Mit seinen erschwinglichen Tonabnehmern dominiert Audio-Technica den Markt. Beim teuren Audio-Technica ART1000X geht es eher um die technologische Führungsrolle – mit einem einzigartigen Bauprinzip.
Mit 5.500 Euro ist der ART1000X der zweitteuerste Tonabnehmer, den Audio-Technica je gebaut hat. Das allein wäre noch kein Grund, in Begeisterung zu verfallen. Schließlich kennen wir alle das law of diminishing returns, das auch in der HiFi-Welt gilt: gesteigerter Input – an Material, Arbeit, Budget – hat ab einem bestimmten Punkt immer geringere Auswirkungen auf den Ertrag. Auf HiFi übersetzt: Je höher die Qualität bereits ist, desto teurer wird jede weitere Verbesserung. Superteure MC-Systeme sind hier besonders pikant, weil sie einerseits natürlich auch diesem Gesetz unterliegen, das teuer bezahlte Fitzelchen mehr Klang andererseits aber nicht einmal ewig hält. Tonabnehmer sind nun mal Verschleißteile. Nadeln nutzen sich ab, Aufhängungen ermüden, die nicht mal haardicken Spulendrähte können verspröden. Wir haben also eine begrenzte Nutzungsdauer und damit durchaus relevante Betriebskosten, die von der typischen Lebensdauer und dem Preis einer Überholung abhängen.

Audio-Technica hat das ART1000X zum Ausnahmefall gemacht, der aus dem üblichen Muster in mehrfacher Hinsicht ausbricht. Sein Generator verfeinert und veredelt nicht einfach das bestehende Standardrezept für MC-Systeme, sondern stellt es gewissermaßen auf den Kopf. Mit Spulen, die nicht am fernen, hinteren Ende des Nadelträgers hängen, sondern direkt über dem Diamanten thronen. Dieser neue Ansatz – auf Details kommen wir gleich zu sprechen – verleiht dem ART1000X geradezu unfassbare Dynamik. Auf den zweiten Blick erscheint dann auch der zugegeben heftige Preis gar nicht mehr so prohibitiv. Zumal verschlissene 1000er relativ (!) günstig generalüberholt werden können: Im japanischen Werk werden sie zunächst genauestens untersucht, dann zerlegt, neu aufgebaut, feinjustiert und wie ein Neusystem geprüft. Das bedeutet zwar etwas Wartezeit, die man gegebenenfalls mit einem anderen Tonabnehmer überbrücken muss. Dafür kostet der Spaß dann auch „nur“ 2.200 Euro, also deutlich weniger als die Hälfte des Neupreises. Das ist für ein Weltklasse-MC tatsächlich recht fair und bedeutet bei sorgsamem Umgang und sauberen Platten laufende Kosten von rund zwei Euro pro Betriebsstunde. Das Bier, der Wein oder das Rauschkraut zur Platte fällt finanziell jedenfalls stärker ins Gewicht – selbst wenn man meist allein hört.
Man sollte dennoch vermeiden, das System bereits beim Einbau zu zerstören. Das haben wenige Wochen nach Verkaufsstart bereits zwei Pechvögel hinbekommen, wie mir Yosuke Koizumi, Entwickler des ART1000X, bei einem Treffen auf der Münchner High End verriet. Dabei ist das ART1000X dank langer, direkt ins Titangehäuse eingeschnittener Gewinde eigentlich spielend leicht einzubauen und verfügt über eine der bestsitzenden Nadelschutz-Kappen, die mir bislang begegnet sind. Obwohl Koizumi-san für den vorzeitigen Exitus der beiden Tausender also wirklich nichts konnte, huschte bei dem Thema doch ein kleiner Schatten über sein jungenhaftes Gesicht: Jedes Exemplar, das das Werk verlässt, hat unterm Strich einen vollen Tag Arbeit gekostet. Arbeit zudem, für die nur eine Handvoll Mitarbeiter geeignet und trainiert sind.

Das ART im Namen kann man daher doppelt lesen: Eigentlich steht es für „Audio-Technica Reference Transducer“. Aber diese Abtaster sind zweifellos auch Kunstwerke der Analogtechnik. Wer schon einmal versucht hat, ein Moving Coil zu bauen – oder auch nur einen der vielen Arbeitsschritte auszuführen –, der weiß, wie absurd schwierig und frustrierend das sein kann. Stellen bereits normale Systeme für Auge, Hand und Hirn eine Herausforderung dar, besitzt das ART1000X Endgegner-Qualitäten.
