Es gibt viele Verstärker-Schaltungen für die legendäre 300B Triode, aber nur einen Western Electric 91E: Das Remake des legendären Kino-Verstärkers aus der Vorkriegszeit ist fraglos die imposanteste, originellste und modernste Variante des Themas 300B weltweit.
Werfen wir einen kurzen Blick zurück: Im Jahre des Herrn 1992 nahm der amerikanische Unternehmer Charles G. Whitener eine Menge Geld in die Hand und bewarb sich bei AT&T um die vakant gewordenen Namens- und Lizenzrechte von Western Electric. Die Company mit dem geflügelten Logo war mit seinen Telefon- und Kino-Aktivitäten fast 100 Jahre lang ein Riese im weltweiten Geschäft für Telefon und Kino, doch Anfang der 1990er Jahre komplett in Bell Labs beziehungsweise AT&T aufgegangen – und somit nicht mehr sichtbar. Insofern war die Idee von Whitener eine ziemlich gute. Zumal er Patentschriften, Herstellungsunterlagen und vieles andere ebenfalls mit erstehen konnte. Und doch dauerte es weitere fünf lange Jahre, bis Whitener die ersten Western Electric Produkte auf der CES in Las Vegas vorstellen konnte. Es war – wie konnte es anders sein – ein Pärchen 300B Trioden. Original aus US-amerikanischer Produktion.

Wahrscheinlich hatte sich Charles Whintener die Sache leichter vorgestellt. Die 300B war 1938 von Western-Electric-Ingenieuren entwickelt worden und hat sich seitdem zu einem wahren audiophilen Kult-Bauteil entwickelt. Nun hatte Whitener endlich die Lizenz, die technischen Zeichnungen und auch entsprechende Räumlichkeiten – aber keine Leute.

Denn mit dem Aufkommen des Transistors begann der Stern der Röhre zu sinken – was dazu führte, dass in den letzten Jahrzehnten die klassischen Standorte allesamt geschlossen wurden und die heutige Röhrenherstellung fast ausschließlich in russischer oder chinesischer Hand ist. Aber auch das Wissen um Röhren-Produktion ist in Deutschland oder Tschechien (wo es lange eine starke Röhren-Tradition gab) oder eben in den USA weitestgehend verschüttet. Whitener brauchte einige Jahre, bis er die passenden Maschinen (übrigens allesamt aus Deutschland) sowie die entsprechenden Spezialisten fand, die ihm beim Aufbau der Produktion halfen. Es gibt amerikanische Präsidenten, die meinen, man könne eine in Niedriglohnländer ausgelagerte Produktion auf Fingerschnipp zurückholen… Whitener könnte dazu sicher eine längere Geschichte erzählen. Nun aber läuft alles reibungslos – wie nicht zuletzt der kurzweilige Film zur 300B-Herstellung zeigt:
Noch immer ist die Western Electric Produktion der 300B in Stückzahlen meilenweit entfernt von den Zahlen der russischen und chinesischen Fertigungsstätten; es ist nun einmal ein rares und somit gar nicht billiges Gut. Aber die Stückzahlen und Qualität sind stabil – und damit kommen wir allmählich zum Kern dieses Textes – nämlich dem:
300B Single Ended Class-A Vollverstärker Western Electric 91E
Denn 1938 war nicht nur die Geburtsstunde der 300B, sondern auch die des damals berühmtesten Verstärkers mit dieser Röhre: dem Western Electric 91A, mit dem seinerzeit die großen Kino-Systeme angesteuert wurden.

Zum 80. Geburtstag von 300B und 91A hatte Whitener zwei weitere, ziemlich gute Ideen. Zunächst beschloss er, auch den Verstärker wieder aufleben zu lassen. Dafür holte er sich mit Günther Mania einen der bekanntesten und besten deutschen HiFi-Entwickler an Bord. Mania, der in früheren Jahren mal die HiFi-Schmiede AVM gründete, war jahrzehntelang eiserner Verfechter leistungsstarker Transistor-Amps mit starker Gegenkopplung und entdeckte erst in seinem zweiten HiFi-Leben die Liebe zur Röhre. Doch ganz ohne Transistor konnte er auch bei der 91E-Entwicklung nicht…
Technik
Als Eingangs- und Vortreiberröhre verwendet Mania Doppeltrioden vom Typ ECC 81. Die beiden verfügen jeweils über eigene Konstantstromquellen im Kathodenkreis, was stabile Arbeitspunkte sicherstellt. Als Endstufenröhre – natürlich im Class A-Betrieb mit Single-Ended-Design – kommt hier die 300B aus Rossville-Produktion zum Einsatz. Alles so weit normal. Und doch ist die Schaltung des 91E ist alles andere als normal.

