Sennheiser ist in Deutschland DER Name für Kopfhörer, auch wenn diese Sparte seit einigen Jahren vom Stammunternehmen, das sich auf professionelle Beschallungstechnik konzentriert, abgespaltet wurde. Dem immer noch von der Sennheiser-Familie geführten Profi-Bereich gehört auch die neue Automotive-Sparte an, die 2024 erstmals ihre Türen öffnete. Wir waren eingeladen, am Firmensitz in Wedemark bei Hannover unter die Kochtöpfe zu schauen und uns die ersten erhältlichen Sennheiser Sound-Systeme für Cupra und Morgan sowie weiterführende Forschungsprojekte anzuhören.
Sennheiser Sound-Systeme für Cupra und Morgan: Hören im Stand
Zwar konnten wir keines der ausgestellten Autos fahren. Doch die Hörtests im Stand und der direkte Dialog mit den Technik-Verantwortlichen gaben einen tiefergehenden Überblick über den Stand der Entwicklungen. Man könnte es auf den ersten Blick als Ironie des Schicksals sehen, dass die modernste Technik sich ausgerechnet im altmodischsten Fahrzeug verbirgt. Doch schnell wird klar, dass das eine sogar das andere bedingt. Das archaische Konzept hinter den 2-sitzigen Morgan-Roadstern mit ihren an 30-Jahre-Sportwagen erinnernden freistehenden Kotflügeln kennen Automobilbegeisterte wie ich schon von Kindesbeinen an. Voriges Jahr durfte ich mich bei einem Bekannten sogar mal in einen solchen Morgan Plus Four hineinsetzen. Dabei konnte ich mir ein Bild machen, wie spartanisch und archaisch das über Jahrzehnte gepflegte Fahrzeugkonzept ist – wenn man vom Antriebsstrang mal absieht, den die britische Sportwagenschmiede von BMW bezieht.
Für HiFi, vor allem in Verbindung mit einem Subwoofer, fehlt im Plus Four schlicht und einfach der Platz. Das fängt schon bei den dünnen Türen an, in die man nicht wie sonst üblich große Treiber einbauen kann. Und es gibt noch nicht einmal eine A-Säule, in der sich Hochtöner unterbringen lassen. Deshalb setzte Sennheiser auf eine enge Zusammenarbeit mit Continental im benachbarten Hannover, um mit so genannten Excitern das Armaturenbrett zu gezielten Schwingungen anzuregen. Und auch beim Bass greifen die Niedersachsen auf Exciter in den beiden Sitzen zurück, die durch den Butt-Kicker-Effekt die Arbeit der beiden Tieftöner unter den Sitzen unterstützen.
Acht Treiber plus ein Plus Four
Insgesamt besteht das neue Car-Audio-System des Morgan Roadsters aus acht Lautsprechern und Excitern, die das selbst für Cabrio-Verhältnisse ausgesprochen luftige Cockpit rundum mit sattem, klarem Sound fluten. Wenn man etwas Erfahrung mit Excitern hat (ein Prinzip, das auch den NXT-Lautsprechern zu Grunde lag), staunt man über das vergleichsweise gut fokussierte Sound Staging, das in dem Roadster unter Extrembedingungen realisiert wurde. Der Bass wirkte in der Stand-Vorstellung, wegen der von den Excitern bewusst in den Sitz geleiteten Schwingungen subjektiv überbetont, auch wenn davon außerhalb des Leichtbau-Vehikels wenig zu hören war. Allerdings darf man bei einem derart urwüchsigen Fahrzeug-Konzept nie vergessen, was sich im Bass tut, wenn nur das unter der zweiteiligen Motorhaube unbedämpfte 2-Liter-Turbo-Aggregat von BMW dazwischen geigt – von Fahrgeräuschen durch Wind und Reifen ganz zu schweigen.
Etwas konventioneller, aber mit keinesfalls geringerem Aufwand, geht es bei den drei Baureihen der spanischen Volkswagen-Tochter Cupra zu. In den Modellen Leon, Formentor und Tavascan stimmte Sennheiser die Sound-Systeme ab. Die Norddeutschen sehen sich dabei in erster Linie als Dienstleister für die Abstimmungsarbeit und steuern lediglich die Software bei. Neben dem nutzerfreundlich gestalteten Interface für die großen, zentralen Touchscreens ist das ein Blow-Up-Algorithmus für Surround-Sound aus normalen Stereo-Aufnahmen. Der nutzt die aus Soundbars von Sennheiser bekannte Ambeo-Raumklang-Technologie und ist der Grund, warum wir beim Besuch am Stammsitz zwar die Mikrofon-Fertigung, nicht aber die Sound-Labore für die Kunden aus dem Automobilbereich sehen konnten. Die sind nämlich bei Sennheiser in Zürich angesiedelt, wo auch an Ambeo gearbeitet wird.
