Wenn in der Schweiz ein Uhrenlaufwerk neugestaltet wird, dann geht es bereits ins Religiöse, an den tiefsten Markenkern der Eidgenossen. Die Bundeslade quasi. Bei Piega wäre es der Bändchen-Hochtöner. Ein per Hand geschaffenes Alleinstellungsmerkmal. Doch nun eine zusätzliche Alternative: Es gibt ein neues magnetostatisches Hochtonbändchen. Und einer der ersten Lautsprecher, in den dieser spezielle Hochtöner eingesetzt wird, ist die Piega Premium 701GEN2 – welcher wir hier einen ausführlichen Test widmen.
Über 30 Jahre an Erfahrung werden doch nicht über den Haufen geworfen? Gar ein Ankauf aus Fernost? Keine Angst, niemand bei Piega ist auf Revolution gebürstet. Vielmehr stand ein Upgrade an. Den haben sich Roger Kessler (Entwicklungsleiter) und Mario Ballabi (Bändchenfertigung) ausgedacht – unter dem Kürzel RM01-24. Das lässt sich ganz einfach übersetzen, auch für nicht Technophile: Ribbon Magnet, erste Version aus dem Jahre 2024. Aber auch die Schweizer setzen heute auf Marketing. Schlagworte von „supersymmetrisch“ und „immersiv“ fallen. Dabei liegt der Charme gerade im stillen Handwerk und den Fakten.
Kurz, wirklich ganz kurz zur Klärung des Firmen-Namens selbst. Bändchenhochtöner werden gefaltet. Die „Falte“ heißt im Italienischen? Eben „Piega“. So einfach war das Mitte der 1980er-Jahre bei der Firmengründung. Heute residiert man wie die Technik-Fürsten in einem alten Industriegebäude mit direktem Zugang zum Wasser des Zürichsees. Es gibt mehrere Familienbanden und Staffelübergaben. So das legendäre Bändchen – ein Klangwandler, das nur von einem Mann gebaut werden konnte. Der wiederum hat sein Wissen an den Sohn übergeben, aktuell wird die Enkelin unterwiesen…
Staffelübergabe zwei hat an der Spitze des Unternehmens stattgefunden. Manuel und Alexander Greiner führen die Geschäfte. Zwei junge Strategen mit Gespür für die weltweite Vermarktung. So agiert man mit dem koreanischen Elektronik-Hersteller HiFi Rose zusammen, faktisch ein Joint Venture über Kontinente. Den Report haben wir hier veröffentlicht.

Die Technik der Piega Premium 701GEN2: neues Bändchen, neues Glück?
Was aber auch die Hintergründe der Neuerfindung des Hochtonbändchens erklärt. Dahinter stehen die jungen Firmenchefs und ein ganz einfacher Faktor, den die Schweiz schon immer geliebt hat, vier Buchstaben: Geld. Genau dieses ersehnt, erhofft, erfühlt sich Piega im Markt der Automobile. Eine große Marke mit kleinem Output hat Interesse angemeldet. Auch eine Manufaktur. Die Techniker haben sich bereits mehrfach getroffen. Will man ein Piega-Bändchen in ein rollendes Gefährt integrieren, dann kommen plötzlich neue Faktoren ins Spiel: robust muss das Bauteil sein und effektiv noch hinzu. So ist das RM01-24 entstanden. 30 Prototypen wurden am Zürichsee entworfen – und wieder verworfen. Neue Bauteile wurden in alte Fertigungswege eingebracht. So ist das RM01-24 streng symmetrisch aufgebaut – eine Reihe von Neodym-Magneten liegen auf der Rückseite, eine identische auf der Vorderseite. Entwicklungschef Roger Kessler ist besonders stolz auf die „orthogonalen Magnetfeldlinien“. Die Linearität legt zu, das Impulsverhalten. Alles schneller und perfekter in den Messwerten. Wobei auch die Abstrahlfläche zugelegt hat, schlicht die Größe der Membran, ohne den kompletten Basisaufbau anzudicken und gleichzeitig im Gewicht abzunehmen.

Der Hintergrund: Die Schweizer wollen ins automobile HiFi-Geschäft einsteigen und dort herrschen andere Regeln als in der heimischen Stube. Und plötzlich steht ein rosa Elefant im Raum: Für wen hat denn nun Piega dieses neue Edelbändchen entworfen, wer ist der geheime, noch ungenannte Automobilbauer? Piega selbst versteigt sich in einer Pressemeldung zu der Formulierung, das neue Bändchen sei „der Rolls-Royce unter den Hochtönern“. Ein Indiz, ein Hinweis? Man weiß es nicht. Und aus der Horgener Firmenzentrale heißt es: „no comment“. Begnügen wir uns also damit.

