Die Klipsch La Scala, seit unglaublichen 61 Jahren ein Fixstern am Lautsprecherhimmel, ist in der Evolutionsstufe AL-5 so populär – und umstritten – wie eh und je. Unser Gastautor Ulrich Michalik, bekennender La Scala-Fan und Besitzer dreier Modellgenerationen sowie eines Pärchens ihrer schönen Schwester Belle, meint, dass La Scala nicht allen vieles, aber einigen (fast) Liebhabern alles bieten kann. Und verrät, weshalb neuer nicht automatisch besser sein muss
Wer hat nicht schon alles von sich behauptet, Hersteller der am längsten produzierten HiFi-Komponente der Welt zu sein. Selbst bei Linn, einem Unternehmen für das ich lange gearbeitet habe und von dem ich weiß, dass es wissentlich niemals Latrinenparolen verbreiten würde, hätten übereifrige Marketing-„Experten“ um ein Haar den Altersvorsitz für den immergrünen Sondek LP12 reklamiert. Wäre ich nicht in letzter Sekunde dazwischen gegrätscht. Im Vergleich zu einem Denon DL103 (Jahrgang 1963) und dem Klassiker Ortofon SPU (1959) oder gar dem unsterblichen Klipschorn (1947) ist der 1973 vorgestellte schottische Plattendreher nämlich ein Greenhorn.
Selbst der Gegenstand dieser kleinen Retrospektive, die Klipsch La Scala, ist ein glattes Jahrzehnt länger am Markt. Wobei sie, streng betrachtet, ursprünglich nicht als HiFi-Komponente, sondern als PA-Lautsprecher konzipiert und deklariert worden war. Ins reguläre Modellprogramm schaffte sie es, weil es jede Menge kaufwilliger Privatleute wie auch prominenter Musikschaffender gab (u.a. Arthur Fiedler, Willie Nelson und J.J. Cale) und Paul Wilbur Klipsch darüber hinaus nicht nur ein genialer Wissenschaftler mit unzähligen Patenten auf unterschiedlichen Technikfeldern war, sondern auch ein cleverer Geschäftsmann.
PA steht bekanntlich für Public Address, auf gut Deutsch Beschallung. Exakt jene PA-Gene werden seit jeher gerne als Totschlagargument für die angeblich bescheidenen audiophilen Talente von La Scala ins Feld geführt. Was barer Unsinn ist.
Man mag von Bose halten, was man will. Aber wer wie ich und weitere 500 (!) geladene Fachjournalisten aus aller Herren Länder vor Ort erleben durfte, wie formidabel der US-Gigant die Olympischen Winterspiele von Albertville beschallte, der konnte sich eine ketzerischen Frage nicht verkneifen: Warum Himmels Willen warten Boses Heimlautsprecher höchst selten, um nicht zu sagen nie, mit vergleichbar stupender Sprachverständlichkeit auf?
Die Klipsch La Scala…
… war Paul Klipschs ingeniöse Lösung für ein Klipschorn light: ein relativ problemlos zu transportierender, weil für amerikanische Verhältnisse physisch nicht sonderlich ausladender, in puncto Leistungsbedarf frugaler und gleichzeitig hochbelastbarer Schallwandler für die In-door- und Out-door-Wahlkampfauftritte seines Freundes und späteren Gouverneurs von Arkansas, Winthrop Rockefeller. Wenn’s nicht zu groß und nicht zu watthungrig sein darf, die zu vermittelnde Botschaft jedoch so unmissverständlich wie potenziell prügellaut rüberkommen soll, dann führt am Vollhorn kein Weg vorbei. Und genau das ist La Scala.
Was sie nicht ist: in mitteleuropäische Durchschnittsräumlichkeiten einigermaßen sozialverträglich integrierbar. Was sie noch weniger ist: trotz Tiefkühltruhenfigur für Bassfreaks hinlänglich tiefsttontauglich. Die schreckliche Wahrheit: Unterhalb etwa 50 Hertz entfacht sie ihres kurzen Horns wegen kaum mehr als ein laues Lüftchen. Das kann, auch wenn’s dem Klipsch-Fan wehtut, manch wespentailliertes Bassreflexhandtuch genauso gut oder besser. Allerdings nur auf dem Papier.
