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Boy Bjorn Mistaken Animals Review Aufmacherbild
Wohin nur mit sich selbst: Nach einer veritablen Krise im Jahr 2015 musste sich der amerikanische Songwriter Brian Holl komplett neu orientieren – und es kam eine wunderschöne Aufnahme dabei heraus: Mistaken Animals (Foto. A. Smith)

Boy Bjorn Mistaken Animals – das Album der Woche

Mit seinem Solodebüt spielt sich der amerikanische Songpoet Brian Holl, bekannt als eine Hälfte des Indiepop-Duos Foreign Fields, aus einer veritablen Lebenskrise. Sein Konzept: eine neue Identität als Boy Bjorn und eine Hinwendung zu Wohlklang voller Tiefgang. Mit dem winterschönen Synthie-Folk von Boy Bjorn Mistaken Animals gelingt Holl so das neue LowBeats Album der Woche.

Wer weiß schon, wann man von der ersten großen Lebenskrise heimgesucht wird? Aber: keine Chance; auch wenn eben noch alles in bester Ordnung war. Wenn der Moment gekommen ist, in dem die Seele kollabiert, erwischt es einen so unvermittelt und heftig wie eine Starkregenfronten, die an einem Hochsommernachmittag aus dem Nichts über das Land herfällt.

Bei Brian Holl war es 2015 soweit. Eine nächtliche Panikattacke in einem Billig-Motel in Austin/Texas warf den damals 25-jährigen Songwriter drastisch aus der Bahn. Die Gründe? Das Übliche: Zweifel am eigenen Ego, Selbstoptimierungszwang, der ständige Wettbewerb mit der Konkurrenz und mit sich selbst.

Dabei stand Holl eigentlich gut da seinerzeit: Im Duo mit Eric Hillman segelte er mit der in Indiekreisen prächtig beleumundeten Indie-/Psychedelic-Pop-Formation Foreign Fields auf Erfolgskurs: landesweite Tourneen, Festivalauftritte, ein von Kritikern gefeiertes Debütalbum (Anywhere But Where I Am, 2013).

Als erste musikalische Selbsttherapie nach Holls Seelencrash folgte im Herbst 2016 zunächst das zweite FF-Album Take Cover – und nun sein Solodebüt unter dem Pseudonym Boy Bjorn.

Mit einer Stimme, als wäre er der junge Paul Simon, startet der nun 28-jährige in sein Programm: Jugendlich klingt sein Organ, zugleich schon fast bedrückend melancholisch und vom Leben gezeichnet – jedoch nie über Gebühr trauerumflort, sondern hörbar froh und erleichtert darüber, nach dunklen Tagen wieder Licht am Horizont zu sehen.

„Now I’m Running“ beschleunigt dann erstmals den Rhythmus und surft auf schwelgerischen Synthiewogen in wohlige Midtempogefilde hinein: ein klarer Anspieltipp, um diesen Künstler kennenzulernen. Von ähnlichem Kaliber: „Makeshift Moses“, ein heimlicher Hit mit Zeitlupengitarre und breit ausgelegtem Synthieteppich.

Die Musik von Boy Bjorn Mistaken Animals

„Don’t Open Your Eyes“ rückt, eher untypisch, eine Akustikgitarre ins Zentrum, addiert ein minimalistisches Piano und einen sanften Groove hinzu, während nochmals weiter im Hintergrund etwas Elektronik schnauft und flirrt. „Lungs“ wiederum zeigt Boy Bjorn mit gedoppelten, teils mit leichtem Delay aufgenommenen vocals quasi im Duett mit sich selbst; ein kleine Pfeifeinlage inklusive.

Strikt kompositionsorientiert bleibt aber seine Gangart, bei aller atmosphärischen Ausrichtung der Klänge macht Boy Bjorn seine Musik nie zur bloßen Soundlandschaft, sondern versteht sich prächtig auf Strophe, Refrain, Bridge.

In seiner verstärkt elektronischen Gangart bewegt sich Boy Bjorn Mistaken Animals also vom klassischen Songwritertum (auch dem von Foreign Fields) auf den Dream-Pop der Gegenwart zu, legt immer wieder elegische Keyboardklänge über seinen folkigen Unterbau.

Um als lupenreiner Dream-Pop durchzugehen, verzichtet dieser fast jungfräulich unbefleckte Synth-Folk freilich zu sehr auf die Nähe zum Zeitgeist unserer Tage, schwebt eher entrückt melancholisch anstatt stylish-chic durch seine semiakustischen Soundschichten.

Zum Finale und Titelsong von Boy Bjorn Mistaken Animals noch einmal ganz großes Kino mit einem Schuss Alternative-Ambiente: So vorsichtig, als wäre sie aus Zuckerguss, tastet sich Holl über die Tastatur seine Pianos, das hier leicht verstimmt klingt, als ob es ein paar Jahre gänzlich unberührt vor sich hingedämmert hätte.

Eine Synthieschleife tritt hinzu, ein sanft austarierter Rhythmus, eine Gitarre dreht weiträumig ihre Kreise und der Sound läuft in fast Bryan-Ferry-artiger Opulenz im Hafen ein: feines Finale für ein elf Songs starkes Sets voll Geschichten über die Schönheit im Alltäglichen, voll berührender Dialoge mit dem eigenen Ich im Spiegel zwischen der Vergangenheit und dem Leben im Hier und Jetzt und arrangiert wie eine kleine Adventsmusik für die @-Generation.

Boy Bjorn Mistaken Animals Cover
Boy Bjorn Mistaken Animals (Cover: Amazon)

Boy Bjorn Mistaken Animals erscheint bei Caroline/Universal und ist ab 12.10. erhältlich als CD,  LP und MP3-Download

Boy Bjorn Mistaken Animals
2018/12
Test-Ergebnis: 4,1
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.