Aus Berlin erreicht uns ein kabelgebundener Over Kopfhörer mit Planar-Membran. OK: Davon gibt es mittlerweile einige. Aber keiner stammt aus so nobler Entwicklerfeder wie der ATB92 Airborn. Denn hinter ihm steckt die Entwickler-Ikone Klaus Heinz, der sich hierzulande wie kaum ein anderer um den AMT- (Air Motion Transformer-) Hochtöner verdient gemacht hat. In den 1990er Jahren war Klaus Heinz damit noch ein Visionär. Heute laufen die planaren Hochtöner den klassischen Kalotten in Bezug auf Wiedergabequalität und sogar in Bezug auf die Stückzahlen allmählich den Rang ab.

Aber wir wollen nicht abschweifen, sondern das Scheinwerferlicht wieder auf Klaus Heinz lenken. Der Mann ist ein Unikum. Einer, der immer so viele Ideen hat, dass eine Firma dafür einfach nicht ausreicht. In den 1970er Jahren gründete er Arcus, danach A.R.E.S. (das später in Elac aufging), dann ADAM Audio, dann HEDD und nun kommt er mit ATB (ArcTec Berlin) um die Ecke. Damit wäre zumindest mal geklärt, wo der Firmensitz ist: genau, in der Bundeshauptstadt. Und dass hier zunächst ein Kopfhörer entsteht, ist auch nicht verwunderlich, weil der pfiffige Herr Heinz mit seiner vorherigen Firma HEDD einen höchst überzeugenden Kopfhörer mit AMT-Treiber entwickelt hat. LowBeats hatte den HEDDphone mehrfach im Test.

Aber auch das ist Klaus Heinz: Jeder, der sich einigermaßen auskennt, wird nun stilsicher erneut einen Kopfhörer mit AMT-Treiber vermuten – und daneben liegen. Klaus Heinz: „Als ich den ersten HE 1000 von Hifiman aufgesetzt hatte, war ich völlig fasziniert, es brauchte ein paar Augenblicke, um das mehr an Höhen zu identifizieren, aber es war eben das eindrucksvollere Produkt…“ Also lässt der Meister beim neuen ATB92 den AMT mit seiner gefalteten Membran links liegen und vertraut ebenfalls auf einen komplett planaren magnetostatischen Treiber. Einen, der mit 92 Millimeter Durchmesser sogar recht groß ausfällt und auch gleich den Namen des Erstlingswerks erklärt…
Die Besonderheiten des ATB92 Airborn
Zunächst einmal der Aufbau. Der ATB92 ist ein sogenannter „offener“ Hörer. Das heißt: Die Muscheln haben nach außen hin Schlitze, die den Schall mehr oder minder ungehindert rauslassen – was aber natürlich auch dazu führt, dass ein solcher Kopfhörer in Bus und Bahn denkbar ungeeignet ist, weil die Sitznachbarn das Musikprogramm in deutlicher Lautstärke mitbekommen. Diese offenen Konstruktionen haben aber auch den Vorteil, dass es kaum Reflexionen des rückwärtig abgestrahlten Schalls gibt. Diese Reflexionen sind schwer in den Griff zu bekommen und mithin das größte Problem geschlossener Kopfhörer. Oder andersherum: Der Grund warum die absolut besten Kopfhörer immer noch die „offenen“ Modelle sind.

Die Gehäuse selbst sind aus vernickeltem Aluminium, welche zudem verchromt und poliert sind. Das sieht ziemlich schick und wertig aus. Wie der ganze Kopfhörer, bei dem auch der Kopfbügel aus gefrästem Aluminium gefertigt ist: Der ATB92 erweckt den Anschein, als würde er lange ein treuer Begleiter sein können. Aber die Verwendung von Alu zielt hier nicht nur auf eine möglichst gediegene Haptik. Klaus Heinz: „Ich finde, dass sich die hohe Steifigkeit des Materials ausgesprochen positiv auf die Wiedergabepräzision niederschlägt.“ Da könnte er Recht haben.

Das aber womöglich Wichtigste in Sachen Klang ist der neue Treiber – wie gesagt ein Magnetostat mit 92 Millimeter Durchmesser. Die Membran dieses runden Schallwandlers ist sehr leicht und hat Leiterbahnen aus Reinsilber. Das ist sicherlich außergewöhnlich, weil teuer. Aber Klaus Heinz biss in diesen sauren Apfel: “Betrachtet man beide für die Performance wichtigen Eigenschaften für eine Leiterbahn in planaren Kopfhörern, nämlich spezifische Leitfähigkeit und spezifisches Gewicht erweist sich Silber eindeutig als das ideale Material.“

Die Membran selbst ist hauchdünn und bleibt inklusive dieser Reinsilber-Leiterbahnen immer unter 1.5 Millimeter. Das macht sie – bei der mittlerweile gängigen Impedanz von etwa 33 Ohm – besonders leicht. Das Silber wird dabei aufgalvanisiert; so erreicht man besonders dünne Leiterbahnen.
Praxis
Während Klaus Heinz bei Treiber und Antrieb recht neue Wege ging, blieb er in Bezug auf die Position des Magnetosten klassisch. Das heißt: Der Treiber sitzt platt vor dem Ohr; eine irgendwie geartete Anwinkelung zur Erzeugung von mehr Raumklang (die mittlerweile viele Kopfhörer nutzen) findet man hier nicht. Wer mehr Raumklang will, muss auf elektronische Hilfsmittel wie Crossfeed-Schaltungen im Kopfhörer-Verstärker zurückgreifen. Auch an eine symmetrische Ansteuerung ist nicht gedacht; im Beipack finden sich nur die klassischen Klinkenstecker, die aber von offensichtlich sehr guter Qualität und wenig Berührungs-empfindlich sind.
An den angeschlossenen Kopfhörer-Verstärker stellt der ATB 92 keine besonderen Anforderungen – außer, dass er von möglichst hoher Klangqualität ist. Die Impedanz (30 Ohm) und der Wirkungsgrad (90 dB SPL/mW) sind absolut Praxis-gerecht und die 540 Gramm Gewicht bei einem Kopfhörer dieser Größe durchaus gängig.