Denn wo La Scala ihre hyperpräzisen, pupstrockenen 50 Hertz bei Bedarf mit bauchfellerschütterndem Punch und beispielhafter Verzerrungsarmut mithilfe lediglich einer (kleinen) Handvoll Watt in Räume praktisch beliebiger Kubikmeterzahl katapultiert, da klirren und japsen Bassreflexböxle samt 200-Watt-Endstufe längst um die Wette, wenn nicht die Schwingspulen bereits ausgespuckt, die Endtransistoren verschmort sind. La Scalas 38er Tieftöner kostet’s gefühlt und gemessen nicht mehr als ein müdes Membranzucken.
Der Autor dieser Zeilen, jahrzehntelang von hochdekorierten Tiefstbassgranaten konventioneller Machart verwöhnt, ist dem hemdsärmeligen Charme des amerikanischen Hornunikums mittlerweile rettungslos verfallen. Kennt keinen halbwegs vergleichbaren herkömmlichen Lautsprecher, keinen einzigen, egal ob offen oder geschlossen, aktiv oder passiv, der La Scala, was explosive (Bass-)dynamik angeht, das Wasser reichen kann. Alles andere (mit Ausnahme des Klipschorns, das ich wegen lächerlicher zwölf Zentimeter an fehlender Kniestöckhöhe partout nicht stellen kann) wirkt vergleichsweise gebremst, langsam, müde, nicht irgendwie langweilig, stinklangweilig. Freilich, und jetzt oute ich mich sogleich als audiophiler Trickser: Ohne amtlichen Tiefstbass mag ich trotz vermutlich ewigen Bundes mit La Scala nicht leben. Ob es dazu, wie in meinem Fall, gleich fünf geschlossener kleiner Aktivsubwoofer von SVS bedarf, kann ich guten Gewissens verneinen. Unter uns gesagt: Mit nur einem wird’s problematisch, aber zwei tun’s in aller Regel auch.
Beim Gros aller La Scala-Besitzer kommt der Wunsch nach mehr Basstiefe aber überhaupt nicht auf. Was zum einen an ihrer überragenden Performance im mittleren bis oberen Tieftonspektrum liegt. Sowie an der von Paul Klipsch dringend empfohlenen wand- oder – besser noch – eckennahen Aufstellung, die den unteren Übertragungsbereich auf knapp 40 (O-Ton) „useful“ Hertz erweitert.
Zum anderen sei daran erinnert, dass viele, wenn nicht die meisten zumal älteren Tonträger wie auch ein Großteil des akustischen Instrumentariums La Scalas unteres Frequenzlimit kaum oder gar nicht touchieren. Es ist ja kein Zufall, dass sich unter den Besitzern von Klipsch-Heritage Lautsprechern – wozu Traditionalisten neben La Scala nur noch Klipschorn und Cornwall sowie Heresy und ihre hübsche(re) Schwester Belle zählen –, auffällig häufig Liebhaber von akustischem Jazz und Folk sowie unverkünstelter Klassik- und Weltmusikeinspielungen tummeln.
Richtig gelesen: Anders als häufig kolportiert, ist La Scala die Antipode einer Krawallmaschine für drögen Stadionrock, kein an tumben Rap verschleudertes Profitool, kein Vehikel vornehmlich fürs Grobe. Wobei sie auch in genannten Disziplinen sämtlichen eindimensional begabten Brüllwürfeln ruckzuck den Stecker zieht. Ganz in ihrem Element ist sie aber erst, wenn es beispielsweise gilt, einen Konzertflügel glaubhaft in Szene zu setzen, was in dieser Unverzerrtheit und Grandezza ihr und anderen erstklassigen Horndesigns ein Privileg zu sein scheint (Tschaikowsky, Klavierkonzert Nr.1, Curzon, Solti, Decca SXL 2114).
