Lange waren sie vom Aussterben bedroht, die legendären japanischen Jazz Kissas. Heimelige Orte der Glückseligkeit für Jazz- und HiFi-Fans. Doch wie die HiFi-Komponenten selbst bedrohte die Digitalisierung der Musik zu Beginn der 2000er-Jahre auch die Cafés, die zum Teil nur Wohnzimmergröße hatten. Seit einigen Jahren wächst ihre Zahl zum Glück jedoch wieder, die Cafés haben sich mit dem Internet arrangiert und neu aufgestellt. Der Journalist und Schriftsteller Katsumasa Kusunose hat sich der einzigartigen Kissas angenommen und diese dokumentiert. Wir zeigen einige Fotos aus seinem wunderbaren Bildband „Jazz Kissas 2014“ und verschaffen Ihnen einen Blick in die Historie.
1929 waren die Japaner so heiß auf Jazz, dass sie, um den begehrten Aufnahmen zu lauschen, ins „Jazz-Café“ gingen und Schallplatten anhörten. Schallplatten und Café? Japan und Jazz? Völlig berechtige Fragen. Auslöser des Hypes auf Jazz waren die Bordbands der Transatlantikliner (Ozeandampfer), die unter anderem die Routen Yokohama – San Francisco und Osaka – Seattle bedienten. Gespielt wurde etwa „The Sheik von Araby“ von Spike Hughes, aber auch der symphonische Stil von Paul Whiteman kam gut an und so gelangte die Musik nach Japan.
Dass der Jazz dann via Schallplatte ins Café kam, hatte rein materielle Gründe. „Labor ingenium miseris dat“, wie es schon die alten Römer wussten: „Not gibt den Unglücklichen Einfälle“. Schallplatten und die passenden Abspielgeräte waren äußerst begehrt, nur am nötigen Kleingeld, da fehlte es vielen. Obwohl die Nachfrage (schon der Vorgänger von Denon, die Firma „Nipponophone“ verkaufte bereits 1912 rund 5000 Grammophone im Monat) groß war, konnte sich längst nicht jeder die begehrten Scheiben leisten, insbesondere die Jazz liebenden Studenten nicht.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Jazz war in diesen Jahren nicht die Musik des gesamten japanischen Volkes, sondern die der städtischen Mittelschicht. Es stehen ja auch nicht alle Deutschen auf volkstümliche Schlagermusik, dementsprechend frönen nicht alle Japaner ausschließlich den Klängen der Koto (Zither) oder der Shakuhachi (Bambusflöte).
Schallplatten waren kostspielig (Schellack, noch kein Vinyl). Ein Exemplar kostete um die 75 Sen, das war zwar schon deutlich billiger, als die 1 bis zwei Yen, die die zunächst einseitig bespielten Platten um 1910 gekostet hatten, aber selbst ein Facharbeiter verdiente 1929 gerade mal 50 Yen (1 Yen = 100 Sen; 2 Yen entsprachen seinerzeit 1 US-Dollar) im Monat. Importierte Jazz-Scheiben waren ungleich teurer. Zur Einordnung: Eine Straßenbahnfahrt schlug seinerzeit mit etwa sieben Sen zu Buche, für eine Tasse Tee wurden zehn Sen verlangt.
Wer also den damals populären Jazz zu Hause hören wollte, musste entweder selber in die Saiten greifen, oder ab 1929 in das frisch aus der Taufe gehobene „Blackbird“ in Tokio gehen, Japans erstes „Jazz Kissa“, das konsequenterweise in der Nähe der Uni eröffnet wurde. Was im Englischen ein wenig nach Schmusen – „Kissa“ – klingt, steht im Japanischen schlicht für „Tasse Tee“ (obwohl in den Kissas in der Regel eher Kaffee serviert wird). Das Blackbird war Japans erstes Jazz Café, in dem Schallplatten aufgelegt wurden, um gute Musik zu genießen. Es folgten bald darauf weitere Etablissements in der Hauptstadt, ebenso in Kobe und in Yokohama (ab 1933 das Chigusa). Alle hatten eines gemeinsam: Der Einsatz und die Auswahl von Geräten und Schallplatten hatte Vorrang vor der Darbietung von Live-Musik. Der Zweite Weltkrieg unterbrach den Erfolg der Jazz Kissas – Jazz war nun die Musik des Feindes. Die Fans versteckten die kostbaren Scheiben daher aus Angst vor Beschlagnahme. Vieles ging verloren, auch das „Blackbird“, das Gebäude wurde im Krieg vollständig zerstört.
