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Monatsrückblick: die besten Alben des Dezembers 2024

Es herrscht diese wunderbare, Ruhe stiftende Zeit, die „zwischen den Jahren“. Lassen wir uns auf diese „Raunächte“ und -Tage ein – mit neuer Musik verschiedenster Art: Die besten Alben des Dezember 2024, von denen sogar drei ganz hervorragend klingen…

Die besten Alben des Dezembers 2024 sind:

Tori Amos – die Piano-Singer-Songwriterin scheint mit ihren Bösendorfer(n) & Co verschmolzen zu sein. Besonders on Stage, eindrucksvoll zu hören auf ihrem frischen Album „Diving Deep Live“.

Simon Joyner fängt mit „Coyote Butterfly“ einen melancholisch-gehaltvollen Folk/ Singer-Songwriter-Schwarm ein.

Rolf Kühn nahm mit „Fearless“ sein letztes Album auf – der verstorbene Klarinetten-Virtuose hinterlässt damit ein anrührendes, audiophiles Jazz-Happening.

Laura Nyro gilt als Singer-Songwriter-Pionierin und musikalische Blaupause für Nachfolgerinnen wie Kate Bush, Suzanne Vega oder Tori Amos. Ein opulentes Box-Set mit 19 CDs und Buch eröffnet das reiche Universum der bereits 1997 verstorbenen Musikerin.

Starten wir also mit Tori Amos. Sie zählt neben anderen KollegInnen wie Alanis Morissette, Fiona Apple oder Heather Nova zu den weiblichen Singe-Songwriter-Entdeckungen der frühen 1990er Jahre. Der verstorbene AUDIO-Musikredakteur Claus Böhm, Freund und Kollege dieses Autors reiste der damals unbekannten Piano-Popperin unter schwierigen Umständen im Winter 1991/92 bis ins neblige Großbritannien für ein Interview zum ersten Album „Little Earthquakes“ nach. Für eine Fotosession ein paar Jahre später trafen wir die gebürtige US-Amerikanerin und dann bereits bekannte Künstlerin in der Stuttgarter Liederhalle während einer Probe.

Tori Amos „Diving Deep Live“ Cover
Tori Amos „Diving Deep Live“ erscheint bei Decca/ Universal als Doppel-CD und Doppel-LP sowie als Stream oder Download, zum Beispiel auf qobuz.de

Über die Jahre brillierte Myra Ellen Amos alias Tori Amos als Vokalakrobatin und virtuose Pianistin immer wieder mit hinreißenden Alben, allen voran das Debüt sowie weitere Frühwerke wie „Under The Pink“ (1994), „Boys For Pele“ (1996) oder „From The Choirgirl Hotel“ (1998). Aber auch spätere Alben wie „Scarlet’s Walk“ oder „Native Invader“ überzeugten. Live ließ Tori ebenso meist aufhorchen, prima zu hören auf diversen (noch dazu klangstarken) Bootlegs der 90er Jahre. „Diving Deep Live“ vereint nun Songs, eingefangen während ihrer Tour „Ocean To Ocean“ in den Jahren 2022 bis ’23. Die Setlist umfasst die knackige Anzahl von 16 Stücken, die rund zwei Stunden füllen. Darunter tummeln sich Hits aber auch B-Seiten wie „Cornflake Girl, „Pandora’s Aquarium“, „Silent All These Years“ oder das epische, knapp zehnminütige „Ocean To Ocean“. Im Team mit Bass und Drums klingt das meist mitreißend und – typisch Tori – wandlungsfähig im Vergleich zu früheren Versionen. Ihre Stimme trotzt dem Alter mit elastischen Stimmbändern phrasierungsstark.

Auch wenn die erwähnten Bootlegs oder auch das klasse Live-Werk „To Venus And Back“ (mit 24 Songs) von 1999 etwas roher und sprühender wirken, gibt’s hier ein prima aktuelles Live-Statement. Zumal der Klang ebenso punktet, mit toller Auflösung, feiner Stimmartikulation, Farbauthentizität und Atmosphäre.