Oder Stimmen, Stimmen! Was los ist, wenn eine Birgit Nielsson mit ihrem Jahrhundert-Sopran im Zenit und Solti und seiner Wiener Kapelle im Rücken den Sofiensaal erbeben lässt – ach was, buchstäblich aus den Fundamenten hievt –, das muss man ganzkörperhaft fühlen, mehr spüren als hören. Wozu La Scala vortreffliche Dienste leistet – bis hinauf in hohe und höchste Register, ohne den leisesten Anflug von Anstrengung, ohne auch nur einen Hauch von Schärfe, mit fast schon aufreizender Lässigkeit. Große, ganz große Oper, aus dem Ärmel geschüttelt. (Strauss, Elektra, Decca SET 354-5).
Um mir nicht länger den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, hier nur Altherrenmusik aus dem vergangenen Jahrtausend zu verbraten, wie wär’s mit Gillian Welch? Ihr Album “The Harrow & The Harvest” ist zwar für meinen Geschmack nicht ganz der audiophile Überflieger, als der es gelegentlich gehypt wird. Aber immerhin nervt die blitzsaubere Produktion nicht mit überflüssigem Technoklimbim und ist vor allem prallvoll mit feinem Songwriting: ein ureigener Stilmix aus Folk, Country und Bluegrass. Echte, unverschwurbelte amerikanische Volksmusik, ohne Nashville-Syrup, ohne Redneck-Mief, ohne pseudointellektuelles Weltschmerzgenöhle. Kaum zu glauben, dass so etwas einen Grammy abräumen kann. Und erfreulich auch, dass Masteringingenieur Steven Marcussen diesen Job nicht ähnlich kriminell versemmelt hat wie etliche grotesk komprimierte Juwelen aus dem Backkatalog der Rolling Stones.
Mein Lieblingstitel ist „The Way It Goes“, einer der flotteren Tracks auf dieser thematisch und tempomäßig vorwiegend getragenen Liedersammlung. Niemand wird Welch einer großen Stimme im klassischen Sinne bezichtigen. Doch was sie daraus macht, ohne sich dafür studio- oder gesangstechnischer Taschenspielertricks bedienen zu müssen, das zeugt von Extraklasse und erinnert mich stets ein wenig an Bob Dylan, der auch keine Stimme hat und trotzdem ein großer Sänger ist.
Enormen Anteil am künstlerischen Erfolg des gesamten Albums hat der hinreißend schöne Harmoniegesang mit ihrem (Lebens-)Partner David Rawlings, nicht von ungefähr ein Markenzeichen dieses unzertrennlichen Duos. Rawlings grandiose Plektrum-Akrobatik auf der Akustikgitarre ist es auch, was dem Song seinen treibenden Goove verleiht – flankiert vom zügellosen Temperament einer La Scala, die sich im Umfeld eines puristischen Arrangements wie gewohnt pudelwohl fühlt und mit ihrem ungestümen Temperament das Bluegrass-typische Fehlen eines Drummers total vergessen macht.
Für HiFi-Tester ist La Scala ein wahres Himmelsgeschenk, weil sie Unterschiede etwa zwischen Tonabnehmern buchstäblich im Handumdrehen ultrapräzise herausarbeitet. Unterstützt von einem Planar 8 – ein fantastischer Plattenspieler und für mich DER Sweetspot im Rega-Laufwerksprogramm – höre ich mich gerade mit allergrößtem Vergnügen durch die VM-Magnetlinie von Audio Technica. Erstens, weil ich auf preiswürdiges HiFi stehe, zweitens, weil keine Niete dabei ist und drittens, weil einem La Scala wochenlange Hörmarathons mit glühenden Ohrwascheln erspart.
