Wir hatten den Canor Virtus A3 in den vergangenen Jahren schon mehrfach angekündigt. Der erste „All-in-One-Vollverstärker“ des slowakischen Röhren-Spezialisten brauchte aber wohl einfach eine gewisse Reifezeit. Oder sein Entwickler, John Westlake, wollte womöglich immer noch den einen oder anderen Kniff umsetzen… Aber nun ist es soweit: Eines der ersten Serienmuster steht rechtzeitig zur HIGH END 2025 im Hörraum und stellt virtuos seine Vielseitigkeit und seinen hohen audiophilen Anspruch unter Beweis.
Die Verstärkertechnik des Canor Virtus A3
Zunächst muss man die Frage stellen: Was ist denn eigentlich für die Slowaken ein „All-in-One-Verstärker“? Die Antwort aus dem Canor-Katalog: Ein Vollverstärkers in Class A/AB-Schaltung mit integrierter Phonostufe plus Kopfhörerverstärker und DAC. Gut: Manch anderer würde das einfach einen DAC-Vollverstärker nennen… Aber ich freue mich über den vielseitigsten Verstärker der Slowaken, der im üblichen (recht ausufernden) Canor-Design daherkommt und tatsächlich eine Menge Innovation bietet. Doch weil bei Canor nun einmal die Röhren-Technologie in der DNA fest verankert ist, kommt auch dieser Vollverstärker nicht komplett „ohne“ aus: Wir finden in der Vorstufensektion ein Pärchen E88CC, die man allerdings nicht sofort sieht, weil sie von blauen Schutzkappen überzogen sind.

Wie auch das folgende Bild zeigt, ist der Virtus A3 komplett als Doppel-Mono-Konstruktion aufgebaut; das gilt sowohl für die Vorstufe, den DAC, den Kopfhörer-Verstärker, aber erst recht auch für die Endstufe.

Nun könnte man meinen, die Verstärker-Sektion wäre einfach dem AI 2.10 aus der Performance Line entliehen: gleiche Größe, gleiche Leistung, ähnliche Verzerrungswerte. Aber weit gefehlt: Im AI 2.10 werkelt (neben der Röhrenvorstufe) eine klassische A/B-Endstufe mit großem Trafo, im Virtus A3 dagegen eine Röhrenvorstufe plus Current-Dumping-Endstufe mit Schaltnetzteil. Richtigerweise muss ich schreiben: zwei Endstufen. Denn auch im Leistungsbereich geht Canor beim Virtus A3 strikt kanalgetrennt vor, hat also zwei Current Dumping Endstufen verbaut.

Das Konzept von Current Dumping geht auf die legendären Quad 405 aus Jahr 1975 zurück und bei meinem Firmen-Besuch im August 2023 wurde Canor-Entwickler John Westlake nicht müde, von den Vorzügen der alten Quad 405 zu schwärmen. Er schuf also eine ein moderne Adaption dieser Schaltung, bei der ein kleiner Class-A-Verstärker eine leistungsfähige Schaltnetzteil-Endstufe steuert und so (wie auch die Endstufe des A2.10) gut 2 x 150 Watt an 4 Ohm erzeugt.

Offenkundig erzeugt das Konzept tadellosen Klang, aber auch eine Menge Abwärme: Quad begegnete diesem Problem mit einer Breitseite von Kühlkörpern. Canor-Entwickler John Westlake macht es noch konsequenter und nutzt pro Kanal je einen Ventilator im vorderen Teil des A3, der feinfühlig auf die Temperatur im Gehäuse reagiert.
Die Ausstattung
Die Kategorisierung als „All-in-One“ führt zunächst in die Irre. Der A3 hat weder eine digitale Quelle , noch ein Streaming- oder ein Bluetooth-Modul eingebaut. Da bleiben die slowakischen Traditionalisten sehr traditionell…
Sieht man davon ab, sind die Anschlussvielfalt und die Einstellmöglichkeiten des Virtus A3 erfreulich groß. Und weil ja das gesamte Schaltungskonzept symmetrisch aufgebaut ist, stehen den beiden asymmetrischen Hochpegel-Eingängen noch zwei symmetrische XLR-Eingänge zur Seite. Hinzu kommt ein komplett diskret aufgebauter Phono-Vorverstärker für MM als auch MC, die man in verschiedenen Stufen an den Tonabnehmer anpassen kann – wir kommen später noch dazu.
Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle der ebenfalls komplett symmetrische und diskret aufgebaute Kopfhörerverstärker, der auch eine symmetrische Ansteuerung von Kopfhörern ermöglicht. Wenn es der Kopfhörer mitmacht, würde ich immer die symmetrische Übertragungsform bevorzugen: Sie bringt meist mehr Grip und Präzision.
Bislang klingt das alles noch nach einem ziemlich normalen Verstärker – was der Virtus A3 aber ganz und gar nicht ist. Und das liegt vor allem an seiner außergewöhnlichen Bedienung:
Der Bedienknopf: das smarte Zentralgestirn
Der mittig angebrachte Bedienknopf ragt Canor-typisch weit heraus und ist ein wahres Multitalent. Das Mikro-Prozessor-gesteuerte Schmuckstück mit Touch-Display regelt die Lautstärke in 99 Schritten, organisiert die Quellenwahl, den Quellenpegel, die Abschlusswerte der angeschlossenen Tonabnehmer, die unterschiedlichen Filter für den DAC und, und, und… Und weil ja Bilder – oder noch besser: Filme – mehr sagen als tausend Worte, habe ich hier das kurze Canor-Filmchen zum neuen Multifunktionsknopf mit eingebettet:
Der Bedienknopf läuft satt-sicher in seinem präzisen Doppelreihenlager. Das fühlt sich schon einmal gut an. Durch eine Kombination von Wischen, Klicken oder Drehen des Rades (an die man sich nach kurzer Zeit eingewöhnt hat) ergibt sich eine beeindruckende Funktionsvielfalt.
Praxis
Das vielleicht Wichtigste vorweg: Die Lüfter sind nicht zu hören. Kurz zum Start springen sie hörbar an, bleiben dann aber im Flüstermodus; selbst wenn man mit dem Ohr ans Gerät geht, hört man… nichts. Besonders Interessierte können sogar über das Display des Bedienknopfes die Gehäuse-Innentemperatur und die Geschwindigkeit des Lüfters abrufen.