Video-Visualizer zum Song „Cornflake Girl“:

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Wer kennt Simon Joyner? Wohl nicht allzu viele. Obwohl der 53-Jährige US-Folkie seit gut 30 Jahren Bühnen und Studios bespielt und einige hochkarätige Singer-Songwriter-Alben aufgenommen hat. Wie dieses. Allerdings komponiert vor dunklem Hintergrund: 2022 starb sein Sohn Owen an Drogenkonsum. Die Frage wie das Leben nun weiter gehen soll, zieht sich mit zart besaiteten Schockwellen der Tragödie durch das Album.

Simon Joyner „Coyote Butterfly“ Cover
Simon Joyner „Coyote Butterfly“ erscheint bei BB*Island als CD oder LP sowie als Stream oder Download, zum Beispiel bei qobuz

Dennoch schimmert Licht durch die Strophen, leuchtet Hoffnung auf. Die Zutaten seines melancholisch-kraftvollen Auftritts formen sich aus seiner sonoren Stimme, die auf den Spuren von Leonard Cohen oder Mark Kozelek der wunderbaren Red House Painters wandelt. Dazu gesellt sich die Akustikgitarre als ausdrucksstarker Partner, Field-Recordings oder sparsam eingesetzte Begleitinstrumente. Das war’s. „Coyote Butterfly“ wirkt beseelt und streckt akustisch die Hand aus und ermuntert selbst erfahrenen Schmerz und Ängste wieder in einen hellen Horizont zu führen.

 

Video (Audio only) zum Song „A Broken Heart Is Best Kept Out Of Sight“:

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Rolf Kühn sollte mit „Fearless“ sein letztes Album aufnehmen. Im Juni 2022 traf er sich im Berliner Hansa Studio mit seinem Quartett. Der Jazz-Klarinetten-Virtuose verstarb wenig später im August mit knapp 93 Jahren. Das Album verkörpert ein anrührendes Jazz-Happening im wunderbar audiophilen Klangbild.

Seine Weggefährten und seine Familie, Frau Melanie, Bruder Joachim, seine Band und Arrangeur Jörg Achim Keller kuratierten das Album und stellten es respektvoll fertig. 2023 wurde der „Gentleman des Jazz“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) posthum für sein Lebenswerk mit dem Deutschen Jazzpreis geehrt, zusammen mit seinem Bruder, dem Pianisten Joachim Kühn: „Schon seit Anfang der Sechziger Jahre ist mein Bruder Rolf für mich der weltbeste Jazzklarinettist.

Das ist auch bis heute so geblieben. Sein Ton ist unübertroffen und sofort erkennbar. Jetzt, mit 92 Jahren, seine letzte Platte. Ganz neue, eigenständige Kompositionen. In seinen Solos hört man so viel Seele und Feeling wie noch nie. Ein wahres, großartiges Vermächtnis.“ Während der Aufnahmen betonte Rolf Kühn selbst, dass er diesmal das Material als persönliches Experiment geschrieben habe, zum ersten Mal nichts am Klavier komponiert, sondern die Musik direkt notiert hätte. „Das Klavier war immer das Kontrollinstrument. Jetzt habe ich das Gefühl, ich brauche es nicht mehr“.

Der Moment und die Intuition hatten Vorrang, im Teamspiel mit Bassistin Lisa Wulff, Perkussionist Túpac Mantilla sowie Pianist Frank Chastenier. Ein virtuoser, scharf konturierter und gleichzeitig warmer Klarinettenton, der sich auch in leisen Tönen kristallin und akzentuiert ausdrückt – so schreibt seine Biografin Maxi Broecking in den Liner Notes. Kann man so sagen. Das gilt auch für die Coverversionen von Leonard Bernstein („Somewhere“, in den 1950er Jahren für die „West Side Story“ geschrieben) oder Eric Clapton („Tears In Heaven“).

Rolf Kühn „Fearless“ Cover
Rolf Kühn „Fearless“ erscheint bei MPS als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.de https://tidd.ly/3Dcs8Mw

„Alphy 47“ blüht, flirrt, zappelt, um sich dann vom klug-stoischen Groove ablösen zu lassen. Mit „Fun For Kids“ geht die Post richtig ab, mit insistierendem Piano, Trommel-Wirbel, um dann von Bass-Brummen aufgehalten zu werden. „Somewhere“ wärmt uns wieder auf, beruhigt, lässt das Herz schwelgen, Besen rühren, Piano, Streicher, dann die Klarinette – seine. Sonor, markant aber stets ein bisschen behutsam. „Fearless“ wippt und pumpt, der Bass bebt, Zeit und Raum werden experimentell eins. „Simply Red Plus“ kommt gewitzt daher, mit staksigem Piano, knurrigem Bass und tänzelnder Klarinette, bevor Drums pointiert hereinpoltern. „Free Exit“ berührt mit jazzigem Flow, kein Bein kann da stillhalten, der Kopf wippt mit – auch dank des fein aufgelösten, plastischen Klangs.

