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Blur "The Ballad Of Darren“ Band
Mit „The Ballad Of Darren“ haben Blur den nächsten Schritt auf dem Weg Richtung Altersweisheit zurückgelegt. Das Album entstand in Studios in London und Devon, produziert hat James Ford (Foto: R. Bastienne-Lewis)

Blur „The Ballad Of Darren“: das Album der Woche

Irgendwann trifft es jeden: Der „Sweet Bird of Youth“ ist ausgeflogen, auf dem Tacho des Lebens erscheinen die Ziffern 50ff. Wie man Brit-Rock und angelsächsischen Art-Pop würdevoll in eine altersgerechte Form überführt, zeigen nun Blur „The Ballad Of Darren“. Die neunte Platte von Damon Albarn & Co. wurde daher ohne Gegenstimme zum LowBeats Album der Woche gekürt.

Zunächst ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Man hat ja so allerhand gesehen mit der Zeit an Live-Events und Konzertmitschnitten, aber die legendären Blur-Gastspiele vom Sommer 2009 im Londoner Hyde Park und in Glastonbury sowie der Auftritt von 2015 im Pariser Zenith gehören nach wie vor zum Besten, was die Popkultur der vergangenen Jahre hervorgebracht hat. Zu erleben und zu genießen gibt’s hier ein megasouverän in sich ruhendes Ensemble, das bei seinen Sternstunden zwischen Brit-Rock und Art-Pop zugleich am obersten Rand in Sachen Spielfreude, Inspiration und Kreativität unterwegs war: großer Pop, manchmal gar in Stadionrock-Atmosphäre, aber ohne dessen negative Begleiterscheinungen. Denn leider heißt das Motto bei großen Livemusikevents immer öfter: „Hauptsache, eine zünftige Party – die Musik ist eher wurscht“.

 „Diese Platte ist ein Nachbeben, eine Reflektion und ein Kommentar dazu, wo wir uns gerade befinden.“  Damon Albarn

Inflationär gesät sind Konzerte von Damon Albarn & Co.  ja ohnehin nicht unbedingt. Und auch sonst gehören Blur nicht eben zu den Workaholics der Musikszene; mit „The Ballad Of Darren“ erscheint nun das gerade einmal neunte Album in dreiunddreißig Karrierejahren, und seit dem Vorgänger „The Magic Whip“ sind auch schon wieder acht Jahre ins Land gezogen. Gemächlich geht es also zu bei den Blur. Davon kündet auch „The Ballad Of Darren“. Die Sturm-und-Drang-Zeit der frühen und mittleren 1990er-Jahre, die mehr von den Medien inszenierte wirklich von beiden Akteuren betriebene „Battle Of Britain“ gegen Oasis: All das ist längst Geschichte und wurde – im Fall von Blur – abgelöst von einer formidablen Karriere mit wundervollen, vielschichtigen, reflektierten Songs der Marke „Thinking Man’s Pop Music“.

Die Musik von Blur „The Ballad Of Darren“

Kein „Song 2“ oder desgleichen in Sicht im zehn Track starken Programm von „The Ballad Of Darren“. Und auch verkrampft modernen Dad-Pop muss man bei Blur in diesem Leben nicht mehr befürchten. Stattdessen wandelt das Londoner Quartett stilsicher auf seinem Weg hin zu einem würdevollen Alterswerk des Brit-Pop. Melancholisch und üppig mit Streichern grundiert sind gleich eine ganze Reihe der neuen Kompositionen, so etwa die Auftakt-Ballade „The Ballad“ oder das in der Albummitte thronende „The Everglades (For Leonard)“. Davor gibt es mit „Barbaric“ und danach mit „The Narcissist“ zwei hyperclevere Midtempo-Tracks, die anfangs fast beiläufig am Ohr vorüberziehen, bei denen das Wiederhören aber von Mal zu Mal mehr Freude macht. „We have lost the feeling that we thought we’d never lose“, singt Albarn in „Barbaric“, während Graham Coxon ein paar herrlich entspannte Gitarrenlinien mit nostalgischem Spätsechzigerjahre-Flair aus den Saiten fieselt. Dazu ein simpler Beatbox-Rhythmus – und fertig ist einer der schönsten und langlebigsten Blur-Songs im gesamten Oeuvre der Band. Auch „Russian Strings“ mit einem hübsch verstimmten Piano und das von dezent psychedelischen Keyboardsounds untermalte „Goodbye Albert“ funktionieren exzellent als entrückter Orchesterpop mit retroesker Patina.

„Je älter und wütender wir werden, desto wichtiger wird es, dass wir mit den richtigen Emotionen und Absichten spielen. Manchmal reicht ein Riff einfach nicht aus.“ Graham Coxon

Am anderen Ende der Dynamikskala wiederum torkelt „St. Charles Square“ mit schön kratzigen Gitarren so sehr in Schräglage durch Britrock-Gefilde wie ein Brite nach dem abendlichen Pub-Besäufnis zur nächsten U-Bahn-Station. Hier grüßt noch am ehesten das Blur-Frühwerk im Stil von Gassenhauern Marke „Girl and Boy“.

Allgegenwärtig drum herum: der überaus angenehme, sympathische Gesang von Damon Albarn – nicht ganz so lässig und phlegmatisch wie bei seinen Gorillaz, aber noch immer herrlich näselnd und leicht verschlafen in der Intonation. Nach einer Jugend in der Indie-Disco läuten Blur mit „The Ballad Of Darren“ also den Frühherbst ihrer Karriere ein, und das Ergebnis lässt auf weitere Exemplare einer solch formvollendeten, typisch britischen „Ballroom Music“ hoffen.

Bildlich gesprochen entführt dieses Album den Hörer sozusagen zum Five O’Clock Tea in ein vornehmes Londoner Hotel. Dort wartet zwar ein plüschig viktorianisches Ambiente, doch das Personal und auch das Gros der Gäste tragen durchaus noch den Geist ihrer Jugend in sich. Auf „The Ballad Of Darren“ begegnet sich beides in prachtvoller Harmonie.

Blur "The Ballad Of Darren“ Cover
„The Ballard of Darren“ wurde von Januar bis Mai 2023 im Studio 13, in London und Devon aufgenommen (Cover: Qobuz)

Blur „The Ballad Of Darren“ erscheint bei Parlophone im Vertrieb von Warner Music und ist physisch als CD, als Deluxe Version Gatefold-CD mit zwei Bonustracks, als schwarzes Heavyweight-12”-Vinyl sowie als 10-Track-Kassette erhältlich. Außerdem sind mehrere Vinyl-Sonderformate zu haben: eine farbige 12”-Vinyl, eine 12”-Vinyl-Picture-Disc, eine Deluxe-LP (10 Tracks) mit dreiteiligem, gebundenen Premium-Cover sowie eine schwarze 12”- Heavyweight-Vinyl-Edition mit Bonus-7-inch, integriertem Booklet inklusive exklusiver, handgeschriebener Notizen, Skizzen und Lyrics sowie einer Fotoeinlage.

Bewertung
Blur „The Ballad Of Darren“
2023/07
Test-Ergebnis: 4,3
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.