Alles in einer Truhe, schön verpackt – aber auch klanglich reizvoll? Ruark ist als klassischer Lautsprecher-Hersteller gestartet und zeigt nun mit dem Ruark R810 All-in-One, wie edel und effektiv sich die moderne Medienwelt verstauen lässt.
Das geht mir zu schnell. Alle rufen „Designikone“ und plappern die Pressemitteilungen von Ruark nach. Ja, natürlich: Die neue Konsole R810 sieht großartig aus, fasst sich toll an. Aber für eine Ikone braucht man mehr. Spirit, eine gewisse Potenz zur Verklärung – und einen Wow-Faktor, über den unsere Kinder in zwanzig Jahren noch sagen können, schön, was mir Papi da hinterlassen hat.
Alles andere ist Mode – und der R810 wirkt schon sehr modisch, mit einem gewissen Zeitgeist. Da passt es, dass die britischen Konkurrenten von Cambridge Audio mit dem Evo One ein vergleichbares All-in-One-System gerade lancieren. Gleiche Formsprache, erstaunlich gleiches Aufgebot an Medienvielfalt. Bei der Preisgestaltung müssten sich die Ruark-Mannen von der Ostküste aber ans Herz greifen: Der Evo One liegt bei 1500 Euro, Ruark ruft mit dem R810 weit mehr als das Doppelte auf: 3700 Euro.
Ruark R810: die technischen Details
Doch der Preis lässt sich gut argumentieren. Schon äußerlich: der R810 ist auch doppelt so schwer und wird mit einem Gestell aus verchromtem Stahl geliefert. Das ist wirklich ein modernes Medien-Sideboard. Zudem gibt es hier einen Phonoeingang für MM-Abnehmer und ein wie auch immer erwartetes CD-Laufwerk kann per USB angedockt werden.
Interessant ist, was man nicht sieht. Viele, fast alle Konkurrenten werfen den Journalisten und den Konsumenten großformatige Röntgenblick-Fotos entgegen. Ruark macht das nur in Andeutungen. Also schauen wir hinein, in das Gehäuse und die technischen Fakten. Wir sehen insgesamt fünf Treiber (2 x Tiefmitteltöner, 2 x Hochtöner, 1 x Subwoofer), angetrieben nicht von digitalen Amps, sondern von klassischen A/B-Verstärkern, die auf 4.1 Kanäle ausgelegt ist.
Das ist faktisch eine Stereo-Musiktruhe wie nach alter Väter Sitte. Links und rechts zwei Stereo-Zweiwegler, nach unten dann ein Subwoofer. Aber alles kompakt, fast klein. Zwei Seidenkalotten, zwei Tief/Mitteltöner mit 10 Zentimetern und schließlich der echte Bassproduzent mit 20 Zentimetern. Wichtiges Nebenbei: 180 Watt liegen an, wie gesagt, im etablierten Class-A/B – was auch die üppigen, zentral liegenden Kühlrippen auf der Rückseite erklärt. Die werden aber nicht sonderlich heiß – in der Regel. Deshalb darf man den schmucken Fotos vertrauen, in denen Ruark den Neuling direkt an der Wohnzimmerwand platziert.
Was eine schöne Überleitung darstellt: Natürlich ist das Wohnzimmer der Hauptspielort des R810, es kann aber auch das Gästezimmer sein. Oder ein Verbund mit den vielen unterschiedlichen Bauweisen der Briten – hier wird der Gedanke eines Multiroom-Konzepts gelebt.
Moment, da klingelt etwas. Das hatte ich doch schon einmal. Vor genau drei Jahren haben wir die Großfamilie Ruark vorgestellt. Von 800 bis 3000 Euro hinauf. Drei Modelle, mit dem R7 MKIII als Luxusmodell. Das ist das Muttertier des neuen R810, das können die Briten nicht leugnen. Auch beim R7 saßen die Kühlrippen auf der Mitte des Rückens, wurden 180 Watt in Class-A/B angeboten. Aber statt des neuen schönen Stahl-Rahmens gab es damals nur gespreizte Holzfüße. Das war wirklich die Musiktruhen-Ästhetik unserer Ahnen.
Folgerichtig hat Ruark den R7 MKIII nun aus dem Katalog gestrichen – altes Holz. Das Metallgerüst wirkt edler, dazu das Upgrade mit einem Farbdisplay in vier Zoll. Wirklich ein ästhetischer Gewinn. Damals gab es Breitband-Mittelhochtontreiber und einen CD-Slot über dem monochromen Display. Das ist Geschichte. Was aber als wirklich tolle Idee überlebt hat: Wir können auf der Rückseite eine Stahlkonstruktion anschrauben, die unseren Flachbildfernseher hält: Einfach nach dem VESA-Standard befestigen und den Ton per HDMI an den ARC/eARC-Anschluss schicken. Fertig ist eine moderne, hochelegante Medienzentrale.
