Solange A Seat At The Table, die CD der KW 47 kommt von einer Soul-Lady, die bisher ein wenig im Schatten stand; auch im Schatten ihrer glamourösen Schwester Beyoncé. Mit ihrem dritten Soloalbum betritt Solange (ihren Nachnamen Knowles lässt sie als Musikerin einfach mal unter den Tisch fallen) nun aber die große Bühne und fordert „A Seat At The Table“: sanft im Ton, aber klar in der Haltung und musikalisch großartig, findet LowBeats Musikautor Christof Hammer.
Kaum war an dieser Stelle von den vielen schwarzen Musikerinnen die Rede, die in den USA derzeit auf die Barrikaden gehen (siehe Alicia Keys, CD der Woche 45), gilt es schon die nächste Lady zu würdigen, die eine explizit politische Haltung einnimmt – und dies mit exzellenter Musik verbindet.
Zeitlich zwischen dem Erscheinen dieser beiden Alben liegt die in vielerlei Hinsicht zwar erklärbare, aber nicht nachvollziehbare Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten.
Erklärbar deshalb, weil viele US-Wähler mit gewissem Recht vom Establishment ihres Landes nichts mehr wissen wollen – aber umso weniger nachvollziehbar, weil sie in einer Mischung aus unreflektierter Wut und politischem Analphabetismus ausgerechnet einen Rädelsführer des Raubtierkapitalismus und einen jener Typen zu ihrem vermeintlichen Retter gewählt haben, die als Hauptverursacher des verheerenden Zustandes nicht nur der amerikanischen Wirklichkeit auf ihren gesellschaftszersetzenden Egoismus auch noch stolz sind („Steuern zahlen? Ich doch nicht!“ – eine Haltung, die übrigens auch unter deutschen Spitzenverdienern weit verbreitet ist).
Wütend ist auch Solange, aber sie ist weder hilflos noch Analphabetin. Solange A Seat At The Table – einen Platz am Tisch fordert die 31-jährige im Titel ihres erst dritten Soloalbums ihrer Karriere.
Aber sie tut es mit einer leisen Kraft und einer stillen Bestimmtheit, die nicht weniger wichtig ist als expliziter politischer Protest.
Auch Rosa Parks, damals eine 42 Jahre alte Näherin auf dem Heimweg von der Arbeit, warf am 1. Dezember des Jahres 1955 in Montgomery, Alabama, keine Pflastersteine oder deklamierte politische Kampfschriften, sondern weigerte sich nur sehr ruhig und sehr entschieden, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen freizugeben.
Und legte damit den Grundstein für die schwarze amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die in der Abschaffung der Rassentrennung in Amerika endete (zumindest auf dem Papier).
Solange A Seat At The Table – voller Intensität und Sinnlichkeit
Auch Solange protestiert auf die eher subtile Art. Eine ruhige Energie durchzieht die Musik.
Solange A Seat At The Table ist „ein Projekt über Identität, Empowerment, Unabhängigkeit und auch über Trauer und Genesung“, erklärt die Künstlerin– und weiß sehr genau, wie dicht das Politische und das Private für eine schwarze Frau im Amerika der 2000er-Jahre beieinander liegen.
Für sie ist das übrigens mitnichten nur eine Entwicklung der letzten Monate – begonnen haben die Arbeiten zu diesem Album bereits 2013; also noch weit in der Präsidentschaft eines Barack Obama.
Nach einem kurzen Intro, einem Anheben des Vorhanges („Rise“), legt „Weary“ mit einem leisen, zurückhaltenden Dialog zwischen Akustikgitarren und Hammond-Orgel, federnden Beats und einem klein wenig Elektronik den Kurs fest.
Nicht Glamour oder femininer Furor macht Solanges Musik zum Ereignis, sondern eine sehr nachdrückliche Würde, mit der sie für Ihresgleichen Respekt und gesellschaftliche Teilhabe fordert: eine Tonlage, die gerade in ihrer Wärme und Gelassenheit umso mehr unter die Haut geht.
In zehn weiteren „richtigen“ Songs (die um zehn „Snippets“ mit Samples und Geräuschskizzen ergänzt werden) zeigt Solange dann, dass sie den Soulfunk der 70er Jahre („Don’t Touch My Hair“) ebenso eingeatmet hat wie R&B-Klänge neueren Datums, die sie freilich von allem überkandidelten Zierrat befreit („Don’t you Wait“).
Und wenn hier aktuelle R&B-und HipHop-Acts wie Lil Wayne, Q-Tip, Kelly Rowland und Kelela zu Kollaborationen antreten, dann geschieht das ausnahmsweise einmal nicht aus Gründen der Vermarktbarkeit, sondern dient tatsächlich in erster Linie der Musik. Dass Solange diese Respektsbekundungen von aktuellen Größen der Szene freuen – davon darf man ausgehen.
Doch die Souveränität, mit der sie auf A Seat At The Table agiert, zeigt auch: Drauf angewiesen ist sie keineswegs – spielt sie doch meilenwert entfernt von der Beliebigkeit vieler aktueller R&B-Mädels in einer ganz eigenen Liga, was Dringlichkeit, Intensität und Sinnlichkeit ihrer Songs betrifft.
Solange A Seat At The Table erscheint bei Columbia/Sony und ist als Audio-CD, MP3-Download und Vinyl LP erhältlich.
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