Nach dem Krieg blieben die obsiegenden Amerikaner im Land und die Besatzer wollten unterhalten werden – mit der von ihnen favorisierten Musik. Dafür scheuten sie weder Mühen noch Kosten und „rekrutierten“ sogar Musiker von der Straße, die die Jazz-begeisterten Soldaten mit Noten ausstatteten, damit diese „ihre“ Musik intonierten. Das Kino übte zusätzlich Einfluss aus, ganz besonders das französische Film-Noir Genre, bei dem Jazz häufig den Soundtrack bildete. Ein Meilenstein der Ära: „Fahrstuhl zum Schafott“ von Louis Malle. Für diesen Streifen improvisierte der Jazz-Trompeter Miles Davis 1956 die Musik – ausschließlich beeindruckt durch die Bilder, keine Note wurde aufgeschrieben – ein Meisterwerk, das auch im Land der aufgehenden Sonne mehr als nur Anklang fand. Japan war nun längst auch für Interpreten interessant: „Art Blakey and the Jazz Messengers“ erkannten dies früh und gingen 1961 dort auf Tournee.
Von dem Jazz-Boom der 1950er und 1960er-Jahre profitierten auch die Kissas. Der japanische Schriftsteller, Fotograf und Herausgeber Katsumasa Kusunose hat sich der Geschichte der „Jazz Kissas“ angenommen und berichtet über diese in dem von ihm selbst verlegten Magazin #VINYL. Siehe Interview unten. Spannend ist sein Blog in dem er Zeitgenössisches von den Kissas gesammelt hat. Etwa Anzeigen aus Magazinen und auch Artikel von Redakteuren, die die Jazz Kissas besuchten und über diese berichteten. Hier exemplarisch eine Reportage aus dem Jazz Kissa „Swing“ (Link führt zum neu eröffneten Nachfolger mit historischem HiFi) in Tokio von Ende der 1950er-Jahre, aus dem deutlich zu lesen ist, dass der Fokus auch auf dem Equipment des Cafés lag:
„Das erste, was mir auffiel, als ich den Laden betrat, war die schiere Lautstärke der Musik und der wunderbare Klang. Und die Kunden drinnen sind völlig berauscht vom Jazz. Es geht nicht darum, dass sie Jazz hören, sondern darum, dass sie mit dem Jazz eins geworden sind. Der Herr des Hauses scheint sich sehr zu freuen, sie zu sehen. Der Hausherr rühmt sich damit, dass dies das beste Soundsystem in Tokio ist und dass man diese Art von Sound nirgendwo anders bekommt. Der Hauptverstärker ist ein Heathkit aus den USA und der Vorverstärker ist ein Scott aus Großbritannien (Anm. d. Red.: hier irrte der Autor, Scott war eine US-Firma), mit einer Leistung von 20 Watt, kein Wunder also, dass die Lautstärke so hoch ist. Bei den Lautsprechern handelt es sich um 15-Zoll-Lautsprecher von Altec Lansing und 12-Zoll-Lautsprecher von Jensen, so dass der Klang im wahrsten Sinne des Wortes „High Fidelity“ ist. Obwohl es sich um ein Café handelt, ist es immer gut besucht, denn mehr als 80 Prozent der Gäste kommen hierher, um Jazz zu hören.“
Ganz deutlich ist den Zeilen zu entnehmen, dass die Komponenten ausschließlich aus den USA stammten, japanisches HiFi steckte noch in den Kinderschuhen, doch es wurde schon eingesetzt und fand besondere Erwähnung:
„Es ist ein relativ kleiner Laden, aber er wurde vom Meister als Hobby entworfen, so dass er sehr stromlinienförmig ist und die Rhythmen, die von den Lautsprechern im Obergeschoss nach unten fließen, sehr gut klingen. Die Lautsprecher und Verstärker stammen von Pioneer, einem japanischen Unternehmen, und da sie mit Blick auf die Akustik entwickelt wurden, ist der Klang genauso gut wie bei ausländischen Produkten.“ (ehemaliges Jazz Kissa „Jean“ im Tokioer Stadtteil Kanda-Jinbōchō).
In den 1960er Jahren, als die Wirtschaft schnell wuchs und die Zahl der gebildeten Städter rapide zunahm, wurden auch die anspruchsvollen Jazz-Cafés von Intellektuellen und denen, die es werden wollten, stärker nachgefragt.