Die Besonderheiten des Audio-Technica ART1000X
Kein Wunder also, dass ähnliche oder verwandte Konstruktionen äußerst selten sind, obwohl die Vorteile auf Anhieb einleuchten. Einer der wenigen Präzedenzfälle stammt vom Studioausrüster Neumann, auf dessen Schneidemaschinen ein erheblicher Teil aller jemals produzierten LPs gemastert wurde. Zwecks Qualitätssicherung der damals brandneuen Stereo-Platten – also zum Abhören frischer Master oder Testpressungen – kamen 1959 das Neumann DST und 1962 das Neumann DST62 auf den Markt. Die DST-Modelle trugen dreieckige Spulen unmittelbar oberhalb des Abtastdiamanten. Das damalige Produktinfoblatt erklärt dazu: „Durch diese enge mechanische Kopplung werden Teilschwingungen der aktiven Leiter der Systeme innerhalb des Übertragungsbereichs vermieden. Damit folgen diese Systeme exakt der Bewegung der Nadel, was zur Erzielung ausreichender Übersprechdämpfung unbedingt erforderlich ist.“ (Den gefetteten Teil bitte extradeutlich und leicht schnarrend in die hohle Hand sprechen, um einen Vintage-Wochenschau-Sound zu erzielen).
65 Jahre später hallt die Aussage immer noch nach. Typische Nadelträger sind zwar nicht mal einen Zentimeter lang. In der Mikrowelt der Tonabnehmer und als Verbindung zwischen Diamant und Spulen wirkt dieses Stückchen Metall aber wie eine zwei Meter lange Choppergabel an einem Motorrad: Feinste Auslenkungen gehen in der unvermeidlichen Elastizität des Auslegers verloren. Da Eigenresonanzen des Trägermaterials sich in beiden Kanälen gleich manifestieren, leidet zudem die Kanaltrennung. Also weniger Details, weniger Stereo, weniger Dynamik, aber garantiert mehr Verzerrungen. Kein Wunder, dass die alten Neumanns Kultstatus genießen. Sie tauchen nur ganz selten – und dann meist in reparaturbedürftigem Zustand – auf dem Gebrauchtmarkt auf, kosten dann aber fast so viel wie ein nagelneues ART1000x. Ich wüsste, was ich nehme. Zumal das Audio-Technica als moderner Abtaster weder sechs Gramm Auflagekraft, noch einen der raren Tonarme mit Neumann/EMT-Bajonett benötigt, sondern sich mit ganz normalen Werten knapp über zwei Gramm und Halbzollbefestigung begnügt.
„Direct Power“, also direkt angetriebene Generatorspulen, gab es später auch bei den Neumann-Nachbauten des japanischen Herstellers Lumière, die sich aber mit Qualitätsproblemen größtenteils selbst das Licht ausbliesen. Keine Nachbauten, sondern komplett nadelträgerlose Neukonstruktionen konnte man später eine Zeitlang von Ikeda kaufen. Die Spur dieser seltenen Systeme verliert sich in den 2010er Jahren, aktuelle Ikedas sind konventionell aufgebaut.
2018 stellte sich erstmals ein „großer“ Hersteller der Herausforderung: Audio-Technica, neben Ortofon vermutlich weltgrößter Systemhersteller, stellte das ART1000 vor, den direkten Vorgänger des hier getesteten X-Modells. Die beiden Systeme unterscheiden sich nur in Details, während die Grundkonstruktion die gleiche ist. Abgetastet wird hier wie da mit ATs bestem Diamanten, dem „Special Line Contact“ (SLC), der auch auf anderen AT-Spitzensystemen verbaut wird und mir dort stets als extrem hochauflösender, tonal jedoch absolut ausgewogener Stein gefallen hat. Ein bisschen so, als hätte man in einer japanischen Schleiferei die irrwitzigen Details eines MicroLine- bzw. MicroRidge- mit der tonalen Geschlossenheit eines sphärischen Diamanten gekreuzt. Wer die Fähigkeiten dieses Juwels mit etwas geringerer finanzieller Fallhöhe austesten will, könnte das zum Beispiel mit dem brandneuen MM-Abtaster AT-VM760xSL für vergleichsweise bescheidene 629 Euro tun.
