Operation Wüstensturm – Das Coachella: Wieder hat ein finsterer, stiernackiger Ami-Bulle einen unbewaffneten Schwarzen erschossen und abermals wurden unsere Firmen und Politiker Opfer von unglaublichen NSA-Spähangriffen. Ich verspüre null Bock auf die anstehende USA-Reise, deren Höhepunkt das Coachella Festival in der Nähe von Palms Springs ist.”Verdammte, waffenvernarrte Faschos!” Allein schon der ganze inquisitorische Visa-Kram, da kann ich auch gleich nach China reisen, das nicht wirklich als Demokratie gilt.
Widerwillig bis misslaunig absolviere ich die Reiseformalitäten, die von Mal zu Mal schikanöser erscheinen. Doch mit dem neuen elektronischen ESTA-Verfahren geht alles ganz glatt und flott am Flughafen von L.A. – zumindest ein kleiner Trost für die seitenlangen Fragebögen und die Gebühren. Warum darf eigentlich bei uns jeder dahergelaufene Depp einreisen, der seinen Pass weggeworfen hat, frage ich mich nach der erfolgreichen Einreise. Klar, es nervt, nicht mal die Chinesen haben mir seinerzeit Fingerabdrücke abgenommen, aber ich bin wieder da – zum ersten Mal seit 2007. Damals habe ich die ganzen Verschärfungen wie Schuhe ausziehen beim Flugafencheck noch milde gesehen. Schließlich saß der 9/11-Schock noch tief, ich wusste vieles nicht über den Bush-Feldzug gegen Irak, das ich heute weiß und vor allem: Ich konnte im New Yorker Apple Store vor meinen Landsleuten das brandneue erste iPhone erstehen. Der nette Kollege von einer Computer-Zeitschrift hackte freundlicherweise das Simmlock gleich im freien WLAN des unterirdischen (auf die Lage bezogen) Shops.
Diesmal sind es am Ende vor allem die Menschen und Trends, die mich im Laufe der Reise milde stimmen sollen. Das Klischee mit den Junkfood-fressenden tumben Amis schmolz für mich in Kalifornien schneller als Eis in der Wüstensonne. Was ich im Laufe der knappen Woche an Food-Trends und hochwertiger Nahrung mitbekommen sollte, lässt mit Verlaub gesagt selbst meine heiß geliebte italienische Küche so hausbacken und eindimensional erscheinen wie Linsen mit Saiten.
Ein von den Köchen der In-Restaurants “Scratch Bar” und “Gadarene Swine” zubereitetes 6-Gänge-Menü mit nie zuvor auf einer Karte entdeckten Leckereien wie Crispy Yucca, Blackened Cauliflower und Coconut Pudding w/ Mojito Granita entführt einen in eine neue kulinarische Dimension. Gaumenfreuden von exotischem Reiz in gewagter, aber gekonnter Kombination mit Lokalkolorit und internationalem Anspruch. Frisch zubereitet und serviert von coolen Typen. Einmal dürfen wir sogar direkt in der Feldküche sitzen und zuschauen – man hat nichts zu verbergen. Hier spielt die Musik! So rückständig die Amerikaner mit Ausnahme von Tesla bei Automobilen sein mögen, so avantgardistisch sind sie mittlerweile mit dem Essen. Mal ehrlich: Gibt es etwas Wichtigeres? Die Revolution fand unterhalb des hiesigen Radars statt. Eine neue Generation von Köchen befindet sich auf einer verwegenen Stealth-Mission, die vermutlich in naher Zukunft die halbe Welt erobern dürfte oder Rippchen mit Sauerkraut.
Noch sonnen sich Deutsche, die lieber am Essen als an den Alufelgen ihres Autos sparen im Glanze einiger peinlicher, bemüht coolen Fernsehköche und üben Schulterschluss mit den eingedeutschten Italienern, die als Muster erfolgreicher Integration für Deutschland die kulinarischen Fahnen hochhalten. Abgesehen davon, dass Mercedes im Autobau auch nicht Ferrari vorschicken würde: Ich mag italienisches Essen, doch gegen das, was ich in der Wüste erlebte, sind selbst die Stuttgarter, Frankfurter und Münchner Nobeltitaliener kalter Kaffee. Nicht lachen, Ihr Preussen; die Berliner ebenfalls.
Doch jetzt kommt das Allerschlimmste: Ich rede nicht von kalifornischen Nobelrestaurants, sondern von einem Musikfestival. Ja, richtig, Buden, in denen man bei uns fettige, verkohlte Würstchen voller Schlachtabfällen und Chemie nebst Pommes mit reichlich rot-weißem Dressing zu saftigen Preisen angedient kriegt. Ob Ihr es glaubt oder nicht, mir fielen zwischen High-End-Feldküchen auf Sterne-Niveau nirgendwo Pommes- oder Burgerbuden auf.
