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Anna Ternheim All The Way To Rio
Auf „All The Way To Rio“ zeigt Anna Ternheim den melancholischen, dezent elektrifizierten Nordic-Songwriterpop von der schönsten Seite (Foto: J.Josefsson)

Anna Ternheim All The Way To Rio – CD der KW 48

Die schwedische Sängerin Anna Ternheim ist ein alter Hase im Musikbusiness. Aber auch alte Hasen irren bisweilen. Den Aufwand für ihr neues Album Anna Ternheim All The Way To Rio jedenfalls hat sie kapital unterschätzt. Auf verschlungenen Wegen kam sie schließlich doch noch zum Ziel – und präsentiert nun ein elegant arrangiertes kleines Meisterwerk des Nordic Pop: die LowBeats CD der KW 48.

Anna Ternheim All The Way To Rio
Sehr apart, sehr blond, sehr schwedisch und eine Meisterin der leisen Töne und feinen Zwischentöne (Foto: J. Josefsson)

So kann man sich täuschen. Mit 39 Jahren ist Anna Ternheim eine erfahrene Musikerin, doch was ihre neue Disc betrifft, hat sie sich gewaltig verkalkuliert. Dabei sah am Anfang alles nach einer easy-going-Produktion aus: überschaubare acht, schon vorformulierte Kompositionen – dieses Repertoire sollte doch in überschaubarer Zeit fertigzustellen sein.

Aber nix da: „Viereinhalb Jahre habe ich schließlich für Anna Ternheim All The Way To Rio gebraucht“, gestand die schwedische Singer-Songwriterin jüngst bei einem Konzert in Stuttgart, „meine Güte … das hatte ich so ehrlich gesagt auch nicht erwartet.“

Und das kam so: Nach einer längeren kreativen und fleißigen Phase mit dem 2011er-Album The Night Visitor als Abschluss fand sie sich ab 2012 in einem Meer an Freizeit und Freiheit wieder. Doch bald stieg – Musikerseele halt – peu-à-peu der Wunsch nach einem neuen Projekt, bei dem der Stressfaktor aber überschaubar bleiben sollte.

In New York gerade ohne festen Wohnsitz, entschloss sich Ternheim, ihrer inneren Stimme zu folgen, die sie an einen ihrer Sehnsuchtsorte rief: Rio de Janeiro. Unweit von Ipanema fand sich eine kleine Wohnung, wo die Schwedin vier, fünf Wochen die Seele baumeln ließ und einige Songfragmente formulierte.

Danach ging es zurück in die Heimat Schweden, wo Anna mit einigen Musikerfreunden in einer umgebauten Garage an diesem Material zu arbeiten begann – und sich hemmungslos verhedderte: „Nach zehn Tagen Aufnahme nonstop hatten wir Tonnen an Musik und ein endloses Chaos“, erinnert sich Anna. „Zu dem Zeitpunkt war genau das zwar wunderschön, doch es war keine Richtung zu erkennen. Die Songs hatten Spannung und wollten etwas, aber sie führten nirgendwo hin – wie ein musikalisches Gemälde im Stillstand.“

Der Sommer neigte sich dem Ende. Ternheim gab die Garage auf und verabschiedete sich zurück nach New York. Ein anderes Werk, For The Young (erschienen 2015) kam dazwischen, die Rio-Fragmente verschwanden im Archiv. Bis sie in New York ihren Landsmann, den Grafiker und Fotografen Jacob Felländer, traf.

Der Bildkünstler arbeitete gerade an einem Projekt mit Motiven des Himalaya-Gebirges und Anna Ternheim war fasziniert von der ruhigen, aber auch dramatischen Atmosphäre von Felländers Arbeiten. Anna erzählt von dem auf Eis gelegten Song-Rohbauten, die eine ähnliche Grundstimmung besitzen.

Felländer wurde neugierig – und verliebte sich sofort in die Soundscapes von All The Way To Rio. „Unsere Welten trafen sich: Er beendete sein Projekt mit meiner Musik im Ohr und ich finalisierte die Musik mit seinen Bildern im Kopf“, erzählt Anna Ternheim. „Jacobs Bilder waren das fehlende ‘piece of the puzzle’.“ Finale produktionstechnische Impulse gab schließlich ihr musikalischer „Seelenbruder“ Andreas Dahlbäck.