Bis heute sind Jazz Kissas für ihre überwältigenden LP-Sammlungen und ihre außerordentliche Vielfalt bekannt. Die Regeln allerdings waren und sind mitunter streng. Everett Taylor Atkins berichtet in seinem 2001 erschienenen Buch „Blue Nippon: Authenticating Jazz in Japan“ über die Hausordnung eines Jazz Kissa im Tokioer Stadtteil Shibuya: „Willkommen. Dies ist ein bedeutender Hörort. Bitte genießen Sie Ihren Jazz. Wir bitten Sie um Schweigen, während die Musik spielt.“
Der Genuss von Jazz in einem Kissa ist also eine ernsthafte Angelegenheit, auch wenn ein „Schweigegelübde“ heute eher die Ausnahme ist. Auch das alte Jazz Kissa „Chigusa“ war so ein Ort, an dem Ruhe erwünscht war. Ein ungeschriebenes Gesetz. Zu den unausgesprochenen Regeln, die die die Gäste jedoch gewissenhaft befolgten, gehörte es, der Musik schweigend zuzuhören und zu warten, bis man an der Reihe war, um einen Wunsch zu äußern, den man auf einen Zettel notierte. Es gab keinen Alkohol, Fingerschnipsen im Takt war unerwünscht.
Apropos Alkohol: Die Definition von „Jazz Kissa“ ist eigentlich klar, aber es gibt Missverständnisse im Bezug auf den Verkauf von Wein, Bier oder Whisky. Kissa-Fachmann Katsumasa Kusunose klärt auf: „Wenn man über die Merkmale der japanischen Jazz-Kissa spricht, weisen viele Leute darauf hin, dass sie „alkoholfrei“, also „abstinent“ sind, aber ich denke, das liegt vor allem am mangelnden Rechtsverständnis der japanischen Coffeeshops. Von der Antike bis heute werden japanische Coffeeshops per Gesetz in zwei Arten unterteilt: „Café“ und „Kissa“. „Café“ ist ein Lokal, das Alkohol und gekochte Speisen an Kunden ausschenken kann, während „Kissa“ ein Ort ist, der einfache Speisen ohne Kochen sowie Kaffee und Tee anbietet. „Kissa“ wird auch „Jun Kissa (reiner Kaffeeladen)“ genannt.
Damit sie Alkohol an ihre Kunden ausschenken durften, mussten sie eine gesetzliche Genehmigung als „neues Café“ erhalten. Mit anderen Worten: Der Grund, warum es in japanischen Jazz-Kissas keinen Alkohol gab, war nicht, dass sie von ihren Kunden verlangten, Jazz auf eine feierliche Art und Weise zu hören, sondern einfach, weil sie per Gesetz keinen Alkohol anbieten konnten. Seit den 1950er Jahren gibt es jedoch Jazz Kissas, die Alkohol an ihre Kunden ausschenken. Einige Läden, wie zum Beispiel der von Mamoru Yoshida, dem Besitzer des Chigusa, und der von Ito in Tokio, schenkten jedoch keinen Alkohol aus, weil sie betrunkene Kunden nicht in ihren Läden wollten.
Und der Grund, warum die Kunden Kaffee bestellten, war vor allem jener, dass der Kaffeepreis weniger als die Hälfte des Alkoholpreises betrug…” In ihrer Blütezeit, die bis Ende der 1970er ging, gab es in Japan mehr als 1500 Jazz Kissas. Danach nahm ihre Zahl langsam aber sicher ab. HiFi wurde billiger, woran die Japaner selbst nicht ganz unschuldig waren. Den größten Niedergang verzeichneten die Kissas jedoch erst in den 2000er-Jahren.