Wohl-temperiertes Bad im Sound
Den Grad der immersiven Wirkung kann man an die Musik und seinen persönlichen Geschmack anpassen. Wer es mag, kann damit voll in die Musik eintauchen und sich von allen Seiten von sattem Klang umhüllen lassen. Und weil Cupra innerhalb des Volkswagen-Marken-Portfolios sehr jung und dynamisch positioniert ist, kommt auch der Spaß am Bass nicht zu kurz.
Mein Highlight war der vollelektrische Cupra Tavascan. Das Elektro-SUV punktet unter anderem mit seinem futuristischen, die vorderen Passagiere umschließenden, Cockpit-Design. Auch der Klang umschließt die Insassen vollständig. Über den großen Zentralbildschirm ermöglicht das Sennheiser-Bedieninterface eine umfangreiche Anpassung des Klangs. Ein Equalizer sowie ein fein regulierbarer Immersive-Sound-Effekt bieten ein Surround-Erlebnis, das durch die Ambeo-Concerto-Software aus einfachen 2-Kanal-Aufnahmen erzeugt und über 12 Lautsprecher im Fahrzeug verteilt wird. Der kraftvolle Bass zielt eindeutig auf jüngere Jahrgänge.
Zwar kann man sich bei Car-Audio-Systemen erst ein richtiges Urteil bilden, wenn man damit gefahren ist. Doch es lässt sich sagen, dass die Klangabstimmung mehr auf Pop, HipHop oder fetzigen Rock zielt, als die Erwartungen von Jazz oder Klassik-Fans zum Maßstab zu nehmen, die auf maximale Ausgewogenheit und eine Stereo-Bühne mit perfekter Ortung setzen.
Man muss den virtuellen Slider nicht in Richtung höchster Immersion bewegen, um sich mitten im Geschehen wiederzufinden, was das Staging etwas diffus macht und die Ortung auf einer virtuellen Bühne vor sich erschwert. Besonders im sehr schicken, geschwungenen Cockpit des Tavascan kam der Bass vergleichsweise üppig. Allerdings gilt es auch hier zu bedenken, dass während der Fahrt üblicherweise tieffrequente Maskierungseffekte auftreten, die das subjektive Hörempfinden stark beeinflussen und die Tieftonenergie des Soundsystems deutlich reduzieren können. Das gilt auch für ein Elektroauto wie den Tavascan: Nicht nur Verbrennungsmotoren, sondern auch das Abrollgeräusch der Reifen sorgen für tieffrequente Schallemissionen…
Wie laut diese Emissionen sein können, ließ sich sehr gut in einem der Versuchsfahrzeuge erfahren. Dort wurde ein Mix aus Abroll- und Windgeräuschen über die Lautsprecher eingespielt, um zu demonstrieren, wie sehr der Geräuschpegel auf die Verständigung innerhalb des Fahrzeugs einwirkt. Sennheiser wäre nicht Sennheiser, hätten die Entwickler nicht auch gleich eine Lösung präsentiert. Sie nehmen die Stimmen über Mikrofone mit Noise-Cancelling auf und speisen diese in das Audio-System ein, um besonders die Verständigung zwischen den einzelnen Sitzreihen zu verbessern und zu verhindern, dass sich der Mann oder die Frau am Steuer umdrehen muss, um mit Hinterbänklern Gespräche zu führen. Entsprechend sieht Sennheiser das System auch als Beitrag zur Verkehrssicherheit. Bis das Ganze auf die Straße kommt, dürfte noch etwas Zeit vergehen, doch das Thema beschäftigt auch seit geraumer Zeit Global Player wie Harman.
Ebenfalls ein ganzes Stück der Serie voraus sind auch die Bedienkonzepte mit Projektionen auf das Armaturenbrett und den Dachhimmel, die in Verbindung mit Touch-Gesten eine neue, auf selbstfahrende Autos zielende Nutzererfahrung versprechen.
Nach diesen tiefen Einblicken ziehen wir den Hut und sind gespannt, was aus den Wedemarker Laboren zukünftig noch alles kommen wird…
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