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Jack Peñate After You – das Album der Woche
Furios gestartet, dann eine Dekade lang komplett abgetaucht und mit 35 Jahren nun bereit für ein zweites Leben als hörbar gereifter Musiker: Jack Penate legt mit „After You“ eine Art zweites Debütalbum vor (Foto: Rough Trade)

Jack Peñate After You – das Album der Woche

Zweite Chance genutzt: Zwölf Jahre nach seinem fulminanten Debüt Matinée und nach einer kompletten, rund zehnjährigen Sendepause meldet sich der ehemalige Wunderknabe des Britpop mit stilvoller, nach vielen Seiten offener late night music als erwachsener, hörbar gereifter Sänger und Komponist zurück: Jack Peñate After You  ist unser Album der Woche.

Jack Peñate hat sich wirklich bemüht in Sachen bürgerliches Leben. Sogar ein Latein-Studium nahm der Sproß einer Londoner Künstlerfamilie und Enkel des englischen Fantasy-Autors Mervyn Peake nach seinem College-Abschluss einst in Angriff. Ein hoffnungsloses Unterfangen selbstredend, und so wechselte Peñate schon bald von Cicero, Properz und Seneca hinüber zur Popmusik. Aber kein Grund zur Sorge für die Eltern: Mit seinem Erstlingswerk Matinée, schmissig angesiedelt zwischen Britrock, Ska und Rockabilly, debütierte der damals gerade mal 23-jährige Junior 2007 auf Platz 7 in der englischen Albumhitparade, heimste zudem eine Goldene Schallplatte und die Auszeichnung als neuer Wunderknabe des Britpop obendrei.

Alles gut also? Leider nein: Everything Is New, Album Nummer 2, versackte 2009 trotz eines reizvoll bis in Weltmusikalische erweiterten Klangspektrums ohne große Resonanz, und aus dem Hoffnungsträger von einst wurde schlagartig ein Fall Marke „Was soll bloß mal aus dem Jungen werden?“ Geschlagene zehn Jahre verbrachte Peñate fortan mit … tja: womit eigentlich? Sagen wir so: Statt Latein hat der Brite sozusagen das Leben studiert. Die meiste Zeit davon in New York, wo er sich als digitaler Nomade mit minimalem Equipment oft alleine in kleinen Appartements einnistete. Aber natürlich forschte der english man in New York auch weiter nach dem Musiker in sich: Mehr als eintausend Songs, so heißt es, seien in den vergangenen zehn Jahren entstanden – reichlich Stoff also für mehr als nur ein neues Album, für ein zweites Leben nach dem Hype von 2007.

Die Musik von Jack Peñate After You

Seinen Neustart als Musiker läutet nun After You mit zehn ersten neuen Songs ein, hörbar modern in ihrer dezenten elektronischen Grundierung, doch gleichwohl klar abgrenzt gegen übertrieben stylishe Soundmuster der Popmoderne. Vielmehr bespielt Peñate reizvoll das Spannungsfeld zwischen einem reflektierten Kompositionsstil und einer Soundsprache, die ihn als Songautor und Sänger in den Mittelpunkt stellt und Kategorien wie Pop oder Soul lediglich als Ausgangspunkte nutzt.

Als auffälligstes Stilelement prägen immer wieder Gospel-Klänge die Arrangements, der Rest drum herum folgt keinerlei Genre-Kalkül. Vielmehr lässt Peñate dem Geist seiner Kompositionen freien Lauf und kümmert sich wohltuend wenig darum, wie seine Songs wohl in der Indiedisco (so gut wie gar nicht – außer mit etwas Glück vielleicht die zweite Single „Murder“) oder im Radio ankommen (bei der heimischen BBC wenn überhaupt wohl eher im Nachtprogramm; bei deutschen Radiostationen jenseits von Flux FM oder Ego FM dürfte ohnehin Funkstille herrschen).

Überaus organisch klingt diese stilvolle late night music, über der ein Hauch des späten George Michael liegt. Dass Peñate stimmlich deutlich herber unterwegs ist, erhöht den Reiz eher als ihn zu schmälern: Sein hübsch kantiges Organ sorgt in Verbindung mit seinem leicht Cockney-artigen „estury english“ (einem Londoner Musiker-Slang; nachzuhören auch bei Kolleginnen/ Kollegen wie Kate Nash, Lily Allen, Adele oder Jamie T) für aparte Reibungspunkte.

Los geht es mit „Prayer“zum Video bitte hier entlang:  –, das E-Gitarren-Phrasen und luzide Keyboards mit einem so simplen wie einprägsamen Gospel-Chorus mischt. Dazu ein paar handclaps und dezente Beats – mehr braucht es nicht für einen Song, der sich einfach gut anhört. „Loaded Gun“ steht anschließend prototypisch für jene dezent elektrifizierten Balladen mit Akustikgitarren-Begleitung, die das Herzstück von Jack Peñate After You bilden. In „Round and Round“ blitzt wiederum Peñate kosmopolitischer Background in Form von indischen Streicherklängen auf, die hier von einem leicht vertrackten Drum & Bass-Groove angetrieben werden. Auch „Cipralex“ macht sich mit Rhythmuswechseln, Flötenklängen und indisch-arabischem Pling-Plang derart souverän frei von jedweden Britpop-Erwartungen, dass man nur den Hut ziehen kann.

In „Murder“ (den im Steinbruch von Winspit/Dorset gedrehten Clip gibt es hier) sorgt dann ein untergründig pulsierender Disco-Beat vom Start weg für permanente Spannung, und doch es dauert bis 1:36, ehe der Song dann als rasant twistender Soulpop-Feger durchstartet. Wie multidimensional Peñate anno 2020 arrangiert, zeigt auch „Let Me Believe“, das konventionell startet, ehe im Schlussdrittel ein ordentlicher Schuss Elektronik ins Spiel kommt – und erneut eine Prise Gospel. „GMT“ wiederum lebt nicht schlecht vom Charme einer jazzigen Trompete und insbesondere einer blechernen Beatbox, die sich so antiquiert anhört, als wär’s ein 50 Pfund günstiger Flohmarktfund aus dem Baujahr 1986.

„Ancient Skin“ und insbesondere „Swept To The Sky“ bringen zum Finale dann nochmals großes Gefühlskino: berührende Blicke zurück eines Musikers, der seinen bisherigen, rechtschaffen zerklüfteten Lebensweg kontemplativ (in „Ancient Skin“) bis fast cineamscopisch-emotional („Swept To The Sky“) reflektiert und als Mittdreißiger erkennbar andere, erwachsenere Akzente für die zweite Etappe seines Lebens zu setzen gedenkt – nicht der schlechteste Vorsatz zum Start in ein neues Jahr.

Jack Peñate After You – Cover
Jack Peñate After You erscheint bei XL Recordings im Vertrieb von Beggars / Rough Trade und ist erhältlich als CD, LP und Download (Cover: Amazon)

 

Jack Peñate After You
2020/01
Test-Ergebnis: 4,1
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt


Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.