Als Nadelträger dient besagtem Top-MM ein Stäbchen aus Bor. Auch das ART1000X führt seinen Diamanten an einem Ausleger aus dem ultraharten Halbmetall. Dessen Aufhängung entspricht der von ganz normalen MCs: Ein dünner, elastischer Spanndraht zieht den Träger dabei in ein Kissen aus Kautschuk, das für die Dämpfung verantwortlich ist, während die Elastizität des Drahts und dessen beim Zusammenbau präzise eingestellte Spannung die Nadelnachgiebigkeit definieren. Bei normalen MCs schmiegen sich auch die Spulen – meist auf einen kreuzförmigen oder quadratischen Kern aus Eisen gewickelt – an das Dämpferkissen ganz nah am Lager-Drehpunkt. Nicht so beim ART1000X, das zwei luftige, kernlose Kupferwickel direkt und hochkant auf seiner Diamantnase trägt, wie einen bügellosen Zwicker.

Die Vorteile dieser Bauweise leuchten intuitiv ein: Der klassische Aufbau platziert die Spulen sehr nah am Drehpunkt der Aufhängung, wo die Auslenkungen der Nadel proportional verkleinert ankommen. Diese Verkleinerung gibt es beim ART1000 nicht: Beschleunigt die Nadel etwa um 50 Mikrometer von links unten nach rechts oben, vollführen die Spulen exakt die gleiche Auslenkung. Zwischen dem Diamanten und dem Spulenträger besteht dabei praktisch direkter Kontakt. Der Nadelträger übernimmt zwar weiterhin seine Führungsaufgabe, hält den Diamanten also senkrecht und definiert elastisch in der Rille. Er ist aber nicht mehr für die Übertragung von Schwingungsenergie von ganz vorne nach ganz hinten verantwortlich – und kann folglich auch weder Details schlucken noch mit Resonanz-Eigenleben den Klang vernebeln.
Aber warum balancieren dann nicht alle MCs ihre Spulen ganz vorne auf dem Nadelträger? Weil die Idee zwar naheliegend, die Umsetzung aber extrem schwierig ist. Erst recht, wenn höchste Serienkonstanz und Zuverlässigkeit im Lastenheft stehen. Da sie dem Diamanten direkt im Kreuz sitzen, ihre Masse also ohne milderndes Hebelverhältnis bewegt werden soll, müssen die Spulen zunächst mal extrem leicht sein. Dann aber auch steif und resonanzarm, damit sie bei starken Modulationen nicht ins Flattern kommen. Ein Eisenkern zur Erhöhung der Induktivität (und somit der Ausgangsspannung) ist ohnehin undenkbar. Die Spulen werden also mit recht großem Durchmesser als Luftspulen gewickelt, auf einen Blindkern, der anschließend entfernt wird. Die resultierenden, nur aus wenigen Windungen bestehenden Kupferlassos, werden dann zwischen vorgeprägte Stücke eines hauchdünnen, ultrafesten Polymerfilms transferiert und irgendwie mit dem Nadelträger und dem daran befestigten Diamanten vermählt. Koizumi-san berichtet, hierbei seien ihm und seinen Kollegen ihre Erfahrungen im Mikrofonbau – einem weiteren AT-Geschäftsfeld – sehr zugute gekommen.

Eine offensichtliche Änderung vom Vorgänger ART1000 zum aktuellen x-Modell betrifft die Form der Spulen: Ursprünglich kreisrund, sind die Kupferwickel jetzt rechteckig. Das erhöht, bei ansonsten gleichem Aufbau, die Spannungs-Ausbeute von zuvor 0,2 Millivolt um immerhin 10% auf nun 0,22mV. Und lässt den Abtaster nicht nur messtechnisch, sondern auch geometrisch noch linearer arbeiten: Der „aktive“, also vom Magnetfeld energisierte Teil der Spulen ist nun nicht mehr gekrümmt, sondern kerzengerade. Von jeder Rechteck-Spule kreuzt nur jeweils eine der beiden langen Flanken (die äußere) die magnetischen Feldlinien. Am exponierten vorderen Magnetpol sieht man gut, dass der Rest der Spulen bewusst ausgespart wurde. Nur so ist eine optimale Stereo-Kanaltrennung gewährleistet: Eine Auslenkung, die im rechten Kanal für maximale Induktion sorgt, bleibt in der gegenüberliegenden Spule wirkungslos – und umgekehrt.