Auch das Chigusa musste dran glauben. Nach 74 Jahren war es Anfang 2007 um das alte Chigusa geschehen. Ebenso wie das klassisches HiFi waren viele Jazz Kissas nun Opfer der Digitalisierung geworden – der mobilen Musik, den MP3-Files und ihren Derivaten. Dauerbrenner wie der beliebte Plattenspieler Technics SL-1200 wurden in den Folgejahren vom Markt genommen, Surround und iPod beherrschten die Szene. Der analoge Musikgenuss, er schien ausgedient zu haben.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur „Reuters“, anlässlich der bevorstehenden Schließung, sagte der damals 65-jährige Chigusa-Mitarbeiter Masatomi Kaneshige: „Jetzt haben wir nur noch etwa zehn Stammgäste, die schon seit Jahren kommen. Junge Leute verirren sich kaum noch hierher. Für sie muss dieser Ort so seltsam und düster aussehen, mit alten Männern, die still dasitzen, Kaffee schlürfen und lebhaftem Jazz lauschen.“
Dabei hatte der 1994 verstorbene Gründer des Chigusa, Mamoru Yoshida, einst viel Leidenschaft und Arbeit in das Jazz Café gesteckt. Mit nur 20 Jahren eröffnete er 1933 das Chigusa. Seine Erstausstattung: Ein Grammophon und 100 Schellackplatten. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, hatte er bereits 6000 Schallplatten ergattert, die er schließlich in einem Keller verstecken musste. Nach dem Krieg wiedereröffnete Yoshida sein Jazz Kissa und schuf damit einen Zufluchtsort für amerikanische Besatzungssoldaten – und Musiker, die auf nahe gelegenen US-Stützpunkten spielten. Sie brachten dem Inhaber auch viele der aktuellen 12-Zoll-Schallplatten, wertvolle Ergänzungen für seine neue Sammlung. Junge japanische Talente wie die Pianistin Toshiko Akiyoshi und der Trompeter Terumasa Hino konnten dort etwa zu seltenen John Coltrane-LPs lauschen und lernten, Partituren zu schreiben. Diese Geschichte war 2007 zu Ende. Yoshidas Schwester, zu dieser Zeit bereits 77 Jahre alt, hatte weder Kraft noch Muße den Betrieb weiterzuführen. So ging es vielen anderen.
Doch das Märchen ist nicht auserzählt: Nur fünf Jahre später geht es mit den Jazz-Kissas wieder bergauf. Heute existieren etwa um die 600 Jazz Cafés. Auch das Chigusa gibt es wieder, nicht im selben Gebäude, das wurde abgerissen, aber es ist nun um die Ecke zu finden und wird nun von einem Verein geführt. Wie viele Kissas setzen die neuen Inhaber des Chigusa auf historische Komponenten, wie etwa Hörner von YL Acoustic (Yoshimura Labs), einer japanischen Firma, die in den 1960er Jahren Kinolautsprecher produzierte und sich von Western Electric inspirieren ließ. Als Laufwerk setzt man dort auf den Direkttriebler SP-25 von Technics, der 1979 auf den Markt kam.
JBL-Lautsprecher werden selbstverständlich auch verwendet, die Japaner lieben die Produkte der Boxenschmiede aus Kalifornien. Auch MacIntosh-Verstärker sind oft und gerne im Einsatz vieler Jazz-Kissas. So weit, so herkömmlich, trotzdem hat sich viel geändert. So gibt es nun in fast jedem Kissa WLAN; Homepages und die Präsenz in Social-Media-Kanälen sind ebenfalls gesetzt. Ebenso wurde das Angebot erweitert. Einige Kissas setzen zusätzlich auf Live-Events, andere bieten Malkurse an, die Bandbreite ist groß.
Und natürlich gibt es auch sie, die Superlative der Jazz Kissas, die in die Vollen des High-End gehen und weder Mühen noch Kosten scheuen, dem Gast das beste Klangerlebnis zu liefern. Ein Highlight ist da garantiert das Jazz Kissa „Tournez La Page“. Als Lautsprecher setzt man dort auf den deutschen Hersteller Avantgarde-Acoustic aus dem Odenwald. Es kommt das Modell Trio Classico XD mit sechs Basshörnern zum Einsatz. Vor- und Endstufe stammen von Accuphase: C-2800 und A-60. Der Plattenspieler: Avids Acutus. Tonarm: SME Serie M2. Mehr muss man dazu kaum sagen. Nur so viel: Wer da war, ist geplättet.
Die Jazz Kissas heute – ein Interview mit Katsumasa Kusunose:
Wir haben den Fotoband von Herrn Kusunose (Preis: 16,95 Euro zzgl. Versand) ausgiebig durchgearbeitet. Er bietet einen noch viel tieferen Einblick in die Welt der Jazz Kissas, als wir es hier darstellen können. Das Werk ist deshalb unbedingt zu empfehlen. Deshalb haben wir mit dem Jazz-Kissa-Fachmann noch ein Interview geführt:
LowBeats: Gibt es noch immer Jazz Kissas in denen Gespräche verboten sind?
