Digital, minimalistisch und hoffnungsvoll: Auf ihrem zweiten Album Through Water vereint die englische Sängerin Låpsley zeitgemäßen Synthie-Soul und elektronische Chansons zu einem sensitiven Soundtrack. Låpsley Through Water ist unser Album der Woche.
Kunst in all ihren Facetten entsteht ja nie im luftleeren Raum, sondern vor der permanent sich verändernden Leinwand des Lebens. Und manche Musiker sind fraglos mit einer überdurchschnittlichen Sensitivität gesegnet (oder gestraft). Dabei hört man vor allem von den jüngeren „Twentysomethings“ vermehrt nachdenkliche Töne – Melancholie und Introspektion trifft bei ihnen auf einen klaren Blick auf eine Welt in Zeiten von Klimawandel und Kapitalismus-Burnout. Ergebnis: moderne Sounds und zeitgemäße Inhalte weit jenseits von jeglichem Eskapismus – man denke nur an Billie Eilish, die mit ihren digitalen Klageliedern zur Ikone einer jungen Songwriter-Generation avancierte.
Womit wir unmittelbar bei Holly „Låpsley“ Fletcher angekommen wären. Explizit hat Billie Eilish ihre englische Kollegin nämlich als eine ihrer wesentlichen Inspirationsquellen genannt – der Rest ist Musikgeschichte. Nun wäre es reichlich optimistisch, von Låpsley ähnlichen kommerziellen Erfolg zu erwarten, doch wer weiß … jedenfalls hat auch die 23-Jährige aus Liverpool das Zeug dazu, als einer der großen Stimmen der jungen Popszene die Musik der neuen Zwanzigerjahre mitzuprägen.
Schon seit der Veröffentlichung ihrer ersten EP mit kaum 16 Jahren als Ausnahmetalent des alternativen britischen Songwritings gehandelt, spielte sie sich 2019 mit ihrem Debüt Long Way Home erstmals richtig ins Rampenlicht. Zu hören: eine Mischung aus elektronischem Soul-Pop und zeitgenössischem R’n’B, angesiedelt in Nachbarschaft zu Acts wie James Blake, FKA Twigs, Banks oder Jessie Ware. Es folgten eine erste Tournee sowie die finalen Jahre im Teenager-Status – allerlei juvenile Verwerfungen und Orientierungsphasen inklusive.
Låpsley zog nach Manchester. Kümmerte sich als Volunteer um Teenager aus schwierigen Verhältnissen. Machte einen Kurs als Geburtshelferin. Verliebte und trennte sich wieder. Hörte sich durch den Achtzigerjahre-Katalog des für Schwermütiges in Premiumqualität bekannten Labels 4AD mit Bands wie This Mortal Coil oder den Cocteau Twins als Entdeckungen. Landete in London, von wo aus zunächst 2019 die „These Elements-EP folgte – und nun Album Nummer 2.
Halfen beim Vorgänger noch Produzentengrößen wie Rodaidh McDonald (The xx, Sampha), Paul Stavely O’Duffy (Amy Winehouse) und Jimmy Napes (Sam Smith, Clean Bandit), so führt bei Through Water nun Låpsley selbst Regie – unterstützt lediglich von Theo Brown, Hausproduzent ihres Labels XL Recordings.
Die Musik von Låpsley Through Water
Zusammen schuf dieses Duo eine Synthie-Sinfonie voll minimalistisch-ätherischer Arrangements, bei denen die Pausen und Auslassungen dazwischen mindestens ebenso wichtig sind wie die Töne selbst. „Through Water“ und „My Love Was Like The Rain“ eröffnen das zehn Songs starke Programm mit klappernden Beats und sparsamen Tastenklängen und zeigen exemplarisch die beiden zentralen Elemente, die sich schon nach nur zwei Alben als Erkennungsmerkmale des gläsern-kristallinen Låpsley-Sounds herausgeschält haben: eine „quecksilbrige“ Elektronik voll perlender und fließender Bits und Bytes sowie Låpsleys beseelte weiße Soulstimme, die entweder mit absoluter Natürlichkeit besticht – oder als kunstvoll präpariertes Gegenstück, wenn ihr elektronisch verzerrtes Organ immer mal wieder zum Duett mit sich selbst antritt (etwa in „First“).
„My Love Was Like The Rain“ (in Bild und Ton hier zu sehen: ), „Our Love Is A Garden” und „Womxn“ (zum Video hier) transportieren diesen Sound dann Richtung niveauvoller Club Music. Das funktioniert ausgezeichnet, denn die Arrangements bleiben fokussiert, verzichten auf jegliche plumpen oder kalkulierten Effekte, außer ein paar etwas offensiveren Beats lenkt nichts von Låpsleys Emotionen, ihrer Identitätssuche ab.
Noch konsequenter fokussieren sich die Balladen „Ligne 3“ und „Sadness Is A Shade Of Blue“ auf Låpsleys Gefühlswelten: Auch eine Adele könnte kaum direkter, ungeschminkter und eindringlicher zu ihrem Publikum sprechen und singen. „Our Love Is A Garden” betört zwischendrin als eine mit viel Hall erbaute Klangkathedrale voll zwitschernder Sounds, „Bonfire“ oszilliert fein austariert zwischen feierlichem und quirligem Synthiepop. Den Schlussakkord bildet die Pianoballade „Speaking Of The End“: verletzlich, zart und hoffnungsvoll zugleich – das Video zu diesem Stück sensibel-kraftvoller Wassermusik gibt es hier.
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