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Okkervil River In The Rainbow Rain
Ein bisschen zauselig, ein wenig intellektuell, einen Hauch romantisch und einen Tick bodenständig: So musiziert sich das amerikanische Quintett Okkervil River durch Country, Folk, Soul, Rock und Synthiepop und schafft mit „In The Rainbow Rain“ ein Glücklichmacher-Album mit Weltverbesserungspotenzial

Okkervil River In The Rainbow Rain: die CD der KW 22

Weltverbesserungsmusik? Aber ja doch – zumindest, wenn sie so geschmackvoll daherkommt wie Okkervil River In The Rainbow Rain. Auf ihrem neuen Album vereinen die Okkervil River Macher Will Sheff & Co. Haltung mit Stil, Americana und Indierock mit Soul und Seventies-Pop zu einem fünfzigminütigen Glücklichmacher in schwierigen Zeiten. Außerdem erzählt Sheff von seinem Leben als Mitglied im „Club der geschlitzten Kehlen“, doch dazu später mehr …

Musik mit Weltverbesserungsanspruch bewegt sich auf einem schmalen Grat und ist aus guten Gründen nicht gerade vorteilhaft beleumundet. Oft klingt sie reichlich spaßbefreit, mal vergrätzt sie mit moralischer Sauertöpfigkeit oder bereitet beim Zuhören gar ein latent schlechtes Gewissen. Dazu noch ein übertriebener Betroffenheitsgestus (eine der überflüssigsten Haltungen überhaupt; egal, ob in der Kunst oder in der Politik: Wer wäre nicht „betroffen“ über offensichtliches Unrecht – aber haben bloße Betroffenheitsrituale schon jemals etwas an den Missständen dieser Welt geändert?), und das pure Grauen dröhnt aus den Lautsprechern.

Okkervil River
Mitglied im „Club der geschlitzten Kehlen“: Will Sheff durchlitt als Kind einen Luftröhrenschnitt – auf dem neuen Album seiner Band Okkervil River lässt er diesen Alptraum Revue passieren

Optimismus, Aufbruchsstimmung und ein Genregrenzen überschreitendes come-together-feeling prägt das zehnte Album dieser 1998 in Austin gegründeten US-Country-Folk-Indierockband. Mehr noch: Okkervil-River- … äh: Chef Will Sheff gelingt mit Okkervil River In The Rainbow Rain nicht nur Musik mit Charakter, sondern ein vorzügliches Album zwischen Americana, Countrypop und harmoniesiertem Indierock; einen Hauch Soul inklusive. Dass hier das ungefähr siebenhundertdreiundvierzigste Album daherkommt, dass im Geiste der Amtsübernahme bzw. des Amtsmissbrauchs von Donald Trump geschrieben wurde, ist dabei nur am Rande erwähnenswert – umso mehr aber sein Wille, dem Trump’schen Kanon aus Lügen, Gier und Menschheitshass weder mit Wut noch mit Resignation oder Betroffenheit zu begegnen, sondern mit reflektierter, dem Leben zugewandter Gelassenheit und Zuversicht. Unseren Hass bekommt ihr nicht, sagt Okkervil River In The Rainbow Rain und kontert mit einer Musik voller Wärme und Nachdenklichkeit, die manchmal sogar regelrecht jubiliert – trotz dessen, was diese Gesellschaft gerade an Schlechtem bereithält respektive hervorbringt.

Die Musik von Okkervil River In The Rainbow Rain

Los geht’s mit „Famous Tracheotomies“, das mit unverschämt fluffigem Beatbox-Pluckern fast schon in Soulpop-Gefilde hineingroovt. Im Text wird dazu aus einem sehr speziellen Anlass Mary Wells, Dylan Thomas und anderen Leidensgefährten von Will Sheff Referenz erwiesen. Der Rhythmus erinnert dazu an selige „Sexual Healing“-Zeiten – nur das Sheff im Halbfalsett croont anstatt wie einst Marvin Gaye im tiefem Bass. 4:55 lang geht es in dieser Komposition um die Problematik des Luftröhrenschnitts, und wohl nie zuvor wurde dieser albtraumbehaftete Vorgang schöner besungen als hier (höchstens von Will Sheff selbst – der OR-Frontmann, mit eineinhalb Jahren selbst von dieser lebensrettenden Notfallmaßnahme betroffen, schreibt hier nämlich bereits seinen zweiten Song zu diesem Thema). Neben mit leichter Hand hingeworfenen Gitarrenriffs kommen hier auch, bisher eher die Ausnahme im OR-Sound, hypermelodische Keyboards in Spiel. Formvollendet gekrönt wird das Ganze von einem dezenten Gospelchor und ein paar wunderbar entspannt eingestreuten „Waterloo Sunset“-Zitaten – Kinks-Chef Ray Davies ist ebenfalls Mitglied im Club der geschlitzten Kehlen.

