Bereits mit ihrem 2017er Album Dreaming Of Earthly Things ließ die Singer-Songwriterin aus dem Baskenland aufhorchen – auch klanglich. Mit ihrem neuen Werk Elena Setién Another Kind of Revolution setzt sie auf eine finessenreiche (R)evolution ihrer fragil-psychedelischen Pop-Art-Kompositionen. Im Interview mit LowBeats gibt sie zudem ein paar Einblicke in ihre künstlerische Herangehensweise, bei der auch Sound und Klang im Fokus stehen.
„Aiaiaiaieieieijjjjjjiiiii….ja-huhuuuu“ Ein schrille Vokalfolge, energiereiche Vocals, wenn man so will. Elena Setién stößt im Video einen traditionellen baskischen Ruf aus (siehe Link). Sie ist wieder zuhause. Nach vielen Jahren in ihrer Wahlheimat Dänemark zog es die Singer-Songwriterin zurück an den Atlantik, in den Schoß der Küstenstadt San Sebastian, wo die Berge das Meer stupsen und ein Kultur-Hotspot zusammen mit den Elementen die Menschen bewegt.
Die Spanierin mit einem Händchen für psychedelisch-experimentelle Sounds tourte über die Jahre hinweg durch Europa und trat auch in Übersee auf – fünf Jahre lang mit Ihren Kollegen von Little Red Suitcase und ihre Musikerfreundin Johanna Borchert (siehe auch Interview weiter unten). Mit dabei: Jazz-Festivals in Kopenhagen, Berlin, London, Grenoble und Ottawa. In der dänischen Jazz-Szene wurden sie dreimal für das „Best Vocal Jazzalbum of the Year“ und für die dänischen Jazz Awards nominiert.
Doch eigentlich ist sie Singer-Songwriterin. Ihr erstes Soloalbum Twelve Sisters nährte sich aus imaginären, fantasiereichen Stories, die teils auf wahren Begebenheiten basieren, auch aus dem Leben ihrer Familie. Ein Teil suchte sein Glück in Kuba oder Mexiko, andere blieben ihr ganzes Leben am gleichen Heimatort, manche starben sehr jung. „Das Album ist so, wie wenn man ein altes Familienfoto betrachtet, wo es passieren kann, dass du einen Teil deiner selbst in den Gesichtern eines kleinen Jungen oder im ruhigen Lächeln eines Cousins entdecken kannst.“
Elena ist das, was man als „Multiinstrumentalistin“ bezeichnet. Piano, Geige, Elektronik sind essenziell. Sie wuchs in Zeiten von politischen Unruhen und Herausforderungen nach der spanischen Diktatur in den Achtzigerjahren auf. Ein Ansporn, politisch und sozial zu denken und Ideen in Songs zu transportieren.
Elena Setién Another Kind of Revolution beleuchtet die stillen, subtilen Facetten von Veränderungen. Mit der Botschaft, sie nicht als Last, sondern als Herausforderungen zu sehen, von denen man lernen und profitieren kann. Dabei erzählt sie ihre „Revolution“-Stories mit einer großen Bandbreite an Instrumenten und Sound-Paletten. Piano, Wurlitzer, diverse Arrangement-Facetten. Ihre Stimme schwebt von zärtlich wispernd bis energisch fordernd über und in diesen Sound-Elementen. So schneiderte sie zusammen mit ihren Musikerkollegen Mikel Azpiroz und Andreas Fuglebæk den Songs eigenständige Soundkostüme auf den Notenleib. Experimentieren und Ausprobieren waren ausdrücklich erwünscht, auch das Feilen an scheinbar winzigen Details. Dennoch – oder gerade deshalb – wirkt das Album wie aus einem Guss.
Die Musik von Elena Setién Another Kind of Revolution
„The Wheel That Drives You“: ein piano-getriebener Song in Slow-Motion-Manier elegisch, als hätten sich Laurie Anderson und ausgerechnet Cat Stevens mit seinem sympathischen, kinderhaften Klimper-Klimborium auf einen Gin-Tonic verabredet. Schön.