Zwei Modelle im Piega-eigenen Lautsprecherkatalog kommen frisch in den Genuss des RM01-24: Die kleine Kompaktbox 301 GEN2 und die Standbox 701 GEN2 aus der Premium-Serie. Genau diese haben wir zum Test eingeladen. War die 701 in der ersten Generation eine 2,5-Wege-Konstruktion, so wurde an der GEN2 alles Bestehende, inklusive der Weichenarchitektur über den Haufen geworfen.

Das ist nun ein klassischer Dreiwegler. Auch die drei mitspielenden Chassis für Mitten und Tiefe wurden runderneuert. Untereinander sehen die beiden Tiefmitteltöner aus wie Zwillinge. Aber der Mitteltöner wurde eben auf den Mitteltonbereich ausgerichtet – bei einer Impedanzanpassung von 4 Ohm. Er trägt eine inverse Staubschutzkappe und unterfüttert das Bändchen bis 3,5 Kilohertz. Der Tieftöner liegt in etwa auf 6-Ohm-Niveau und ist stärker auf Hub ausgelegt.

Die Ästhetik der neuen Piega-Generation bestimmt seit einigen Jahren der Architekt und Designer Stephan Hürlemann. Der Schweizer ist auch aktiver Musiker. Als eine Freundin ihn bei einem Abend mit Gästen ansprach, wie er denn als Musiker ohne Lautsprecher in seinem Wohnraum auskomme, war Hürlemann irritiert. Denn in unmittelbarer Nähe standen zwei Piega-Standsäulen, die die Dame einfach nicht wahrgenommen hatte. „Für mich ein tolles Kompliment. Denn in erster Linie will ich meinen Wohnraum nicht mit zwei Lautsprechern schmücken, sondern mit wohlklingender Musik. Die Krux dabei ist, dass Klangerlebnis und Lautsprecher-Volumen in direktem Zusammenhang stehen. Und so sehen sich viele MusikliebhaberInnen und ÄsthetInnen vor die Wahl gestellt: guter Klang oder schönes Interieur.“

Jetzt stehen Piega und Hürlemann nicht im Verdacht, vor allem hübsche Standsäulen zu entwickeln, bei denen der Klang sekundär zu sein hat. Zwar gilt die Devise der Pressemeldung, dass die 701GEN2 eine „einfache Integration in jeden Wohnraum ermöglichen“ soll. Da spielt Hürlemann aber wieder mit den Vorzügen des gerundeten Aluminium-Gehäuses. Das ist ultrastabil, hochbedämpft und reduziert durch die Form stehende Wellen. Das Terminal ist eher kleinformatig und auf nur zwei Stecker ausgelegt – das ist die Gegenwelt zu den übergroßen Bi-Wiring-Terminals anderer Hersteller. Auch der Fuß mit seiner runden Bodenplatte wirkt eher wohnraumaffin.
Der Klangtest: harte Beats und Schmusesänger
Peinigen wir die schlanken Säulen – mit Dancefloor-Musik vom aktuellen Superstar. Keine Musikerin wird aktuell mehr gehypt als FKA twigs. Die Frau gilt als „Enigma“ – halb Göttin, halb Kunstfigur. Vor ein paar Tagen kommentierte der „Spiegel“ das neue Album „Eusexua“ mit der Schlagzeile „Immer kurz vorm Orgasmus“. Stimmt aber nicht, das war nur für den Leseanreiz bestimmt. Unterschiedliche Atmosphären sind wichtiger als harte Beats. Als hätte jemand „Frozen“ von Madonna auf Dauerschleife gelegt. „Drums of Death“ – der Titel allein ist Programm, damit könnte man doch die Membranen der schönen, neuen Piega töten?
Nette Idee, die aber natürlich nicht gelingt, denn die 701GEN2 ist auch bei hohen Pegeln noch erfreulich verzerrungsarm. Aber darum ging es in unserem Test nicht. Wir wollten passende Verstärker ausloten. Die Retro-Kombi von Quad (33 + 303) stand gerade im Raum. Toller Stoff, aber nicht der passende Mitspieler zur Piega. Nominell sind wir bei 70 Watt, aber der Feel-Good-Faktor der britischen Elektronik wollte so überhaupt nicht mit dem hellen Aluschimmer der Schweizer Standsäulen harmonieren. Kraft ist ein Faktor, noch wichtiger ist die Strom-Stabilität. Der Vollverstärker Cambridge Audio EXA100 erwies sich mit seinen 150 Watt pro Kanal und seiner eher samtigen Spielweise letztendlich als der ideale Partner. Denn die Piega 701GEN2 ist tendenziell etwas heller, offen, auf Analyse ausgelegt. Diesen Charakterzug besser nicht mit einem Amp verstärken, der auf die gleichen Werte setzt.
Klar steht FKA twigs unter den Top Ten bei Qobuz. Aber ganz oben, auf Platz eins spielt ein doppelt so alter Herr in einer ganz anderen Gewichtsklasse – David Gray mit seinem neuen Album „Dear Life“. Der ehemalige Punk ist heute eher ein Mainstream-Prophet. Mit Tendenz zum Schmusesänger bei „Eyes Made Rain“. Das könnte eine Ballade aus alten Tagen sein – zwei Gitarren, hart gegenüber im Stereodreieck, schleichendes Schlagzeug, viel Stimmschmelz. Jetzt spricht es für die Piega 701GEN2, dass sie dazu viele Informationen über den Aufnahmeraum ausleuchtet.