Was es nicht gibt und was etwas irritiert: Ruark bietet keine eigene App an. Die Briten vertrauen dem Nutzwert und dem Charme ihres bekannten Drehrades um das weitere Steuerknöpfe gelagert wurden. Sehr schön hierbei, dass ein identisches „RotoDial“ auch als Bluetooth-Fernbedienung dem Lieferumfang beiliegt.
Wer Apps braucht und will, nutzt die Vielfalt bei Mac iOS und Android – alle Optionen sind offen und werden unterstützt, von Spotify über Amazon Music bis Qobuz. Die hauseigene Musiksammlung kann per UPnP im Stream angebunden werden. Ist es Geiz, ist es praktischer Zeitgeist? Da Ruark keine eigene App anbietet, wird auch ein möglicher Multiroom-Aufbau ausgelagert auf Apple AirPlay oder Google Cast.
Jetzt nicht lachen – aber beim Test stellte ich mir eine verbotene Frage. Die Oberfläche des R810 ist groß. Eigentlich ist der optische Eindruck des R810 primär Oberfläche. Ein Sideboard halt. Was darf ich daraufstellen, was soll ich daraufstellen? Wirkt es so ganz leer nicht – nackt? Die Marketingabteilung von Ruark hat Fotos mit Buchstützen, Leuchten und Schmuckstücken mit Bauhaus-Touch in Auftrag gegeben. Das Maximum ist eine trockene Blumenvase mit drei Farnen. Damit hat es sich aber auch – ich würde allenfalls einen edlen Kopfhörer auflegen. Obwohl: das ergibt keinen Sinn, denn der R810 hat keinen Kopfhörer-Ausgang, weder eine Muffe noch eine bidirektionale Bluetooth-Option. Dumme Idee, lege ich also nur mein iPhone darauf und einen Bildband über die schönsten Cover der Musikgeschichte.
Wem das alles ein wenig zu viel auf einmal war, für den sammeln wir kurz die Basisfakten. Tolles Teil, kann viel, sieht super aus in einem aufgeräumten Wohnzimmer. Etwas teuer – aber britischer Edelstoff und zukunftstauglich. In der Nomenklatura wäre der R810 die Zentrale – die viele Multiroom-Mitspieler zulässt. Was in der Summe sehr klar die Zielgruppe absteckt: Ich will keine große Kombi mit vielen Einzelbauteilen. Ich will aber alle Medien – bin auch offen für Vinyl und CD, muss aber nicht sofort sein. Last but not least: Ich habe Geschmack und Geld.
Hörtest – wie klingt das gute Stück?
Erstaunlich groß, größer als es unsere Augen wahrhaben wollen und größer als es der reine Profiblick in das Datenblatt gedacht hätte. Da ist echter Bass, da flutet ein echtes Panorama. Dazu haben die britischen Ingenieure sehr schlau den Sweetspot erweitert. Ich muss eben nicht sklavisch auf Ohrenhöhe im perfekten Dreieck mit den Hochtönern sitzen. Da waltet ein effektives DSP im Hintergrund. In den Einstellungen bieten die Engländer hier den Punkt „Stereo+“. Das Angebot sollte man unbedingt annehmen: Das ist keine Show, sondern klang-immanente Vorgabe. Sonst tönt es dünn. Sonst verlieren wir die Sound-Atmosphäre im Wohnraum und den Charme guter Aufnahmen. Muss es Hardrock sein? Passt irgendwie nicht zu der feinen Erscheinung, passt auch nicht in der Grobdynamik und den ultratiefen Bässen. Charakter ist gefragt.
Da kennt die Kulturwelt einen wichtigen Charakterkopf: David Lynch. Das ist doch der Mann hinter den Filmen unserer Jugend? „Twin Peaks“ natürlich aber auch „Blue Velvet“ und „Mulholland Drive“. Wer die Filme kennt, weiß, wie effektiv David Lynch die Musik einsetzt. Jeder von uns könnte das Hauptthema von „Twin Peaks“ summen. Das aber stammt von Angelo Badalamenti, der wiederum im Dezember 2022 verstorben ist. Alles düster. Auch David Lynch sagte vor wenigen Tagen im Interview mit der „Zeit“, dass ihn (den alten Kettenraucher) eine Lungenkrankheit zwingt, vom Filmbusiness Abstand zu nehmen. Umso wichtiger wird ihm die Musik.
