Die gute Nachricht: Die Tage werden wieder länger. Immerhin. Noch besser: Egal, ob im hyggeligen Wohnzimmer oder draußen on the road again – der kühle Januar lockt mit neuen Klasse-Alben, die für die nächsten Wochen den genussvollen Soundtrack liefern. Mindestens. Der musikalische Rückblick auf die Alben des Monats Januar 2025.
Als da wären:
– Ringo Starr. Mittlerweile 84 und – Gottseidank – kein bisschen leise: Der Ex-Beatle wirft ein schwingendes Lasso auf die Country-Musik – sein Solo-Album „Look Up“ galoppiert mit Promi-KollegInnen wie T Bone Burnett zielsicher nach Nashville.
– Bonnie Prince Billy lässt mit „The Purple Bird“ ein schillerndes Americana-/Folk-Album aufflattern. Noch dazu im klasse Klangbild.
– Iggy Pop entfacht als ultrarüstiger Alt-Rocker auf „Live In Montreux Jazz Festival 2023“ ein aufrüttelnd, teils ekstatisches Rock-Beben – im jugendlichen Alter von 77 Lenzen.
… Thin Lizzy liefern fast vier Dekaden nach dem Tod ihres Leadsängers Phil Lynott ein Unplugged-Album ab: „The Acoustic Sessions“ beeindruckt als technisch multi-hybrid kreiertes Akustik-Werk.
Die Alben des Monats Januar 2025:
Starten wir aber mit dem Ex-Pilzkopf Ringo Starr. Im Alter von sechs Jahren musste sich der kleine Richard angeblich einer Blinddarmoperation unterziehen und erkrankte sogar an einer Bauchfellentzündung, die ihn kurzzeitig ins Koma fallen ließ. Die Rocklegende besagt zudem, dass der Knabe ab 1953 zwei Jahre in einem Sanatorium verbringen musste, um sich von einer Tuberkulose zu erholen. Glück im Unglück: Dank der Krankenhaus-Musikkapelle bekam er Lust aufs Schlagzeug-Spielen. In den späten 50ern setzte er sein junges Talent bereits bei der britischen Skiffle-Band Rory Storm and the Hurricanes ein. 1960 war die Wirbelsturm-Truppe dann schon fest im Sattel in Liverpool. Im August 1962 wurde er gefragt, ob er denn für den damaligen Beatles-Drummer Pete Best einspringen könnte. Er sprang. Der Rest ist Geschichte. Ringo schwamm mit George, John und Paul einst auf der Beatles-Mania-Welle. Er trommelte im Band-Backup vehement, intonierte eigenständig Songs wie „Yellow Submarine“ und schrieb Stücke für die Fab Four. Nicht viele, aber immerhin zum Beispiel „Don’t Pass Me By“ und „Octopus’s Garden“.
Solo legte er dann 1970 im Jahr des Beatles-Splits entfesselt los – nach seinem Pop-Debüt im März („Sentimental Journey“) sogar mit einem Country-Album im Herbst des gleichen Jahres, auch wenn der Titel „Beaucoups Of Blues“ anderes verhieß. Übrigens gab’s dazu 1995 ein Reissue von Capitol Records mit zwei Bonustracks: „Coochy Coochy“ und „Nashville Jam“.
