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Das Linn Krystal am Linn Ekos SE
Das Linn Krystal ist das neueste und beste MC-Tonabnehmersystem. Es fehlt ihm nur der Systemkörper, sonst bringt es alles mit: Präzision, Klangfarben. Das überragende MC kostet 1.600 Euro (Foto: B. Rietschel)

Linn Krystal – MC-Abtaster auf Referenz-Niveau

Nur selten ist ein einzelner Tonabnehmer mit derart viel Vorschusslorbeer auf den Markt gekommen wie das Linn Krystal. Und nur bei ganz wenigen war der große Vorab-Hype so berechtigt.

Mit dem Linn Krystal ist Linn ein phänomenal guter MC-Tonabnehmer gelungen: Technisch perfekt, klanglich mitreißend, preislich – gemessen am Gebotenen – hoch attraktiv. Nur eines darf man nicht von ihm erwarten: dass er aus einem mittelprächtigen Spieler einen Superplayer macht.

Linn spielt auf dem Tonabnehmermarkt eine Sonderrolle: Der schottische Hersteller bietet zwar Abtaster in allen (zumindest allen gehobenen) Preisklassen an, weist aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hin, dass der Tonabnehmer wirklich das letzte sein sollte, das man an seinem Plattenspieler verbessert.

Auf das neue MC-System Krystal angesprochen, würde ein Linn-Berater also den meisten Interessenten diese Idee wieder auszureden versuchen und zunächst den existierenden Spieler, seine Laufwerks- und Antriebsmechanik, den Motor, dessen Stromversorgung sowie schließlich den Tonarm unter die Lupe nehmen und erst in letzter Instanz seine Aufmerksamkeit dem Tonabnehmer-System zuwenden.

Diese von der Marke über Jahrzehnte etablierte Hierarchie der klanglichen Relevanz ist nicht unumstritten und auch nicht frei von Ausnahmen und Sonderfällen. Auf jeden Fall ist sie aber ehrlich und im besten Interesse des Kunden, dessen Investitions-Schwerpunkt dadurch von dem vergänglichen Verbrauchsgut Tonabnehmer auf nachhaltigere, wertstabile Anschaffungen gelenkt wird: Ein guter Tonarm hält ein Leben lang und kann danach vererbt werden.

Dass für hochwertige Laufwerke das Gleiche gilt, zeigen die Linn-eigenen Spieler seit über 40 Jahren jeden Tag aufs Neue. Tonabnehmer dagegen, egal zu welchem Neupreis, gleiten von der ersten Plattenseite an unaufhaltsam einem unrühmlichen Ende entgegen, das sie mitunter schon nach wenigen Stunden ereilt (etwa durch Katzen, Kinder und andere Katastrophen) und selten weiter als 2000 Stunden entfernt ist.

Intensivhörer schaffen das in ein, zwei Jahren. Und auch wenn mit blitzsauberen Platten (Staub in der Rille wirkt als Schleifmittel!) in Einzelfällen deutlich höhere Werte erreicht werden, ist man rein statistisch mit der alten Faustregel gut bedient.

Vielleicht weil die Tonabnehmer nicht im Mittelpunkt der Marketingbemühungen stehen, leistet sich Linn ungewöhnlich lange Modellzyklen: Der Linn Krystal Vorgänger Klyde kam vor über 20 Jahren auf den Markt und wurde seitdem ohne offizielle Änderungen gebaut –  etwas Feintuning in der laufenden Produktion hat über die Jahre sicher stattgefunden, auch wenn Linn solche kleineren Evolutionsschritte traditionell nicht kommuniziert.

Mir war es damals vergönnt, bei einem Studentenjob in einem HiFi-Studio eines der ersten, frisch gelieferten Klyde zu montieren. Die ersten Plattenseiten damit glichen einer Offenbarung und zählen bis heute zu meinen farbigsten, intensivsten Klang-Erinnerungen.

Wenige Takte Tori Amos stellten mein klangliches Koordinatensystem auf den Kopf, das damals noch von überwiegend frustrierenden (und teuren) Experimenten mit japanischen Testsieger-MCs geprägt war: MC-Systeme konnten also doch fein auflösen, ohne dabei hell und zickig zu klingen. Sie konnten die Musik von innen zum Leuchten bringen, den klanglichen Kontrastumfang gegenüber MMs vervielfachen und damit auf völlig unaufdringliche Weise echter und griffiger klingen.