Trotzdem fühlt sich der große Kopfhörer nicht unangenehm auf dem Kopf an; ein geschickte Gewichts-Balance in Verbindung mit dem gut einstellbaren Kopfband ermöglicht lange, Druckpunkt-freie Hörabende.
Klang
Der ATB92 überzeugt beim ersten Aufsetzen. Seine Wiedergabe ist gleichermaßen satt kernig im Bass-Grundtonbereich als auch seidig-fein in den höheren Lagen. Es ist nicht der Anspruch auf die allerletzte Neutralität, wie der eines Studio-Kopfhörers zum Abhören der Aufnahmen, sondern eher die gelungene Mischung aus Genuss und intensivem Erleben.
Das Erleben kommt vor allem durch die fantastische Mittenpräzision dieses Hörers. Jeder Hörtester hat eine kleine Auswahl schon hundertfach gehörter Lieblings-Teststücke. Das ist bei mir nicht anders – beziehungsweise ich bin sogar ein Arche-Typ der älteren Tester-Generation, die immer noch Aufnahmen selbst aus den 80er Jahren heranziehen. Wie beispielsweise Friedemanns “Kleine Zupfmusik” (Album: Saitensprung), das überwiegend von einer Harfe getragen wird. Das Ausschwingen der Saiten ist für mich immer ein Indikator, wie auflösend – im Falle des ATB92: hochauflösend – ein Schallwandler ist. Das neue Werk von Klaus Heinz zeigte sich als immens feinfühlig und offenbarte Details, die ich über Lautsprecher so noch nie gehört hatte.
Der für seine hohe Neutralität hochdekorierte Sennheiser HD 820 brachte im Grundton etwas mehr Gripp und bei Bassdrums noch mehr Verve, wirkt aber gegen den elegant-klingenden ATB92 doch etwas pedantisch und brav – ihm felt diese spielerische Leichtigkeit des Berliners, die das Zupfen der Saiten so mühelos (und damit absolut authentisch) erscheinen lässt.

Tonal geht der ATB 92 ein bisschen in die Richtung des eher heller abgestimmten Ultrasone Edition 15. Auch er ein exzellenter Kopfhörer mit offener Muschel-Konstruktion. Und auch der Ultrasone begeistert mit immenser Präzision. Doch je länger wir hörten, umso größer wurde der Abstand zwischen dem preußischen ATB92 und dem bayerischen Ultrasone – mit dem besseren Ende für den Airborn. Bei ihm war alles noch ein bisschen spielerischer, impulsiver und feiner gezeichnet: Alles schien lebendiger und quirliger – irgendwie “echter”. Es ist, machen wir uns nichts vor, ein richtig guter neuer Kopfhörer alter Schule.
Fazit ATB92 Airborn
Eine Entwicklerlegende geht das Thema „klassischer Kopfhörer“ noch einmal an und zeigt, dass auch im Bereich um 2.500 Euro noch Luft nach oben ist. Und „Luft“ ist das Thema. Dieser Kopfhörer klingt im Vergleich zu allen dynamischen Kopfhörern, die wir in diesem Preisbereich zum Vergleich heranzogen haben (die hochdekorierten Modelle von Fostex, Sennheiser, Ultrasone), stets luftiger und freier. Der Beinamen „Airborn“ hat ja viele Bedeutungen – unter anderen jenen Moment, in dem das Flugzeug abhebt. Das “Airborn” des ATB92 manifestiert sich in einer Luftigkeit, die eine selten gehörte Feinheit und Präzision im Gepäck hat.
Bleibt die Frage, ob der rührige Herr Heinz es bei diesem Kopfhörer-Soloprojekt belässt…? Natürlich nicht. Einen Verstärker hatte er schon auf der HIGH END in München gezeigt. Doch der braucht, wie er sagt „noch etwas“. Und es wird auch wohl Lautsprecher geben, die als Besonderheit entweder auf Studio oder Home eingestellt werde können. Naja: Wir werden sehen – und hören.
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
| Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| | Ausgewogen-basskräftiges, fein strukturiertes und lebendiges Klangbild |
| | Hoch solide Verarbeitung |
| | Sehr gutes Beipackkabel |
| | Keine symmetrische Ansteuerung möglich |
Vertrieb:
AT|B ArcTec-Berlin GmbH
Bayerische Straße 8
10707 Berlin
www.arctec-berlin.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
ATB92 Airborn: 2.400 Euro
Die technischen Daten
ATB 92 Airborn | |
|---|---|
| Technisches Konzept: | Stationärer Over Ear Hörer, offene Bauweise |
| Wandler-Prinzip: | magnetostatisch, 92 Millimeter Durchmesser |
| Nennimpedanz: | 33 Ohm |
| Wirkungsgrad: | 90 dB SPL/mW |
| Übertragungsbereich: | 5 – 46.000 Hertz |
| Gestell: | gefrästes Aluminium |
| Gewicht: | 540 Gramm |
| Alle technischen Daten | |
Gegenspieler:
Test Over-Ear-Kopfhörer Sennheiser HD 820 – der Geniestreich
Test Ultrasone Edition 15: der mobile Spitzen-Over-Ear





