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MGMT Little Dark Age
Little Dark Age, das neue Album von MGMT, bringt indietronischen Elektropop, der immer ein wenig neben der Spur groovt – das aber auf unnachahmlich perfekte Art (Foto: B. Elterman)

MGMT Little Dark Age – die CD der Woche 6

Wer erinnert sich nicht an „Time To Pretend“, „Kids“ oder „Electric Feel“? Exakt eine Dekade ist es her, dass MGMT mit diesen Hits und ihrem Debütalbum Oracular Spectacular den Sound des Jahres 2008 definierten – und ein eigenes Genre gleich dazu. Nun präsentieren die Erfinder des Indietronic-Pop eine Art „Oracular Spectacular 2.0“, unter dessen poppiger Oberfläche freilich manche Untiefen lauern. Und konsequenterweise ist MGMT Little Dark Age die LowBeats CD der Woche 6.

Die Tür stand eigentlich weit offen, damals im Frühjahr 2008. Gerade hatte sich das „richtige“ Debütalbum von MGMT (das noch unter dem Bandnamen The Management eingespielte 2005er-Werk Climbing To New Lows herausgerechnet) mit ein wenig Verspätung zur Kultplatte entwickelt – und zum Gründungsentwurf eines ganzen Genres.

Mit einem schwer zu verortenden Soundentwurf hatten Andrew van Wyngarden und Ben Goldwasser die Popszene seinerzeit derart vor den Kopf gestoßen, dass Fans und Kritiker erst mal rund ein halbes Jahr brauchten, um die Tragweite des MGMT-Schaffens zu begreifen.

Elektropop? Unbedingt – und doch klang Oracular Spectacular völlig anders als das, was es für gewöhnlich unter diesem Etikett zu kaufen gab. Nerdiger und lässiger gespielt, verfrickelt, aber voller catchy Melodien und schräger Effekte, gab es hier eine Art „Pet Sounds“ der 2000er-Jahre zu besichtigen, was mit „Time To Pretend“, „Kids“ sowie „Electric Feel“ drei Evergreens moderner Popmusik abwarf und fortan jede Menge Nachahmer auf den Plan rief. Erinnert sei nur an Acts wie Empire Of The Sun, Foster The People oder Passion Pit – one-hit-wonders, zumeist.

MGMT Little Dark Age Sofa
Hipster oder Nerds? Eine diffuse Widersprüchlichkeit prägt den Sound und das Auftreten von Benjamin Goldwasser (links) und Andrew van Wyngarden (Foto: B. Elterman)

Und MGMT selbst? Noch ein, zwei weitere Alben in diesem Stil und van Wyngarden und Goldwasser hätten sich zu den Pet Shop Boys der Indietronic-Szene entwickelt. Stattdessen: 2010 ein Nachfolger, der mit skurrilem Psychedelic-Jangle-Indie-Gitarrenpop aufwartete (Congratulations) sowie 2013, noch abgehobener, das selbstbetitelte Werk MGMT, das mit verschwurbelten, skizzenhaftem Experimental-Pop verstörte.

Warum sich die beiden New Yorker Twens nach Oracular Spectacular derart dem Popbusiness verweigerten? Schwer zu sagen. Aber zehn Jahre später scheint es so, als wollten die US-Boys die damals verpasste Chance auf eine glanzvolle Karriere im Rampenlicht nun nachholen.

Mit MGMT Little Dark Age präsentieren die beiden ein Album, das als Indietronic-Pop funktioniert, aber seinen Gegenentwurf schon in sich trägt. Smarte Melodien wechseln mit schrägen Sounds und stets klingen die Keyboards unverschämt beiläufig, aber unwiderstehtlich smart um einen Halbton verstimmt – so, als käme der zottelige, immer etwas streng riechende Zausel aus der IT-Abteilung mal wieder eine dreiviertel Stunde zu spät ins Büro seines glitzernden Bankenpalasts, um anschließend bei einem Fass voller Kaffee und drei Pfund Cranberrymuffins die ganze Truppe mit ein paar Clicks mal wieder vor dem totalen Systemabsturz zu retten.

Prototypisch für den Stil von MGMT Little Dark Age: das verträumte OMD-artige „Me And Michael“ und den Titelsong „Little Dark Age“ – zwei Ohrwürmer reinster Prägung, die so desinteressiert unmodern daherkommen, dass sie schon wieder als retroeske Vintage-Meisterwerke des Indietronicpop gelten dürfen.

Wo Kollegen mit frisch gehäckselten Beats, noisigen Störgeräuschen und Autotune-Effekten um sich werfen, fahren MGMT lieber fluffig verhallte Spacepop-Vocals und analoge Synthieklänge in bester 80er-Jahre-Manier auf. So klingt definitiv nicht der neueste state-of-the-art-Hipstersound – aber ein überaus smart hingeworfener Popentwurf, der dem Publikum in der Indiedisco ein entspanntes Lächeln aufs Gesicht zaubert.

Auch an ein betagtes Spinett („Tslamp“) oder eine spanische Gitarre dürfen in den Soundlandschaften von MGMT Little Dark Age  vorbeizuklimpern. Das verspielte „James“ betört dann als eine Art „Kleine Nachtmusik“ des Computerpop; während „When You Die“ als fernöstlich getönter Plingplong-Pop daherkommt, unter dessen vermeintlich naiver Oberfläche aber eine psychopathische Beziehungsstory lauert.

Denn, merke: Hinter MGMT stecken immer noch zwei freakige Querdenker und Soundanarchisten, die sich hintersinnige Doppelbödigkeiten nicht entgehen lassen – musikalisch wie textlich. „She Works Out Too Much“ erzählt eine Love Story, die an Differenzen in puncto Fitnesstraining scheitert; „Tslamp“ (die Abkürzung für „Time spent looking at my phone“), hält der digital abhängigen Generation Instagram auf charmante Art den Spiegel vor.

One Thing Left To Try“ vereint Kirchenorgel mit Human-League-artigem Hi-Energy-Dancepop. Mit „When You’re Small“ und „Hand It Over“ endet dieses Album, das mit hoher Wahrscheinlichkeit bestenfalls halb so viele Exemplare verkaufen wird wie einst Oracular Spectacular, aber fast genauso viel Spaß macht, überraschend balladesk und fast psychedelisch-sphärisch. Betreut wurde MGMT Little Dark Age  von Chairlift-Frontman und „Bandmediator“ Patrick Wimberly sowie Produzent Dave Fridmann, der in den Neunziger- und Nuller-Jahren bereits Acts wie Spoon, Mercury Rev, Sparklehorse oder Mogwai bei deren Grenzgängen zwischen Indierock und Psychedelic-Pop begleitete.

MGMT Little Dark Age Cover
Cover Art: MGMT Little Dark Age (Cover: Amazon)

MGMT Little Dark Age erscheint bei Columbia im Vertrieb von Sony Music und ist erhältlich als CD, LP und MP3-Download.

MGMT Little Dark Age
2018/02
Test-Ergebnis: 4,0
GUT – SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.