Und nun hat der 84-jährige Drummer, Sänger und Komponist mit T Bone Burnett die Country-Pferde gesattelt. Seine Liebe für Country-Luft zieht sich durchs musikalische Leben von Ringo. Bereits mit den Beatles zu hören auf „Act Naturally“ oder „What Goes On“. Es ging sogar so weit, dass er in jungen Jahren viel Zeit in Texas verbrachte, nachdem er hörte, dass Lightnin’ Hopkins in Houston wohnte. „Ich habe Country-Musik schon immer geliebt. Und als ich T Bone bat, einen Song für mich zu schreiben, dachte ich nicht einmal daran, dass es ein Country-Song sein würde – aber natürlich war er es, und er war so schön“, erinnert sich Ringo. „Ich hatte zu der Zeit EPs gemacht und dachte, wir würden eine Country-EP machen – aber als er mir neun Songs brachte, wusste ich, dass wir ein Album machen mussten! Und ich bin so froh, dass wir das getan haben. Ich möchte T Bone und all den großartigen Musikern, die an diesem Album mitgewirkt haben, danken und ihnen Peace & Love schicken. Es war eine Freude, es zu machen, und ich hoffe, dass es eine Freude ist, es zu hören.“ Und Burnett erwidert: „Diese Musik mit ihm machen zu können war so etwas wie die Verwirklichung eines 60-jährigen Traums, den ich gelebt habe.“

Würden wir Ringo nicht als ehemaligen Beatle kennen, käme man angesichts seines Country-Ausflugs eher weniger auf die Idee, dass er bei den Pilzköpfen die Trommel rührte. Wobei diese Zeit seine DNS natürlich geformt hat. Doch reden wir nicht über die Beatles. Im Interview des Autors mit ihm zu seinem 92er Album „Time Takes Time“ wollte er das übrigens auch nicht so recht …
Schwingen wir also das Lasso und hören wir rein. „Look Up“ durchdringt die Songwriter- und Produzenten-Kunst von T Bone Burnett. Der 77-Jährige blickt auf rege musikalische Bekanntschaften und Teamworks mit KollegInnen wie Roy Orbison, Elvis Costello, Bob Dylan, Pete Townshend, Ry Cooder oder Richard Thompson und Alison Kraus plus Robert Plant („Raising Sand“) zurück. Um nur einige zu nennen. Alison Krauss wiederum bestreitet den Fade-Out-Song „Thankful“ des Albums, ein Teamwork mit Ringo. Der sang und trommelte bei allen elf Songs eindrucksvoll und nimmermüde. Zudem eilten Nashville-Promis wie Bluegrassler Billy Strings, das rührige Duo Larkin Poe oder Banjo-Plyerin Molly Tuttle fiebernd herbei. So jubiliert die Pedal-Steel, die Blue-Grass-Gitarre rockt und Sanftmüter wie „Time On My Hands“ besorgen den chillig-bluesigen Ausgleich.
Video zum Song „Look Up“
Bonnie Prince Billy, im richtigen Leben Will Oldham getauft, flattert mit „The Purple Bird“ wieder einmal in gehaltvolle Americana- und Folk-Gefilde. Der umtriebige Musikus mit seiner leicht heiser wirkenden, angerauten Stimme lässt sein neues Vögelchen unter den Produzenten-/Recording-Fittichen von David „Ferg“ Ferguson fliegen (Johnny Cash, U2, Anna Ternheim). Ähnlich wie beim neuen Longplayer von Ringo Starr hat das eine starke akustische Nashville-Note. Angeblich brüteten die beiden die meisten der neuen Songs intensiv am Küchentisch von „Ferg“ aus. Der wehrte sich ein bisschen gekünstelt: „Ich will keine Country-Platte machen, mach einfach deinen Scheiß, Will …“

Doch der „Scheiß“ ist durchaus heiß: Im Team mit verschiedenen KollegInnen und einem reichen Instrumentarium mit Mandoline, Fiddle, Akustik-, Steel- und E-Gitarren, Posaune, Bass, Schlagwerk, Piano plus Extra-Vocals formten die beiden ein vitales Happening. „Tonight With The Dogs I’m Sleeping“ geriet zum gehaltvollen Country-Ausritt, „The Water’s Fine“ sprudelt vital und das schwoofige „New Water“ fließt flugs mit sehnender Fiddle in die Songliste. Und: Als Leckerli für eingefleischte Country-Fans gibt’s das Teamwork mit Genre-Ass John Anderson auf „Downstream“.
Video „Our Home“ mit Tim O’Brien
Iggy Pop rockt den Rollator mit nacktem Oberkörper weg: Was früher eher die Ausnahme war, scheint sich in der Boomer-Generation der Rocker mit Geburtsdaten in den 1940er Jahren als Normalzustand zu etablieren: Nämlich es in den 1970ern – und wie Ringo Starr oder Mick Jagger – in den 1980ern ihres energetischen Lebens nochmals krachen zu lassen. Als dritter Frühling sozusagen. Das ist gut so. Zumindest bei den zuletzt Genannten. Im Falle von Iggy Pop blitzt da aktuell ein Highlight auf, live eingespielt im Rahmen des legendären Montreux Jazz Festivals, das schon lange MusikerInnen anderer Genres Zutritt auf seine heilige Bühnen gewährt.
Los ging’s bei Mister Pop 1970 mit „Fun House“, dann 1977 zwei Alben – „The Idiot“ und „Lust For Life“, alle drei tipptopp! Das Spätwerk „Brick By Brick“ von 1990 ist auch klasse, ebenso „Live At The Old Waldorf in San Fran“ von 2011. Mit „Post Pop Depression“ von 2016 startete er wieder durch und veröffentlichte 2023 sein letztes Studowerk „Every Loser“.

