de
Neil Diamond Hot August Night III Live3
Ein grandioser Abschluss: Neil Diamond legt mit Hot August Night III sein letztes Album vor

Neil Diamond Hot August Night III – CD der Woche 34

Neil Diamond gilt vielen als softer Pop-Chansonier. Doch mit legendären Live-Songs wie auf „Hot August Night“ aus dem Jahr 1972 – und dem aktuell erschienenen Album Neil Diamond Hot August Night III  zu seinem wahrscheinlichen Abschied, zeigt der Sänger und Entertainer formidabel seine Singer-Songwriter-Qualitäten und sein Händchen für rockige Inszenierungen.

„Seid ihr noch da, ihr drei“? Neil Diamond blickt von der Bühne aus hinüber zu den Bäumen außerhalb des „Greek Theatre“-Areals in den Hügeln von Santa Monica, im „Griffith Park“ von Los Angeles. „Habt Spaß, ich singe auch für euch!“ Obwohl der Sänger und Entertainer im August 1972 ganze zehn Konzerte dort gab, konnte damals dennoch manch einer keine der begehrten Eintrittskarten erhaschen und lauschte dann eben vor den Toren des Open-Air-Venues den Songs, die als „Hot August Night“ Geschichte schrieben: Im Pop, unter Audiophilen – und natürlich für Diamond selbst, dessen Stern damals anfing, so richtig intensiv zu leuchten.

Neil Diamond Hot August Night III LIve2
Neil Diamond 2012 beim Konzert zu Hot August Night III

Das mutet ein bisschen an wie das Motto des ehrwürdigen Open-Air-Spiel-Ortes in der Mega-Metropole L.A. selbst, das da heißt: „Spielen, Zusehen und unter den Sternen weilen“. Was natürlich doppeldeutig gemeint ist, schließlich gaben und geben sich hier einige „Stars“ den Mikrofonständer in die Hand. In letzter Zeit traten beispielsweise Norah Jones, ZZ Top mit Kenny Wayne Shepherd, Jackson Browne oder die Steve Miller Band auf. Und wer zufällig demnächst nach L.A. kommen sollte, kann sich Arcade Fire (20. September) oder First Aid Kit am 26. September (formidables schwedisches Folk-Duo) anhören. Oder man kann am 29. September Ringo Starr ohne die Beatles erleben, der dem Autor bereits in den 90ern im Interview einiges über sein Leben nach den Pilzköpfen verriet.

Neil Diamond Hot August Night III Live
Vom Aufbau her wie ein klassisches Amphitheater: das Greek Theatre in Santa Monica

Die Lage des Greek Theatre ist akustisch fein positioniert. Architekt Samuel Tilden Norton und Kollegen betteten es, einem griechischen Tempel nachgebildet, in einen Hang ein. Eröffnet wurde es im September 1930, und knapp 6.000 sitzende Gäste finden Platz unter dem glitzernden Sternenhimmel.

Neil Diamond Hot August Night III Greek Theatre
Das Greek Theatre war früher wie heute ein Ort für spektakuläre Konzerte

„Das ist sehr aufregend für mich, hier zurück im Greek Theatre zu sein, wandte sich Diamond 2012 gerührt zwischen „Love on The Rocks“ und „Hello Again“ ans Publikum. Zwischen seinen Sätzen lagen 40 Jahre, fast auf den Tag genau. „Hot August Night III“ erscheint erst jetzt, sechs Jahre nach dem Event: Es ist wahrscheinlich Neil Diamonds Abschiedsgeschenk an seine Fans und sich selbst, denn jüngst gab der 77-jährige bekannt, an Parkinson erkrankt zu sein. Insofern kann das Live-Opus durchaus als Werkschau seines musikalischen Lebens gelten, vereint auf zwei CDs, mit oder ohne Blu-ray/DVD, wobei die optische Zugabe, in diesem Falle technisch scharf und von der Regie atmosphärisch in Szene gesetzt, die Veröffentlichung schön ergänzt.

Neil Diamond Hot August Night III Horn Section
Neil Diamond mit seiner Horn-Section beim Live-Auftritt im Greek Theatre

Muss man aber Neil Diamond Hot August Night III  haben, zumal ja bereits in den 80er Jahren eine „II“-Version erschienen ist? Um es kurz zu machen: Jene erreicht mit teils zu showartig-glatter Inszenierung nicht den Stellenwert der anderen. Insofern bleibt sie hier außen vor.

Welchen Stellenwert hat Neil Young Hot August Night III?

Und: Sollte ein Album von Neil Diamond überhaupt im Regal von Musikliebhabern stehen? Klar, man kann Neil Leslie Diamond anhand vieler seiner Songs durchaus Hitparaden-Gesäusel oder Schunkel-Pop attestieren. Damit wird man dem gebürtigen New Yorker aber keinesfalls gerecht. Denn einerseits besteht selbst die Grund-DNA von Alternative-Pop (zum Beispiel Heather Novas „Heart And Shoulder“) oder von Rock-Heroen wie Metallica („Nothing Else Matters“) zuweilen aus sirupartig-melodiös tröpfelnden Noten, die eher Kinderherzen entzücken.

Und zudem ist Diamond damit nicht der einzige. Auch ein Sir Elton John legte nach furiosen Alben wie Madman Across The Water (mit „Tiny Dancer“), Captain Fantastic… oder Goodbye Yellow Brick Road (mit „Candle In The Wind“) auch sülzig-fantasielose Phasen ein (Leather Jackets) oder gab sich gar dem Disco-Fieber hin (Victim Of Love).

