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Sennheiser HD 620S Ambiente
Auf den Spuren des großen HD 800: Mit dem HD 620S bringt Sennheiser wieder einmal einen klassischen Over Ear Hörer – allerdings mit geschlossener Bauform. Sein Preis: 350 Euro (Foto: Sennheiser)

Test Over-Ear-Kopfhörer Sennheiser HD 620S: geschlossen für räumlichen Klang

„… for reference listening“ steht da dezent links unten auf dem Karton des Sennheiser HD 620S. Ein hoher Anspruch der renommierten Studio-, Übertragungstechnik- und HiFi-Experten, den sich sicherlich die Marketingstrategen der Schweizer Dachfirma Sonova ausgedacht haben. Sei’s drum. Wir werden sehen. Und hören…

Der HD 620S bekam eine klare Aufgabe zugewiesen: Der Neue aus der Familie der 600er tritt als dynamisch-geschlossene Variante auf die Bühne. Für die beinahe 80 Jahre alte Firma ist das immer noch ein bisschen Neuland. Immerhin launchten die Wedemarker doch 1968 den weltersten „offenen“ Kopfhörer und hielten an diesem Prinzip bis heute weitgehend fest. Wir sprechen dabei von solchen Ikonen wie dem HD 800, respektive HD 800S, der bereits seit Jahren bei LowBeats das „Referenz“-Niveau verkörpert. Aber auch er bekam bereits ein geschlossenes Pendant, den Klasse-Hörer HD 820 zur Seite gestellt. Also: Der Neue soll wie der 820 die Quadratur des Kreises vollziehen: Bassstarken Tieftondruck mit raumgreifendem Klang verbinden, den man sonst nur von offenen Exemplaren kennt und erwarten darf.

Der Sennheiser HD 620 in der Praxis

Kartonbox öffne dich: Das Inlay gibt einen schwarzen Kunststoffbeutel frei, unter dem sich die Silhouette des HD 620S abzeichnet. Oben halten Schnürsenkel die Öffnung beisammen, aus der schon das Kabel mit dem 6,3mm-Klinkenstecker herauslugt – der lässt sich abschrauben und so dem kleineren 3,5mm-Stecker für mobile Geräte den Vortritt. Immerhin 1,8 Meter misst die softe Strippe. In Bälde soll sich optional noch ein symmetrisches 4,4mm-Kabel dazu gesellen. Mit dem Beutel war’s das denn auch an Accessoires, ein (Hard-)Case für die Reise gibt’s nicht. Und die Muscheln lassen sich auch nicht in eine platzsparende, plane Lage drehen.

Sennheiser HD 620S Muschel
Schräge Sache: Die Schallwand winkelten die Sennheiser-Ingenieure leicht an, der dahinter agierende 42-Millimeter-Treiber mit Aluminiumspule soll so für mehr Raumeffekt sorgen (Foto: Sennheiser)

Schön: das Kabel lässt sich an der linken Muschel mit einem sanften Dreh und Klick an oder abdocken – und somit austauschen, beispielsweise mit einer Mikrofon-bestückten Schnur für mobile Sessions unterwegs. Die Berührungsempfindlichkeit ist gering, Bewegungen oder Reibungen am Kabel stören so gut wie nicht. Apropos: Sämtliche kabelgebundenen Modelle der Norddeutschen werden seit einiger Zeit im irischen Tullamore gefertigt (genau, das Städtchen steht auch für Hochprozentiges, nämlich Whiskey…“. Die Firmenreportage zum dortigen Sennheiser-Werk gibt’s hier.

Sennheiser HD 620S Stecker
Die beiden Steckervarianten: 6,3 und 2,5 Millimeter Klinkenstecker (Foto: C. Dick)

Optisch und haptisch tritt der schwarze HD 620S mit seinen stahlverstärkten Kopfbügeln schon einmal stabil auf den Plan. Und aufgesetzt: Die Hartschalen-Haptik macht einen robusten, soliden Eindruck, die Ohrmuscheln formten die Sennheiser-Kreativen aus butterweichem Kunststoffmaterial. Und die hinteren Abdeckungen der Ohrmuscheln aus einer dünnen Metallplatte – sie soll den Schallaus- und eintritt minimieren. Das funktioniert übrigens so gut, dass es – je nach Umgebungsgeräusch – dem elektronischen Active Noise Cancelling durchaus Konkurrenz machen könnte. Die Schallwand liegt dabei leicht angewinkelt in Richtung Ohren in den Muscheln, die 42-Millimeter-Treiber mit Aluminiumspule sollen so für mehr Raum und Luft sorgen.