Einer meiner bevorzugten Testtonträger ist ein klassikmusikalischer Gassenhauer, Vivaldis Die Vier Jahreszeiten, in der Interpretation von Sigiswald Kuijken mit La Petit Bande (RCA RL 30397). Ein amerikanischer Rezensent mit deutlich mehr Ahnung vom Barock als ich, jubelte bei Erstveröffentlichung 1979, dank dieser Aufnahme könne man sämtliche anderen Vier Jahreszeiten getrost entsorgen. Wie dem auch sei, die ausschließlich zeitgenössischen Instrumente – Geigen, Celli, Kontrabass und Cembalo – sind derart naturgetreu eingefangen, dass klangfarbliche wie räumlichkeitsspezifische Schlenker vom Pfad der Tugend sofort ins Ohr fallen. Wie sich diese Mordstrümmer namens La Scala mit geeignetem Softwarefutter bei geschlossenen Augen vollständig entmaterialisieren, buchstäblich in Luft auflösen und einen in einen Konzertsaal voll knisternder Atmosphäre beamen – ein highfideles Faszinosum, an dem ich mich hoffentlich nie werde satthören.
Dichtung und Wahrheit
Zur Wahrheit gehört beispielsweise der unfassbare Wirkungsgrad von 100 (!) Dezibel. Die La Scala ist der lauteste, bislang bei LowBeats gemessene Lautsprecher. Da war selbst Messlaborleiter Jürgen Schröder platt.
Der Vorzug einer solch hohen Effizienz ist in der Regel ein hohes Maß an Verzerrungsarmut – was die LowBeats Messungen eindrucksvoll unterstreichen: Bei der klassischen Wohnzimmerpegel-Messung @85 Dezibel ist nicht einmal ein Hauch einer noch so kleinen Verzerrung zu entdecken. Faszinierend.
Faszinierend auch, was passiert, wenn man diesen Lautsprecher bis zum Anschlag aufdreht: Auch dann bleiben die Verzerrungen echt im Rahmen…
Nun war schon viel die Rede davon, was alle in den letzten 61 Jahren gebauten La Scalas klanglich auszeichnet. Aber noch kein Wort wurde bisher über das (und des Hornkonzepts vermeintlich größte) Manko verloren – der Hang zu tonalen Verfärbungen. Entwarnung. Auch wenn Paul Klipsch nie einen Hehl daraus machte, dass er im Zweifelsfall naturgetreue Grob- und Feindynamik im Verein mit Verzerrungsarmut und Wirkungsgrad höher gewichtete als einen auf dem Messschrieb etwas lineareren Frequenzgang – ich finde, La Scala verfärbt nicht mehr als andere Top-Schallwandler, wenn nicht bisweilen sogar etwas weniger.
Ehe Sie jetzt letzte Hemmungen bezüglich der Anschaffung über Bord werfen, sollten Sie sich über eines im Klaren sein: La Scala wird Sie nur dann restlos glücklich machen, wenn Sie willens sind, mehr in sie zu investieren als wahrscheinlich jeden anderen Lautsprecher, den Sie jemals besessen haben. Ich meine damit nicht unkalkulierbare finanzielle Risiken, sondern Engelsgeduld bei der Aufstellung und vor allem der Auswahl geeigneter Spielpartner.
Noch relativ überschaubar ist der erforderliche Aufwand bei der Suche nach dem passenden Plätzchen, da eine Aufstellung frei im Raum angesichts ihrer rubensschen Figur ohnehin niemand ernsthaft in Erwägung ziehen wird. Faustregel: je wandnäher, desto lieber, wobei La Scala selbst bei ihres Schöpfers propagierter Idealplatzierung, direkt in der Ecke, kein Gesumpfe veranstaltet, wie es bei „normalen“ Artgenossen prinzipbedingt nicht zu vermeiden wäre. In der Ecke gewinnt der Bass vielmehr an Tiefe, an Volumen und Pegel, ohne dass der bis etwa 450 Hertz hochlaufende Tieftöner an Präzision und Attacke nennenswert einbüßen würde. Dem Horndesign sei’s gedankt. Und äußerst wohnraumfreundlich ist es obendrein.