Neil Diamond schrieb in früheren Zeiten zudem nicht nur für sich, sondern für Kollegen: The Monkeys landeten mit „I’m A Believer“ einen fetten Hit, aber auch andere Promikollegen intonierten Songs des Mannes aus Brooklyn, darunter Elvis Presley, Frank Sinatra, Roy Orbison oder Johnny Cash.

Diamond-Songs gelten für viele von uns als eine Art poppig-musikalisches Kulturerbe mit sunkist-süßem Nostalgiegefühl. Wahlweise in der Geschmacksrichtung Apfelsine oder Kirsch – „Cherry, Cherry“, „Cracklin’ Rosie“, „Kentucky Woman“ oder „Sweet Caroline“ tönten schließlich aus zwei quietschroten Handschlaufen-Mittelwellenradios am Lenkergestänge des fetzigen Kettcars, damals um 1970 herum. „Shilo“ – when I was young – war der Soundtrack zum Roadmovie in der elterlichen Wohnsiedlung, in dem es vom Nachbarhaus bis oben zum Wendeplatz ging, wo Freund Thomas zuhause war, bis hinunter zum Häuschen der kleinen Freundin Christine. Und wieder zurück.

Kinder-Lieder also sozusagen, ähnlich emotional archiviert wie Stücke der Beatles, die zumindest in Teilen auch später noch bei vielen Bestand hatten: Spätestens mit dem Klasse-Live-Doppel-Album Hot August Night, stibitzt vom großen Bruder, galt Neil als echter Freund.

Die Musik von Neil Diamond Hot August Night III und Neil Diamond Hot August Night I

Nannte die Album-Set-List von 1972 stolze 25 Songs, sieht die IIIer-Version 35 vor, zieht man Intermezzi oder Ausklang-Ambiente-Tracks ab. Neben eher gefühlsduseligen Stücken wie „Forever In Blue Jeans“ oder „We“ setzt der Old Man mit seiner Band Klassiker wie die oben als „Roadmovie“ bezeichneten Songs mit Verve, souveräner Spielfreude und respektabel elastischen Stimmbändern in Szene. Wenngleich manche Passage früher zackiger und energischer tönte. „Shilo“ zum Beispiel glänzt wie ein später Johnny Cash mit leicht verwitterter, reifer Stimme, „Play Me“ lässt Gänsehautfeeling aufkommen, was auch für das autobiografische „Glory Road“ gilt. Hier erzählt Neil, wie er die Schule verlängern durfte, dann aber doch runterflog. Und wie er sich freut(e), so seinen Traum zu erfüllen – Gitarre zu spielen und zu singen. „Nicht des Ruhmes oder des Geldes wegen“, betont er. Eher, weil er schließlich seither nicht mehr früh aufstehen muss, um zur Schule zu gehen, scherzt er. Und dann „alte“ Songs wie „Cracklin’ Rosie“, wo sofort das Kettcar wieder vor den Augen auftaucht – und Neil plus Band losfetzen wie Jungspunde. „Wir spielen schon seit 35 Jahren zusammen – ich liebe sie,“ lobt er seine Musikerfreunde an anderer Stelle.

Neil Diamond Hot August Night III Band
Großes Spektakel: Neil Diamond und Hot August Night III Live im Greek Theatre

Die „Crunchy Granola Suite“, 1972 fulminanter Album-Auftakt mit Streichereinsatz, blüht hier als eine Art Popourri auf, nach dem Motto „zurück in die Zukunft“. „Sweet Caroline“ schwelgt in gediegenem Big-Band-Sound mit Bert-Kaempfert-Appeal und „I Am… I Said“ geriet zur feinen Singer-Songwriter-Kunst. Und man kann sagen: Die Toningenieure fingen das Live-Ouevre von Neil Diamond Hot August Night III  sehr atmosphärisch und gut aufgelöst ein; das Open-Air-Gefühl kommt gut rüber.

Die Hot August Night von 1972 wiederum glänzt vor allem als – mittlerweile sündhaft teure – MFSL-Version (als CD mit der Nummer UDCD 584) mit einer für die damalige Zeit unerhört plastischen und tonal wunderbar ausbalancierten Aufnahme. Das Cover verkörpert den Inhalt von damals passend: Diamond als langmähniger Rocker in Ekstase, der am Anfang seiner Karriere unbändige Energie freimachen kann.

Neil Diamond Hot August Night
Alles rausgeholt: die 40-Jahre-Deluxe-Version von Hot August Night

Und so ist die Urversion nach wie vor ein Muss, die 3.0-Ausgabe das ergänzende Gegenstück, eine Abrundung von 40 Jahren Schaffenskraft und zeitlosen Pop-Songs, von denen auch heute noch einige lebendig strahlen.

Ganz am Schluss des „heißen“ Abends im August 2012 gönnt Diamond dem Publikum vor Ort und uns noch eine knapp einminütige Zugabe namens „Audience Exit“. Ein Ausklang mit einem kleinen Potpourri seiner Songs vom Band, die über den Hügeln der Santa-Monica-Mountains in den Sternen verglühen.

Neil Diamond Hot August Night III Cover
Neil Diamond Hot August Night III (Cover: Amazon)

Das Live-Doppelalbum Neil Diamond Hot August Night III erscheint bei (Capitol) Universal Music als Doppel-CD, Doppel-CD-/Blu-ray-Set, Doppel-CD-/DVD-Set MP3-Download oder Stream, z.B. bei amazon.de.

Neil Diamond Hot August Night III
2018/08
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

Avatar-Foto
Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.