Video zum Stück „Somewhere“:

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Laura Nigro alias Laura Nyro gilt als Singer-Songwriter-Pionierin und Blaupause für Nachfolgerinnen wie Kate Bush, Suzanne Vega oder Tori Amos. Nun eröffnet ein opulentes Box-Set die Welt der Musikerin aus der New Yorker Bronx. Bereits als Teenager betrat sie selbstbewusst die Musikbühne mit einem eigenständigen Stil-Oeuvre zwischen Pop, Soul, Blues, R&B, Jazz – und Folk. Ihre Stimme tanzte gerne expressiv gut drei Oktaven rauf und runter, begleitet von ihrem energetischen, facettenreichen Klavierspiel.

Kein Wunder, dass der ebenfalls 1947 geborene Piano-Popper Sir Elton John beherzte Vorworte für das opulente Box-Set fand: „Laura Nyro schrieb Lieder, die keine fixe Kompassrichtung hatten. Sie sind bis heute so einzigartig und absolut fesselnd, wie damals, als ich sie in den 60er Jahren zum ersten Mal hörte.“ Und die trugen auch Stars wie The 5th Dimension, Three Dog Night, Barbra Streisand, Blood, Sweat / Tears oder Peter, Paul & Mary in die Welt. Zudem inspirierte der Singer-Songwriter-Frischling einst KollegInnen wie Bob Dylan, Joni Mitchell und später Alicia Keys oder St. Vincent.

Ihr Vater Louis war Jazztrompeter in New York, Tochter Laura vertiefte sich in die Poesie und brachte sich selbst das Klavierspielen bei – mit Vorbildern ihrer Mutter wie Nina Simone, Judy Garland oder Billie Holiday. Das führte sie in die „Manhattan High School of Music & Art“ und letztendlich auch zu Einflüssen von Folk und Jazz. 1966 nahm sie der damalige Label-Mann Artie Mogull unter die Fittiche, nachdem er ein paar Songs von Laura hörte. Die Profiabteilung verschaffte ihr so Auftritte in San Francisco oder dem Monterey Pop Festival. Später übernahm David Geffen (u.a. Jackson Browne) das Management – nun ging es nochmal richtig los. Doch bereits mit Mitte Zwanzig begab sie sich weitgehend ins Private.1997 starb sie mit nur 49 Jahren.

19 CDs mit remasterten Songs und ein 90-Seiten-Buch eröffnen ihre schillernde Welt, die lediglich ein Zeitfenster von rund zwölf Kernjahren betrug: Die zehn Original-Alben, sechs Live-Alben mit zwei bislang unveröffentlichten Konzerten, Lauras Demo-Tape aus dem Jahr 1966 plus einer Bonus-CD mit Raritäten wie Mono-Takes, alternativen Versionen oder weiterem Live-Material. Das Buch vereint ebenso rare Fotografien, auch aus dem Familienbereich von Laura sowie Widmungen, unter anderem von Jackson Browne, Randy Brecker, Scott Billington oder Gary Burden.

Laura Nyro „Hear My Song: The Collection“
Laura Nyro „Hear My Song: The Collection“ erscheint mit 19 CDs und opulentem Buch bei Madfish Records.

Der Klang variiert von durchschnittlich bis richtig gut wie auf „Christmas – The Beads Of Sweat …“, luftig, gut aufgelöst, die Stimme klar artikuliert. Live-Takes wie „Fairmont Hotel“ strahlen eine schöne Atmosphäre und Spielfreude aus. Toll auch viele Demos und die Live-Raritäten. Klasse das dunkel wabernde „Captain For Dark Mornings“ vom Klasse-Album „New York Tendaberry“.

Laura Nyro
„Hear My Song: The Collection“
2024/12
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang (Durchschnitt)
Repertoirewert

Gesamt

Video mit zwei Songs vom Monterey-Festival:

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Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.