Mit den Spulen wandert im System auch der komplette Magnetkreis nach vorne: ein superstarker Neodymquader, eingezwängt zwischen zwei kurzen, V-förmig eingeschnittenen Polplatten, die für jede der beiden Spulen – oder besser deren äußere Flanken – einen sehr schmalen Luftspalt freilassen. Genauigkeit und enge Toleranzen sind hier unvermeidlich, denn je enger der zu überbrückende Spalt ist, desto stärker wird das magnetische Feld darin. Und das ist dringend nötig, weil die Induktivität der kernlosen Spulen naturgemäß eher gering ist. Heraus kommen besagte 0,22 Millivolt, bei 1kHz und einer Schnelle von 5cm/s. Mit einer DIN-Messplatte wären es 0,35 Millivolt, weil das Messignal da dann mit 8cm/s geschnitten ist. Erstklassige MC-Preamps haben damit keine Probleme. Alle anderen sollte man ohnehin nicht auf das Audio-Technica loslassen. Selbst mit Top-Preamps empfiehlt sich jedoch die Verwendung eines MC-Übertragers, um die atemberaubende Dynamik des Direct-Power-Systems wirklich voll auszuschöpfen.
Klang
Für meine ersten Höreindrücke mit dem ART1000x zeichnete dann auch ein ganz besonders vornehmer Step-Up-Trafo des Berliner Herstellers Consolidated Audio verantwortlich. Das AT lief in einem Oracle-Spieler mit Vintage-Audio-Technica-Arm, als Lautsprecher dienten die gewaltigen 4350-Monitore von JBL in den Berliner Brewery Studios, die Teil des von AT mitgetragenen Projekts Analogue Foundation sind.

Solche Außer-Haus-Hördemos dienen meist eher sozialem Networking als dem Sammeln verbindlicher Höreindrücke. Aber ich muss zugeben, selten so gut Musik gehört zu haben wie in den gemütlichen, mit rarer Gourmet-Studiotechnik vollgestopften Aufnahmeräumen in Berlin-Mitte. Ein zweites Exemplar – genau genommen das zweite, denn mehr 1000er gab es zu dem Zeitpunkt nicht in Europa – musizierte später in der an das Studio angeschlossenen Bar Neiro über eine wunderschöne Röhrenkette aus drei (3!) Garrard 301 mit langen Schick-Armen, Shindo-Verstärkern und Altec-bestückten Western-Electric-Hörnern. Auch hier war der Klang denkwürdig. Neiro ist eine Listening Bar im Stil japanischer Jazz Kissas, spielt ausschließlich LPs und lässt diese stets durchlaufen. Umso kompetenter gemixt wird an der Bar: Die Cocktails sind kunstvoll mit japanischem Einschlag komponiert und so perfekt ausgeführt, dass ich ins Neiro auch nicht-audiophile Freunde mitnehmen würde – solange sie nicht zu viel reden.

Erst einige Wochen später kam der nächste Schwung ART1000x über diverse Ozeane nach England, von wo aus sich eines direkt auf den Weg zu mir machte. Wie die meisten Top-MCs ist das System raffiniert verpackt, hier in eine Schatulle aus Massivholz mit magnetisch gesicherter Schublade für die kostbare Fracht. Auf einem Plexi-Schneewittchenfenster die eingelaserte Seriennummer: PP13, also noch pre-production. So nennt man die ersten Produktionsläufe unter Serienbedingungen, die vollständige, technisch finalisierte Systeme mit kompletter Verpackung und Dokumentation liefern. Besser als die tatsächliche Serie sind PP-Exemplare nicht, denn es geht ja gerade darum, eventuelle Probleme noch vor den „echten“ Stückzahlen zu identifizieren und wenn möglich zu korrigieren.
Die Auflagekraft, bei der die Spulen optimal im Luftspalt des Magnetkreises zentriert sind, variiert von Exemplar zu Exemplar und ist zusammen mit der Seriennummer handschriftlich auf der beiliegenden „Tracking Force Information“-Karte eingetragen: PP13 wünscht sich 2,3 Gramm, die ich zunächst auf einem meiner beiden Linn Ekos einstellte. Der Hintergedanke dabei war, im zweiten Ekos dann diverse Vergleichssysteme zu montieren und ruckzuck hin- und her zu tauschen. Als großer Freund des A/B-Vergleichs muss ich zugeben, das mit meinem hoch geschätzten Lyra Delos nur einmal gemacht zu haben. Der Vergleich ist sinnlos: Das Lyra spielt zwar gewohnt dynamisch und sauber im Hier und Jetzt. Aber mit dem ART konnte ich gewissermaßen in die Zukunft hören: Einsätze von Streichern und Stimmen schienen sich ein paar Sekundenbruchteile früher anzukündigen, wenn sie eigentlich noch unhörbar waren. Ein Ton schien den nächsten nach sich zu ziehen, als wären die Schallereignisse durch eine geheimnisvolle Kraft verbunden. Der Klang bekommt mit dem Audio-Technica einen intuitiven Zug, der mit HiFi-Termini kaum zu beschreiben, zugleich aber unüberhörbar deutlich ist. Nur wenige Tonabnehmer haben das in meiner Erinnerung auch nur ansatzweise ähnlich hinbekommen: Ganz große Transfiguration-MCs gehören dazu, die Spitzenmodelle von Lyra, das Miyabi von Haruo Takeda und auf ihre ganz eigene Weise die optischen Systeme von DS Audio.

