Ebenso erfreulich ist die elektrische Anspruchslosigkeit der JBL: Die Impedanz liegt fast immer auf 4-Ohm-Niveau, der Wirkungsgrad ist so erfreulich hoch, dass auch kleinere Verstärker an der L100 Classic eine gute Figur machen können. Ich nutzt für den Praxistest den 300B-Vollverstärker Mira Ceti von Fezz Audio. Und das war aller Ehren wert, wie viel Ausdruck und Pegel der kleine polnische Amp mit seinen knapp 2 x 10 Watt aus der Ami-Box herausholte. Aber so wenig Leistung sollte es dann doch nicht sein. Denn mit viel Leistung lässt die JBL die Kuh fliegen…
Sollte meine Verbeugung vor der wiederbelebten Legende bislang noch nicht sehr tief ausgefallen sein, an dieser Stelle wird der ganz tiefe Diener fällig. Wir sprechen über Pegel, sehr hohe Pegel, für die auch eine JBL L100 Classic viel Leistung braucht, aber auch locker verträgt – siehe Slideshow:
123 Dezibel. Das ist der Pegel, den ein Düsenjet in 100 Meter Entfernung produziert. Dieser kompakte Lautsprecher kann absurd laut und unverzerrt spielen. Lauter als jede andere bislang bei LowBeats gemessene Passivbox. Damit hängt die vergleichsweise kleine JBL also selbst solche Kaventzmänner wie die Heco Dreiklang, die Tannoy Canterbury GR oder die Wolf von Langa Chicago zum Teil deutlich ab.
Praxis
Schon unter Design-Gesichtspunkten versteht es sich von selbst, dass dieser Lautsprecher zwingend auf die dazugehörigen Ständer JS 120 gehört. Aber auch akustisch macht das dezente Anheben und die Neigung durchaus Sinn. Die Ständer bringen die JBL L100 Classic nicht nur in eine gute Höhe, sondern sorgen durch die leichte Neigung nach hinten auch noch für eine angenäherte kohärente Abstrahlung von Tief-, Mittel und Hochtöner.
Auf den Ständern war die Aufstellung weniger kritisch als gedacht. Im großen LowBeats Hörraum (70 qm) konnte ich sie fast überall aufstellen und es klang (im Bass) fast überall gut. Im kleinen LowBeats Hörraum (15 qm) funktionierte es eigentlich gar nicht; für den ist die L100 Classic zu groß.
Doch mittlerweile experimentiere ich gern auch mit den häufig beigelegten Bassreflex-Verschlüssen aus Schaumstoff. Sie verschließen den BR-Port ja nicht vollständig, sondern verhindern nur die bassunterstützende Funktion des Ports; das macht den Bass meist trockener und damit den Lautsprecher unkomplizierter in der Aufstellung. Durch diesen Trick jedenfalls ließ sich der Bass der L100 Classic soweit zähmen, dass sie auch auf wenigen Quadratmetern noch funktionierte. Aber dafür ist sie eigentlich nicht gemacht – sondern für Hörraume mit Platz.
Das Thema Verstärker hatte ich oben schon angerissen. Zur Not gehen auch solche mit weniger Leistung, schöner und beeindruckender ist allerdings sehr viel Leistung. Ich hörte viel mit dem immens kraftvollen McIntosh MA 7900 AC – auch, weil es vom Gesamtbild gut passt (Ikone spielt mit Ikone) und weil sich mit dem eingebauten Equalizer des Mac noch etwas besser feintunen ließ. Sensationell aber wurde es an der SPL Vor-/Endstufen-Kombination Director MK-II und den Monos m1000. Die Endstufen haben so viel stabile Kraft – mit ihnen haben wir unseren Pegelrekord eingestellt und den lautesten Hörabend der LowBeats Geschichte veranstaltet. Das war klasse.
Die JBL L100 Classic im Hörtest
Gedimmtes Licht, Kerzen, ein Gläschen vom besseren Rotwein. Sie haben Musik aufgelegt und lauschen verträumt allein oder mit Ihrer/Ihrem Liebsten bei dahinplätschernden Pegeln der glockenklaren Stimme von Rebecca Pidgeon, den samtigen Aufnahmen der Kings of Convenience oder der Gitarren-obertonlastigen Musik aus dem Haus Stockfisch.
