Les Discrets Prédateurs: Mit seiner dritten Disc gelang dem französischen Trio Les Discrets mehr als nur ein feines Darkpop-Album. Mit „Prédateurs“ vermitteln die Franzosen ein Stück filigranen Romantizismus mit humanistischer Botschaft, das auch Hörer aus dem Neo-Progrock-Lager anzulocken vermag – und so zur LowBeats CD der KW 16 wurde.
Aus der Ferne betrachtet umfasst die französische Popszene drei wesentliche Kategorien: hier die Fräuleinwunder zwischen Nouvelle Chanson und Leichtgewichtspop wie Zaz, Louane oder Coralie Clement, da die Fraktion der Elektroniker mit stilvoll designter Loungepop- und Disco-Synthetik (Air, Daft Punk), dort die Indiepop- und Alternative-Rock-Abteilung wie Phoenix oder Justice. Bei genauerer Betrachtung ist das Bild aber natürlich deutlich komplexer: Soul-Men wie Ben L’Oncle Soul, freischaffende Neo-Existenzialisten wie Benjamin Biolay oder Tonsetzer zwischen Pop und Klassik wie Yann Tiersen dokumentieren eindrucksvoll, dass die Musikszene unserer westlichen Nachbarn nicht tri-, sondern multicolor aufgebaut ist.
Eine weitere aparte Klangfarbe fügt der Musiker, Grafiker und Filmemacher Fursy Teyssier dem vielschichtigen frankophilen Musikkosmos hinzu. Ob als Regisseur von Animationsfilmen, Designer von Plattencovern oder Bassist bei der deutschen Gothic-Metal-Band The Vision Bleak: Der 32-jährige Fast-alles-Könner tanzt auf vielen Hochzeiten.
Sein Hauptaugenmerk aber gehört der 2003 gegründeten Formation Les Discrets. Anfangs feilte Teyssier im Alleingang an seiner Vision eines dunkel-geheimnisvollen Sounds zwischen Shoegaze und Post-Rock, seit 2009 aber sind Les Discrets vom one-man-Projekt zur „richtigen“ Band mutiert.
Das dritte Album Prédateurs (deutsch: Räuber, Raubtiere) zeigt nun, wie sich der Sound unter Mitwirkung von Schlagzeuger Jean Joly und Sängerin/Texterin Audrey Hadorn hin zu TripHop und Electronica geöffnet hat. Nach einem atmosphärischen Intro klingt „Virée Nocturne“ wie eine Mischung aus einem frühen Portishead-Song und einer jüngeren David-Gilmour-Arbeit. Noch stärker tritt die Pink-Floyd’sche Psychedelik in „Vanishing Beauties“ mit seinen Vocals im „Us And Them“-Stil zu Tage. „Fleur de Murilla“ hingegen fügt einen Hauch mittelalterliche Spielmannsmusik hinzu, und stets morphen die Kompositionen zwischen oszillierende Synthies und mal grobkörnig raspelnden, mal feingliedrig schwebenden Gitarren (gerne auch mal akustischer Machart, wie in „Les Amis De Minuits“) hin und her.
Allen zehn Tracks gemeinsam: ein dunkler Romantizismus und eine stark cineastische Komponente. Nicht ohne Grund beschreibt Teyssier Les Discrets Prédateurs als „Begleitmusik zu einem getragenen film noir, der den Hörer in ein Zugabteil versetzt, wo er die Landschaft durchs Fenster vorbeiziehen sieht.
Es ist ein Album für lange Abende, nächtliche Autofahrten oder jene Momente, in denen wir für gewöhnlich über den Sinn des Seins und dergleichen nachdenken, wenn wir nichts anderes zu tun haben, als dazusitzen und zu warten“, philosophiert Teyssier. „Seine Hauptmotive sind Zeit, die Natur und Leben selbst.“ Ein großer Humanist ist dieser melancholische Schlacks mit der schwarzen Mähne also, der an Werte wie Mitgefühl und Respekt vor der Natur und dem Leben appelliert.
Mit Les Discrets Prédateurs nehmen Les Discrets sozusagen den Räuber in uns ins Visier, der mit seinem Verhalten all das zerstört. Das Cover mit seinem Fabelwesen, einer Mischung aus Schaf, Ziege, Kuh und Einhorn, gibt diesem „Tribut ans Leben, an den Planeten und seine erhabensten Bewohner: den Tieren“ (Teyssier) schließlich ein symbolisches Gesicht. „Tiere sind die wahren Herrscher der Welt, unverfälscht und prachtvoll. Wie der Mensch sie behandelt, spiegelt seine generelle Achtlosigkeit dem Leben gegenüber wider. Die Raubtiere sind wir alle im Grunde genommen selbst.“ Eine Botschaft also, die ans Grundsätzliche rührt, aber überbracht in Form von intensiven, aber trotz aller inhaltlichen Bedeutungsschwere und musikalischen Dramatik nicht zu prätentiösen Vier- bis Fünfminütern.
So ist Les Discrets Prédateurs eine atmosphärisch dichte Allegorie auf das Leben, den Existenzialismus und den ganzen Rest, für deren Verständnis man aber nicht Sartre oder Camus gelesen haben muss. Mehr noch: Auch Freunde von nichtfrankophilen, angelsächsischen bis transnationalen Ambient- und Neo-Prog-Rock-Acts wie Blackfield, North Atlantic Oscillation oder Anathema, die sonst gerne bei Labels wie K-Scope auf Jagd gehen, sollten hier unbedingt mal ein Ohr riskieren.
Und nicht zuletzt ist dieses Album auch in optischer und haptischer Hinsicht ein Fest: Die Disc lagert in einem Digipack mit fester Rückenbindung, und im Inneren verleiht ein 22-seitiges Booklet mit ausdrucksstarken Skizzen, Fotos und Grafiken diesem traumverlorenen Sound ein apartes Gesicht. Noch beeindruckender aber sind die Bilder, die das eigene innere Auge für diese Musik bereithält.
Les Discrets Prédateurs erscheint bei Prophecy im Vertrieb von Soulfood und ist erhältlich als Audio-CD und Vinyl LP.
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