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John Maus Screen Memories
Spooky, farbenprächtig, surreal, tanzbar, feierlich und streng zugleich: Mit „Screen Memories“ präsentiert der amerikanische Synthiepopper John Maus digitale Andachtsmusik der Extraklasse

John Maus Screen Memories – die CD der KW 45

Er gilt als Pionier des aktuellen Synthiepop-Revivals: „Alles ein Missverständnis“, beteuert John Maus. Und in der Tat: Der sakrale Tastensound dieses amerikanischen Tüftlers und Denkers speist sich aus einer ganz anderen, weit älteren Quelle. Wohin die Spur führt, zeigt John Maus Screen Memories, das vierte Album des Meisters und die LowBeats CD der KW 45.

Wie die Götter aus früheren Epochen wohl musizieren würden, wenn sie heutzutage leben würden? Klängen die Liebes- und Leidenslieder eines Franz Schubert so wie aktuell die Werke eines Anthony „Anohni“ Johnson? Und wie würde sich die späte Barockmusik von Bach und Händel wohl anhören? So wie bei John Maus vielleicht?

Feierlich und weihevoll tönt der vollsynthetische Sound dieses amerikanischen Klangtüftlers, Instrumentenbauers und Denkers – und zugleich durch und durch poppig. Als Teenager mit der Musik von Nirvana und Syd Barrett aufgewachsen, landete Maus, Jahrgang 1980, Anfang der 2000er-Jahre im Umfeld von Avantgarde-Poppern wie Ariel Pink oder dem Animal Collective.

Seit 2006 publiziert er unter eigenem Namen und gilt als einer der Wegbereiter des momentanen Synthiepop-Revivals der 80er-Jahre – aus seiner Sicht ein kapitales Missverständnis, da er die Musik jener Ära nahezu vollständig verpasst habe.

Das klingt nach Unterstatement, könnte allerdings durchaus der Wahrheit entsprechen. Maus ist eher ein Nerd als ein Hipster, und dass er einen Doktortitel in Politischer Philosphie besitzt, sollte endgültig stutzig machen: Der Mann hatte Wichtigeres zu tun als Trends hinterherzulaufen.

Nein, seine 80’s-Affinität kam auf eher indirektem Weg zustande: Maus liebt die Musik aus Renaissance und Mittelalter, das wie er sagt „göttliche Element in diesen Klängen“. Die Sounds wiederum fand er in der Synthiepopszene von Sheffield und Manchester wieder. „Dort waren diese Ansätze in den 80er-Jahren in vielfältiger Weise vorhanden“, doziert er, sie seien dann aber aus unerfindlichen Gründen komplett verworfen worden.

Also kümmert sich Maus selbst um eine Comeback dieses Stils – zum vierten Mal nun auf Screen Memories. Seine Platten produziert er auch mithilfe von selbst gebauten Synthesizern und Samples aus einer Sounddatenbank über Computerklänge aus den frühen 1990er-Jahren.

Entsprechend speziell hört sich das alles an – vertraut und extravagant zugleich. Seine Synthies erinnern einerseits an große Kirchenorgeln oder an ein betagtes Spinett, andererseits wandeln sie auf den Spuren von Kraftwerk, Human League oder Heaven 17. Selbst bis hin zu „Munich-Sound“-Erfinder Giorgio Moroder reicht die Tonspur, die Maus auf seinen Produktionen auslegt.

Auf John Maus Screen Memories ist das alles unterlegt mit einem dezent bis explizit wavigen Rhythmus sowie Kit Basslinien im XXL-Format. Tracks wie „The People Are Missing“ etwa würden in jeder Schwarzkittel-Disco bestens als Dancefloor-Monster funktionieren. Gitarren? Bis auf das postpunkige „Find Out“ kaum herauszuhören.

Dazu singt Maus mit dunklem Bariton über das was, so alles an Seltsamkeiten passiert und diesen Zeiten – und was da noch so alles kommen mag. Das klingt manchmal wie eine ironische Abrechnung mit dem Gothic-Rock der Frühachtziger-Jahre Marke Sisters Of Mercy oder Bauhaus („Pets“), hat aber durchaus einen ernst zu nehmenden, unbehaglichen Unterton. „Find out, you dirty fucker! / They say everything is fine now / They’re wrong“, orakelt er in „Find Out“, und man ahnt: Der Mann könnte Recht behalten.

Im Gegensatz dazu besitzt die Melodik von John Maus Screen Memories eine beträchtliche Leuchtkraft. Harmonien wie in „Decide Decide“ hätten auch auf den großen Platten von Tears For Fears eine gute Figur gemacht.

Diese Mischung aus düsteren und feierlichen Momenten verleiht dieser Musik eine sakrale Aura, versetzt den Hörer quasi hinein in Klangkathedrale: hier das dunkle Kirchenschiff, dort die farbenfrohen Mosaikfenster, durch die das Licht der Hoffnung und der Erlösung die Szenerie aufhellt.

Dazu tanzbare Rhythmen und: die zwielichtige Stimmung zwischen Postmittelalter und Moderne, zwischen prachtvoller Opulenz und minimalistischer Strenge ist perfekt.

Macht Mister Maus nun also die Kirche zum Club? Oder umgekehrt den Club zur Kirche? Bitte eintreten in den Klangkosmos von John Maus Screen Memories und selbst entscheiden.

Die dunkle Seite des Herbstes hat gerade erst angefangen, und als Winter- und Weihnachtsmusik der etwas anderen Art eignet sich John Maus Screen Memories vorzüglich.

 

Cover Art: John Maus Screen Memories
Synthiepop vom Feinsten: John Maus Screen Memories (Cover: Amazon)

 

John Maus Screen Memories erscheint bei Ribbon Music / Domino im Vertrieb von Good To Go und ist erhältlich als Audio-CD, LP und MP3-Download.

John Maus Screen Memories
2017/11
Test-Ergebnis: 4,0
GUT – SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.