„The Dream And The Light“ dreht die Euphorieschraube dann gleich mehrere Umdrehungen weiter. Roy-Bittan-ähnliche Keyboards und ein expressives, sich fast überschlagendes Saxofon sorgen für einen Optimismus, der entfernt an den Breitwandsound der E Street Band erinnert; einen Hauch sehnsuchtsvoller Melancholie, wie man sie von Mike Scott und seinen Waterboys kennt, inklusive. „Pulled Up The Ribbon“ schließlich, Track 5 im Programm, treibt das Ganze mit epischem Tastenspiel und weiträumigem Gitarrenrock auf die Spitze: Americana trifft auf Synthiepop, das Ganze vor cinemascopisch ausgeleuchteter Sonnenuntergangsatmosphäre.

Dazwischen fährt „Love Somebody“ wieder eine schöne Portion Elektronik im Stil der 70er Jahre auf, zu der die Bandkollegen mit wunderbar stimmigen Satzgesängen assistieren. Ähnlich gestrickt ist dazwischen der zwischen Ballade und Midtemposong changierende „Family Song“: Auch hier weht ein Hauch von amerikanischem Softpop aus den Seventies durch das Arrangement – aus der Ferne grüßen Fleetwood Mac.

Mit Tom-Petty-Flair und leichtem Bob-Dyland-Touch philosophiert Will Sheff dann in „Don’t Move Back To L. A.“ über Pro und Contra verschiedener Lebensgefühle: Westcoast-Feeling vs. Big-Apple-Flair, Los Angeles vs. New York. Sheff selbst zeigt sich hin- und hergerissen: „Ich denke, der Song handelt auch von meiner eigenen tiefen, lang gehegten Sehnsucht, New York City irgendwann endlich hinter mir zu lassen.“

Bemerkenswert farbenfroh, abwechslungsreich und gänzlich unterschiedlich in Stimmung und Arrangement definiert der Okkervil-River-Sound also eine Art Synthese aus transkontinentalem Poprock und Americana-Klängen, driftet außer in Soulgefilde auch in psychedelische Stimmungen hinweg (wie im „Shelter Song“ oder dem finalen „Human Being Song“) und erreicht nicht nur einen Hauch an E-Street-Band-Intensität, sondern kreiert auch eine sommerwarme, honigsüße, glückstrunkene Stimmung, wie man sie diesseits des Atlantiks vor drei Jahrzehnten aus vergangenen Style-Council-Zeiten kennt – aus eigentlich gänzlich anderem Zusammenhang also. Wo wir gerade dabei sind: höchste Zeit, mal wieder Herrlichkeiten wie „You’re The Best Thing“ oder „Long Hot Summer“ aufzulegen.

Davor baden wir aber ausgiebig (und bei nicht zu leisem Pegel) im Regenbogen-Regen von Okkervil River und genießen dieses Album als rund fünfzig Minuten langen Glücklichmacher. Und danach? Gibt es vor allem genau ein Album, das diese Playlist würdevoll fortsetzen kann: So wie nun Will Sheff bezauberte vergangenes Jahr Adam Granduciel mit seiner Band The War On Drugs auf A Deeper Understanding – dem Weltverbesserungssoundtrack des Jahres 2017.

Okkervil River
Okkervil River (Cover: Amazon)

Okkervil River In The Rainbow Rain erscheint bei ATO im Vertrieb von PIAS / Rough Trade und ist erhältlich als CD, LP+MP3-Downloadcode und als Download.

Okkervil River In The Rainbow Rain
2018/05
Test-Ergebnis: 4,3
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.