Unter den eingebauten Modulen (Phono, DAC, Kopfhörer-Verstärker) tanzt der Kopfhörer-Amp ein bisschen aus der Reihe: Er kann nichts, außer gut klingen. Eine Anpassung auf die individuelle Impedanz der unterschiedlichen Kopfhörer oder gar eine Crossfeed-Schaltung empfanden die Canor-Entwickler offenkundig als nicht so wichtig. Wir haben den Kopfhörer-Ausgang natürlich umfassend getestet und tatsächlich klang er an Kopfhörern verschiedener Machart und unterschiedlichster Impedanz beständig gut: nämlich offen, vollmundig und fein. Womöglich reicht bisweilen eine audiophile Schaltung und ausreichend Leistung…
Sowohl den Phono-Eingang kann man über den Bedienknopf mit jeweils vier Abschluss-Anpassungen für MM und MC einstellen. Das ist absolut sinnvoll. Leider funktioniert das nicht über die wertige, aber recht simple Fernbedienung; dazu muss man an das Touch-Display.
Gleiches gilt für die Auswahl unter den neun (!) angebotenen Digitalfiltern von Brickwall bis Minimal Phase. Über den Kopfhörer-Ausgang, der – wie oben schon beschrieben – ganz vorzüglich klingt, habe ich versucht, die einzelnen Charakteristika der unterschiedlichen Filter herauszuhören. Das fiel mir sehr schwer… Am Ende entschied ich mich für den Filtertyp „Minimal Phase“. Da hatte ich das beste Gefühl. Aber mehr auch nicht.
Als äußerst praktisch empfand ich die Möglichkeit, jeden Eingang im Pegel (+3dB oder +6dB) anpassen und sogar zum Home-Theatre-Eingang machen zu können.
Hörtest
Zunächst habe ich versucht, den Klangcharakter von DAC und Phono-Amp herauszubekommen – und zwar über den Kopfhörerausgang (um die Endstufe zu umgehen). Eigentlich Unfug, weil man – das ist ja der Sinn eines solchen „All-inOne“-Geräts stets über den eingebauten Verstärker hört und dieser natürlich für die Klangfarben entscheidend ist. Gleichwohl konnte ich die Canor-Handschrift sowohl bei Phono als auch beim DAC eindeutig heraushören.

Zum Vergleich nutzte ich den Cambridge Audio Alva Duo (Phono, 350 Euro) und den DACMagic 200M (500 Euro) aus gleichem Haus. Beide sind bestend getestet und beide haben den Vorzug eines eigenen Kopfhörer-Ausgangs. Die eingebauten Module des Virtus A3 boten – bei einer ähnlichen Tonalität – in beiden Fällen die höhere Souveränität, eine höhere Schlackenfreiheit und Feinzeichnung. Das war eindeutig 1-2 Stufen besser.
Zwei Vollverstärker, die wir kürzlich im Test hatten, standen noch zum Vergleich bereit: der Cambridge EXA 100 und der Atoll IN300. Beise sind vom Klancharakter eher unterschiedlich: der Cambridge etwas gedeckter, der Atoll etwas offener und dynamischer antrittsschneller.

