantabile zu suchen? Die Antwort: ein trauriges ja, natürlich!

Traurig deshalb, weil außerhalb Japans pro Jahr kaum mehr als drei oder vier Shindo-Kreationen gebraucht auftauchen, die üblicherweise auch noch zu horrenden Summen angeboten werden, aber nicht selten von Besserwissern verbastelt wurden.

Falls man Glück hat und einen Shindo-Amp erwerben kann, ist perfekte technische Unterstützung oder Restauration eigentlich nur im Shindo-Laboratory möglich: www.shindo-laboratory.co.jp

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