Sennheiser HD 620S Ambiente
Innere Einkehr: Das geschlossene Kopfhörer-Prinzip des Sennheiser HD 620S schafft Ruhe – nach außen und dank Fokussierung auf die Musik beim Hören. Dafür sorgen gute Materialien und ein vergleichsweise fester Anpressdruck (Foto: Sennheiser)

Der HD 620S fühlt sich angenehm auf dem Kopf an, auch dank der luftigen Polsterung des oberen Querbügels, der sich leicht stufenlos verstellen lässt. Der Andruck auf den beiden Kopfseiten ist spürbar. So sitzt der HD 620S immerhin wackelsicher – und kann so eine optimale Abdichtung gewährleisten, eine Voraussetzung, dass er seine Klangtrümpfe voll ausspielen kann.

Sennheiser HD 620S Aufbau
Detailarbeit: Filigrane Technik auf kleinstem Raum soll große Klangbühnen inszenieren (Grafik: Sennheiser)

Die Impedanz trimmten die Ingenieure auf stattliche 150 Ohm, damit ist der HD 620S ein eher anspruchsvoller Spielpartner für mobile Geräte. Dem guten Ton zuliebe, sollte jedoch sowieso ein Kopfhörerverstärker oder Mini-DAC die Schnittstelle zur Musikquelle bilden. Bei uns war hier der hervorragende ifi Zen DAC V2 im Einsatz (rund 200 Euro). Und im HighEnd-Lager bestritt der exzellente Lehmann Audio Linear SE die Verstärkung.

Der Klang des Sennheiser HD 620S

Das geht ja gut los: Vom Start an machte der neue Sennheiser mächtig Spaß – etwa mit David Gilmour. Der Ex-Pink-Floyd-Gitarrist veröffentlicht Anfang September sein neues Album „Luck And Strange“ (wir werden vorher reinhören und berichten), ein paar Songs daraus wie „Between Two Points“ mit seiner Tochter Romany an der Harfe (!) und mit den Lead-Vocals gibt’s bereits. Der HD 620S intonierte den gediegenen Song mit schöner Auflösung, breiter Bühne und vor allem mit bezaubernder Filigranität und Detailtreue.

Dann ging es zurück an die Westcoast der 1970er Jahre. Valerie Carter mischte vor über 50 Jahren in der Szene mit, sie schrieb Songs mit Jackson Browne („Love Needs A Heart“) und trumpfte als Background-Sängerin auf, unter anderem mit James Taylor, Christopher Cross oder Randy Newman. Solo erlangte die 2017 verstorbene Amerikanerin weniger Ruhm – zu Unrecht, wie das schön transparent aufgenommene 77er Album „Just A Stone’s Throw Away“ mit dem wunderbaren Folk-Song „Face of Appalachia“ zeigt. Ihre sympathische, glockenklare und wandlungsfähige Stimme kann dort durchaus neben einer Linda Ronstadt bestehen. Der Sennheiser HD 620S intonierte das luftige Geschehen prächtig plastisch mit fein ziselierten Banjo- und Gitarrentupfern nebst klaren Vocals. Vielleicht einen Tick zu hell in den mittleren Höhen. Was auch etwas bei den mehrstimmigen Vocals auftrat, die Elton John auf seinem herzerwärmenden „Someone Saved My Life Tonight“ herrlich plastisch begleiten. Kein Beinbruch, damit können wir diesen Punkt durchaus abhaken.

