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Lambchop
Neue Wege bei Kurt Wagner: Mit seinem Lambchop-Kollektiv landet er mit „The Bible“ nun bei Jazz Black Music und feingliedrigen Songwriter-Tönen (Foto: M. Winters)

Lambchop „The Bible“ – das Album der Woche

Es gibt Künstler, denen macht es nichts aus, wenn alles bleibt, wie es ist: Man hat seinen Platz im Musikbusiness gefunden, sein Publikum, seine Erfolgsformel, so kann’s bleiben und ewig weitergehen. Bei Kurt Wagner liegt die Sache etwas anders. Zwar ist der Lambchop-Mastermind ein hochgradig in sich ruhender Musiker, der seine Karriere ohne jede Getriebenheit gelassen und fern jedweder Hektik gestaltet, doch zu langes auf-der-Stelle-treten oder gar Selbstwiederholung sind ihm ein Graus. Und irgendwann kommt ja auch das Alter als zusätzlicher Faktor ins Spiel. „Im Vorfeld dieses Albums kam ich mir selbst tatsächlich etwas seltsam vor“, erzählt Wagner, „schließlich werde ich demnächst 64, und da fragt man sich ab und zu wirklich: `Was mache ich hier eigentlich´?“

Kurt Wagner
Kurt Wagner ist Lambchop – na, zumindest das Mastermind und die Stimme des Kollektivs (Foto: M. Winters)

Zeit also, sich mal wieder eine paar grundsätzliche Gedanken zu machen. „Ich bin keineswegs eine religiöse Person, aber ich glaube, dass wir alle in bestimmter Hinsicht spirituelle Lebewesen sind. Und um Spiritualität zu spüren, muss man nicht religiös sein“, erläutert Wagner den Ausgangspunkt für „The Bible“. Dennoch sollte man den Albumtitel nicht zu hoch hängen: In seinen bisweilen kryptischen Texten umkreist Wagner diesen Themenkanon eher abstrakt – und musikalisch mit immenser Leichtigkeit.

Dabei ist bei diesen zehn neuen Kompositionen ein vielköpfiges Kollektiv am Start, das Bass, Schlagzeug, Gitarre, Piano, Elektronik, Bläser, Streicher sowie Begleitstimmen umfasst, dabei aber so kammermusikalisch filigran aufspielt, wie Lambchop-Freunde es etwa an „Is A Woman“ von 2002 schätzten. So ist „The Bible“ einerseits ein typisches Lambchop-Album mit Vertrautem in Form von Wagners sonoren Bassbariton im Stil eines pensionierten Braunbären sowie dem federleichten Spiel von Pianist Andrew Broder – um andererseits immer mal wieder zu einem der untypischen Werke zu mutieren, das fortsetzt, was spätestens mit dem überraschend avantgardistischen 2016er-Werk „FLOTUS“ begann. Die dem Country-Soul gewidmeten Anfangsjahre von Lambchop mit meist im heimischen Nashville eingespielten Alben liegen schließlich schon knapp dreißig Jahre zurück, und längst haben elektronische bis krautrockige Klänge sowie Autotune- und Vocoder- Effekte Einzug in den Soundkosmos der Band gehalten.

Die Musik von Lambchop „The Bible“

Auf „The Bible“, von Wagners Keyboard-Kumpel Ryan Olson in einer ehemaligen Lackfrabrik in Minneapolis bis auf die erwähnten Tricks aus dem Computer sehr „naturrein“ und ohne weitere Geschmacksverstärker produziert, kommen nun ein ordentlicher Schuss Jazziges sowie ein Quantum Tanzbares hinzu. Da wäre etwa „Little Black Boxes“, das mit einem famosen Mix aus pumpendem Funk-Bass, Afrojazz-Bläsern und durch die Verzerrer-Software gejagten Gesangspassagen sowie einem psychedelischen Gitarrensolo im Finale an die Temptations erinnert. Und der „Police Dog Blues“ verweist mit fahlen Bläsern, vertracktem Groove und beseeltem Gospelgesang auf politisch explizite Black-Music-Heroen wie Gil Scott-Heron.

Fast kirchenmusikalisch erhaben musiziert quasi das komplette das Lambchop-Ensemble hingegen in „A Major Minor Drag“, während in „Dylan At The Mouse Trap“ weitläufige Blechbläser eine ansonsten eher selten ins Spiel kommende Bottleneck-Guitar umarmen. Kontemplativität pur bestimmt dann das Finale mit dem ergreifenden „Every Childs Begins The World Again“ sowie mit „So There“ und „That’s Music“, das Piano-Zauber mit unerwarteten Synthie- beziehungsweise orchestralen Streicher- und Bläsersounds garniert.

Lambchop The Bible Cover
Lambchop „The Bible“ erscheint bei City Slang im Vetrieb von Rough Trade und ist erhältlich als CD, Gatefold-Doppel-LP sowie als Stream und Download unter anderem bei Qobuz.

Alles zusammen macht auch „The Bible“ (wie schon jedes vorangegangene Lambchop-Album) zu lupenreiner „Zuhörmusik“, die den geduldigen, sich Zeit und Ruhe nehmenden Hörer knapp 50 Minuten lang mit einer Fülle an wunderbaren Momenten und intensiven Stimmungen belohnt: Amen.

Bewertung:

Lambchop „The Bible“
2022/11
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.