Dennoch ließ der Canor beide recht schnell hinter sich. Er hat eine schöne Art, vollmundig kraftvoll zu klingen, ohne dabei im Bass zu mollig zu werden. Ebenfalls auffällig ist seine noble, sehr feine Gangart im gesamten Mittelhochtonbereich.
Das Album “Silver Seed” von Tolyqyn ist exemplarisch schönes Beispiel dafür. Mehr noch als mit Cambridge und Atoll begann die exzellente, ungemein “organisch” wirkende Aufnahme mit dem Virtus A3 zu leben. Die Musik von “Silver Seed” ist getragen von vielen unterschiedlichen Instrumenten auch aus der arabischen Welt. Dem Canor gelang es noch besser und müheloser, all jene feinen Details abzubilden oder auch die facettenreiche Stimme von Roland Satterwhite ein Stück einfühlsamer darzustellen.

Bei Tiefton-treibender elektronischer Musik wie zum Beispiel bei dem musikalisch eher schlichten “and the colour red” von Underworld (Album: Strawberry Hotel) schob der Cambridge am deftigsten die Bässe in den Raum, der bärenstarke Atoll gab der Sache noch mehr Punch und federnde Präzision. Der Canor schlängelte sich zwischen den beiden lang: Nicht so energetisch wie der Atoll und schlanker, kultivierter als der Cambridge. Als Poser aus dem Dancefloor eignet sich der Slowake nicht so gut.
Dagegen um so besser, wenn es gilt, kleinere, intime Live-Konzerte darzustellen. Element of Crime hat (zusammen mit Charly Hübner) auf “Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin” eine Reihe von ihren Live-Aufnahmen aus kleineren Konzertsälen zusammengestellt. Ein schönes Werk, bei dem uns beispielsweise “Moonlight” in die lebendige Atmosphäre des Lido entführt. Auch hier gelang es dem A3 meisterhaft, die Stimmung des Clubs abzubilden, all die feinen Nebengeräusche deutlich, aber nicht vordergründig mit einzubinden und die Stimme von Sven Regner noch ausdrucksvoller und plastischer zwischen die Lautsprecher zu stellen, als es Atoll und Cambridge möglich war. Einfach ein schöner Vortrag.

Und noch eine Beobachtung aus dem Redaktionsalltag nach vielen Tagen des Tests: Wie zufällig wurde, solange der Virtus A3 noch bei LowBeats stand, immer dieser Verstärker angeschlossen: Um mal eben schnell etwas auszuprobieren oder in der Pause ein bisschen Musik zu hören. Sein Klang hat etwas Unaufgeregt-Schönes, das schwer zu beschreiben, aber umso angenehmer zu hören ist…
Fazit Canor Virtus A3
Man könnte monieren, dass für ein „All-inOne“-Komponente eigentlich eine digitale Quelle oder Streaming fehlt. Geschenkt. Denn dass, was der A3 bietet, macht er ausgezeichnet. Genial ist natürlich der neue Bedienknopf, der nicht nur extravagant aussieht, sondern dem User erstaunlich viele Möglichkeiten eröffnet.
Klanglich bleiben sich die Slowaken auch mit diesem „modernen“ Hybrid-Verstärker absolut treu: Er klingt wunderbar musikalisch und fein, vollmundig, ohne im Bass aufzudicken.
Die lange Entwicklungszeit hat sich also letztendlich gelohnt: Der Virtus A3 ist eine ungewöhnliche und ungewöhnlich gute Mehrzweck-Komponente und für all jene, die auf den authentisch-schönen Canor-Klang stehen, die derzeit günstigste Möglichkeit, ihn umfassend zu genießen. Eine ganz dicke Empfehlung.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Schlackenfrei-natürlicher, sehr feiner Klang |
| Exzellenter integrierter DAC |
| Geniales Bedienkonzept |
| Weder Bluetooth noch Streamer eingebaut |
Vertrieb:
IDC Klaassen
Am Brambusch 22
44536 Lünen
www.idc-klaassen.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Canor Virtus A3: 6.000 Euro
Die technischen Daten
Canor Virtus A3 | |
---|---|
Technisches Konzept: | DAC-Vollverstärker (hybrid) |
Leistung: | 2 x 150 Watt (4 Ohm), 2 x 100 Watt (8 Ohm) |
Analog-Eingänge: | 1 x Phono MM/MC, RCA), 2 x Line (RCA), 2 x XLR (symmetrisch) |
Digital-Eingänge: | 2 x COAX, 2 x optisch, 1 x USB, 1 x AES/EBU |
Analog-Ausgänge (variabel): | 1 x RCA, 1 x XLR (symmetrisch) |
DAC: | 2 x ESS 9038 (Dual-Mono-Konfiguration) |
Vorstufen-Röhren: | 2 x E88CC |
Phono-Verstärkung: | 40 / 46 dB (MM), 60 / 66 dB (MC) |
Besonderheiten: | smarter Multifunktions-Bedienknopf mit Display |
Abmessungen (B x H x T): | 43,5 x 13,0 x 46,2 cm |
Gewicht: | 18,2 Kilo |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
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