Mindestens ebenso wichtig sind Stereobasisbreite und Hörabstand. Wie an früherer Stelle angedeutet, kennt La Scala bei der schieren Raumgröße – also Fläche und Volumen – so gut wie keine Obergrenze. Es ist immer wieder beeindruckend, wie spielerisch sie selbst saalähnliche Räumlichkeiten mit Wohlklang zu füllen vermag. Nun residieren die meisten von uns einen bis zwei Ticks bescheidener als der Sonnenkönig weiland in Versaille, weshalb man sich gewöhnlich bei einer Basisbreite irgendwo zwischen zwei und vier Metern einpendelt. Weniger als zwei Meter sollten es nicht sein. Da schrumpft mir der Räumlichkeitseindruck zu sehr und gießt Wasser auf die Mühlen jener Ahnungsbefreiten, die nicht müde werden, zu behaupten, La Scala könne nicht anständig tiefenstaffeln. Schmarrn, sie fängt nur weiter vorne an. Mehr als vier Meter Breite hingegen schaden gar nicht, solange nur der Hörabstand entsprechend mitwachsen darf.
In meinem Wohnhörzimmer mit rund 35 Quadratmetern Grundfläche erwies sich nach intensivem Hin- und Herrücken eine Basis von knapp drei mit einer Entfernung zum Hörsofa von knapp vier Metern als opportun. Weil es am Ende ohnehin zumeist auf einen Kompromiss hinausläuft, würde ich persönlich immer eher an Basisbreite als an Hörabstand sparen. Die Mär von den angeblichen Hornverfärbungen rührt nach meiner festen Überzeugung von Halbwissenden her, die La Scala beim Musikhören viel zu nah auf die Pelle rücken. Vertrauen Sie mir: Abstand halten, und alles wird gut.
In Paul Klipschs handgeschriebenen Aufzeichnungen findet sich ferner der Tipp, La Scalas (wie alle frühen Klipsch-Lautsprecher) so weit einzuwinkeln, dass die Hochtöner quasi direkt auf die Nasenspitze zielen. Ich vermute, dieser Ratschlag erfolgte mit Räumen von Hollywoodformat im Hinterkopf, und ich lasse es lieber bei ein paar Grad weniger bewenden, vor allem, weil der Sweetspot davon profitiert, sprich: weil ich dann nicht so bocksteif hörsitzen muss wie Hannibal Lecter einst in seiner Knastzelle im Schweigen der Lämmer.
Kommen wir zur anderen Hauptursache für La Scalas angekratztes Image in gewissen Schlaumeierkreisen, der Verstärkerwahl. Ja, es stimmt, sie kann, rein quantitativ gesehen, aus lächerlich wenig Input atemberaubend viel Output generieren. Und genau dies ist der Fluch der an sich guten Tat. Weil sie mit einem derart hohen Wirkungsgrad gesegnet ist, meinen halt viele, es reicht, einen fetten alten Japan-Receiver aus den Flegeljahren der Transistortechnik dranzuhängen. Zum Krachmachen reicht’s tatsächlich, zum Musikgenießen, zum Herausfinden, was diesen Lautsprecher zu etwas, ja, Singulärem macht, nicht. Von Paul Klipsch ist die Vorliebe für die legendären Brook 2AR-Endstufen und die kleinen McIntosh-Monoblöcke MC30 überliefert. Der Mann hatte Geschmack.
Wie so oft lohnt es, sich seiner prophetischen Worte zu erinnern. „Was die Welt braucht, ist ein guter 5-Watt-Verstärker“, diagnostizierte er und konnte sich den ergänzenden Hinweis auf „5 gute Röhrenwatt“ sparen, denn etwas anderes als Röhren gab es zum Zeitpunkt dieser Aussage nicht. Ich hatte den Vorteil, vor Beginn meiner Liaison mit La Scala bereits Erfahrungen mit ihren Stallgefährten Heresy und Cornwall gesammelt zu haben. Mir war also durchaus bewusst, dass der Weg zur Domestizierung kein leichter werden würde. Auch wenn ich gar nicht beabsichtigte, dieses faszinierende Geschöpf seiner animalischen Wildheit zu berauben. Überhaupt, sehen Sie das Ganze positiv: In der Regel hören Sie im Milliwattbereich, die putzigen sieben Watt einer 300B reichen, um das Hausdach abzuheben, an Leistung per se brauchen Sie also keinen Gedanken mehr zu verschwenden, was zählt, ist allein Qualität.