Den prinzipiell Spannungs-starken, aber Strom-schwachen Röhren (das gilt auch für die 300B) stellt Mania einen strom-potenten MOSFET (Transistor) zur Seite. Der sitzt im Kathodenzweig, sein Wirken wird aber komplett von der Kennlinie der 300B dominiert. Vereinfacht könnte man also sagen: Stromlieferfähigkeit vom Transistor, Sound von der Röhre. Ein klassischer Verstärker mit einer 300B kommt auf 5 – 10 Watt Leistung pro Kanal, der Western Electric 91E soll durch diesen Trick die Ausbeute fast verdoppeln. Western Electric hat sich diese Schaltung, die sie „Steered Current Source“-Technologie (SCS) nennt, verständlicherweise patentieren lassen (US-Patent 10256776).

Dennoch ist uns diese Schaltung schon einmal begegnet: Beim Münchener Westend Audio Leo, der tatsächlich auf die gleiche Schaltung zurückgreift. Kunststück: Auch den Leo hat Mania konzipiert und durfte nach Rücksprache mit Whitener exakt die gleiche Schaltung nutzen. Aber dass die beiden 300B-Verstärker gleich seien, kann man nicht behaupten.
Mania erzählt gern die Geschichte, dass er mit der ursprünglichen Stromquelle seiner Schaltung nicht zufrieden war und – Entwickler durch und durch – diesen Teil der Schaltung noch einmal komplett neu durchdacht hatte. Das Ergebnis: mehr verzerrungsarme Leistung. Doch Whitener reagierte anders als gedacht: Er hörte sich alles tagelang an und entschied, bei der ursprünglichen Schaltung zu bleiben – aus akustischen Gründen. Mit der ersten Schaltung würde die 300B samtiger, sprich mehr nach der 300B klingen. Der sehr ähnliche Leo indes bekam die neue Stromquelle und hat deshalb im Bass und bei höheren Pegeln mehr Punch.
Das Gehäuse…
…tut sein Übriges, um keinerlei Ähnlichkeiten zwischen dem Leo und dem 91E aufkommen zu lassen. Western-Electric-Designer Steward Ringwald gönnte sich hier den ganz großen Wurf, der womöglich polarisiert, aber allein schon wegen des üppigen Auftritts und der fantastischen Verarbeitungsqualität „Handmade in USA“ jeden Highender faszinieren muss: Alles strahlt hier eine überragende Solidität aus. Da ist beispielsweise die bis 35 Millimeter starke, aus dem Vollen gefräste Front. Oder die Flanken mit den massiven Kühlkörpern.

Oder die beiden Metallstangen an den Seiten des Oberdecks: Die sind weitgehend funktionslos, wirken aber ungemein solide und man kann den 91 E daran tatsächlich anheben. Doch letztendlich ist es egal, wo man hin fasst: Hier wirkt alles aufwändig-perfekt.
Der hohe Materialaufwand ist dabei nicht nur Selbstzweck. Mania: „Steward Ringwald ist es durch die geschickte Kombination von viel Gewicht und hoher Stabilität gelungen, eine ideale, Mikrofonie-arme Basis für die 300B zu entwickeln. Da kenne ich nichts Besseres.“ Und der Mann kennt sich aus…

Mein persönliches Lieblings-Detail jedoch sind die beiden Röhren aus Sicherheitsglas, die einerseits die prächtigen Western-Electric-Röhren sichtbar machen, andererseits aber einen Kontakt zur 300B verhindern – die wird nämlich recht warm. Die Dimension der Glasröhre ist so gewählt, dass ein Kamin-Effekt entsteht und dieser so zu einer deutlichen Kühlung führt. Sicherlich die beste Form, die Röhre sicher zu zeigen.

Auch das folgende Bild vermittelt einen Eindruck, wie der Turmaufbau mit den beiden 300B beziehungsweise mit den beiden Glasröhren gemacht ist: maximal solide.

Und natürlich wirkt der 91E auch dort solide, wo man ihn öfter anfasst: Am Pegelregler, der jeden Pegelschritt mit einem feinen Klicken begleitet oder an den sechs Tastern zur Quellenwahl, die einen angenehm-soliden Druckpunkt haben. Wenn ich einen Auto-Vergleich machen darf: Das satte Geräusch beim Zuschlagen einer Fahrzeugtür in der S-Klasse macht den Wagen auf der Straße keinen Deut besser. Und doch wird das Fahr-Gefühl erhabener. So ist es auch beim 91E.