Das ist genauer und „anfassbarer“ als beispielsweise über unseren Vergleichslautsprecher, der DALI Rubikore 8. Die wiederum legt sich genüsslicher in die Kehle des Sängers, punktet mit sehr viel mehr Pegel und Tieftonpunch – was nicht nur bei dem üblich bassstarken Elektropop durchaus attraktiver wirkte. David Gray würde sich für die DALI entscheiden. Der Tonmeister und Produzent Ben de Vries würde sich hingegen eindeutig für die Piega aussprechen. Wie wahrscheinlich auch jene besagte Freundin von Stephan Hürlemann: Die DALI ist eine sofort erkennbare HiFi-Box, die Piega eine Skulptur.
Fühlen wir doch tiefer – mit der tiefsten, meist-kritisierten Musik, die Beethoven komponiert hat. Die Zeitgenossen schrieben es auf seine Taubheit und das mürrische Wesen. Selbst heute gibt es noch eine Spaltung – die Fans der späten Streichquartette und die kämpferischen Ablehner. Nur für die Einordnung: Die Neunte Symphonie trägt die Opus-Zahl 125 – ein Superhit, heute Hymne Europas. Das F-Dur-Quartett hat die Werknummer 135 und gilt bis heute für den Mainstream als Kassengift. Muss jeder selbst entscheiden, wir raten zur Begegnung – ganz neu eingespielt von Amaryllis Quartett bei Berlin Classics in 24 Bit und 96 Kilohertz. „Der schwer gefasste Entschluss“ lautet der Untertitel.

Der letzte, vierte Satz beginnt mit einem auskomponierten „Muss es sein?“. Das sollte man mit einer gewissen mentalen Stabilität hören, es geht um alles, es ist das letzte vollendete Werk Beethovens. Die Amaryllis-Aufnahme klingt wunderbar, satt, alles auf den tiefen Saiten des Cellos gelagert. Dazu markant in der Dynamik, im besten Sinne unerbittlich auch im Tempo. Das trifft sich mit den Werten der Piega – andere Lautsprecher verschlucken die dynamischen Peaks, die 701GEN2 feiert sie. Andere Lautsprecher säuseln, glätten – so schön, weich und elegant die Piega im Wohnraum aussehen mag, sie ist geradezu kämpferisch in ihrer Ehrlichkeit und Präzision.
Fazit Piega 701GEN2
Alle alten Streiter sollten nicht in Vorurteile verfallen: Piega – das waren doch die tollen, zutiefst audiophilen Lautsprecher unserer Jugend? Und nun diese schönen Fotos aus den Wohnzimmern der Wohlhabenden. Die Schweizer haben ihre Seele verkauft…
Haben sie natürlich nicht. Auch die schöne Piega 701GEN2 ist wunderbar „bissfest“ und aufregend. Erstaunlich, wie eine so schöne Designbox mitunter auch mal die Sau herauslassen kann. Kaltes Aluminium, pochendes Fleisch. Aber der Verstärker sollte etwas warmherzig und leistungsstark sein. Dann gibt es das Schönste aus der Bändchenwelt vom Zürichsee: eine elegante Klangsäule und ein Klangbild zum Hineingreifen.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Weiter, transparenter Klang, gute Abbildung |
| Elektrisch wenig anspruchsvoll |
| Überragende Verarbeitung, altersloses Design |
| Mäßiger Wirkungsgrad |
Vertrieb:
Piega SA
Bahnhofstrasse 29
8810 Horgen / Schweiz
www.piega.ch
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Piega Premium 701GEN2: 5.500 Euro (silber)
In schwarz oder weiß eloxiert: 5.900 Euro
Technische Daten
Piega Premium 701gen2 | |
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Konzept: | 3-Wege Standbox, Bassreflex |
Bestückung: | TT: 1 x 14 cm, MT: 1 x 14 cm, HT: 1 x Magnetostat |
Übergangsfrequenz: | 500 / 3,500 Hertz |
Wirkungsgrad (@2,83 V/1m): | 84 Dezibel |
Besonderheiten: | Aluminium-Gehäuse |
Farben: | Aluminium-Silber / -Schwarz / -Weiß |
Abmessungen (H x B x T): | 111,5 x 17,0 cm (Ø) – Bodenplatte = 30,0 cm (Ø) |
Gewicht: | 20,9 Kilogramm |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
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