Mit dem ART1000X bekomme ich Lust, blind ins Plattenregal zu greifen, auch an abgelegenen Fach-Ecken: Freeze Frame von Godley & Creme fördert der erste Griff in die Vinyl-Lostrommel zutage. Und wenige Momente später springt mir ein Xylophon ins Gesicht, die hyperreal herausprojizierten Stimmen der Herren Godley und Creme und zum Refrain ein ganzer Chor, der klingt, als wäre er gestern aufgenommen und nicht Ende der 1970er Jahre. Was mich immer wieder überrascht und überwältigt, ist die enorme Dynamik, die dieses System zulässt. Dynamik erzeugen kann es ja nicht, denn dafür muss bereits die Aufnahme sorgen. Dafür entscheidet das System – Top-Laufwerk und Arm vorausgesetzt – wieviel davon zuhause auch ankommt.
Bei Scout Nibletts fantastischem Doppelalbum „Kidnapped by Neptune“ so viel, dass ich allein im Hörraum laut lachen muss: Der große, viel zu früh verstorbene Dynamik-Düsentrieb Steve Albini hat diese raue Indie-Aufnahme verantwortet und mir an diesem Abend ein veritables, ausgewachsenes Drumset ins Zimmer gestellt. Über dem natürlich auch ein Gesangsmikro an seinem Galgen schaukelt, damit die englische Songwriterin, Drummerin und Multiinstrumentalistin Tracks wie Fuck Treasure Island praktisch im Alleingang abfeuern kann. Das klingt selbst an meinen kompakten Tannoys schon fast wie live – der Himmel weiß, wie das über die großen JBLs in Berlin rübergekommen wäre.

Dort bekam ich dafür L’Histoire de Melody Nelson von Serge Gainsbourg so dramatisch und intensiv serviert, dass ich mich kaum davon trennen konnte. So unterschiedlich die Anlagen und Hörräume sind: Das ART1000x verzauberte beide Situationen mit seiner unbändigen Kraft, mit einem Realismus, der die Platte als Medium auszublenden schien. In Berlin hätte ich bei geschlossenen Augen schwören können, dass die Musik nicht von Vinyl, sondern direkt aus dem gewaltigen Konsole im Kontrollraum nebenan kam – einem analogen Kult-Pult namens SSL 4056G+, dessen Sound das kollektive Sound-Unbewussten einer ganzen Rock-Generation mitgeprägt hat.
Auf klangliche Änderungen zum Ur-ART1000 angesprochen, erwähnt Koizumi-san zunächst den Tiefton: Die oben beschriebenen Änderungen am Generator haben offenbar einen merklich besseren, etwas kräftigeren, aber auch definierteren Bass bewirkt. Ich kann den Vergleich nicht seriös ziehen, da nicht ich, sondern Kollege Holger Biermann das ART1000 einst getestet hatte. Was ich aber sagen kann: Auch das neue ART klingt untenrum nicht fett, sondern eher neutral, mit akkurater Durchzeichnung. Was ich mit meinem ART1000x gar nicht mehr nachvollziehen kann, ist der beim Vorgänger implizierte Mangel an Biss, Dynamik und Knackigkeit. Im Gegenteil: Ich habe bislang unabhängig vom Preis kein System gehört das dem Auf und Ab der Musik, feinen Betonungen ebenso wie brutalen Pegelsprüngen, müheloser folgt als das Audio-Technica. Wenn es dabei manchmal fast schon zu lässig klingt, ist das ein gutes Zeichen und Ausdruck außergewöhnlicher Verzerrungsarmut.