Zur Ehrenrettung der Japan-MCs sei jedoch gesagt, dass deren enttäuschender Klang in erster Linie gar nicht auf ihre Konstruktion, sondern auf einen Anfängerfehler zurückzuführen war: Weil ich mir damals keinen tollen, teuren Superspieler leisten wollte oder konnte, hatte ich sie an einer vergleichsweise bescheidenen Laufwerk-Arm-Kombi betrieben, die diesen Systemen schlicht nicht gewachsen war.

So gab es zwar eimerweise Hochtondetails, aber auch nach nächtelangen Justage-Sessions nur recht bemühte Abtastleistungen, zischende Sibilanten, beschränkte Dynamik – und die „Angst des Audiophilen vor dem Tutti“: Bahnte sich ein orchestraler Höhepunkt an, ahnte man schon, dass der Klang gleich wieder völlig aus dem Leim gehen würde und hörte prophylaktisch weg – was für den Musikgenuss natürlich völlig kontraproduktiv war.

Das Klyde dagegen hatte ich im Laden an einem LP12 mit Ekos-Tonarm montiert – die enorme Dynamik, die diesem Laufwerk inhärent ist und die absolute Führungsautorität seines Tonarms prägten die ersten Höreindrücke entscheidend mit.

Das Linn Krystal perfekt justiert
Das Linn Krystal hat zum Einbau in Linn Tonarm-Headshells eine drtte Schraube, die die Justage drastisch erleichtert (Foto: R. Rietschel)

Für das Linn Krystal empfiehlt der Hersteller dann auch nicht die mit Pro-Ject-Arm bestückte Einstiegsversion des LP12, sondern als Mindestanforderung die mittlere „Akurate“-Ausstattung mit Kore-Subchassis, Lingo-Netzteil und dem hauseigenen Akito-Arm neuester Bauart. Statt eines neuen Akito darf es natürlich auch ein älterer Ittok oder Ekos sein – oder gleich der aktuelle, sündhaft teure Ekos SE, den Linn vorsichtshalber mitschickte – man weiß ja nie, was die Tester an Equipment herumstehen haben.

Rein geometrisch-mechanisch passt das kompakt gebaute Linn Krystal natürlich auch an jeden anderen mittelschweren Tonarm. Hier ausdrücklich eingeschlossen ist der auf LP12-Laufwerken häufig zu findende Naim Aro, der wegen seiner fehlenden Überhangverstellung beim Tonabnehmer etwas wählerisch ist. Dass das Linn Krystal und der Naim Aro perfekt zusammenpassen, ist natürlich kein Zufall, denn der Aro wurde damals für das Linn Troika ausgelegt, dessen Geometrie das Krystal (wie zuvor bereits die Linn-MCs Arkiv, Akiva und Kandid) eins zu eins übernimmt.

Auch die mit dem Troika eingeführte Dreipunkt-Befestigung findet sich am Krystal wieder: In Linn- und Naim-Armen zieht damit eine dritte Schraube hinten mittig das System noch fester ans Headshell und lässt als angenehmen Nebeneffekt die Überhangjustage komplett entfallen. In Armen ohne das dritte Befestigungsloch lässt man die zugehörige Schraube einfach weg.

Wobei die drei präzise definierten, über den Systemrücken leicht erhabenen Kontaktflächen ein nicht unwichtiger Teil des Konzepts hinter dem Linn Krystal ist. Und auch das Material der Montageplatte, ein sehr hartes, wärmebehandeltes 7075er Aluminium nicht zum Spaß gewählt wurde: Aus einem Klotz der exakt gleichen Legierung fräst Linn auch die Headshell des Ekos SE, was Arm und System fast zu einer mechanischen Einheit verschmelzen lässt.

Alle mechanischen Verbindungen, alle verwendeten Materialien sind konsequent auf maximale Steifigkeit und Verlustarmut optimiert. Allein die Suche nach einem möglichst steinhart aushärtenden Kleber für die wenigen Stellen, an denen dieser benötigt wird, kostete Entwickler und Maschinenbauingenieur David Williamson etliche Prototypen und einen entsprechenden Anteil der über zweijährigen Entwicklungszeit.

