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David Byrne American Utopia
Der Talking Head spricht wieder: Nach vierzehnjähriger Auszeit meldet sich David Byrne nun mit American Utopia zurück (Foto: J.Rodac)

David Byrne American Utopia – die CD der KW 13

„Thinking man’s pop music“ vom Feinsten: Auf David Byrne American Utopia glänzt der Altmeister mit einen souveränen Soundkosmos zwischen Weltmusik und wavigem Artrock und philosophiert in angenehm distinguiertem New Yorker Tonfall über Utopien für eine Welt in Schieflage.

Ein Talking Head als Schweiger: Vierzehn Jahre liegt Grown Backwards, das bis dato letzte Soloalbum von David Byrne, zurück. Warum die viele Jahre lang führende Stimme des Psycho-Pop ausgerechnet in diesen psychotischen Zeiten so lange abgetaucht war? Unklar.

In guter Erinnerung ist zweifellos noch Love This Giant, seine 2012er-Kooperation mit St. Vincent, der momentan vielleicht interessantesten Vertreterin des weiblichen amerikanischen Avantgardepop. Aber darüber hinaus gab Byrne, längst tief in der New York Kunstszene verwurzelt, doch reichlich Rätsel auf.

Neben Liebhaberprojekten pflasterte auch manche Merkwürdigkeit seinen Weg: 2009 gab’s ein Tagebuch über seine Erlebnisse als Fahrradfahrer in Weltmetropolen wie Buenos Aires, Sydney und Berlin (Bicycle Diaries), 2010 folgte Here Lies Love, ein mit dem englischen Dancefloor-Anarchisten Fat Boy Slim produziertes Disco-Musical zu Ehren von Imelda Marcos, der ehemaligen First Lady der Philippinen.

Dazu: Buch-, Foto- und Multimediaarbeiten für Verlage und Galerien, Kolumnen für die „New York Times“ – aber kein eigenes Werk, das seinem Ruf als einem der wichtigsten Köpfe der „thinking man’s pop music“ Neues hinzugefügt hätte.

David Byrne American Utopia: Stück für Stück

Nun also David Byrne American Utopia – und vom ersten Takt an macht dieses Album klar, wie sehr man den 1952 im schottischen Dumberton geborenen Artrock-Dandy vermisst hat.

Zu erleben gibt es hier einen vor allem musikalisch hellwachen Geist, der im einen Moment in unmittelbarer Nähe zur Nervosität der Gegenwart agiert und sich im nächsten Song mit beschwingter Gelassenheit in eine bessere Zukunft voranträumt.

Das Zehn-Song-Set vereint dabei den Afro-, Psycho-Rock- und New-Wave-Soundkosmos aus Talking-Heads-Zeiten mit den quirligen Weltmusiktönen, die Byrne seit 1988 als Chef des Labels Luaka Bop kultiviert.

Von letzterem künden etwa der muntere Mambo „Every Day Is A Miracle“ mit karibischer Klangkulisse sowie „This Is That“ mit leicht fernöstlichem Saiten- und Perkussion-Klingklang. „It’s Not Dark Up Here“ hingegen klingt so extravagant, als könne es eine Vernissage von Byrnes eigenen Zeichnungen in einer Galerie in Brooklyn beschallen.

„I Dance Like This“ balanciert zwischen industrialmäßig hämmernden Beats und sanftem Pianospiel und „Doing The Right Thing“ wirkt wie eine Hommage an die orchestrale Ballroom Music eines Burt Bacharach, bei der dem Tontechniker zwischen 1:56 und 2:24 versehentlich ein paar Schnipsel digitaler, Moby-artiger Dancerock in das Mastering hineingeraten sind.

Wie ein „Pinball Wizard“ lässt Byrne seine Songs zwischen den Genres umherflippern und fügt seinem Oeuvre mit dem so trockenen wie eleganten, von trippelnden Beats und wavigen Gitarren angetriebenen „Gasoline And Dirty Sheets“ ein absolutes Highlight hinzu.

Und auch „Everybody’s Coming To My House“ groovt mit massivem Bass, fahlem 80er-Jahre-Saxophon und sich beinahe überschlagender Stimme in mitreißender Manier durch Talking-Heads-artige Gefilde.

David Byrne American Utopia
David Byrne: Auch auf American Utopia überzeugt der schottisch-amerikanische Grenzgänger zwischen Weltmusik und Artrock als elder statesman der „thinking man’s pop music“ – und bleibt Utopist, Querdenker und Dandy vom Scheitel bis zur Sohle (Foto: J. Rodac)

Roter Faden von David Byrne American Utopia – der Titel spricht für sich – ist dabei eine Suche nach Alternativen, nach Utopien als Gegenpol zum sich beschleunigenden Irrsinn dieser Welt. „In diesen Liedern geht es um das Suchen und Nachfragen“, erläutert Byrne. „Wir schauen uns um und fragen uns: ‚Muss alles so sein, wie es ist‘?“

Was die Antworten betrifft, fantasiert Byrne gleich diverse Male darüber, wie etwa Tiere diese Welt wohl wahrnehmen würden (Quintessenz aus „Dog’s Mind“: „The pope don’t mean shit to a dog“ – „Der Papst wäre einem Hund reichlich egal“). Konkretes bleibt zwar eher Mangelware. Aber: Noch immer ist es allemal besser, die richtigen Fragen zu stellen anstatt die falschen Antworten zu geben.

David Byrne American Utopia Cover
David Byrne American Utopia (Cover: Amazon)

David Byrne American Utopia ist erschienen bei Nonesuch im Vertrieb von Warner Music und ist erhältlich als CD, LP und MP3-Download.

David Byrne American Utopia
2018/04
Test-Ergebnis: 4,1
SEHR GUT
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Gesamt

 

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.