Entscheidend für volle Dynamik-Breitseiten ist aber die Verwendung eines guten MC-Übertragers. Die niederohmigen Spulen des ART1000x (Eigenwiderstand: 3,5Ω) sind für den Betrieb an einem Step-Up-Trafo wie gemacht. Wenn das Budget für einen MK Analogue SUT-1L oder den fabelhaften Consolidated Audio reicht – her damit! Die Investition macht sich in Form urgewaltiger Dynamik und lupenreiner Klangfarben augenblicklich bezahlt und bewahrt wegen der Alterungsresistenz von Übertragern ihren Wert auf Lebenszeit. Das gleiche gilt für den etwas günstigeren, aber keinen Deut schlechteren Argentum X-20 von Fezz Audio. Selbst erschwingliche Übertrager wie die Pro-Ject Step-Up Box DS3 B entfesseln zuverlässig den Dynamik-Derwisch, der dem japanischen Ausnahme-MC innewohnt.

Mit seiner eher etwas härteren Aufhängung (Compliance: 9 bei 100 Hertz) fühlt sich das Audio-Technica auch und vor allem in schweren Armen wohl und bevorzugt diese auch klanglich. Wobei die Bedingung „schwer“ hier schon bei einem Thorens TP 160 oder dem Acoustic Signature TA-5000 in der Zwölfzoll-Version erfüllt ist. In eigentlich nur mittelschweren Armen wie dem Linn Ekos spricht nichts dagegen, etwas zusätzlichen Ballast am Headshell hinzuzufügen. Zumal das System mit 11 Gramm Eigengewicht selbst schon etwas Masse mitbringt. Im Alltag läuft das AT absolut stabil und unauffällig. Etwas irritierend und bei der Justage mitunter störend ist die bauartbedingt weit über die Nadel ragende Magnet- und Polplatten-Anordnung, die Diamant und Nadelträger weitgehend verdeckt. Ich wüsste aber nicht, wie sich das vermeiden ließe: Entweder man will Spulen, die direkt auf dem Diamanten reiten, dann muss der Generator nun mal über dem Diamanten sitzen. Die klangliche Entschädigung für diesen kleinen Komfort-Kompromiss ist eine Welt aus absolut reinen Tönen, die wirken, als hätten sie einen schweren Ballast abgeworfen. An die erschwerte Sicht beim Auflegen gewöhnt man sich schnell, und der AT ist ja auch kein DJ-Tonabnehmer. Dafür wird sich der neue ART1000x-Besitzer oder die neue ART1000x-Besitzerin lange an das erste Stück mit dem neuen System erinnern: Man könnte es auch ein Schlüsselerlebnis nennen.
Das Funktionsprinzip des ART1000x wirkt auf den ersten Blick abenteuerlich – vor allem auf Menschen, die mit der Funktion eines normalen MC-Systems vertraut sind: Wie in aller Welt bekommt man dieses Spulen-Segel ausgerechnet ganz vorne auf der Spitze des Nadelträgers befestigt? Wie bekommt man die Spulen leicht genug, um die inhärenten Vorteile ihrer neuen Position nicht gleich wieder zunichtezumachen? Welcher Übermensch verlegt die vier Anschlussdrähte perfekt parallel auf dem Rücken eines 0,28mm dünnen Borstäbchens und von dort über den Dämpfer bis zu den Anschlusspins? Hoch motivierte Entwickler, ein kleines, talentiertes Team und die geballten Ressourcen eines Analog-Weltkonzerns, lautet die Antwort. Das Resultat ist teuer, macht aber vom ersten Takt an süchtig – und glücklich.
Bewertungen
KlangPraxisGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Enorme Dynamik, schwerelos reine, ungetrübte Klangfarben |
| Exzellente Messwerte |
| Mustergültige Abtastsicherheit |
| Geringe Ausgangsspannung, Nadel und -träger schlecht sichtbar |
Vertrieb:
Audio-Technica Niederlassung Deutschland
Lorenz Schott Straße 5
55252 Mainz-Kastel
www.audio-technica.com/de-de/
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Audio-Technica ART 1000X: 5.500 Euro
Technische Daten
Audio-Technica ART1000x | |
---|---|
Konzept: | MC-Tonabnehmer |
Nadelschliff: | Special-Line-Contact-Nadel |
Nadelträger: | 0,26 mm Durchmesser, massives Bor |
Ausgangsspannung: | 0,22 mV (1 kHz, 5 cm/s) |
Empf. Last-Impedanz: | ≥ 30 Ohm (bei angeschlossenem Phono-Vorverstärker) |
Empf. Tonarm: | mittelschwer – schwer |
Abmessungen (H x B x T): | 17,3 × 17,0 × 25,5 mm |
Gewicht: | 11,1 Gramm |
Alle technischen Daten |
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