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Yo La Tengo There's A Riot Going On
Seit 34 Jahren ein Team: Yo La Tengo haben mit There's A Riot Going On wieder einmal ein formidables Album vorgelegt (Foto: godlis)

Yo La Tengo There’s A Riot Going On

Yo La Tengo gelten als hoch verehrte alten Hasen im US-Independent-Lager. Und Yo La Tengo There’s A Riot Going On, das neue Album der 34 Jahre jungen Band aus Hoboken/ New Jersey beschert uns – wiedermal – sonnig-schillernde Sounds, die in düsteren Zeiten durchaus wärmen können.

Nur acht Jahre währte die Spiel-Dauer von Afro-Wuschelkopf Sylvester „Sly Stone“ und seiner Soul-Funk-Rock-Psychedelic-Band Sly & The Family Stone. 1971 veröffentlichte die sozialpolitisch aufgeladene Multi-Kulti-Truppe aus San Francisco ihr Album There’s A Riot Going On, ein Meisterwerk mit formidabel federndem Funk-Bass sowie Black-Power pur. Warum das an dieser Stelle so interessant ist? Weil das Album nach wie vor ein Top-Tipp des Genres ist. Und weil sich Yo La Tengo genau diesen Titel für ihren Album-Neuling geborgt haben: Weil die 71er-LP in düsteren Zeiten des Vietnamkriegs und Rassenunruhen in den USA entstand. „Ein Rassenmord in Drew, Mississippi, ein bißchen Polizei-Terror in Brooklyn, New York, ein Routine-Überfall auf eine Polizeistation in Cairo, Illinois, ein paar Plünderungen in Chattanooga, Tennessee – auf den Lokalseiten amerikanischer Zeitungen kündigt sich ein heißer Sommer 1971 an,“ schrieb „Der Spiegel“ seinerzeit. Hinzu kamen Ölkrise und Inflation.

Yo La Tengo haben sich wegen unserer heutigen Zeiten, in denen wir mit Finanzkrise, drohenden Staatspleiten, Syrienkrieg, Kinder-Sklavenarbeit und Terror nebst Rassismus in den USA und andernorts leben müssen, das 71er Kult-Album als Namensgeber für ihr neues Werk, ihrem ersten seit rund fünf Jahren (2013: Fade), ausgesucht. Aber Yo La Tengo There’s A Riot Going On ist nicht zornig und klagend, oder musikalisch aufrührerisch aufzustachelnd. Im Gegenteil, sanft, dezent, wärmend zu beruhigen. Wie schon so oft in der rund 34-jährigen Musiklaufbahn von Georgia Hubley und Ira Kaplan.

Für Yo La Tengo There’s A Riot Going On gesellte sich wieder James McNew hinzu, der die Beiden schon seit 1992 beherzt am Bass begleitet. Gemixt hat John McEntire, Drummer, Multi-Instrumentalist und Ex-Bandmitglied zweier anderer Independent-Top-Bands Tortoise oder The Sea And Cake. Die 15 Stücke mit über einer Stunde Laufzeit entstanden quasi während des Spielens; „aus improvisierten Parts wurden Songs,“ so die Bandinfo. Frühlingshaft anmutende, sonnige Songs mit Wärmefaktor.

Yo La Tengo There’s A Riot Going On: Stück für Stück

Also: Liegestühle raus aus dem Keller und in den Garten oder auf den Balkon gestellt. Daneben eine blumige Kirsch-Sunkist in der klassisch-pyramidenförmigen Pappverpackung: Hoch leben die Sechziger/Siebziger. Auf „Shades of Blue“ glitzern feine Hooks und wogende Melodien, formieren sich zu einer sanft rollenden Dream-Pop-Welle. Gleich der nächste Track „She May, She Might“ gesellt sich als musikalischer Brudersong im Geiste, diesmal dezent aufgeraut mit fragil eingewebten Trash-Sounds. Ein Alles-wird-gut-Stück für Erwachsene, ohne Pathos, duftig-schmeichelnd wie Kokossonnenmilch.

„For You Too“ gibt den Slow-Motion-Takt an, ein chilliges Happening mit luftigem Trommelwirbel am Schluss. „Polynesia #1“ (ohne dass auf dem Album eine #2 folgt) … wiederum umwölkt das Gemüt mit Aloha-Südseeflair und lädt ein zu einer eigenständigen Traum-Zeit, in der man imaginär dösend auf einen aquamarin-türkisfarbene Lagune blickt und sich den sanften Ozean-Wind um die Nase wehen lassen kann.

Grundsätzlich formen neben den Soft-Stimmen der beiden Band-Leader fluftig gefederte Basslinien, pastellige Gitarren-Zupfer, gerne in minimalistischer Manier modelliert, den Sound-Komfort. Hinzu fliegen und pulsieren schwerelose Vibraphon-Tupfer und hier und da ein sachte rasselndes Tambourine (es leben die Byrds!).

Eines muss jedoch gesagt werden: Drei der 15 Songs geraten eskapadenhaft-sperrig aus der sonnigen Umlaufbahn, trotz ihrer schmeichelnden Titel: „Dream Dream Away“, „Shortwave“ und „Above The Sound“. Da ereifern sich gewollte tonale Unordnung im Verbund mit dekonstruktivistischem Ansinnen zu etwas anstrengend zu hörenden Kapiteln, die Freaks freuen dem chilligen Grund-Flow jedoch markant unterbrechen – „nur“ zwölf Stücke wären wohl mehr gewesen. „Forever“ versöhnt wiederum in Zeitlupe mit Sätzen wie „Laugh away the bad times/ lie about what’s to come“.

Der Klang von Yo La Tengo There’s A Riot Going On schwingt sich trotz – oder wegen – des Home-Studio-Ambientes zu veritabel anmutendem Niveau auf: homogen, druckvoll, recht ausgewogen mit teils verhuschten Stimmen, was jedoch bewusst dem chillig-softdrinkartigem Sound-Ambiente geschuldet ist.

Wer Lust hat, in ein paar Indie-Highlights der 80er und 90er Jahre reinzuschnuppern, der wird mit den „weiteren Tipps“ unten fündig.

Yo La Tengo There's A Riot Going On Cover Art
Yo La Tengo There’s A Riot Going On (Cover: Amazon)

 

Yo La Tengo There’s A Riot Going On erscheint bei Matador / Beggars Group / Indigo (als CD oder Doppel-LP)

Weitere Independent-Album-Perlen der 80er/90er Jahre:

The Feelies (stammen ebenso wie Yo La Tengo aus Hoboken, New Jersey): Crazy Rhythms sowie Only Life

The Blue Aeroplanes Swagger und Beatsongs

Throwing Muses (Mit Leadsängerin Kristin Hers, die auch mit Michael Stipe von R.E.M. 1994 den famosen Song „Your Ghost“ sang)
Throwing Muses und The Real Ramona

Yo La Tengo There’s A Riot Going On
2018/04
Test-Ergebnis: 4,1
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.