Dear Vinyl-Fan, won’t you come out to play? Das Weiße Album der Beatles ist anlässlich seines 50 jährigen Erscheinungs-Jubiläums neu erschienen – großartig abgemischt, luxuriös gepresst. Ein Fest für Beatles-Kenner und audiophile Gemüter.
Ein Düsenjet kreischt an uns vorbei. Genau im Moment der passenden Tonhöhe steigt die Rhythmus-Gitarre von John Lennon ein. Effektvoller kann man ein Pop-Album nicht eröffnen. Die Beatles sind im Klangrausch. Zuvor haben sie sich einige Wochen mit ihrem Guru nach Indien zurückgezogen. Die einen länger, die anderen kürzer. Ringo Starr beispielsweise vertrug das indische Essen nicht und reiste früh ab. Am längsten hat George Harrison durchgehalten – der mystischste unter den Beatles. Auf jeden Fall: Der Ausflug hat die kreativen Kräfte gepusht – so viele Song-Ideen haben die Beatles noch nie ins Studio gebracht. Zuvor haben sich die fabelhaften Vier auf Georges Landsitz getroffen. Man diskutierte und konservierte die ersten Songentwürfe auf einer kleinen Bandmaschine. So sind die sogenannten Esher-Tapes entstanden – die frühsten Gedanken für das Weiße Album der Beatles. Warum es Weißes Album heißt? Weil der Grafiker jede Show verweigerte. Die Hülle ist weiß, darauf eingeprägt der Name der Band und eine Seriennummer. Ende
Das versteht man nur im Kontrast. Zuvor hatten die Beatles mit Sgt. Pepper’s ein Konzeptalbum mit maximaler Bildsprache vorgestellt – musikalisch wie auf dem Cover. Nun die weiße Leinwand. Und zu aller Überraschung ein Doppelalbum, so stark und vielfältig waren die Einfälle. Das Weiße Album der Beatles hat eine gewaltige Spannbreite, vom intimen Gitarrensong bis zur großformatigen Klangcollage. Viele halten dieses für das beste Album der Beatles. Was den Produzenten George Martin regelmäßig erzürnte. Denn es waren die wirrsten Aufnahmetage in der Geschichte an der Abbey Road. Sonst wurden die Songs konzentriert vorbereitet und aufgezeichnet – nun herrschte das kreative Chaos. Die Beatles kamen, spielten, experimentierten – bis tief in die Nacht hinein. Die Tontechniker konnten ihren Einfällen kaum folgen. Auf dem Höhepunkt der Wirrnisse schmiss der langjährige Tontechniker Geoff Emerick das Handtuch und kündigte. George Martin selbst verabschiedete sich während der Produktion in Urlaub.
Sein Sohn führt heute die Regler. Giles Martin hat sich an die Neuentdeckung der analogen Bänder gewagt. Wie schon bei Sgt. Pepper’s. Doch diesmal war der Job härter – die Beatles haben beim Weißen Album viele Zwischenstadien hinterlassen, zudem nicht alles perfekt aufgenommen. Außerdem konnte man bei Sgt. Pepper’s argumentieren, dass die Beatles nur die Mono-Version freigegeben hatten und das Stereomaster eher im Nebenbei entstand. Das Weiße Album der Beatles jedoch wurde authentisch in Stereo gedacht. Innerhalb nur eines Jahres hatten die Fab Four ihre Ästhetik, ihre Disziplin und ihre Vorgehensweise komplett verändert. Giles Martin analysierte die Zwischenschritte, übertrug die analogen Bänder. Die Plattencompany Universal hat sich nicht lumpen lassen und bietet das so neu erschaffene Weiße Album der Beatles in drei Editionen an. Einmal die kleine Version des Originals plus die Esher-Demos auf CD. Dann die Luxusvariante auf sieben CDs, limitiert und mit allen unbekannten Variationen plus dickem Buch. Dazu für die Vinyl-Fans eine Vier-LP-Version – das originale Album plus die Esher-Demos.
Wir haben uns für die Vinyl-Scheiben entschieden. Aus einem multiplen Grund: Die Beatles haben in Vinyl gedacht. Zudem haben wir alle entscheidenden Pressungen zum Vergleich: das Original aus deutscher Fertigung, die japanische Luxus-Version und die Edel-Auflage von MFSL. Das ist harte Konkurrenz zum neuen Mastering.
Müsste man meinen. Doch die neue Vier-LP-Box hat mich überrascht. Weil das Mastering von Giles Martin schlicht sensationell ist. Dazu folgte der Schnitt nach den feinen Spielregeln des Half-Speed-Masterings. Die Pressung stammt von Optimal aus Röbel an der Müritz und ist perfekt geraten – schwer auf 180 Gramm. Alles wurde liebevoll verpackt, natürlich mit dem bekannten Poster, allen Texten und den vier Portraitfotos. Das will und muss ein Fan (der Beatles wie der Schallplatte) haben. Der Sound bietet die maximale Show. Der Düsenjet zu „Back In The U.S.S.R.“ kommt deutlich brachialer daher. Dann die feine Welt von „Dear Prudence“. Die Saiten der Gitarren haben mehr Korpus, mehr Präsenz vor der Boxenachse. Dann das peitschende Schlagzeug in „I’m So Tired“ – die erste CD-Version war grauenhaft brutal und künstlich, hier nun ein superber Drive mit Kraft und Kontur.
Da drängt alles zum Superlativ: Keine andere Pressung kann es mit dieser Klangparty aufnehmen – nie war das Weiße Album der Beatles sinnlicher und sinnvoller zu hören. Eine laute Empfehlung. Und ein Augenmerk: offiziell haben die Rechte-Erben von Universal die Vinyl-Version als „Limited Deluxe Edition“ gepresst. Es kann also sein, dass die weltweiten Fans den Markt leerkaufen. Sgt. Pepper’s beispielsweise ist ein Jahr nach seiner Premiere als LP über Amazon nur noch als teure Import-Scheibe zu haben. Der frühe Vogel fängt das Glück.
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