Beim Schweizer Lautsprecher-Spezialisten Piega ist es wie bei allen Herstellern dieser Liga: Nach Ablauf einer Periode werden alle Produkte immer wieder auf neuesten Stand gebracht. Wirklich alle? Nicht ganz: Die Piega MLS 3 erwies sich schon von Anfang an als so ausgereift, dass man sie bis heute „unüberarbeitet“ weiterproduziert. Daran änderte auch der neue Entwicklungseiter Roger Kesseler nichts – und der ist schon seit über fünf Jahren im Amt. Philosophisch betrachtet könnte man sagen, es gibt kein Modell im Programm der Schweizer, das noch so viel DNA vom Piega-Gründer und Ex-Entwickler Kurt Scheuch in sich trägt. Allein dieser Punkt macht die MLS 3 sympathisch. Und dass die hübsche Säule das akustisch wirkungsvolle Konzept des Dipol-Linienstrahlers zum irgendwie noch bezahlbaren Preis erreichbar macht, erhöht ihre Attraktivität gleich noch einmal…
Piega Gründer Kurt Scheuch hatte sicher viele gute Ideen, mit denen er Piega zu einer Weltfirma aufsteigen ließ. Seine beste aber war die Entwicklung eines Koax-Mittelhochton-Bändchens. Ein Treiber also, der schon vom Konzept her impulsfreudig und Phasen-kohärent ist und zudem über alle Winkel gleich abstrahlt. Dazu ist der Koax extrem wirkungsgradstark (95 dB ab 500 Hertz). Aber manchmal, vor allem in Hörsituationen mit großem Hörabstand oder einer schwierigen Raumakustik, ist eine Abstrahlung nach oben und unten gar nicht gewünscht. Also ersann Scheuch auch gleich noch einen Bändchen-Mittelhochtöner, der – wenn man mehrere davon übereinandersetzt – einen sauberen Linienstrahler ergibt. Damit sind wir bei der außergewöhnlichen Masterline-Serie.
Das Besondere an der Piega MLS 3
Der MLS-Grundstein, die zuerst erdachte MLS 1, ist ein zweiteiliges System mit separatem Bassturm, in dem jeweils sechs 22 cm Bässe und acht Koax-Bändchen arbeiten. Gesamtgewicht: 420 Kilo pro Seite. Bei der MLS 1 hat sich Scheuch nach eigener Aussage von der legendären Infinity Reference Standard inspirieren lassen – und mit der MLS 1 ebenfalls einen Maßstab gesetzt. Aber natürlich haben nur die wenigsten Musikfreunde den Platz und/oder das nötige Kleingeld (aktuell etwa 275.000 Euro) für die zweiteilige Superbox. Und so ersannen die Piega-Entwickler ein System mit der gleichen Grundidee, aber mit einem deutlich erfreulicheren Preis (35.000 Euro).
Der wichtigste Baustein der Master Line Source (MLS) Idee ist der Linienstrahler. Der entsteht Konzept-bedingt, wenn man viele geeignete Mittel- und Hochtöner übereinandersetzt. Scheuch hatte dafür seine Koax-Bändchen clever umgebaut: Es sollte keine Punktschallquelle mehr sein, sondern eine lange Schall-Linie. Der zwangsweise entstehende Zeitversatz der einzelnen Piega-Mittelhochtöner zueinander sorgt für eine weitgehende Auslöschung des Schalls ober- und unterhalb dieser Linie. Das reduziert Decken- und Bodenreflektionen drastisch und es entsteht eine Zylinderweille, die den Schall weiterträgt als die üblichen Lautsprechersysteme mit klassischen Hoch- und Tieftönern.
Um eine echte „Schall-Linie“ zu erreichen, setzte Scheuch vier dieser „Source Driver“ namens SD 111 übereinander in eine MLS 3. Und damit nicht genug der Besonderheiten: Alle vier Mittelhochtöner sind nach hinten offen und machen aus der MLS 3 einen Dipol.
Ich bin ja ein großer Freund vom Dipol-Prinzip, weiß aber auch, dass sie in der Mehrzahl der Raumsituationen nicht gut funktionieren. Scheuch wusste das ebenfalls und erdachte für unterschiedliche Raumakustiken eine so genannte „akustische Linse“.