’23 stattete Iggy auch wieder mal Montreux einen Besuch ab. „Die Stravinsky Hall ist etwas Besonderes, wie die Carnegie Hall oder die Garden Halls oder die Sydney Opera. Ich habe alle in ihnen getaucht“, so Iggy recht selbstbewusst. Der gereifte US-Rocker meint damit den altehrwürdigen Theatersaal „Auditorium Stravinski“ in der Grand’ Rue 95 in Montreux, am Ufer des Genfer Sees. Bis zu 4000 musikbegeisterte Seelen können hier ihren Helden lauschen. Auf der historischen Bühnen-Gästeliste stehen Namen wie James Brown, B.B. King, Keith Jarrett, David Bowie, Carlos Santana, Etta James, Patti Smith, Massive Attack, Björk, Radiohead, Leonard Cohen, Stevie Wonder, Prince … und, und, und …
„Wenn Iggy in Fahrt kommt, gibt es niemanden wie ihn! Das ist verbaler Jazz“, kommentierte einst David Bowie den Ex-Sänger der rotzigen Stooges. Die Live-Musik in Montreux beweist das aktuell: Das ist purer Energieüberschuss, ohne Filter kondensiert, transformiert mit großer Bandbesetzung nebst Bläsern. Mit dabei „I Wanna Be Your Dog“, „T.V. Eye“, „Lust for Life“, „Nightclubbing“ oder „Modern Day Ripoff“ und selbstredend das wunderbare „The Passenger“, zu sehen im Video (Link siehe unten). „Ich gebe jedes Mal etwas mehr, wenn ich Montreux Jazz mache …“. Viel Schweiß allemal und einst waren dabei sogar mal ein „Vorderzahn und eine Menge Blut“ dabei.
Die Tontechnik hat wie meist in Montreux ziemlich gute Arbeit geleistet – schöne Durchhörbarkeit, Farbauthentizität und in diesem Falle der wichtige Tieftondruck machen das rockige Album auch klanglich zum Genuss.
Video „The Passenger“:
Thin Lizzy steigen anno 2025 wieder auf, wie Phönix aus der Asche – zumindest mit einem technisch kniffreichen Hybrid aus alten Takes und ergänzenden Neueinspielungen. Fast vier Dekaden nach dem Tod von Leadsänger Phil Lynott entsteht so ein Album im Unplugged-Modus – „The Acoustic Sessions“.
In der irischen Vorzeige-Rock-Band spielten über die Jahre hinweg seit ihren Wurzeln (1969 in Dublin) viele MusikerInnen, darunter der Blues-Gitarren-Held Gary Moore, Midge Ure oder Guy Pratt. Lynott verstarb bereits 36-jährig im Jahr 1986. Alkohol & Drogen… Co-Gründungsmitglied und Gitarrist Eric Bell hob nun zehn Schätze aus den Band-Archiven. Der 77-Jährige sichtete alte Takes, teilweise akustische Rohversionen mit seinen Solo-Gitarrenparts aus der ersten Blütezeit der Band in den frühen 1970er Jahren. Die dienten sozusagen als eine Art Blaupause für einige Neueinspielungen von Eric Bell. Zudem fanden ein paar der klassisch inspirierten Drum-Einlagen von Brian Downey Einzug aufs weitgehend unplugged herunter gestrippte Werk.

Unerhört: Die Stimme von Phil Lynott prägt die Songs facettenreich – mal zärtlich, mal energisch, mal rotzig. Die Songs stammen von den drei ersten Alben der Band: „Eire“ vom Debüt „Thin Lizzy“ (1971) wie „Dublin“ und „Rembering Part 2“, von Album zwei das Titelstück „Shades Of A Blue Orphanage“ (von 1972), dann einige Hits aus dem Jahr 1973 wie „Vagabonds Of The Western World“ oder „Mama Said“ und natürlich der Hit-Hammer „Whiskey In The Jar“, dessen Folk-Wurzeln sogar auf das Jahr 1700 zurückgehen sollen. Die Blu-ray-Audio vereint die Songs zusätzlich als Instrumentals sowie in Dolby-Atmos-Mixen.
Vier der Songs gab’s übrigens bereits unplugged auf der „Acoustic EP“, online offiziell vom Thin-Lizzy-Channel eingestellt mit den Stücken „Mama Nature Said“, „Slow Blues“, „A Song For While I’m Away“ und „Here I Go Again“.
Bewertungen
MusikKlangRepertoirewertGesamt |
Video Visualizer zu „Mother Nature Said“:
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