Katsumasa Kusunose: „Viele Jazz-Kissa-Läden in den 1960er Jahren verboten Konversation und Tanz, aber diese Regeln wurden aufgestellt, weil viele Kunden dies wünschten. Heute gibt es noch zwei Jazz Kissas in Tokio, in denen Gespräche verboten sind. Aber das ist selbst für Japan außergewöhnlich.“
LowBeats: Sind denn die Besitzer alles Männer gehobenen Alters?
Katsumasa Kusunose: „Unter den Jazz Kissas in Tokio gibt es auch Läden mit jungen Inhabern. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie neben einer guten Auswahl an Audiogeräten und Schallplatten auch ein reichhaltiges und leckeres Angebot an Speisen und Getränken haben. Es gibt viele Geschäfte mit einer hervorragenden Gesamtbewertung. Und Läden mit einer langen Geschichte am selben Ort gibt es immer noch. Allerdings sind die Mieten in Tokio hoch, so dass es schwierig ist, einen Laden mit einem großen Raum und einem guten Klang zu finden.“
LowBeats: Und wie sieht es um die Zukunft der Jazz Kissas aus?
Katsumasa Kusunose: „In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Jazz Kissas, die bei Audiophilen beliebt sind, in ländlichen Gegenden zugenommen. Die Generation der Babyboomer baut ihr Haus um und eröffnet Jazz Kissas. Aber auch Audiophile in den Fünfzigern und Sechzigern, die jünger sind als die Babyboomer, eröffnen zunehmend Jazz Kissas. Derzeit werden jedes Jahr etwa vier bis fünf solcher Läden eröffnet.”
LowBeats: Zu Ihren Projekten: Wofür steht Ihr Magazin #VINYL?
Katsumasa Kusunose: „Bevor ich #VINYL veröffentlicht habe, habe ich Gateway To Jazz Kissa VOL. 1 veröffentlicht. Damit wollte ich den Lesern zeigen, dass es überall in Japan Jazz-Kissas gibt. Und jetzt gibt es immer mehr Läden, in denen die Kunden verschiedene Musikrichtungen auf Schallplatte hören können, nicht nur die Kategorie Jazz. Die Zahl solcher Läden nimmt nicht nur in Japan, sondern auch weltweit zu. Mit der Herausgabe dieses Magazins möchte ich den Lesern diese neue Welle in Form eines Magazins vorstellen. Und ich möchte nicht nur die Läden vorstellen, in denen Schallplatten gespielt werden, sondern auch das Vergnügen und den Lebensstil, mit Schallplatten zu leben. In diesem Magazin geht es nicht um irgendetwas sehr Ausgefallenes über Audio oder Schallplatten. Dafür gibt es schon genug Zeitschriften.“
LowBeats: Wie würden Sie die Entwicklung HiFi-Szene in Japan beschreiben?
Katsumasa Kusunose: „Das Interesse an Audiogeräten nahm in Japan in den 1960er Jahren zu und erreichte in den 1970er Jahren seinen Höhepunkt. Das ist die größte Begeisterung in der japanischen Geschichte überhaupt. Es geschah in der Zeit, als die japanischen Babyboomer in ihren Teenagerjahren bis Dreißigern waren. In den 1970er-Jahren verkauften sich JBL- und Tannoy-Lautsprecher und McIntosh-Verstärker gut. Die High-End-Audio-Produkte erweckten in dieser Zeit Träume nach heute seltenen Vintage-Geräten die sie sich damals nicht leisten konnten, als sie noch zu jung waren, um sich ihre Träume zu erfüllen. Jetzt sind sie aus dem Berufsleben ausgeschieden, haben sich von der Kindererziehung befreit und verfügen über Zeit und Geld. Unter ihrem Einfluss suchen auch die Generationen unter ihnen, die Fünfziger und Sechziger, die es sich leisten können, nach Vintage-Geräten. Die Babyboomer sind die treibende Kraft hinter der japanischen Audioszene. In Japan sind sie jetzt die Generation mit der größten Wirtschaftskraft, und ich denke, dass ihre Kaufkraft die Vintage-Szene überhitzt hat.“
LowBeats: Herr Kusunose, wir danken für das Gespräch.
Kleiner Nachtrag: Die Kommunikatiion mit Katsumasa Kusunose war so nett, dass wir nach Veröffentlichung des Textes (und seiner Freude darüber) ein Fläschchen von unserem derzeitigen Lieblingsbier gen Japan geschickt haben. Es kam heil an. Und Kusunose san deutete an, die Flasche angemessen in seiner Lieblings Jazz Kissa trinken zu wollen – auch, wenn es dort vielleicht gar nicht erlaubt sei…