Wenn’s denn so simpel wäre!
Ich erspare Ihnen eine detaillierte Schilderung der fiskalisch wie mental oftmals zermürbenden Zwischenetappen, muss allerdings meiner journalistischen Wahrheitspflicht Genüge tun und konstatiere: La Scala ist der mit Riesenabstand zickigste, mimosenhafteste, wählerischste und kompromissunfähigste Lautsprecher, den niederzukämpfen zur Lebensaufgabe man sich machen kann. Und gleichzeitig der liebens- und verwöhnenswerteste. Geben Sie ihr einen Class-A-Verstärker, und Sie sind auf dem richtigen Weg. Investieren Sie in Röhren statt Transistoren, und Sie nähern sich dem Ziel. Gönnen Sie ihr Single Ended-Röhren, und sie klopfen an der Himmelspforte. Spendieren Sie ihr Bi-Amping, und Sie sind im Nirvana.
Ich weiß, ich weiß, es geht auch mit (Class-A-)Transistorelektronik, umso besser, je jünger der La Scala-Jahrgang. Wem Röhren suspekt sind, der schaue sich zum Beispiel bei Nelson Pass um, dessen First Watt-Kreationen ganz vortrefflich mit Klipsch-Klassikern harmonieren. Pass ist übrigens nicht die einzige Branchenkoryphäe, die von Paul Klipsch nur in höchsten Tönen spricht. Auch Giganten der jüngeren Lautsprecherhistorie wie David A. Wilson (Wilson Audio) und Arnie Nudell (Infinity/Genesis) hielten mit ihrer Bewunderung nie hinterm Berg. Und dass A.N. Thiele und Richard Small, die in den 1960ern das Verhalten des elektrodynamischen (Bassreflex-) Schallwandlers erstmals wissenschaftlich erschöpfend beschrieben, zu ihrem Erstaunen feststellten, dass die bereits ein paar Jahre zuvor quasi mit dem Rechenschieber entwickelte Klipsch Cornwall die Thiele/Small-Parameter nahezu hundertprozentig erfüllte, spricht ebenfalls Bände.
Bleibt eigentlich nur noch die Anschaffung eines Pärchens La Scalas, was – sofern Sie gerade 17.000 Euro rumliegen haben – kein Problem ist. Aber auch nicht zwingend das, was ich Ihnen alternativlos empfehlen würde. Die aktuelle Version der La Scala ist, finde ich, ein ausgesprochen attraktives Tonmöbel, zumal in den helleren Holztönen. Und für das, was sie bei bescheidenstem Leistungsbedarf an Dynamik, Pegelfestigkeit und burschikosem Fun-Faktor bietet, wirkt sie im Konkurrenzumfeld keineswegs überteuert. Indes, auch wenn sie mit ihren inzwischen rund 90 Kilogramm Kampfgewicht den Eindruck hoher Solidität vermittelt, ein Musterbeispiel für gediegene Verarbeitungsqualität ist sie nicht.
Schon ihre Ahnen und Urahnen glichen in diesem Punkt eher dem Willys Jeep als einem Cadillac – ultrarobust, faktisch unkaputtbar, rustikal, grundehrlich, Typen zum Pferdestehlen. Doch wo einstmals pfundweise Schrauben verschraubt und eimerweise Leim verleimt wurde, grüßt heute an vielen Stellen der Tacker. Wo früher ausschließlich kostspieliges Birkenmultiplex verbaut wurde, findet sich seit Ende 2005 mit Umstellung auf das zweigeteilte Gehäuse an neuralgischen Stellen mitteldichte Spanplatte.