Cut.
Streichen Sie diese Bilder aus Ihrem Kopf. Zumindest, wenn Sie sich gedanklich mit der JBL L100 Classic auseinandersetzen. Audiophiles Gezimbel, Feinstauflösung, dezent-warme Natürlichkeit bei Streichern – das ist nicht die Welt dieses Lautsprechers. Er braucht es deftig. Dieser Lautsprecher ist enorm lebendig und will es dynamisch und rau. Auf dem Bild aus dem LowBeats Hörraum sieht man zwei der Vergleichs-Boxen: die Q Acoustics C 500 und die Audiovector R 3 Arreté. Rein tonal klingen die beiden Standboxen viel feiner und geschmeidiger, schöner. Da gibt es kein Vertun.
Dynamisch aber hängt die gedrungene Amerikanerin ihre Standboxen-Konkurrenz locker ab. Sie ist der amerikanische Muscle-Car mit 4,7 Liter V8, der an der Ampel natürlich den vollausgestatten Kombi mit vernünftigem 3-Zylinder-Motor abhängt. Jeder Schlag auf die Snare-Drum klingt mit ihr schneller, härter, echter. Vor allem, weil dieser Tieftöner offensichtlich keine Limits kennt und immer noch unverzerrte Energie nachschiebt. Das ist im HiFi – zumal zu diesem Kurs – ein einzigartiges Erlebnis.
Aber die L100 Classic klingt nicht mit allen Aufnahmen schön. Im oberen Mittenbereich geht ihr die Transparenz verloren. Tonal ist das alles OK, aber das Herausarbeiten feinster Details will ihr nicht so leicht von den Membranen gehen. Bei der JBL L100 bewahrheitet sich die alte Regel: Hohe Pegelfestigkeit steht im Widerspruch zu Auflösung. Deshalb sind die meisten High-End-Lautsprecher ja viel eher “Leisesprecher”.
Nun, die JBL kann sehr laut; die Auflösung in den oberen Mitten ist daher eher bescheiden. Deshalb versteige ich mich zu der Aussage, dass sie für manche Musik nur bedingt geeignet ist. Klassik, kleine Besetzung? Eher nein. Frauenchöre? Besser auch nicht. Blues? Aber hallo! Es ist ja der Vorzug unserer Zeit, dass man über die Streaming-Dienste quasi auf Knopfdruck das ganze Repertoire von Seathick Steve, Tea Party, ZZ Top & Co. völlig problemlos zuspielen kann. Und das taten wir dann mit wachsender Freude. Und mit dem Hören drehte sich der Lautstärkeregler des SPL Director Mk-II wie von selbst immer weiter nach rechts. Da geht doch noch was…
Und tatsächlich, es ging. Die L100 Classic versetzt den Zuhörer mühelos in die rauchigen Jazz-Keller der Siebzigerjahre oder in die kaum größeren Veranstaltungsräume, in denen kleine Bluesbands sehr direkt handgemachte Musik zum Besten geben. Und das alles mit Pegeln, die den Zuhörer glauben machen, er sei wirklich vor Ort. Es ist eng, es wird gedrängelt, man kann den Zigarettenqualm förmlich riechen… Ein weiterer Vorzug der JBL ist die erstaunlich große Bühne, die dieser Lautsprecher zaubert. Auch das unterstützt diese sehr realitätsnahe Wiedergabe der Amerikanerin.
Mit der Zeit kommt natürlich auch andere Musik aufs Tableau. Und ja: Nach und nach gewöhnen sich die Ohren an die Gangart der JBL; die Auflösungsschwäche im oberen Mittenbereich bleibt, aber sie verliert an Gewicht. Vor allem, wenn dann auch noch passende Musik womöglich sogar vom Plattenspieler kommt. Neben ihrem Faible für handgemachten Blues, ist auch die Musik à la Crosby, Stills, Nash & Young (Four Way Street), Fleetwood Mac (Rumours), Jackson Brown (Running On Empty) wie gemacht für diesen Lautsprecher: Die Abstimmung der JBL L100 passt bestens zu der Klang-Ästhetik der Siebziger.