Anfang August hat er sein Album „Cellophane Memories“ vorgestellt; seine junge Freundin (Muse, Händchenhalterin…) Chrysta Bell (oder offiziell: „Chrystabell“) hat mitkomponiert und singt. Gänsehaut. Lynch kann nun mal Gänsehaut wie kein anderer. Irgendwelche Dummköpfe werden den sanften Sound für Yoga-Sitzungen missbrauchen. Dabei ist Atmosphäre gefragt, das schwer Greifbare. Genau das ist das Hoheitsgebiet von Ruark mit dem R810. Alles gelingt leicht, schwebt – ein Fingertipp und der Raum ist mit Aura gefüllt. Aber nicht schwülstig, nicht mit angefettetem Oberbass, sondern wirklich mit audiophiler Absicht, klar und stringent.
Provokant gefragt: Und wenn ich mir zwei aktive Bluetooth-Boxen auf den Kaminsims stelle und die gleichen Songs per iPhone herüberschicke? Dann ist man weit entfernt von der Souveränität und Geschlossenheit des R810. Das ist weit in der räumlichen Wirkung, aber eben nicht verwaschen – gerade das geheimnisvolle Klangweben braucht die Präzision, die Ruark liefert.
Endlich, endlich: Das „Concert for Bangladesh“ liegt in High-Res vor. Apple hat sich einen Ruck gegeben. Nicht der Computerkonzern, sondern das Label, das die Beatles Ende der 1960er-Jahre höchstpersönlich gegründet (und abgewirtschaftet) hatten. Aber Apple biedert sich beim Cover an. In der LP-Erst-Veröffentlichung war ein mageres Kriegskind zu sehen – nun steht George Harrison mit Jackett und Stratocaster vor englisch-rotem Hintergrund. Alles weichgespült. Nur der Sound nicht. Da sind sie alle auf der Bühne: Bob Dylan, Billy Preston, Ravi Shankar, Eric Clapton, Ringo Starr – nur ein Bassplayer musste noch her, Harrison hatte seinen alten Freund aus Deutschland gebeten, Klaus Voormann. Ein historischer Moment, am 1. August 1971 im Madison Square Garden.
Rückblickend fand Ravi Shankar die besten Worte: „What happened is now history: it was one of the most moving and intense musical experiences of the century.“ Der 24/96er-Stream wirkt etwas aufgehübscht in der Grobdynamik, aber die Bühnengeräusche sind noch da, der Dialog mit dem Publikum. Gerade in der Weite liegt das Glück. Der Ruark R810 legt sich weit aus dem Fenster, spätestens bei „My sweet Lord“ darf man eine Träne verdrücken. Das Publikum summt mit. Okay, eine Kombi für das dreifache Geld, mit Standboxen und einem Röhrenamp dazwischen hat mehr Druck, aber nicht zwingend mehr Atmosphäre.
Fazit Ruark R810
Klar, das ist Lifestyle. Aber es entspricht dem Weg, den Ruark seit der Firmengründung beschritten hat – vom reinen Lautsprecheranbieter zum All-in-One-Propheten. Der R810 ist in diesem Kontext ohne Frage die höchste Ausbaustufe in der Firmenhistorie. Ein Meisterstück – in Design und Finish, aber auch in der Vermittlung der modernen Medien. Per DSP entsteht Wohlfühlklang, raumfüllend, aber deutlich konkreter und anspruchsvoller als bei den vielen anderen (und mitunter teureren) Mitbewerbern.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Ausgewogener, offener, weiter Klang. Unbedingt „Stereo+“ wählen |
| Alle Medien möglich – optional auch Vinyl (Phono MM) und CD (USB) |
| Simpelste Bedienung, Klangfelderweiterung, Option einer TV-Montage |
| Nicht ganz günstig |
Vertrieb:
TAD-Audiovertrieb GmbH
Hallwanger Str. 14
83209 Prien am Chiemsee
www.tad-audiovertrieb.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Ruark R810 in (Matt Grau & Walnuss): 3.700 Euro
Technische Daten
Ruark r810 | |
---|---|
Konzept: | Einbox-System mit Stereo-Klang und akustischer Basiserweiterung |
Bestückung: | 2 x 10,0 cm Tief-Mitteltöner, 2 x 27 mm Hochtonkalotte, 1 x 20,0 cm Subbass |
Besonderheit: | Klangfelderweiterung per DSP |
Eingänge: | 2 x analog (u.a. Phon MM), digital: 1 x optisch, 1 x USB, 1 x Ethernet, 1 x HDMI, Bluetooth aptX |
Abmessungen (B x H x T): | 100,0 x 15,2 x 40,0 cm; Inklusive Fuß: Höhe: 65,0 cm, Tiefe: 43,5 cm |
Gewicht: | 27,1 Kilogramm |
Alle technischen Daten |