Jede noch so mikroskopische Rillenauslenkung, die nicht exakt proportional in eine Relativbewegung zwischen bewegter Spule und statischem Magnetfeld übersetzt wird, bedeutet bei einem Tonabnehmer verlorene oder verfälschte Signalanteile.

Das einzig Nachgiebige und Schwingende sollte die der Modulation folgende Nadel und die mit ihr verbundenen Spulen sein, das einzig Dämpfende der kleine Dämpfungsgummi, der verhindert, dass sich die Nadel mit ihrer Eigenresonanz aufschwingt und aus der Rille springt.

Konsequenterweise hat David Williamson sich daher auch gegen ein konventionelles Gehäuse entschieden. Der Generator ragt also offen aus der Montageplatte heraus, aber anders als bei vielen anderen „nackten“ Systemen hat Linn auch für einen sicher sitzenden, unfallfrei abnehm- und aufsteckbaren Nadelschutz gesorgt.

Die Nadel selbst besteht aus einem relativ großkalibrigen Alu-Träger und einem schönen, kristallorientiert ausgerichteten Diamantstift. Die Verbindung zwischen Diamant und Träger ist klangentscheidend, hier treten immense Beschleunigungen und während des Abtastvorgangs auch hohe Temperaturen auf.

Das Linn Krystal von der Seite
Der Linn Krystal ist ein Abtatser ohne klassischen Systemkörper. Das gibt tiefe Einblicke in die Technik (Foto: Linn)

Linn hat sich für eine besonders überzeugende Lösung entschieden, die nicht nur unter dem Mikroskop toll aussieht, sondern auch maximale mechanische Festigkeit und eine präzise definierte träge Masse garantiert: Anstatt den Edelstein vorne mit reichlich Klebstoff irgendwie anzupappen, lässt Linn ihn mit einer Art Presspassung durch das abgeflachte vordere Ende des Trägers ragen.

So stehen Alu und Diamant in direktem, innigem Kontakt und bilden eine hochsteife, langzeitstabile Einheit. Nebenbei treffen so zwei exzellente Wärmeleiter direkt aufeinander, was die Temperatur an der Abtastflanke (die allerdings nur schwer zu messen ist) erheblich senken müsste.

Wie sein Vorgänger Klyde ist das Linn Krystal klassisch niederohmig und damit relativ „leise“ ausgelegt, mit einer Spulenimpedanz von etwa 5 Ohm und einer Ausgangsspannung von 0,4mV. So lässt sich ein filigraner, kreuzförmiger Spulenträger verwenden, der nur wenige Windungen hauchfeinen Kupferdrahts mitschleppen muss – das Resultat ist ein massearmer, agiler und auch wegen der geringen räumlichen Ausdehnung seiner Spulen sehr linearer Generator.

Ebenfalls zur Verzerrungsarmut beitragen dürfte der aus dem Klyde übernommene Vital-Nadelschliff, der zur Familie der Fineline-Nadeln gehört und der Rillenflanke mit einer in Laufrichtung recht kurzen, dafür in der Vertikalen sehr hohen Berührungsfläche begegnet.

Montiert wird das Linn Krystal wie beschrieben mit zwei oder besser drei der mitgelieferten, nichtmagnetischen Inbusschrauben. Mit winzigen Muttern muss man sich nicht herumplagen, da Linn (anders als noch beim Klyde) M2.5-Gewinde direkt in die Montageplatte geschnitten hat. Dadurch fallen zwar einige wenige Arm-Exoten aus der Auswahl heraus, aber dafür ist der Einbau viel sicherer, einfacher und schneller.

An Linn-Armen – meinem eigenen, schon etwas betagteren Arbeits-Ekos ebenso wie am neuen Ekos SE – war der Tonabnehmer in nicht mal fünf Minuten bereit für den ersten Rillenkontakt und – nach einigen Platten – etwas Feintuning an Auflagekraft und VTA alias Tonarmhöhe voll einsatzbereit.

Und hat sich der Aha-Effekt wiederholt, den damals das Klyde auslöste? Das wäre etwas zu viel verlangt, denn über 20 Jahre später, mit Hunderten getesteter Tonabnehmer im meinem geistigen Archiv – und einigen Dutzend davon physisch verfügbar – weiß ich natürlich besser, was MC-Systeme unter optimalen Bedingungen leisten können.