Praxis
Ebenfalls ungewöhnlich für einen Röhren-Amp ist die Steuerung per Microprozessor. Dessen Wirken bemerkt man schon beim Einschalten. Dann nämlich signalisiert das große LCD-Farb-Display erst einmal, das eine Minute lang die Maschine hochfährt: 30 Sekunden wird vorgeheizt, 30 Sekunden lang wird der Bias eingestellt. Beides absolut sinnvoll, um einerseits die Röhren zu schonen (und damit ein langes Leben zu garantieren), und um andererseits den (sich im Laufe ihres Lebens durchaus verändernden) optimalen Arbeitspunkt der Röhren zu finden. Anschließend wechselt das Display auf eine Pegel-Anzeige – siehe Bild.

Die Lautstärke-Regelung selbst arbeitet mit diskreten Präzisionswiderständen, die dafür sorgen, dass die Kanäle bis zur kleinsten Stufe linear laufen und nicht rauschen. Das funktioniert aber auch bei Lautstärke-Vollanschlag: der Westen Electric rauscht einfach nicht.
Das wäre bei allen Verstärkern wünschenswert, ist aber beim 91E besonders hilfreich. Denn patentierte Schaltung hin oder her: Viel mehr als 10 – 12 Watt kommen nicht heraus. Es sollten also Lautsprecher angeschlossen werden, deren Wirkungsgrad bitteschön jenseits der 90 dB liegt – da wird Rauschen schnell hörbar. Und wo wir gerade schon beim Wünschen sind: Eine lineare Impedanz wäre auch hilfreich. Der Western Electric 91E ist ein überragend klingender Röhren-Verstärker. Aber dafür müssen die Lautsprecher-Umstände perfekt passen.
Auf Lautsprecher mit geringem Wirkungsgrad und wirren Phasen-Verläufen reagiert der 91E bei hohen Pegeln manchmal mit einem eigentümlichen Klacken. Da geht nichts kaputt, man sollte dann nur leise regeln. Aber ganz ehrlich: Man hört ein solches Mismatch sofort.

Apropos: Der Ausgangstrafo des 91E ist standardmäßig auf 8 Ohm ausgelegt. Wer eine der seltenen 16-Ohm-Boxen haben oder unbedingt ein (weniger geeignetes) 4-Ohm-Modell verwenden sollte, bestellt den entsprechenden Ausgangstrafo gleich beim Kauf; der ist einfach auszutauschen.
Der Western Electric bietet vier klassische Hochpegel- (Cinch-) Eingänge. Hinzu kommt ein umschaltbarer MM/MC-Phono-Eingang. Die Phono-Platine lässt gewisse Ähnlichkeiten zu den gehobenen Phono-Modulen von AVM erkennen. Es ist eine Kombination aus Transistor und Op-Amp – schlicht der beste Mix, wenn man nicht viel Platz hat und größtmögliche Rauscharmut erzielen möchte.

Für eine optimale Anpassung des angeschlossenen MM- oder MC-Abtasters sind eine Reihe „Phono Termination Plugs“ vorgesehen: mit Abschluss-Werten von 100, 330 und 1.000 Ohm beziehungsweise von 100, 220 und 330 Pikofarad.
Sicherlich ungewöhnlich bei einem Verstärker dieser Machart und Herkunft ist der Bluetooth-Eingang. Selbst für Perfektionisten gibt es hier jedoch keinen Grund, die Nase zu rümpfen; der 4.2-Standard erlaubt sogar HiRes-Übertragung. Während seiner Zeit in der Redaktion haben auch Gäste dem 91E öfter einmal über das Handy Musik zugespielt – das klingt erstaunlich gut und luftig.

Hörtest
Wir haben bei LowBeats immer viel mit 300B-Verstärkern zu tun. Der Mira Ceti von Fezz – ein zugegebenermaßen eher günstiger Vertreter dieser Art – ist bei fast jedem Lautsprechertest dabei. Und so ist mir der Charakter dieser Röhre recht gut vertraut – auch, wenn es unter den einzelnen 300B-Typen der verschiedenen Hersteller durchaus Unterschiede gibt.
Manias Schaltung im 91E ergänzt den wunderbar samtseidigen Klang der 300B aus US-Produktion mit ein bisschen mehr Gripp im Bass und etwas mehr Ordnung im Mittelhochtonbereich. Tatsächlich hatte ich das „Bella Coola“ von Tolyqyn (Album: Silver Seed) so schön und so lebendig noch nicht gehört wie in der Kombination von 91E mit der Stenheim Alumine Two.Five. Die Stimmen kamen gleichermaßen schön wie aufgeräumt und lebendig, das Klangbild zeigte auf wunderbar leichte Art eine große Fülle von Details und hatte viel Tiefe. Ein Klang, um sich zurückzulehnen, vielleicht an einem Gläschen Wein zu nippen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen…