Coachella – Perfekt wie ein Schweizer Uhrwerk
Dies nur nebenbei. Eigentlich wartet der geneigte Leser jetzt auf meine Eindrücke vom größten Musikfestival der Welt. Aber genau das waren sie. Nein, nicht ganz, was mich auch beeindruckte, war die Freundlichkeit der Menschen und die perfekte Organisation. Es beginnt mit eigenen Haltestellen für Taxen und Fahrer des privaten Online-Dienstes Uber, der hierzulande nach Kräften bekämpft wird. Es geht weiter mit einem Heer von Helfern, die einem zum Beispiel an den Haltestellen der Shuttlebusse gratis mit Wasser versorgen oder einem freundlich den Weg zwischen Haltestellen und den diversen Eingängen für VIPs und normale Besucher zu erklären. Vor allem feuern sie die Besucher bis spät in die Nacht an und wünschen ihnen viel Vergnügen! Derweil regeln Cops den Verkehr auf den Zufahrten und passen auf, dass keiner unter die Räder kommt. Dabei fällt auf, dass jeder dunkle Winkel auf den Zubringerwegen nachts mit Scheinwerfern, die von Stromgeneratoren gespeist werden, ausgeleuchtet wird. Besser kann man ein Festival nicht organisieren. Bleibt nur zu sagen, dass alles, was ich zwischen Los Angeles und Palm Springs zu sehen bekam, bis zur letzten Hecke gepflegt und durchgeplant wirkte wie eine einzige endlose Golf-Anlage – allerdings auch so uniform.
Ja und die Musik? Nun ja, das ist so eine Sache. Einerseits spielten an jenem heißen Wochenende Hammer-Bands wie Steely Dan oder AC/DC auf. Dazu kamen jede Menge junge Hip-Hop- oder Was-weiß-ich-nicht-Bands, deren Songs ich im Gegensatz zu den Namen aus dem Radio kenne und zum Großteil dank Shazam-Musikerkennung auf dem Handy habe.
Genial! Im Grunde schon, aber nicht wirklich. Die Sache hat einen entscheidenden Fehler, der aus dem allgegenwärtigen Hang, nein Drang, besser Zwang zu Superlativen resultiert: Ich kam mir die ganze Zeit vor wie in einem grässlichen Elektrogroßmarkt, wo 1000 Fernseher und Stereo-Türmchen um die Wette schreien. Fragmente der Stimmen und Grooves von Steely Dan unterlegt von der Bassline von einem halben Dutzend wild gewordener Hip-Hopper sind in meinen Ohren ein Gemetzel, das fast schon an den amerikanischen Einmarsch im Irak erinnert (in Abwandlung eines Zitats des US-Star-Reviewers Ken Kessler über den Klang eines silbrig glänzenden deutschen Verstärkers). Nicht zu vergessen, bei über 30 Grad unter direkter Sonnenstrahlung mit einigem Alkohol im Kopf. Hell’s Kitchen sag ich nur.
Als dann AC/DC spät nachts begann, hatten die meisten Musik-Zelte und Open-Air-Bühnen auf dem endlos großen Gelände bereits Feierabend. Und ich hatte mir einen strategisch günstigen Platz im VIP-Bereich mit Sitzplatz auf einer Treppe, kaltem Heineken zur Hand und vor allem mit einer von Mehrfach-Echos und anderen Klangbeeinträchtigungen freien Akustik ergattert. Das war dann wirklich allein schon die ganze Reise wert. Unglaublich, was die Rock-Opas noch zu bieten haben. Die Stimme von Brian Johnson mit ihrem rotzigen australischen Akzent macht die Texte noch schlüpfriger und der 1958 geborene Gitarrist Angus Young mit seinen Riffs und Sprüngen ist eine Klasse für sich – ein wahres Wunder an Fitness.
NSA ist nicht USA
Keine Ahnung, ob ich mir diese skurrile Mischung aus Party, Loudness-War und Open-Air-Gourmet-Vergnügung noch mal geben werde. Aber einmal im Leben sollte man Coachella mit all seinen Schattierungen auf alle Fälle live erlebt haben. Schon alleine, weil es das in deutschen Medien verbreitete Amerika-Bild gerade rückt und einmal mehr vor Augen führt, dass man die Menschen im Land der unbegrenzten Gegensätze nicht einfach in eine Schublade stecken kann.
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