Musik so ganz und gar nicht vom Hier & Heute und gerade deshalb ein echter Geheimtipp: Das Geschwistertrio Julia, Daniel und David Bailen aus New York hat sich dem amerikanischen Folkrock der späten 70er-Jahre verschrieben und versteht sich auf sanfte Easy-listening-Töne. Mit Bailen Thrilled To Be Here gelingt den dreien ein Debütalbum, das herrlich nach Fleetwod Mac und den Carpenters klingt – und bei dem zudem ein ausgesprochener Hipster-Produzent sein Händchen für eine retrospektivische Klangsprache beweist.
Hoppla, was ist denn da passiert? Ist da eine falsche Jahreszahl ins Kleingedruckten reingerutscht– das muss doch 1979 heißen, oder nicht? Oder hat die Herstellungsabteilung im Presswerk die Masterdatei verwechselt? Und dann steht bestimmt auch der falsche Produzentenname auf dem Cover, denn das hier ist doch keine John-Congleton-Aufnahme: Der derzeit wohl meistbeschäftigte Produzent des angloamerikanischen Indierock betreut normalerweise eher elektronische Extravaganzen à la St. Vincent oder Xiu Xiu oder auch Helden des neuen Breitwand-Gitarrenrock wie Explosions In The Sky oder The War On Drugs. Eine Aufnahme wie Bailen Thrilled To Be Here mit ihrem eher rückwärtsgewandten, kein bisschen am Zeitgeist segelnden Sound passt eigentlich nicht in sein Beuteschema.
Kurzum: Die Musik der amerikanischen Geschwister Bailen klingt zu großen Teilen so altmodisch, dass man ihr weder das Baujahr 2019 noch die Produktion durch Congleton abnehmen will. Statt moderner Hipster-Klänge kommen einem vielmehr Richard und Karen-Anne Carpenter in den Sinn, wenn man Julia Bailen und ihre Brüder Daniel und David musizieren hört, oder auch Fleetwood Mac – eine ganze Reihe von Songs dieses Albums könnten auch der Mac’schen Rumours-ff-Phase entstammen. Aber so tickt es eben, dieses Trio aus New York, das ab 2014 auch für mehrere Jahre in London gelandet ist.
In Los Angeles entstand nun mit Congleton das elf Tracks starke Debütalbum Bailen Thrilled To Be Here, das irgendwo zwischen amerikanischem Folk-Rock und einem gelegentlich herzhaft akzentuierten Female Rock anzusiedeln ist. Und ein bisschen ist der Einfluss von Congleton dann doch herauszuhören; vor allem in fuzzigen E-Gitarren-Passagen. Drum herum aber dominiert eine weitgehend klassische Instrumentierung: elektrische und akustische Gitarren, letztere teils im Fingerpicking-Style gezupft, dazu Violinen und Bass plus einige schöne, nicht zu explizit ausgewalzte Streichersätze, eingespielt vom Kammerorchester, in dem auch die Eltern der Bailen-Sprößlinge musizieren.
So weit, so normal, nur eben nicht mehr in unseren Zeiten, in denen andere Soundmuster den Ton angeben. Doch der Kompositionskultur im Streaming-Zeitalter – wehe, ein Song braucht mehr als fünfzehn Sekunden, um seine Hörer mit den gängigen Klangködern von Autotune bis Synthiebeats zuzuballern – verweigern sich Bailen bemerkenswert konsequent. Nehmen sich Zeit für langsame Intros, für eine Musizierhaltung voller Gelassenheit und Optimismus und für „positive vibes“ jenseits einer plumpen „Hauptsache, wir haben Spaß“-Ästhetik. Wer die beschaulichen, mitunter ergreifend schönen Satzgesänge von Julia, Daniel und David hört, beginnt wieder, an das Gute in der Welt zu glauben.
Die Musik von Bailen Thrilled To Be Here
Etwa in Opener „Something tells me“, der mit seiner Leadzeile „Something tells me / I could fall in love with you“ und seinem Gegensatz aus leuchtstarker Melodie und anfangs reduziertem, dann stetig anwachsendem Groove auch eine prima Filmmusik für eine neue Hugh-Grant-Kömodie abgäbe. Danach stehen die Zeichen gleich etliche Mal auf Fleetwood Mac – etwa in „Your Love Is All I Know“ und „Bottle It Up“, in dem Bailen die Stevie-Nicks & Christine McVie-Attitüde der Spätsiebziger Jahre mindestens ebenso gut beschwören wie das australische Geschwisterduo Angus & Julia Stone, das sich als Referenzpunkt für dieses Album wesentlich besser eignet als irgendwelche Londoner Folkkapellen vom Schlag Mumford & Sons – ganz einfach, weil fast keine angelsächsischen Einflüsse in dieser Musik zu finden sind und auch die große Basstrommel nur eine Nebenrolle spielt bei Bailen.
Idealtypisch auf den Punkt kommt dieser Sound einer längst vergangenen Zeit in „Going On A Feeling“, das nicht nur harmonisch, sondern mit entspannt trabendem Groove auch rhythmisch perfekt eine Atmosphäre zwischen Westcoast Music und Laurel-Canyon-Feeling beschwört. Dass Bailen Thrilled To Be Here auch auch etwas habhafter werden kann, zeigt das Album in „Stand me Up“ oder „I Was Wrong“, in denen fette Hammond-Orgel und ein paar beherzte E-Gitarren-Riffs das Kommando übernehmen.
Zum Finale in „Careless Wishing“ dann: Dreistimmige Harmony Vocals, einige wenige Gitarrentöne und eine einsame Mundharmonika genügen für vier Minuten andachtsvolle Seventies Music, bevor die ihre Unschuld an Stadion-Rock und Mainstream-Pop verlor. Das ist der wahrscheinlich größte Verdienst dieses Albums: Bailen agieren auf Thrilled To Be Here so anachronistisch, als entstammten sie einer Zeit vor Twitter, Facebook, Instagram & Co. und treffen einen beinahe schon ausgestorbenen musikalischen Ton.
Bailen Thrilled To Be Here erscheint bei Caroline im Vertrieb von Universal Music und ist erhältlich als CD, LP und Download
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