Aber wir sind ja Tester. Und wir wollten wissen, ob sich der Western Electric vom schaltungstechnisch sehr ähnlichen und nicht nur bei uns hervorragend getesteten Westend Audio Leo unterscheidet. Ja, macht er. Der Leo hat tatsächlich mehr Kraft: Er schiebt im Bass mehr Energie nach vorn und behält bei höheren Lautstärken länger die Übersicht. Der 91E klingt dafür bei „normalen“ Pegeln etwas geschmeidiger und einen Hauch feiner – wahrscheinlich das Ergebnis der konsequent auf Vibrationsarmut getrimmten Gehäuseburg.
Letztendlich aber ist die Stenheim auch nicht der ideale Lautsprecher-Partner — der sollte tunlichst noch etwas Wirkungsgrad-stärker sein. Auf Nachfrage gab Charles Whitener an, dass bei den mittlerweile knapp 500 verkauften 91E überwiegend Hörner angeschlossen sein. Also schleppten wir den massigen 300B-Amp in den großen LowBeats Hörraum, wo schon die Spatial MCS No.5 warteten, die für eine Dipol-Konstruktion mit 92 Dezibel erstaunlich effizient sind.
Und es war sofort zu hören: Diese Lautsprecher passen noch besser zum 91E. Selbst brachiale Schlagzeug-Soli hatten mit dieser Kombination Kraft und Druck – aber stets blieb dieser spezielle, feine Ton, der die Musik so angenehm natürlich macht, erhalten. Über Stimmen oder akustische Instrumente bei normalen oder leicht gehobenen Pegeln müssen wir gar nicht sprechen. Das macht dieser Verstärker nun einmal einzigartig gut – ein Füllhorn satter Klangfarben und dezent-fein dargestellter Details.
Fazit Western Electric 91E
Die 300B Leistungsröhre – ersonnen 1938 – ist nicht sonderlich leistungsfähig, da ändert auch die neue Produktion aus Rossville/Georgia nichts daran. Doch Günther Manias Geniestreich-Schaltung holt alles aus der Kultröhre heraus – und vielleicht noch ein bisschen mehr. Gleichwohl bleibt der Klangcharakter der 300B erkennbar und ihre Betriebssicherheit ist höher als bei 99% aller anderen 300B-Schaltungen. Der deutsche WE-Vertrieb Audio Reference jedenfalls gibt auf die (ja auch einzeln erhältlichen) Röhren und den Vollverstärker satte 5 Jahre Garantie. Das schafft Vertrauen. Wie auch die zukunftssichere Ausstattung mit anpassbarem Phono und Bluetooth.
Klanglich ist der Charakter der 300B trotz aller technischen Kniffe herauszuhören – auch 85 Jahre nach ihrer Erfindung hat sie nichts von ihrer samtigen Finesse und Faszination verloren. Vielleicht auch, weil der an vielen Stellen modern und „transistoral“ denkende Günther Mania beim 91E zwar viel auf Betriebssicherheit achtete, aber auf Gegenkopplung komplett verzichtete – gerade so wie in den alten Zeiten.
Der 91E ist ein gelungener Brückenschlag – auch, weil er die Neuauflage der 300B-Produktion in den USA feiert. Sein Design wird sicherlich nicht jedem zusagen. Ich persönlich kann mit dieser perfekt verarbeiteten Materialschlacht allerdings viel anfangen: Es ist eine würdige Kathedrale für die 300B.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Weiträumiger, samtig-feiner Klang |
| Für eine 300B-Schaltung ungewöhnlich kräftig |
| Fantastische Verarbeitung |
| Exzellent klingendes Bluetooth-Modul |
Vertrieb:
Audio Reference GmbH
Alsterkrugchaussee 435
22335 Hamburg
www.audio-reference.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Western Electric 91E: 19.900 Euro
Technische Daten
Western Electric 91E | |
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Technisches Konzept: | Röhren-Vollverstärker, Single Ended Class-A |
Leistung: | etwa 2 x 15 Watt |
Bestückung: | 1 Paar gematchte Western Electric 300B, 2 x ECC81 |
Besonderheiten: | Bluetooth-Eingang, Mikroprozessor-gesteuerter Betrieb, SCS-Stromquellen-Technologie |
Farben: | Nickel, Gold, Schwarz |
Maße (B x H x T): | 48,0 x 27,2 x 38,2 cm |
Gewicht: | 22,2 Kilo |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Test Westend Audio Leo: 300B Röhren-Amp mit 2 x 20 Watt
Test Open-Baffle-Speaker Spatial MC Series No 5: Highspeed aus Ingolstadt
Test Standbox Stenheim Alumine Two.Five