Das Titelstück von Elena Setién Another Kind of Revolution folgt dann als psychedelische Ballade par excellence. Gestützt durch minimalistisch getrimmten E-Gitarren-Drive von Steve Gunn schaukelt sie sich gekonnt sanft auf und wird getragen von funkelnden Synthie-Salven, die wie Glühwürmchen in einem Mittsommernachtstraum tänzeln.
„Window One“: Eine kleine Geschichte mit verfremdeter Stimme, ein Dream-Psych-Pop-Häppchen, bestrahlt von einer dezent wabernden Orgel und eindringlich-leiser Stimme; ein intimes Duo, mit einem Rhythmus wie hörbarer Pulsschlag.
In „Sail Down The River“ lebt der Folk auf, mit einem Schuss Shanty-artigem Konzentrat, einfach, reduziert, gekonnt strukturiert, darin mollige Töne wie in einem dunklen Märchenwald: lieblich, dann sich bedrohlich steigernd.
„Old Jamie“ lebt vom pointierten Trommel-Wirbel, freundlich, energetisch, gejagt von dunkel gefärbten, stakkatoartigen Piano-Attacken. Hier zeigt sich Elenas Gespür für komplexe, sehr eigenständige Arrangements und Sound-Collagen, die entfernt an Björksche Kompositonskunst erinnern.
„Down The Meadow“ verströmt wiederum Melodien, wie von einem zuversichtlich gestimmten Nick Cave inszeniert, getragen von hell gezupften akustischen Gitarren, um die ein Piano schüchtern herumschleicht.
„Far From The Madding Crowd“ ist speziell Frauen gewidmet, die sich von einer Flut aus Konventionen umgeben sehen. Dunkle Drums auf der einen, wuselige Congas auf der anderen Stereoseite, dazu ein wohltuend linderndes Piano.
„We See You Shining For A While“ triumphiert mit schwer wiegenden, schleppenden Klavieranschlägen, beinahe wie auf einem Beerdigungsmarsch, Setiéns ironisierende, verfremdete Stimme gesellt sich zu einem fein gesponnenen Mix aus anschwellenden Drums und filigranen E-Gitarren-Tupfern, denen viel Raum zugestanden wird. Hier liefert die Tontechnik cleveren Support (siehe Interview).
„Window Two“: Ein Stück wie eine kleine Pastete angerichtet, reduziert, wärmend – und vom Soundkonzept hallig arrangiert.
Das Schlussstück von Elena Setién Another Kind of Revolution wiegt den Zuhörer beinahe in Trance: „She Was So Fair“ gefällt mit feinen E-Gitarrensounds und Elenas energetischer Stimme.
Interview zu Elena Setién Another Kind Of Revolution
LowBeats: Warum bevorzugst du Englisch für Dein Songwriting?
ES: Ich lernte das Singen, als ich englischsprachigen Sängern zuhörte, dadurch fühlte es sich selbstverständlich für mich an, dass ich die Sprache für meine künstlerische Arbeit wählte.
LowBeats: Haben Deine Heimatregion nahe San Sebastian und Deine Familie einen Einfluss auf Deine Arbeit als Musikerin?
ES: Ich denke, dass der Platz, wo man geboren ist, viel bedeutet. Den größten Einfluss hat wohl der Ozean – der Wechsel zwischen Ebbe und Flut – und der Klang des Meeres, das gibt dir ein Gefühl von Fließen und ständigem Wechsel.
LowBeats: Und welche Einflüsse hat Deine frühere Wahlheimat Dänemark auf Dich?
ES: Als ich das erste Mal nach Dänemark kam und Dänisch lernte, spürte ich, dass es mir als Sängerin gut tat. Die Sprache vereint so viele mehr Klänge als Spanisch: meine Gesangstechnik wurde besser!
LowBeats: Ein Blick zurück: Wie wurdest Du Musikerin, was waren die wichtigen Schritte dahin?
