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Hector Zazou Geographies Album
Hector Zazou war ein begnadeter Sounds- und Klang-Tüftler. Das Album "Geographies" ist eine Art Vermächtnis seines Schaffens. "Geographies" wurde jetzt blitzsauber remastered (Foto: C. Dick)

Hector Zazou Geographies – unser audiophiler Tipp der Woche

Der 2008 verstorbene Hector Zazou galt als Tausendsassa Stil-übergreifender Avantgarde-Kunst, die ihn seit Mitte der 1970er Jahre mit KollegInnen wie dem Briten David Sylvian, dem Japaner Ryuichi Sakamoto oder der Australierin Lisa Gerrard zusammenbrachte. Sein 1985er Werk „Geographies“ (hier erweitert um 13 Tracks) spiegelt einen Teil seines Schaffens beeindruckend wieder. Es ist abgesteckt in einem musikalischen Terrain zwischen (Neo-)Klassik, Folk, Gesang und weiten Soundlandschaften. Das wiederveröffentlichte, remasterte und um 13 Tracks ergänzte Album wartet mit vielen Schattierungen und überraschenden Wendungen nebst plastischem Klang auf. Vor allem deshalb ist Hector Zazou Geographies unser audiophiler Tipp der Woche.

Wo anfangen, bei einem Musiker, der auf den ersten Blick kaum greifbar erscheint. Dafür beim Hinhören umso klarer umrissen die Bühne außergewöhnlicher Kompositionen betritt. Avantgarde? Pioniergeist? Im Versuch einer Annäherung tragen wir mal die Informationen Blatt für Blatt, Schicht für Schicht ab und ordnen sie einander zu.

Da wären einmal die langjährigen Mistreiter des französischen Komponisten mit Wurzeln in Algerien zu nennen. Das könnte deshalb eine Rolle spielen, da Hector Zazou sich auch gerne den Rhythmen des afrikanischen Kontinents widmete. Zuvor, in den frühen 1970er Jahren, heizte er zu Beginn seiner Karriere in Marseille mit dem Underground-Kollektiv Barricade und dem Duo ZNR mächtig ein. Ihr Debütalbum „Barricade 3“ war von einer Sprengkraftmischung zwischen Captain Beefheart und Eric Satie beeinflusst und sollte für so manche experimentelle Popband als Wegweiser gelten.

In den 1980er Jahren kollaborierte er beispielsweise mit dem Sänger Bony Bikaye aus Zaire und veröffentlichte mit „Noir Et Blanc“ ein hochkarätiges Afro-Electro-Album. Es folgten Werke der Reihe „Made To Measure“, mit Titeln wie „Reivax Au Bongo, „Geologies“ – und eben „Geographies“.

Hector Zazou
Schillernde Persönlichkeit: Hector Zazou stand bis zu seinem Tod 2008 für klug und mutig arrangierte, genreübergreifende Kompositionen.

In den 1990ern beschäftigte sich Zazou mit unterschiedlichen Konzeptalben, was ihn unter anderem mit dem korsischen Chor „Les Nouvelles Polyphonies Corses“ zusammenbrachte – dafür erhielt er den Preis „Victoire De La Musique“. „Sahara Blue“ wiederum vereint als Tribute-Album für den französischen Dichter Arthur Rimbaud prominente KollegInnen wie John Cale oder Khaled. Auf „Songs From The Cold Seas“ von 1994 wirkten Björk oder Suzanne Vega mit und auf „Strong Currents“ eine Laurie Anderson ebenso wie Jane Birkin oder Lisa Germano. Und auf der Gästeliste von „Lights In The Dark“ standen Ryuchi Sakamoto und Peter Gabriel.

Die Musik von Hector Zazou Geographies

Das Klangspektrum des Albums schillert – trotz unterschiedlicher Aufnahmezeiten zwischen Juni 1982 und Juli 1984 im Pariser Studio „Anagramme“ – in einem recht ähnlichen Spektrum: Raumgreifend, schön aufgelöst, transparent und mit Feindynamik gesegnet. Das Remastering gelang schlichtweg prima und arbeitet viele Klang- und Farbschattierungen gut heraus.

Und das lohnt sich, denn wir hören die verschiedensten Instrumente mit ihrer jeweils eigenen Klangaura: Violine, Cello, Bratsche, Kontrabass, Flöte, Klarinette, Fagott, Oboe, Alt-Saxofon, Tenorsaxofon, Posaune, Bass-Tuba, Gitarren, Piano, Marimba, Vibraphon, Percussion, Gesang, Chöre, Synthesizer und Soundeffekte… Und genau diese Mischung macht unter anderem auch den akustischen Reiz des Albums aus. Das Albumcover ist übrigens eine Reproduktion eines Bildes von Gérard Gerouste. Der gebürtige Pariser mit Wohnsitz in der Normandie war unter anderem in der neoklassisch-postmodernen Bewegung verortet und arbeitete beispielsweise für die „National Library Of France“ oder den „Élysée Palace“.

Der leichte, teils verspielte Charakter des Albums von Monsieur Zazou, zeigt sich gleich im Opener „Cine Citta: Gar Centrale“. Dort gibt er sich seinem Faible für italienische Filmkomponisten hin. Mit „Denise A Venise“ vollzieht er eine Volte und bezaubert mit Assoziationen zu französischer Klassik à la Debussy oder Ravel, ein dezentes Piano und Chorstimmen vollziehen den Akt hauptsächlich. „Sidi Bel Abbes“ zeichnet Kindheitserinnerungen an seine Geburtsstadt in Algerien nach, wo er am 11. Juli 1948 als Sohn eines französischen Vaters und einer spanischen Mutter unter dem bürgerlichen Namen Pierre Job das Licht der Welt erblickte: Ein Streichquartett und Vokalsätze mit melancholischem Touch untermalen die Szenerie. „Pali Kao“ umschwebt Gehör und Geist mit einer dezent mystischen Note, mit Stimmen und polyphoner Spannung. Bleibt offen, ob er damit das Kunst- und Kulturzentrum „L’usine de Pali-Kao“ in Paris meinte oder den zweiten Opiumkrieg von 1860 gegen das Quing-Reich assoziiert. „Sous Les Bougainvilliers“ entführt uns instrumental mit allerlei schillernden Klangtupfern akustischer Instrumente. Schließlich lockt „DesCocotiers“ mit wärmenden Klängen von Streichern, Flöte, Fagott, Vibraphon und Soundfield-Recordings und beendet „Geographies“ unaufgeregt.

Das Zugabepaket „13 Proverbes Africains (pour quatuor vocal)“, vereint leuchtende, teils experimentelle klassische Vokalkunst, räumlich gut dargestellt und mit authentischen Klangfarben eingefangen.

Zugegeben: ein recht außergewöhnliches Album – mit großer Stilvielfalt und Charakterstärke, keine leichte Kost sozusagen. Im Archiv von audiophilen Musikfreunden mit offenem Herz wird es seinen Platz finden.

Hector Zazou Geographies Cover
Hector Zazou Geographies erscheint bei Crammed Discs / Indigo als CD, LP oder als Stream sowie MP3-Download (Cover: Amazon)
Hector Zazou Geographies
2021/06
Test-Ergebnis: 4,7
Überragend
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.