Dabei sträubte sich Paul Klipsch zeitlebens mit Händen und Füßen gegen das billigere MDF, weil er’s keineswegs für akustisch tot als vielmehr für akustisch unberechenbar hielt. Wohingegen Birkenmultiplex zwar gerne swingt und schwingt, aber eben kontrolliert und somit kalkulierbar. Ein gutes Musikinstrument ist akustisch nicht tot. MEINE Lautsprecher sollen ebenfalls Musikinstrumente sein, dürfen also ruhig ein gewisses Eigenleben haben. Und mag es dem Narrativ moderner Entwicklercracks noch so heftig gegen den Strich gehen – allein der Gedanke, tote Lautsprecher zu beherbergen, lässt mich erschaudern.
Woran Paul Klipsch ewig lange feilte, ist das den so entscheidenden Mitteltonbereich bis etwa 4,5 Kilohertz abdeckende Exponenzialhorn aus Kunststoff, das ab Baujahr 1987 die bewährte Metallversion ablöste. Etwas anders als vorher klingen die Mitten damit unbestritten – glatter, weicher, runder, gegenüber dem Hochtöner im Pegel leicht reduziert und damit gefälliger. Aber auch musikalischer? Geschmacksache. Genauso wenig teilen ich und andere Gralshüter der reinen Lehre die Auffassung, die Hoch- und Mitteltonchassis seien mit jeder Überarbeitungsstufe automatisch besser geworden. Vor allem japanische Klipsch-Verehrer schwören auf die anfangs eingesetzten AlNiCo-Hochtöner, leicht identifizierbar anhand ihrer runden Magneten, während die folgenden Ferrit-Typen rechteckige Magneten aufwiesen.
De facto fanden Treiberwechsel manchmal nur aufgrund von Produktionseinstellungen beim Zulieferer statt, was entsprechende Frequenzweichenmodifikationen erforderte. Eine Ausnahme bildet die Weiche vom Typ AA, bei der zwei Dioden den Hochtöner vor der Zerstörung durch thermische Überlastung respektive vor dem kriminellen Klirr präpotenter Transistor-Junks bewahren sollten. Die klanglich ausgewogenste ist und bleibt die von Hardcorefans und auch vom Erfinder bevorzugte, weil besonders Phasen-gutmütige 6-dB-Originalweiche vom Typ A.
Wenn bei der nach einem halben Jahrhundert oder noch länger ein Tausch der ermüdeten Ölpapierkondensatoren ansteht, kann in einem Aufwasch auch gleich das kinderleichte Upgrade von Single- auf Bi-Wiring/Amping (Serie ab Baujahr 2001) oder sogar ein kompletter Neuaufbau inklusive Ersatz des alten Klingeldrahts mit Strippen standesgemäßen Querschnitts erfolgen. Aber bitte nicht versuchen, schlauer zu sein als Paul Klipsch, sondern bei der Komponierung der möglichst leckeren Zutaten penibel auf Einhaltung der ursprünglichen Werte achten.
Auf sämtliche jemals eingesetzten Treiber- und Weichentypen en Detail einzugehen, fehlt hier der Platz. Prinzipiell gilt, was für Oldtimer jedweder Branche zutrifft: „if it ain’t broke, don’t fix it“. Nichts tauschen, was funktioniert. Klipsch-Chassis inklusive der Tieftönersicken sind generell extrem langlebig und zuverlässig. Und sollte doch mal eine Reparatur notwendig sein – die alten Mylar- und Phenolmembranen werden gerne spröde –, würde ich finanziell die Backen zusammenkneifen und unter ausnahmsweiser Missachtung der Originalität bei Crites in USA (www.critesspeakers.com) fabrikneue Hoch- und Mitteltöner ordern. Die sind für meinen Geschmack klanglich und messtechnisch sämtlichen Werksbestückungen inklusive den jüngsten Ausführung klar überlegen. Mittenauflösung, Hochtonluftigkeit und Klangfarbenfülle profitieren davon, je nach Güte des Frontends, in bemerkenswerter Weise. Ich wette, Paul Klipsch hätte seine helle Freude daran gehabt.