Besagte „Linse“ besteht im Falle der MLS 3 aus 12 Lamellen, die allesamt eine sanft geschwungene Einkerbung in der Mitte haben. Diese Einkerbung verhindert harte Reflektionen und sorgt für mehr Diffusität – was wichtig sein kann. Denn das Dipol-Konzept bringt mit dem Schall aus dem Rückraum oft mehr „Luft“ und mehr Tiefe ins Klangbild. Aber bei vielen Fensterflächen und weiteren, wenig bedämpften Flächen kann ein Dipol auch zu diffus und zu hart klingen; manchmal ist der nach hinten abgestrahlte Schall halt mehr Fluch als Segen. Für diese Fälle liegen der MLS 3 speziell geformte Schaumstoff-Elemente bei, mit denen man die rückwärtige Schallabstrahlung teilweise oder ganz unterdrücken kann. Es lohnt in jedem Fall, ausgiebig mit den Schaumstoffen zu experimentieren. Vor allem, wenn man die MLS 3 dichter vor die Rückwand stellen möchte.
Die Lamellen sind aus MDF, das schlanke Gehäuse ebenso: Ist Piega hier seinem Aluminium-Ideal komplett untreu geworden? Natürlich nicht. Die gesamte Front wird durch eine dicke Lage Aluminium versteift und beruhigt – das Gesamtgewicht von 65 Kilo ist ein eindeutiges Indiz für einen kompromisslosen Aufbau.
Die Stabilität des Bassgehäuses ist schon aller Ehren wert: umlaufend drei Zentimeter MDF plus der Aluplatte vorn machen schon was her. Meine Frage, warum ausgerechnet bei der Flaggschiff-Serie wieder auf Holz beziehungsweise MDF zurückgegriffen wurde, konterte Entwicklungsleiter Roger Kesseler entwaffnend direkt: „In diesem Fall klingt es einfach besser.“ Da kann man nicht dagegen argumentieren.
Das Tieftonsystem selbst besteht aus zwei Tieftönern der 18-Zentimeter-Klasse, die auf der Rückseite der MLS 3 von zwei Passivmembranen gleicher Größe unterstützt werden. Passivmembranen sind der sehr teure Ersatz für Bassreflexrohre. Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn der Entwickler auf Teufel-komm-raus die fast unvermeidlichen Strömungsgeräusche der Bassreflex-Ports vermeiden möchte oder wenn schlicht zu wenig Platz für die BR-Röhren im Inneren gewesen wäre. Das passiert bei einer sehr tiefen Abstimmung. Dann müssen die Bassreflex-Röhren ziemlich lang werden und sind im Gehäuse kaum noch unterzubringen.
Praxis
Bei der MLS 3 scheint genau dies der Fall gewesen zu sein. Die Piega-Ingenieure zogen den Bassbereich Standbox bis unter respektable 30 Hertz.
Und so kommen wir zum einzigen Pferdefuß der MLS 3. Der Hochmitteltonbereich ist klanglich wie pegelmäßig hoch potent, doch um dem Bassbereich (2 x 18er Bass plus zwei gleichgroßer Passivmembranen in einem 32-Liter-Gehäuse) einen standesgemäßen Tiefgang zu verschaffen, mussten die Piega-Leute das System weiter nach unten ziehen, als man es mit zwei Tieftönern dieser Größe gemeinhin machen würde. Ergebnis: Der Wirkungsgrad rutscht in den Keller: Das LowBeats Messlabor ermittelte hier einen Wert von 83 Dezibel (2,83V/m). Das ist vergleichsweise leise und erfordert kräftige Endstufen für den Antrieb.
Ein besonderes Augenmerkmuss der MLS-3-Besitzer natürlich auf die Aufstellung legen. Idealerweise steht der Lautsprecher mit mindestens 60 – 70 Zentimeter Abstand zur rückwärtigen Wand. Und ebenso ideal wäre es, wenn der Hörplatz weiter als 2,5 Meter von den Lautsprechern entfernt ist: Erst dann entfaltet sich der Effekt der Zylinderwelle optimal.
Das ist kein Nachteil. Denn in großen, spärlich möblierten Wohnzimmern wie sie heute en vogue sind, ist eine Konstruktion wie die MLS 3 fast allen Mitbewerbern überlegen, weil sie prinzipbedingt weniger Boden- und Decken-Reflektionen anstößt und in solchen Räumlichkeiten einfach „klarer“ tönt.
Die Möglichkeiten der speziellen Bedämpfung der Line nach hinten, habe ich weiter oben schon erwähnt. Wir wählten am Ende eine Position (mit über 1 Meter Abstand zur Rückwand) für die MLS 3, bei der wir gar keine Schaumstoffelemente einsetzen mussten. Und so kamen wir in den Genuss einer außergewöhnlichen Tiefenstaffelung der Musik.