ES: Ich begann schon als Kind, Musik zu spielen – ich erinnere mich, dass mich Vivaldi’s Musik sehr früh tief bewegt hat. Ich könnte mir nicht vorstellen, ohne Musik zu leben, sie war immer da. Dabei wollte ich schon immer meine eigene Musik, meine eigene Stimme finden. Und selbst, falls es manchmal harte Zeiten gibt, ist es ebenso unglaublich befriedigend. Und: Das Teilen der Musik mit anderen ist etwas, das ich solange ich nur kann bewahren möchte!
LowBeats: Welche Musikerinnen haben Deine Arbeit beeinflusst – und warum?
ES: Johanna Borchert (Anm. d. Red: Jazzmusikerin Berlin/Kopenhagen) damals 2007 in Dänemark kennen zu lernen war großartig. Wir begaben uns zusammen auf die Suche und pflanzten die Saat zu dem, was für uns beide später unsere künstlerischen Identitäten werden sollten. Johanna und ich sind sehr gute Freunde, diesen Monat stehen wir bei einem „Impro Duo“-Konzert in Kopenhagen gemeinsam auf der Bühne. Auch als ich Steve Gunn (Anm. d. Red.: US-Alternative-Rocker aus Philadelphia, spielt im Titeltrack mit) vor drei Jahren kennenlernte, öffnete das meine Horizonte: Amerikanische Musiker arbeiten wirklich hart daran, ihr eigenes Sound-Ideal zu finden und entwickeln.
LowBeats: Lass uns über „Revolution“ reden: Was bedeutet der Albumtitel…?
ES: Es handelt sich um eine stille Revolution: Eine, die im Hintergrund dicht unter der Oberfläche stattfindet, eine humanistische Revolution, wenn man so will.
LowBeats: Was beabsichtigst Du mit dieser Metapher?
ES: Ich versuche einfach zu sagen, dass wir unseren Blick woanders hinwenden können, als auf Politiker oder wirtschaftliche Macht um Dinge zu ändern – ein Wechsel kann auch von Innen kommen.
LowBeats: Was motiviert Dich, Songs zu schreiben?
ES: Für mich sind sie ein bisschen wie Malerei: sie fördern ein ganz bestimmtes Gefühl oder eine spezielle Atmosphäre, die sich mit mir verbindet, bis das Lied dann irgendwann geschrieben ist.
LowBeats: Beispiele aus dem aktuellen Album…?
ES: Da ist zum Beispiel „Window One“. Ich hatte plötzlich diese innere Erkenntnis, woher Musik kommen kann, dass sie außerhalb der Zeit existiert, egal ob sie schnell oder langsam vorbeigeht … Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, weil es schön ausdrückt, wie ich das gefühlt habe und welchen Seelenzustand man mit solchen Gedanken verbindet.
LowBeats: Es hört sich so an, als ob Sound-Effekte wichtig für Dich sind, um Textsequenzen zu fokussieren oder zu verdichten – da sind weite Räume, dann wieder enge, Deine Stimme ist teils verfremdet. Wie wichtig sind spezielle Aufnahmetechniken für Dich?
ES: Der Klang ist wirklich sehr wichtig – und in den letzten Jahren habe ich mich viel mit Sound-Landschaften beschäftigt. Wie man verschiedene Zwischenräume und Stimmungen innerhalb eines Songs damit ausdrücken kann. In puncto Tonwiedergabe habe ich diesmal teils mit lo-fi-Mikrofonen gearbeitet, um einen etwas körnigeren Sound-Aufbau zu generieren. Und, ja, Hall ist ein prima Fun-Tool, das helfen kann, Textpassagen besser auf den Punkt zu bringen.
Ausgewählte Video-Clips von Elena Setién:
„Dreaming Of Earthly Things“ (2017)
Another Kind of Revolution“ (2019)
Elena Setién in ihrer Heimatstadt San Sebastian (2018)
Elena Setién Another Kind Of Revolution erscheint bei Thrill Jockey (Rough Trade) als CD, LP oder MP3-Download sowie als Stream, z.B. bei amazon.de.
Bewertungen
MusikKlangRepertoirewertGesamt |