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Iggy Pop
Im April wird Iggy Pop 76 Jahre alt, ist aber noch immer jung und fit genug für jede Menge „Raw Power“ – vergangenes Jahr etwa auf deutschen Bühnen und aktuell mit seinem 19. Studioalbum „Every Loser“ (Foto: J. Fontaine)

Iggy Pop „Every Loser“: unser Album der Woche

Fachkräftemangel, wo man hinhört – nur gut also, wenn die etwas Älteren unter uns auch in fortgeschrittenem Alter noch Substanzielles in ihren jeweiligen Branchen beisteuern können. Das gilt auch für die Abteilung Musik, denn prompt kommt der erste richtige Energizer des neuen Jahres von einem bald 76 Jahre alten Haudegen der Szene: Iggy Pop „Every Loser“ ist ein sattes Brett von Punk über Garagenrock bis hin zu raffiniertem Synthiepop und macht sogar auf balladeskem Terrain eine gute Figur. Vorhang auf also für „Raw Power“ 4.0 sozusagen und das erste Lowbeats Album der Woche für 2023.

Pünktlich in den ersten Januarwochen stehen sie wieder vor der Tür: die guten Vorsätze für ein neues Kalenderjahr. Man sollte endlich … mit dem Rauchen aufhören, weniger Alkohol trinken, mehr Sport machen und, und, und. Hat man all das ein paar Mal erfolgreich (bzw. erfolglos) abgehandelt und irgendwann auch mal ein paar Ziffern mehr auf dem Tacho des Lebens stehen – sagen wir: so ab 55 aufwärts –, wechseln aber die Vorzeichen. Dann bleibt als vielleicht sinnvollstes Vorhaben für den Spätsommer und Herbst der persönlichen Existenz das Motto „In Würde älter werden und dabei schön jung bleiben“.

Wie das so funktioniert, das demonstrierten 2022 eine ganze Reihe von Altvorderen der Musikszene auf ihren jüngsten Deutschlandtourneen: Von Uriah Heep über Status Quo und Manfred Mann’s Earth Band bis zu Suzi Quatro zeigten sich diese Mittsiebziger, gestartet allesamt in den Mittsiebzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts, in bemerkenswerter Verfassung. Ein guter Vorsatz für 2023 könnte also lauten: einfach mal hingehen zu einem dieser Rock-Dinos – das reduziert die Angst vor dem Älterwerden massiv.

Allen voran war da natürlich der „Godfather Of Punk“: Wie ein Duracell-Häschen des Rock’n’Roll tobte Iggy Pop im Sommer als nimmermüder Derwisch über deutsche Bühnen – wie immer oben ohne natürlich, mit respektabel bemuskeltem Oberkörper, mit ungebrochener Vitalität und Autorität und mit einer durch und durch dem Punk-Lifestyle verpflichteten Haltung. Und mit einem einerseits kompromisslos harten und schnellen, mit reichlich Adrenalin aufgepumpten Sound, der aber zugleich längst eine erstaunliche Bandbreite von Jazz bis Synthiepop abdeckt.

Die Musik von Iggy Pop „Every Loser“

All das (bis auf den Jazz; damit beschäftigte sich Iggy auf dem Vorgänger-Werk „Free“) bringt nun auch das 19. Studioalbum dieses Rock-Urviehs aus Michigan. Dass mit Andrew Watt hier ein zwei Generationen jüngerer Produzent seine Finger im Spiel hat, der auch schon Pop-Leichtgewichte wie Ed Sheeran, Miley Cyrus oder Justin Bieber produzierte, muss langjährige Iggy-Pop-Fans übrigens kein bisschen irritieren. Erstens stehen schließlich auch veritable Platzhirsche des Erwachsenen-Rock wie Eddie Vedder oder Ozzy Osbourne in Watts Agenda, und zweitens kam neben Iggy Pop auch ein Ensemble hochkarätiger Rocker ins Aufnahmestudio, das aber mal voll die Hosen an hat – mit dabei sind beispielsweise Cracks wie Guns ‘N Roses-Bassist Duff McKagan, das Jane’s Addiction-Trio Chris Chaney, Dave Navarro und Eric Avery, die Red Hot Chili Peppers Josh Klinghoffer und Chad Smith sowie Stone Gossard, zusammen mit Klinghoffer auch bei Pearl Jam an Bord. Zudem gibt es, traurigster Aspekt dieses erstklassigen line-up, einen der letzten Auftritte des im März 2022 verstorbenen Foo-Fighters-Schlagzeugers Taylor Hawkins zu hören.

Und so enthält „Every Loser“ – ganz im Sinn des seinerzeit dritten mit den Stooges eingespielten Meilenstein-Albums „Raw Power“ von 1973 – jede Menge puren „Raw“ck’n’ Roll: „Frenzy“ etwa eröffnet das neun richtige Songs sowie zwei kurze Interludes starke Set angemessen rüde mit lärmigen Riffs. Nicht minder heftig prügeln Iggy und seine Begleitband in „Modern Day Ripoff“ auf ihre Instrumente und den geneigten Hörer ein, und „Neo Punk“ bringt exakt das, was der Titel verspricht: 2:15 Minuten Premium-Lärm im ICE-Tempo, bei dem kein Auge trocken bleibt.

Doch drum herum zeigt Iggy Pop immer wieder, wie vielseitig er seinen Sound nach über einem halben Jahrhundert im Rockbusiness mittlerweile auszudifferenzieren vermag – wenn er denn will. So konzentriert wie lässig serviert er mit „Strung Out Johnny“ beispielsweise einen hochgradig cleveren Synthiepop-Happen, dem er im Mittelteil mit ein paar kernigen Riffs selbstverständlich mal eben ordentlich die Ohren langzieht. Auch „Comments“ macht mit seinem Keyboard-Motiv nicht nur nächtens im Indieradio eine formidable Figur, sondern könnte problemlos auch morgens um 8 Uhr die etwas älteren, eher im Mainstreamradio vor Anker gegangenen Semester aus dem Bett holen.

Und „Morning Show“ zeigt mit Akustikgitarre gar den eher altersmilden, nachdenklichen Iggy und weckt sogar Erinnerungen an das frühe Spätwerk von Johnny Cash, als das noch nicht im Zeichen von dessen Krebserkrankung stand. Und stets ist da Iggy Pops imposanter Bassbariton, der auch „All The Way Down“ mit seiner Kombination aus klimperndem Bar-Piano mit Stadion-Rock-Begleitung eine angemessen eindringliche Aura gibt. Hat man sein Ohr einmal auf all das und den typisch brachialen Iggy-Sound justiert, entpuppt sich „Every Loser“ ziemlich schnell als erstes Gewinner-Album des Jahres 2023 – bis hin zum Rausschmeißer „The Regency“, den Iggy zunächst in Crooner-Manier und mit mitternächtlich-melancholischen Tönen beginnt, um diesen Fünfeinhalbminüter mit einem herzhaften „fuck the regency“ in eine furiose Widerstandshymne umzuwidmen.

IggyPopEveryLoser_Cover
Iggy Pop Every Loser erscheint bei Atlantic Records im Vertrieb von Warner Music und ist erhältlich als CD, LP, Stream und Download (Cover: Qobuz)

 

Bewertung:

Iggy Pop
„Every Loser“
2023/01
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.