Hörtest
Wenn die MLS 3 so glücklich steht (und zudem von einer solchen Edel-Elektronik wie der Canor Vor-/Endstufen-Kombi angetrieben wird), erhebt sie sich schnell über das Gros anderer Lautsprecher dieser Klasse. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Auf „Homeland“, dem neuesten (und exzellent aufgenommenen) Werk des Pianisten Martin Vatter, stellte die Piega das Instrument in voller Größe in den Raum: Man hatte sofort den Eindruck, selbst den aufgestellten Deckel des Bösendorfer Imperial Konzertflügels „sehen“ zu können – klar, schließlich ist auch er ein Reflektor.
Überhaupt Klavier: Das ist fraglos eine Domäne der Piega. Natürlich ist Martin Vatter ein Virtuose. Aber es braucht auch einen Lautsprecher mit dieser Impulsfreudigkeit, um die einzelnen Töne so luftig leicht und genau mit dem richtigen Nachhall ausklingen zu lassen. Zu Beginn von „Forced To Flee My Homeland“ zupft Vatter die Metallsaiten seines Flügels – was beeindruckend tiefe Töne erzeugt und den Lautsprecher als Ganzes fordert. Auch das gab die MLS 3 meisterlich wieder.
Unsere letzte audiophile Empfehlung galt dem senegalesischen Kora-Spieler Momi Maiga, der mit „Kairo“ ebenfalls ein brillantes Album ablieferte – ebenfalls absolut top aufgenommen. Diese Aufnahme fordert vor allem Detailgenauigkeit und Impulsfreude – weil so viele Nebengeräusche Teil des Klangteppichs sind. Da macht der Piega keiner etwas vor: Mit großer Bravour und Souveränität ließ sie auch jene Mikro-Details aufblitzen,. die andere gern mal verschlucken. Ein sehr guter und lustvoller Auftritt.
Den Vergleich mit einer unserer beiden High End Referenzen, der FinkTeam Borg Episode 2, haben wir ordnungsgemäß ebenfalls gefahren. Aber es war ein bisschen Äpfel versus Birnen – mit erwartbarem Ausgang. Die Borg zeigte mehr Substanz und konnte noch ein guter Stück lauter. Auch wurde ihr vom Auditorium die etwas höhere Stimmigkeit attestiert. Doch selbst die von der Abbildung her außergewöhnlich gute Borg hatte gegen diese beeindruckende Abbildung und Tiefe der Piega das Nachsehen. Und in Bezug auf Impulsfreudigkeit und Mitten-Transparenz rangiert die Piega ziemlich weit vorn…
Fazit Piega MLS 3
Mit der kleinsten MLS gelingt den Schweizern ein noch guter Spagat: Es ist ein dezenter Lautsprecher für größere Räume, die auch etwas hallen dürfen. Also eine exzellente Lösung auch für akustisch kritische Situationen.
Beim Maximalpegel und der Bassfülle ist die MLS 3 erwartungsgemäß nur so gut wie ein Lautsprecher mit dieser Größe und Bestückung eben sein kann – da kann auch Piega die Physik nicht überlisten. Dafür sind ihre Natürlichkeit, Impulswiedergabe und Räumlichkeit schlicht überragend. Wer die MLS 3 hört, versteht jedenfalls, warum sie immer noch nicht verbessert wurde: Da gab es bislang nicht so viel zu tun…
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Stimmiger, natürlich-offener und präziser Klang |
| Großzügige Abbildung |
| Gute Verarbeitung, exzellent feste Gehäuse |
| Niedriger Wirkungsgrad |
Vertrieb:
Piega SA
Bahnhofstrasse 29
8810 Horgen / Schweiz
www.piega.ch
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Piega MLS 3: 34.900 Euro
Technische Daten
Piega MLS 3 | |
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Konzept: | 3-Wege Dipol-Standbox mit Passivmembran, Linienstrahler |
Bestückung: | TT: 2 x 18 cm + 2 x 18 cm Passiv-Membran, MHT: 4 x SD 111 Bändchen |
Übergangsfrequenz: | 850 Hertz |
Wirkungsgrad (@2,83 V/1m): | 83 Dezibel |
Besonderheiten: | Aluminium-/Holzgehäuse, Impedanz-linear, Bändchen-Koax |
Farben: | Schwarz, Weiß, Silber, Mischformen, Zebrano Furnier (Gehäuse) |
Abmessungen (H x B x T): | 165,2 x 23,0 x 33,2 cm |
Gewicht: | 65,2 Kilogramm |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Test Vor-/Endstufen-Kombination Canor Hyperion P1 + Virtus M1
Erster Test: Standbox FinkTeam Borg Episode 2
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