Womit ich aber noch vor wenigen Jahren nicht gerechnet hätte, ist, dass die Kunst des Tonabnehmerbaus noch einmal einen derartigen Entwicklungsschub erfahren würde. Vielleicht war es das Lyra Delos, das die Startglocke läutete, vielleicht auch ein anderes System zu dieser Zeit – jedenfalls kam ganz unerwartet eine Generation von MCs, die dynamischer, müheloser und drastisch verzerrungsärmer abtasteten als ihre Vorgänger.

Auch Goldring, der Betrieb, der das Linn Krystal fertigt, wurde nach vielen weitgehend ereignislosen Jahren von diesem Qualitäts-Strudel mitgerissen, was sicher auch anspruchsvollen OEM-Kunden wie Jochen Räke oder eben David Williamson anzurechnen ist.

Und so ist das Krystal zum Paradebeispiel und zum vorerst drastischsten Exponenten dieser Entwicklung geworden. Indem es einen Klang, eine Abtastsicherheit, eine Sauberkeit liefert, die noch vor Kurzem nicht zu diesem Preis und auch nicht zum Doppelten oder Dreifachen davon möglich gewesen wäre.

Die Verzerrungsarmut des Linn Krystal muss man nicht aufwendig messen. Sie ist offensichtlich für jeden Musikfreund mit etwas Hörerfahrung. Denn nur mit extrem geringem Klirr lassen sich opulente Detailfülle und geschmeidig-weicher Klang widerspruchsfrei zusammenbringen.

Cover Art Alasdair Roberts Pangs
Alasdair Roberts Pangs (Cover: Amazon)

Nur so lässt sich die enorm fein differenzierte Klangfarben-Palette erklären, die aus zuvor nicht unterscheidbaren Instrumenten ganz klare, individuelle Timbres herauskitzelt, und die unscheinbare, verhuschte Produktionen wie Alasdair Roberts‘ neues Album Pangs ebenso wirk- wie behutsam aus der Obskurität heraushebt. Mit audiophilen Schlachtross-Scheiben kann man toll vorführen und zum Teil  – etwa mit dem Opus3-Klassiker (Knud Jörgensen Trio) auch immensen Hörspaß haben.

Viel schwieriger ist die Aufgabe für alle Anlagen-Komponenten aber mit jenen Aufnahmen, die auf das suggestive Feuerwerk (gewollt oder als Ergebnis der Umstände) verzichten und Gehör und Gehirn nur zarte Indizien liefern. Letztere waren dann auch die Scheiben, mit denen das Linn Krystal seinen Vorgänger am Deutlichsten distanzierte, und mit denen auch ältere und teurere Linn-Top-MCs wie das Akiva sich nicht mehr abzusetzen vermochten.

Fazit Linn Krystal

Aber wie gesagt: Linn will eigentlich gar nicht, dass Sie ein Krystal kaufen. Zumindest nicht, wenn Sie dafür andere wichtige Upgrades auf die lange Bank schieben. Und damit haben die Schotten recht – beim Linn Krystal sogar noch mehr als bei anderen Tonabnehmern.

Stehen dagegen ein hochwertiges Laufwerk, ein Arm zumindest auf Akito-Niveau und ein erstklassiger Phono-Preamp bereit – letzterer idealerweise mit jenen 200Ω Abschlussimpedanz, die sich im Test als besonders stimmig erwiesen –, wird das Krystal für Ihren Analogklang Wundersames leisten.

Linn Krystal
2017/05
Test-Ergebnis: 4,9
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Klang
Praxis
Messwerte

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Extrem verzerrungsarm, spielfreudig, abtastsicher
Tonal neutral, ohne die bei MC häufige Brillanzbetonung
In Linn-Armen sehr einfach und absolut präzise montierbar
Überragende Preis/Klang-Relation

Vertrieb:
Linn Deutschland
Telefon: 040 / 890660113
Email: [email protected]
www.linn.co.uk/de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Linn Krystal: 1.600 Euro

Mehr zu Linn:

Zu Besuch bei Linn: die Factory Tour

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Test: Rega Apheta2

Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.