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Love A Band
Seit 2010 steht das Love-A-Quartett Stefan Weyer, Jörkk Mechenbier, Karl Brausch und Dominic Mercier (von links nach rechts) für große Postpunk-Songs mit Gänsehautgarantie. Aber Achtung: Auch das neue Album „Meisenstaat“ ist keine Wohlfühloase für nostalgisch gestimmte Spätpunks auf der Suche nach altersfreundlichem Gitarrenpathos – hier klopft die Wirklichkeit mit ungeschinkter Vehemenz an die Tür (Foto: O. Jungmann)

Love A „Meisenstaat“ – das Album der Woche

Schon mit seinem 2017er-Coup „Nichts ist neu“ lieferte das deutsche Quartett Love A einen ganzen Sack voller Postpunk-Hymnen mit Gänsehautgarantie. Nun legt das Quartett um Sänger Jörkk Mechenbier nach – und lässt es auch auf seinem neuesten Werk nicht an Dringlichkeit, Haltung und mitreißenden Saitensounds mangeln. Love A „Meisenstaat“ ist ein klarer Fall für ein LowBeats Album der Woche.

Manchmal tut es ganz gut, sich zu hinterfragen. Das schützt vor Selbstgefälligkeit und schärft die Sinne. Also schnappt man sich doch mal einen etwas älteren Text von vor ein paar Jahren und legt ihn anno 2022 nochmals unter die Analyselupe: War das einst bejubelte Werk tatsächlich so famos wie damals beschrieben? Lässt sich die damals vergebene 5-Sterne-Bewertung auch aus heutiger Sicht noch halten? Oder gibt es etwas zu relativieren, zurückzunehmen? 2017 wars, als das deutsche Postpunk-Quartett Love A mit seinem damaligen Album „Nichts ist neu“ eine der äußerst raren LowBeats Höchstbewertungen in der Kategorie „Musik“ abstaubte. Anlass für die Wiederbegegnung mit der Vergangenheit ist nun natürlich eine neue Platte der Truppe um Frontmann Jörkk Mechenbier – und auch „Meisenstaat“ lässt kaum Wünsche offen in Sachen emotionaler Dringlichkeit und musikalischer Dichte.

Doch zunächst ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Nein, auch auf Wiedervorlage gestellt, gibt es nichts zurückzunehmen von der damaligen Euphorie für „Nichts ist neu“. Unzählige Runden drehte diese Disc seither im CD-Player, vertonte Fahrten in den Urlaub und sorgte dutzendfach für Gänsehautmomente in den heimischen vier Wänden. Und ein Auftritt des Quartetts in einem winzig kleinen, rappelvollen Stuttgarter Jugendhaus vor vielleicht hundertzwanzig Fans gehörte zu den Konzert-Top-10 nicht nur des Jahres 2017.

Die Musik von Love A „Meistenstaat“

Fünfeinhalb Jahre sind vergangen seit damals, und dass die Zeiten nicht besser geworden sind seitdem, ist„Meisenstaat“ Takt für Takt anzuhören. „Wenn der Wille nicht will, weil kein Weg existiert / schließe ich hinter mir ab, höre auf zu verstehen“ heißt es etwa in „Will und kann nicht mehr“; „Wo gestern Leben war, wird heut‘ nur überlebt“ in „Genau genommen gut genug“, ehe Jörkk Mechenbier noch einen draufsetzt und lakonisch diagnostiziert: „Und Gott hat einen Bart, nur Güte hat er nicht“. Einfache Antworten anzubieten, ist Mechenbiers Sache dabei nicht – doch dafür stellt er die richtigen Fragen: „Was sollen wir tun, wenn die Dummen sagen, die Schlauen schaffen wir jetzt ab / was sollen wir tun, wenn die Hoffnung schläft, und das Unheil bleibt für immer wach?“ rätselt er im Titelsong „Meisenstaat“. Und käme diese Band aus den USA, so trüge dieses Album mit absoluter Sicherheit einen Aufkleber mit dem Prädikat „explicit content“ – wer Genaueres wissen will, höre einfach in „Analog ist besser“ an Position 6 hinein.

Dieser illusionsfreien bis schonungslosen Gegenwartsanalyse gegenüber steht ein Punkrock-basierter, aber dramaturgisch und melodisch ausgefeilter Wuchtbrummen-Sound, der diese Songs in mittlere bis ausgewachsene Hymnen verwandelt. „Frag nicht“ eröffnet das elf Tracks starke Programm mit einem Mix aus Highspeed-Gitarren und ebensolchen Drums. Auch der Titelsong „Meisenstaat“ sowie „Genau genommen gut genug“ sind punkige Bretter mit eingebauter Moshpit-Garantie, ehe Love A in „Klimawandel“ etwas den Fuß vom Gas zu nehmen scheinen: eine Illusion freilich, denn wo die Gitarre von Stefan Weyer etwas versöhnlicher klingt, gibt Karl Brausch seinem Schlagzeug dafür umso tüchtiger die Sporen.

Doch dass der Love-A-Sound auch tatsächlich anders kann als im Vollgas-Modus voranzubrettern, zeigt „Analog ist besser“: Hier lässt ein Hauch an Melancholie an Frühachtziger-Ikonen wie The Cure denken. Und in „Kann und will nicht mehr“ wandelt Saitenmann Stefan Weyer herrlich leichtfüßig auf den Spuren von Smiths-Ikone Johnny Marr, während im Hintergrund epische Keyboard-Klänge die Szenerie ausleuchten.

Allgegenwärtig ist drum herum der fette Bass von Dominik Mercier, und Jörg Mechenbier bleibt als Sänger ein Ereignis: bellt seine Texte mit markantem Timbre und so hör- wie fühlbarer physischer Präsens ins Mikrofon, geistert (etwa in „Alles ist einfach“ oder in „Aus die Maus“)  so rastlos durch diese Klangwelten wie einst Peter Lorre durch die Kulissen von Fritz Langs Klassiker „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ und macht die messerscharfen Blicke von Love A auf den Irrsinn unserer Welt quasi cineastisch sichtbar oder holt ab und an sogar den „Saarland-Elvis“ (so sein selbstironischer Kommentar) aus sich heraus.

In der Summe kegeln Mechenbier & Co. mit diesem deutschlandweit nach wie vor singulären Sound voller Unberechenbarkeit, Extravaganz und Zerrissenheit den Ausgangsmodus ihrer Musik, diesen Dauerzustand zwischen Weltschmerz und Systemüberlastung, also doch wieder hochkant zum Fenster hinaus. So versinkt „Meisenstaat“ letztlich nicht in Tristesse, sondern wird zu einem Manifest der inneren Wehrhaftigkeit und der Resilienz: Trotz aller mentaler Abnutzungserscheinungen reicht die Kraft noch, die Faust zu ballen, die finalen Widerstandskräfte zu mobilisieren, sich selbst treu zu bleiben und seinen Weg weiterzugehen.

Love A "Meisenstaat" Cover
Love A „Meisenstaat“ erscheint bei Rookie Records und ist im Vertrieb von Indigo als CD, LP und als limited edition in durchsichtigem Vinyl erhältlich sowie (via The Orchard) als Download und Stream

 

Love A „Meisenstaat“
2022/09
Test-Ergebnis: 4,1
GUT – SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.