Dann ab in den Jazz-Club: Der albanische Crossover-Jazzer Gert Kapo schuf mit seinem Album „Amanet“ gleichzeitig ein kleines Tonjuwel. Der Song „Hal Asmar Alon“ glänzt dabei mit der raubeinigen Stimme von Ahmed Eid. Auch hier leistete der Sennheiser HD 620S ganze Arbeit: Das Klanggeschehen kam luftig und fein aufgelöst rüber.

Den Schlusspunkt setzte Schlagwerker Nigel Olsson mit „Curtains“ vom Elton-John-Album „Captain Fantastic …“ Hier lotete der 620S die unteren Oktaven knochentrocken und pointiert aus. Letztere Beschreibung trifft in der Vergleichs-Hörerriege am passendsten auf den HD 620S zu: Der Sennheiser blieb knackig und ziemlich tief, wenn gefordert.

Sennheiser HD 620S im Vergleich
Session-Partner: Der HD 620S musste sich an verschiedenen Vergleichs-Kopfhörern messen – dem Beyerdynamic DT 770 Pro / 32 Ohm, (dynamisch, geschlossen, rund 140 Euro), dem Hifiman Sundara (Magnetostat, offen, rund 270 Euro) und dem Sennheiser HD800 (dynamisch, offen, ehemals rund 1000 Euro); (Foto: C. Dick)

Und damit sind wir beim Vergleich mit den Referenzen: Die Vergleichshörer zeigten sich unterm Strich bei sämtlichen Hördurchgängen charakterlich leicht unterschiedlich: Der Beyerdynamic DT 770 Pro machte für seinen Preis von rund 140 Euro im Prinzip nichts falsch, lag auf gutem Niveau, konnte jedoch nicht die Feindynamik und Filigranität des Sennheiser HD 620S erreichen. Der Hifiman Sundara zu rund 270 Euro wiederum gab sich etwas sonorer, gleichzeitig aber auch etwas harscher, vor allem im Mittenbereich. Letztendlich fanden alle im HD 800 in beinahe allen Disziplinen ihren Meister, er formte mit der Summe der Einzelaspekte ein großes, wunderbares Ganzes – kein Wunder als Referenz-Exemplar. Aber nur „in beinahe allen Disziplinen“…? In der Tat: Denn der HD 620S kam dem großen HD 800 tonal schon verdammt nah und punktete im Bassbereich sogar mit mehr Druck und Punch. Angesichts seines Preises von rund 350 Euro ziehen wir also letztendlich das Mützchen.

Fazit Sennheiser HD 620S

Der HD 620S hält, was der Name Sennheiser verspricht: Eine sehr vorzeigbare Verarbeitung und ein ebenfalls exquisiter Klang. Und das sogar aus der geschlossenen Bauform, die akustisch gegenüber der „offenen“ prinzipiell benachteiligt ist, aber nun einmal die bessere Abschottung gegen die Außenwelt bietet. Der 620S ist damit so etwas wie das Beste aus zwei Welten: Er bietet die Ruhe von der Außenwelt, eine druckvolle Tieftonwiedergabe, tolle Feindynamik und Schnelligkeit sowie ein recht luftiges Raumambiente. Für seinen Preis von rund 350 Euro ein sehr angemessenes Unterfangen.

Sennheiser
HD 620S
2024/08
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.

 

Bass-kräftiges, räumlich prima strukturiertes, lebendiges Klangbild
Solide Verarbeitung
Gute Abschottung nach außen
Kein Transport-Case im Lieferumfang

 

Vertrieb:
Sonova Consumer Hearing GmbH
Am Labor 1
DE – 30900 Wedemark
www.sennheiser-hearing.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Sennheiser HD 620S: 350 Euro

Die technischen Daten

Sennheiser HD 620S

Technisches Konzept:Stationärer Over Ear Hörer, geschlossene Bauweise
Wandler-Prinzip (Breitbänder):dynamisch, 42 Millimeter Durchmesser, Aluminiumspule
Nennimpedanz:150 Ohm
Ausstattung:1,8 Meter Kabel, Adapter 3,5/6,3mm, Staubschutzbeutel
Farbe:
schwarz
Gewicht:
320 Gramm
Aktueller Preis:
350 Euro
Alle technischen Daten
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Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.