Und weil die Siebzigerjahre bei diesem Test eine so dominante Rolle spielen, haben wri dann noch den Versuch mit Elektronik aus den Siebzigern gemacht: dem Onkyo TX 2500 von 1977. Und hey: Das klang richtig gut. Als hätte JBl mit der L100 Classic einen Lautsprecher bauen wollen, der diese alten Helden wieder zum Leben erweckt. Mit seinen knapp 2 x 50 Watt hat der Onkyo den Hörraum ordentlich gerockt.
Wenn allerdings (wie im Falle der SPL Performer m1000) das Zehnfache an Leistung zur Verfügung steht und wenn dann moderne, elektronische Musik wie Infected Mushroom im Player liegt, dann wird jeder Gedanke an Vintage wie weggeblasen. Die L100 Classic pumpt, drückt, hämmert die Bässe in den Hörraum, wie es typische HiFi-Boxen dieser Größe nicht einmal im Ansatz hinbekommen. Und dabei wahrt die L100 Classic jederzeit die Übersicht. Selbst die ganz gemeinen Tiefbässe von Infected Mushroom lassen diesen Schallwandler einfach kalt und er liefert neben dem Schub auch noch jede Menge Information über die zum Teil liebevoll gesampelten Basswellen. In solchen Momenten ist dieser Lautsprecher nichts geringeres als ein Sensation.
Fazit
Dieser Lautsprecher ist der Gegenentwurf zu modern & smart. Von der Impulsivität und dem maximal unverzerrten Pegel her hängt die eigenwillige “Bookshelf-Box” alles ab, was HiFi in diesem Größen- und Preisbereich zu bieten hat. Und zwar um Längen. Schon das lässt ihn aus der Masse weit herausragen und den Paarpreis von 4.200 Euro als ausgesprochen fair erschienen.
Aber die JBL L100 Classic ist auch vom Design her eine Show: Sie ist ein Lautsprecher, der aussieht wie von früher und der klingt wie früher: Audiophile, denen das letzte Quäntchen Auflösung wichtig ist, sollten sich woanders umhören. Jene aber, die ein Faible für Vintage haben, sind hier hundertprozentig richtig – zumal die L100 Classic an leistungsstarker Elektronik sehr moderne und äußerst ungewöhnliche Hochpegelstände erreicht oder dank ihres hohen Wirkungsgrads selbst an kleineren (oder älteren) Verstärkern erstaunlich lebendige Auftritte feiert.
Nun klingt die L100 Classic nicht immer schön. Sie hat so etwas wie einen rauen Charme und ist vor allem für dynamische Musik gemacht. Sie ist der Muscle Car unter den HiFi-Boxen, der es nicht übel nimmt, wenn man ihm mal richtig die Sporen gibt. Im Gegenteil: Er fordert es irgendwie ein…
Bleibt die Frage: Ist so ein Lautsprecher heute noch zeitgemäß? Mehr denn je. Denn er ist wiedererkennbar. Es ist anzunehmen, dass hochwertiges HiFi in Zeiten zunehmend smarterer und kleinerer Digitaltechnik immer mehr “Vintage” wird oder an Erkennbarkeit verliert. Die JBL L100 Classic ist jederzeit wiedererkennbar. Ein Charakter.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Sehr direkter, authentischer Klang |
| Pegel von über 120 Dezibel möglich |
| Extrem basskräftig, hohe Verzerrungsarmut |
| Eingeschränkte Auflösung im oberen Mittenbereich |
Vertrieb:
Harman Deutschland GmbH
Kontakt: Behle & Partner
Carl-Jordan-Straße 16
83059 Kolbermoor
www.jblsynthesis.com
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
JBL L100 Classic: 4.200 Euro
Ständer JS 120: 370 Euro
Mit- und Gegenspieler:
Test Standbox Audiovector R3 Arreté
Test Q Acoustics C 500 – beste Standbox unter 5.000 Euro
Test Wolf von Langa Audio Frame Chicago: die neue Referenz
Test Heco Direkt Dreiklang: Musikerlebnis mit 120 dB
Tannoy Canterbury GR: der Exklusivtest
Test 300B-Röhrenverstärker Fezz Audio Mira Ceti
Test McIntosh MA 7900 AC – Power & Passion
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