Anna Ternheim All The Way To Rio: Was auf so verschlungenen Wegen entstand, präsentiert sich in fertigem Zustand nun als düsteres, verträumtes, immens eindringliches musikalisches Gemälde. Der Titelsong eröffnet mit leise pochenden Beats und fein ziselierter Gitarre und steht exemplarisch für zwei der großen Stärken von Anna Ternheim: Zum einen ist sie eine wunderbare Sängerin mit einem klaren, warmen Mezzosopran.

Und als Komponistin vereint sie ein Gespür für klare, farbstarke Melodien mit einem ausgeprägten Stilempfinden. In Ternheims Musik wird vieles angedeutet und auch ausformuliert, aber Stimmungen ins Dramatische zu überzeichnen, Emotionen aufdringlich auszuwalzen, ist nicht ihr Stil. In unserer auf Effekthascherei getrimmten Zeit eine absolute Wohltat. Ternheim ist eine Meisterin der leisen Zwischentöne, der ruhigen Formulierungen.

Die Songs auf Anna Ternheim All The Way To Rio

Das zeigt sich auch im folgenden „Waving His Hallo“, das Elektronik, Gitarre und Stimme fein aufeinanderschichten, aber ohne Knalleffekte auskommt. „Holding On“ bringt dann neben einem akzentuierten Groove auch erstmals eine leicht spröde, deutlich aus dem ansonsten schön homogenen und trotz vieler Klangschichten gut durchhörbaren Klangbild herausgeschälte E-Gitarre, die im Finale gar noisig aufbraust: ein prächtiger Kontrast zu Ternheims ansonsten leicht melancholischer Songwritersprache.

Eine Sonderstellung in Anna Ternheim All The Way To Rio gebührt „Battered Soul“: Dominiert in Annas Musik normalerweise ein unverkennbar nordischer Grundton, so nimmt der Sound hier Kurs auf amerikanischen Mainstreampop mit dem Flair der späten 70er- und frühen 80er-Jahre: Mit einem typischen Endsiebzigerjahre-Midtempo-Groove, warmen Keyboardklängen und raffiniertem Voice Overdubbing (dem Übereinanderschichten verschiedener Gesangsspuren) hört man hier eine formvollendete Hommage an den typischen, von Stevie Nicks’ Gesang dominiertem Stil der dritten Fleetwood-Mac-Phase.

Großes Kino bringt „Keep Me In The Dark“: Schön langsam skizzierten Keyboards und Grand Piano eine düstere Soundkulisse, in die nach 3:50 die Gitarre ihres Saitenmannes Anders Söderström in bester Coldplay-Manier wie eine aufgehende Sonne hineinleuchtet. „Dreams Of Blue“ schließt dann den Vorhang mit kirchenmusikalischer Orgel und dunklen Saitensounds und zeigt eindrucksvoll, wie sehr Anna Ternheims Musik auch die Momente der Stille braucht, um zu voller Schönheit zu erblühen.

Wie viel Geduld, Nerven und Arbeit Anna Ternheim All The Way To Rio seine Schöpferin gekostet hat, lässt sich kaum erahnen – man hört es dieser Platte zu keiner Sekunde an. Auch diese Tatsache zeigt, welches Kleinod Anna Ternheim hier gelungen ist: eine leicht zugängliche, glänzend zu hörende Nordic-Pop-Platte und zugleich ein musikalischer Kosmos von subtiler Komplexität, voll feiner Klangschattierungen. Ein Album zum Wieder-und-Wiederhören, eine Disc, die nach der Repeat-Taste verlangt.

Cover Art Anna Ternheim All The Way To Rio
Anna Ternheim All The Way To Rio (Cover: Amazon)

Anna Ternheim All The Way To Rio erscheint bei BMG Rights im Vertrieb von Warner Music und ist erhältlich als CD, LP und MP3-Download.

Anna Ternheim All The Way To Rio
2017/12
Test-Ergebnis: 4,3
SEHR GUT
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Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.