Finger weg lautet die Devise für Tuningmaßnahmen am Tieftöner. Wer hofft, seiner La Scala etwas Gutes zu tun, wenn er den originalen 15-Zöller von Eminence gegen ein feudales Gusskorb-Pendant etwa von JBL/Altec tauscht, wird ein böses Erwachen erleben. Es klingt schlechter. Anstatt Energie im Stile des bescheidenen Blechkörbchens schnell abzuleiten, befleißigt sich der massebehaftete Gusskorb als träger Engergiespeicher – eine Kardinalsünde bei Basshörnern, deren nobelste Berufung in blitzartiger Attacke besteht. Wenn Sie erfolgreich gezockt und/oder chirurgisch geschulte Komplizen in den USA haben, können Sie auch ein unverzeihliches Sakrileg begehen, ein ganz, ganz frühes Klipschorn ausweiden und deren stolze Western Electric-Treiber in Ihre La Scala schrauben.
Bis jetzt habe ich einen Riesenbogen um die Beantwortung der Gretchenfrage gemacht: 17.000 Euro für ein Pärchen jungfräulicher La Scala AL-5 ausgeben? Oder zu reiferen Ladies mit unüberseh- und unüberhörbaren Charakterfältchen greifen und unter Umständen einen Haufen Geld sparen? Klanglich, das wird Sie (fast) am meisten interessieren, ziehe ich die tonalen Ecken und Kanten der Versionen mit naturbelassenen Birkenmultiplex-Gehäusen vor. Was, zugegeben, einiges mit Nostalgie und noch viel mehr mit meinem Faible für ganz bestimmte Single-Ended-Röhrenverstärker zu tun hat, die „Skälchens“ Imperfektionen auf wundersame Weise zu konterkarieren vermögen.
Wer mit Sentimentalitäten und nicht enden wollenden DIY-Optimierungsaktionen nichts am Hut haben und verstärkermäßig – mein Unwort des Jahres – „technologieoffen“ bleiben will, ist in bester Gesellschaft von offenbar jeder Menge Neukunden, die voll auf das gekonnt auf zeitgenössische Hörgeschmäcker getrimmte „Voicing“ der aktuellen Version AL-5 abfahren. Und damit nicht weniger richtig liegen.
Da es zwischen steinalt und blutjung noch zahlreiche Generationen gibt, die sich preislich irgendwo dazwischen tummeln, man aber klanglich in keinem Fall etwas verkehrt macht, ist meine letzte Botschaft ein waschechtes Happyend: Es darf getrost der Geldbeutel entscheiden. Hauptsache: La Scala.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Einzigartig kernig-direkter, straffer Klang |
| Selten hoher Wirkungsgrad (100 dB) |
| Ikonischer Auftritt, seit 60 Jahren kaum verändert am Markt |
| Mittelmäßige Verarbeitung |
Vertrieb:
PREMIUM AUDIO COMPANY GERMANY GmbH
Lise-Meitner-Straße 9
50259 Pulheim
https://de.klipsch.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Klipsch La Scala AL-5: 17.000 Euro
Die technischen Daten und Messungen
Klipsch Cinema 600 | |
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Technisches Konzept: | 3-Wege Passivbox mit Basshorn |
Bestückung: | TT: 1 x 38 cm, MT: K-55-X 2 Exponentialhorn mit 13 cm Kompressiontreiber, HT: K-771 mit 2.54cm Kompressiontreiber |
Wirkungsgrad (2,83 V/m): | 100 Dezibel |
min. empf. Hörabstand: | 3 Meter |
Maximalpegel (Dauer / kurzfristig): | 115 / 127 Dezibel |
Min. Leistung für Max-Pegel (Dauer): | >50 Watt |
Finishes: | Natural Cherry, Satin Black Ash und American Walnut |
Abmessungen (H x B x T): | 101,6 x 61,6 x 64,3 cm |
Gewicht (B x H x T): | 91,2 Kilo |
Alle technischen Daten |